13. Juni 2025
Gewalt und Diskriminierung

“Komplettes Systemversagen”: Wurden Hilferufe von Lehrkräften jahrelang ignoriert?

Ein schwuler Lehrer wird bedroht, Kolleginnen schlagen Alarm, Eltern sprechen von einem Systemproblem – und dennoch passiert jahrelang nichts: Die Berliner Carl-Bolle-Grundschule steht im Zentrum schwerer Vorwürfe. Lehrkräfte berichten von Mobbing, Gewalt und Diskriminierung – und davon, dass Hilferufe ungehört verhallen. Wie konnte es so weit kommen? Und was muss sich ändern, damit Schule ein sicherer Ort für alle wird? Ein Bericht, der zuerst auf der Plattform News4teachers resp. in der Deutschen Presseagentur (dpa) erschienen ist.

 

Erst war es nur ein einzelner homosexueller Lehrer, der von Mobbing an der Carl-Bolle-Grundschule in Berlin-Moabit berichtet hat. “Schwul ist ekelhaft”, habe er zu hören bekommen. Muslimische Schüler hätten über ihn gesagt, er werde “in der Hölle landen”. Inzwischen haben sich weitere Lehrkräfte zu Wort gemeldet, die von massiven Problemen an der Schule berichten. Welche Dimension hat das Ganze?

Die “Süddeutsche Zeitung” beruft sich auf mehrere Lehrkräfte, die an der Schule tätig sind oder waren und von Gewaltvorfällen sowie von respektlosem und diskriminierenden Verhalten von Schülern berichten – insbesondere gegenüber Lehrerinnen. Das sei ohne Konsequenzen geblieben. Eine Lehrerin warf den Berliner Behörden “komplettes Systemversagen” vor. Schon 2018 hätten Lehrkräfte in einem Brief an das Schulamt über Gewalt, Diskriminierungen und Mobbing informiert. Es sei aber nichts unternommen worden.

Drohung: Mit Messer abstechen im Sportunterricht

Eine andere Lehrerin sagte der Zeitung, vor einer Sportunterrichtstunde habe ein Schüler ihr erzählt, ein Mitschüler wolle ihn mit einem Messer abstechen. Sie sei zu diesem Schüler gegangen, habe dessen Messer konfisziert und den Vorfall der Schulleitung gemeldet. Es sei aber auch in diesem Fall nichts unternommen worden. Die Schulleitung reagierte auf Anfrage zunächst nicht.

“Wir haben da schon einige Fragen. Vor allem die: Wer fühlt sich hier eigentlich verantwortlich in so einem Fall?”

Marcel Hopp, SPD-Bildungsexperte im Landesparlament

 

Der Fall erinnert an die Rütli-Schule in Neukölln, die 2006 bundesweit negative Schlagzeilen machte und zum Symbol für das Versagen des Schulsystems wurde. Lehrkräfte schrieben damals einen Brandbrief über die aus ihrer Sicht unhaltbaren Zustände, die das Unterrichten teilweise unmöglich machten. Nachdem jahrelang viel Geld investiert und neues Personal eingestellt wurde, gilt die Schule heute als Vorzeigeprojekt.

SPD fordert Aufklärung

Läuft es an der Carl-Bolle-Schule ähnlich falsch? “Wir haben da schon einige Fragen”, sagte der Bildungsexperte der SPD-Fraktion im Landesparlament, Marcel Hopp. “Vor allem die: Wer fühlt sich hier eigentlich verantwortlich in so einem Fall?”

Die Vorwürfe über die Zustände an der Schule müssten komplett aufgeklärt werden, forderte Hopp. Wenn Lehrkräfte gemobbt würden und entsprechende Vorfälle nach oben meldeten, könnten sie erwarten, dass man sich schützend vor sie stelle. “Und das ist hier nicht passiert”, kritisierte der Abgeordnete. “Und deshalb sehe ich hier schon ein systematisches Problem, das wir unbedingt angehen müssen.”

Sowohl die Schulleitung, als auch die Schulaufsicht und die Bildungssenatorin müssten zur Aufklärung beitragen: “Wie kann es sein, dass mehrere Lehrkräfte über Jahre hinweg solche Fälle melden und es passiert einfach nichts?”

Grüne wollen unabhängige Beschwerdestelle

Auch die Grünen im Berliner Landesparlament verlangen Konsequenzen. “Die internen Beschwerdestrukturen haben versagt”, kritisierte der schulpolitische Sprecher der Fraktion, Louis Krüger. “Deshalb fordern wir eine unabhängige Beschwerdestelle für Schülerinnen und Schüler, Eltern und Beschäftigte.”

An der Schule ist der Lehrer Oziel Inácio-Stech nach eigenen Angaben von Schülern aus muslimischen Familien monatelang beschimpft, beleidigt und gemobbt worden. Er beklagt auch Mobbing und falsche Vorwürfe durch eine Kollegin. Schulleitung und Schulaufsicht hätten ihn nicht geschützt, obwohl er dort wiederholt um Hilfe gebeten habe. Seit rund drei Monaten ist er krankgeschrieben.

“Wir nehmen Anliegen von Betroffenen – sowohl von Kindern und Jugendlichen als auch von Lehrkräften – sehr ernst und arbeiten kontinuierlich daran, Sachverhalte aufzuklären und bei Bedarf geeignete Ansprechpersonen und Hilfsangebote bereitzustellen.”

Bildungsverwaltung Berlin

 

“Ein queerer Lehrer wurde in Berlin monatelang gemobbt und bedroht – und von der Schulleitung, der Schulaufsicht und der Bildungsverwaltung alleine gelassen”, kritisierte Krüger. Senatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) müsse am Donnerstag im Bildungsausschuss umfassend Rede und Antwort stehen. “Wer Verantwortung trägt, darf sich nicht wegducken”, sagte Krüger.

Die Bildungsverwaltung betonte auf Anfrage, sie setze sich mit Nachdruck dafür ein, jeglicher Form von Diskriminierung entgegenzuwirken sowie Toleranz und Vielfalt an Schulen zu fördern. “Wir nehmen Anliegen von Betroffenen – sowohl von Kindern und Jugendlichen als auch von Lehrkräften – sehr ernst und arbeiten kontinuierlich daran, Sachverhalte aufzuklären und bei Bedarf geeignete Ansprechpersonen und Hilfsangebote bereitzustellen.”

Entsprechende Vorgänge würden zunächst über Ordnungs- und Erziehungsmaßnahmen sowie Klassenkonferenzen in der Schule geregelt. “Sollte das nicht ausreichen, stehen weitere Unterstützungsangebote zur Verfügung.”

Eltern bestätigen Probleme

Auch an der Grundschule selbst sorgt das Thema für Diskussionen: “Es gibt solche Vorfälle an unserer Schule”, sagte Elternvertreter Lorenz Liebold – und sie blieben zu oft unwidersprochen. Das liege aber nicht daran, dass Lehrkräfte oder die Schulleitung sich nicht damit beschäftigen wollten. Es seien einfach sehr viele Fälle.

Man könne sie aber auch nicht über einen Kamm scheren. “Das große Problem ist, dass die Durchmischung der Schülerschaft nicht der Durchmischung der Bewohner des Kiezes entspricht”, so der Elternvertreter. Es gebe ein riesengroßes Segregationsproblem, eine soziale Spaltung, von der die Schule stark betroffen sei. “Das ist der zentrale Punkt.”

Den Eltern gehe es ausdrücklich nicht darum, Muslime zu diffamieren oder den Islam zum Problem zu erklären. “Das Problem ist die Armut, die mangelnde Erziehung und die Häufung von Kindern aus nicht so privilegierten Haushalten an bestimmten Schulen.”

News4teachers / mit Material der dpa

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Es geht um Menschenleben

Im bernischen Kantonsparlament wurde letzthin ein Vorstoss einer sozialdemokratischen Parlamentarierin diskutiert, die verlangte, dass die Schülerinnen und Schüler obligatorisch in Sachen Reanimation, sprich am Defibrillator, ausgebildet werden sollten. Die Motionäre waren perplex, dass sowohl die Bildungsdirektion wie auch der Lehrerinnen- und Lehrerverband, sogar die Grünen diesen Vorstoss ablehnten. Es gehe doch um Menschenleben!

Ein Kommentar

  1. Ein Autor wird namentlich nicht genannt. Die Redaktion von news4teachers.de
    ist bekannt dafür, keine Kritik an irgendetwas zuzulassen, was mit dem Islam
    zusammenhängt. Zudem werden besonders gern Poliiker von CDU/CSU kritisiert
    wie die gegenwärtige Schulsenatorin in Berlin. Und jedes Problem in Schulen
    ist entweder auf Rechtsextremisten, auf zu wenige Psychologen und
    Sozialpädagogen oder auf eine soziale Spaltung zurückzuführen, so die
    Philosophie. Daraus resultiert dann der Schluss des Artikels.
    Immerhin gab es zu derselben Angelegenheit mal eine
    Überschrift mit “Der Islam ist hier der Chef”:

    https://www.news4teachers.de/2025/05/der-islam-ist-hier-der-chef-muslimische-schueler-mobben-schwulen-lehrer-nachdem-der-sich-geoutet-hat/

    Nun ist aber klar: Die Schulverwaltung ist bei einem solchen Thema feige,
    aber nicht nur sie. Man fürchtet den Rassismus-Vorwurf der Eltern,
    denn die Kinder plappern ja nur das nach, was ihre Eltern sagen.
    Niemand von den höheren Chargen scheint sich
    zu trauen, sinngemäß folgendes Statement zu formulieren:
    “In Deutschland gelten die deutschen Gesetze und keine anderen. Danach ist
    Schwulsein als solches nicht zu beanstanden, das gilt für jeden,
    der in Deutschland lebt. Weder Extremisten noch Zuwanderer haben das Recht,
    unsere Gesetze und Regeln irgendwie auszuhebeln durch Selbstjustiz.
    Religiöse Regeln sind keine Gesetze, sondern nur interne Empfehlungen,
    die staatlichen Gesetze gehen vor. Und nach dem Grundgesetz kann
    keine Religion einen Absolutheitsanspruch im Staat geltend machen.”

    Gerade in Berlin stand die “Regenbogenhauptstadt” schon mal in einem
    Koalitionsvertrag, man gibt sich besonders queer-freundlich, es gibt
    seit längerem den Christopher Street Day sowie den Karneval der Kulturen
    und vieles andere mehr, u.a. einen “Pride Month”.
    Die vier Islam-Verbände sind gewiss grundsätzlich dagegen,
    aber nach außen schweigen sie. Was sie nach innen predigen, weiß
    niemand, man kann nur spekulieren.
    Das eigentliche Problem hinter den Ereignissen in dieser Schule wird nach
    meiner Einschätzung wesentlich besser hier geschildert:

    https://www.t-online.de/region/berlin/id_100750236/berlin-queer-und-muslim-tugay-sarac-ueber-diskriminierung-und-islam.html

    Das gilt umso mehr, als diese Ibn Rushd–Goethe Moschee in demselben Stadtteil
    Moabit liegt, vielleicht 2-3 Bushaltestellen von der Schule entfernt.

    Eine der wichtigsten Ursachen für die Schwulenfeindschaft liegt in der
    über 1000-jährigen Historie begründet. Diese altertümliche Sichtweise
    wird hier artikuliert:

    https://www.islaminstitut.de/2017/fatwa-zur-strafe-fuer-homosexualitaet-im-islam/

    Dabei ist zu beachten, dass die Meinung dieses (evangelikalen)
    Instituts, auf dessen Seite das steht, dabei keine Rolle spielt.
    Es handelt sich um eine Übersetzung aus dem Arabischen und stammt
    von dem (sehr konservativen) Islam in Katar. Im Iran steht heute noch
    die Todesstrafe darauf. Weltweit maßgeblich ist das nicht,
    aber es zeigt doch vielleicht, woher manche Probleme so kommen.

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