Kürzlich wurde Res Schmid, der dienstälteste Erziehungsdirektor der Schweiz (seit 2010) gefragt, ob es immer noch Sachen gebe, über die er sich aufregen könne. Seine Antwort: “In unserem System dauert es ewig, bis man erkennt: Eine Schulreform hat nicht funktioniert. Man weigert sich, das offensichtliche einzusehen. Viel zu selten werden Reformen mit Fehlentwicklungen rückgängig gemacht oder zumindest markante Anpassungen vorgenommen.” (NZZ, 31.1.2025)

Carl Bossard, Gründungsrektor der Pädagogischen Hochschule Zug, hat diese Aussage treffend kommentiert. Oft seien es konservative Bergler oder “Ländler”, die progressiv wirkten. Vielfach reaktionäre Rebellen oder eben rebellische Reaktionäre, wie sie etwa der Urner Sagenforscher Eduard Renner in seinem Buch “Goldener Ring über Uri” (1941) beschrieben habe.
Roland Inauen wird diesem Urteil wohl beipflichten, als Appenzeller “Bergler”, als Erziehungsdirektor seit 2013 und vor allem auch als Volkskundler. Immerhin hat er an der Universität Basel studiert, war bei Frau Professor Christine Burckhardt-Seebass Assistent am Lehrstuhl für Volkskunde und Europäische Ethnologie. Mit ein Grund, warum ausgerechnet ein Städter – und gebürtiger Innerrhoder – sich zu dieser kurzen Würdigung legitimiert fühlt.
Bei den gesamtschweizerischen Überprüfungen der Grundkompetenzen (ÜGK) liegen Basel-Stadt und Appenzell Innerrhoden weit auseinander. BS in Mathe und Sprache mit der roten Laterne, AI mit Spitzenergebnissen.
Der eigentliche Grund aber liegt darin, dass Roland Inauen und ich die meisten bildungspolitischen Reformen der letzten Jahrzehnte ähnlich kritisch beurteilen. Er aus der Sicht eines langjährigen Erziehungsdirektors, und als Lehrer mit 42 Jahren Erfahrung an der schulischen Front.
“Geld schiesst keine Tore”, soll der legendäre Fussballtrainer Otto Rehhagel bemerkt haben. Übertragen auf unsere Schulen muss man sagen, dass mehr Geld auch keine besseren Leistungen produziert. Bei den gesamtschweizerischen Überprüfungen der Grundkompetenzen (ÜGK) liegen Basel-Stadt und Appenzell Innerrhoden weit auseinander. BS in Mathe und Sprache mit der roten Laterne, AI mit Spitzenergebnissen. Auch bei der Sek-2-Abschlussquote sind die Appenzeller den Baslern haushoch überlegen. Und das alles mit bescheidenem finanziellen Aufwand: Die Städter wenden pro Schülerin/Schüler jährlich über 23’000 Franken auf, die Ländler etwa 10’000 Franken weniger.
Reformverweigerung lohnt sich
Mitentscheidend für das gute Zeugnis ist wohl, dass sich Appenzell Innerrhoden dank der Vernunft und der Weitsicht ihres Bildungsdirektors zwei wichtigen Reformen verweigert hat: Dem Frühfranzösisch und der Integrativen Schule.
In Appenzell wird Französisch erst auf der Sekundarstufe unterrichtet, der Kanton hat sich noch nie an die nationale Sprachenstrategie mit zwei Fremdsprachen in der Primarschule gehalten. Druckversuche von Bundesrat und Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) waren erfolglos. “Die Innerrhoder Gallier im Kampf gegen das Frühfranzösisch”, titelte die NZZ bereits 2017.

Die Appenzeller befreiten die Primarschule von Französisch und gewannen Zeit fürs Kernfach Deutsch. Für das Erlernen einer Fremdsprache braucht es präzise Kenntnisse und automatisierte Ausdrucksfähigkeiten der Muttersprache. Carl Bossard fasst zusammen: “Besser zuerst scharfzüngig Deutsch als vielzüngig, aber ungenau!”
Wenn Bildungsidee und Wirklichkeit nicht übereinstimmen, leidet bloss die Wirklichkeit. Dies gilt auch für die Integrative Schule. Während Basel-Stadt vor rund 20 Jahren separative Klassen radikal eliminierte, führte Appenzell Innerroden entgegen dem modischen Trend die Kleinklassen weiter. “Schüler, die auf Grund von Lernbehinderungen oder Lernstörungen dem Unterricht in der Regelklasse nicht zu folgen vermögen, besuchen die Kleinklassen”, hält das Schulgesetz fest. “Der Unterricht in der Kleinklasse orientiert sich am Lehrplan der Primarschule, ist aber auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler ausgerichtet.”
Der Wind dreht
Roland Inauen wird mit Befriedigung zur Kenntnis nehmen, dass nach Jahrzehnten bildungspolitischen Blindflugs die Realität doch noch in die Welt des Glaubens eindringt. In mehreren Kantonen sind politische Vorstösse hängig, die den Französischunterricht auf die Sekundarstufe verlegen wollen. Kürzlich hat nun auch das Appenzell Ausserrhoder Parlament – gegen den Willen der Regierung – eine entsprechende Motion überwiesen.
Pünktlich zum Ende der Amtszeit von Roland Inauen, schreitet die “Appenzellisierung” der schweizerischen Bildungslandschaft voran. Ich kann nur hoffen, dass die Landsgemeinde eine Nachfolge wählt, die dem Zeitgeist ebenso hartnäckig wie sachkundig widersteht wie Roland Inauen.
Bereits vor zehn Jahren schockierte eine Zentralschweizer Studie: Nur jeder 30. Achtklässler sprach lehrplangerecht Französisch, nicht einmal jeder zehnte erreichte die Lernziele im Hörverstehen. Unbefriedigend auch die Resultate beim Lesen und Schreiben. Das Desaster lässt sich nicht mehr schönfärben.
In Basel-Stadt, dem Mekka der Integrativen Schule, werden zu Beginn des nächsten Schuljahres wieder Kleinklassen eingeführt. Das Parlament hat dem Druck einer Volksinitiative nachgegeben, auch der neue Erziehungsdirektor Mustafa Atici orientiert sich wieder vermehrt an den Realitäten als an Ideologien und Theorien. Im Kanton Zürich ist ebenfalls eine Initiative hängig, ihre Erfolgschancen sind angesichts des Problemdrucks hoch.
Pünktlich zum Ende der Amtszeit von Roland Inauen, schreitet die “Appenzellisierung” der schweizerischen Bildungslandschaft voran. Ich kann nur hoffen, dass die Landsgemeinde eine Nachfolge wählt, die dem Zeitgeist ebenso hartnäckig wie sachkundig widersteht wie Roland Inauen.
Quelle Beitragsbild Roland Inauen: https://www.who-s-who.ch/personen/roland-inauen-3102.html
“Ich würde mir am liebsten eine Zukunft vorstellen, in der konservative Positionen mehr und mehr in ihrer progressiven Wirkung wahrgenommen werden.”
Peter Sloterdijk, Philosoph, in einem Interview mit Radio DRS1
Es gibt ein Gebiet in Grossgallien – unbeugsam und aufrecht. Selbst die vielen Versuche der Ömee, das Gebiet einzunehmen, blieben erfolglos…