Roland Stark - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Sun, 28 May 2023 08:39:13 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Roland Stark - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Ging es früher wirklich respektvoller zu und her? https://condorcet.ch/2023/05/ging-es-frueher-wirklich-respektvoller-zu-und-her/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=ging-es-frueher-wirklich-respektvoller-zu-und-her https://condorcet.ch/2023/05/ging-es-frueher-wirklich-respektvoller-zu-und-her/#respond Sat, 27 May 2023 19:19:57 +0000 https://condorcet.ch/?p=14132

Condorcet-Autor Roland Stark, ehemaliger Präsident der SP-Basel und des Katonsrats, hat nicht das Gefühl, dass die Berichterstatttung früher viel respektvoller und pfleglicher war als heute. Dazu liefert er einige persönliche Beispiele aus seinem reich gefüllten Erfahrungsschatz.

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«Kaum blickten wir in die Vergangenheit, sahen wir nichts als Fortschritt. Kaum blickten wir in die Zukunft, nichts als Niedergang.» Roger Willemsen

 

Zeitungen – auf Papier. Damit bin ich aufgewachsen. Zu Hause im damals sehr konservativen St. Gallen hatten wir den Appenzeller Volksfreund abonniert, das Hoforgan des Innerrhoder Dorfkönigs Raymond Broger, die Ostschweiz, devote Schleppenträgerin des aufstrebenden katholisch-konservativen (später CVP, heute Mitte) Politikers Kurt Furgler, die sozialdemokratische AZ und, besonders wichtig, die Frankfurter Rundschau mit dem sozialistischen Emigranten Karl Gerold als Herausgeber und Chefredaktor.

Karl Gerold war 1933 nach einigen Tagen Haft und dem Entzug der Grenz- und Passpapiere nach Basel geflüchtet. 1943 heiratete er die Basler Pianistin Elsy Lang. Auch in der Schweiz wurde die Lage für Gerold bald brenzlig. Nach mehreren vergeblichen Versuchen verhaftete ihn die Fremdenpolizei, 1943/44 sass er monatelang im Gefängnis respektive im Internierungslager. Und, für die heutige Neutralitätsdebatte interessant, 1945 wurde der Widerstandskämpfer Karl Gerold von einem Schweizer Militärgericht wegen geheimdienstlicher Tätigkeit für die Allierten (!) zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt.

Heute wird gerne die Mär verbreitet, in der Politik und in den Medien, die politischen Auseinandersetzungen seien, im Gegensatz zu früher, unversöhnlich, konfrontativ, kompromisslos.

Vor gut fünfzig Jahren begann ich auch regelmässig zu schreiben. Artikel für die Ostschweizer, später die Basler AZ. Kolumnen für den Baslerstab, den Doppelstab, die bz und zuletzt die Basler Zeitung. Unzählige Gastkommentare und Leserbriefe kamen hinzu.

Auf der anderen Seite nahm mich die Politik gefangen. 1968 Eintritt in die SP, angeworben vom nachmaligen St. Galler Polizeidirektor Florian Schlegel. In Basel dann Grossrat, Partei- und Fraktionspräsident, Verfassungs- und Grossratspräsident.

Karl Gerold, deutscher Journalist und ab 1954 alleiniger Herausgeber und Chefredakteur der Frankfurter Rundschau

Keine Zeit für politische Leichtmatrosen. Parteispaltung, Jugendunruhen, Häuserbesetzungen, die Auseinandersetzungen um die Stadtgärtnerei.

Diese Konflike waren schon im beschaulichen St. Gallen aufgetreten. Aus Empörung über den angeblich zu jugendfreundlichen Kurs der SP hatte der Gewerkschaftssekretär Toni Falk während der Sitzungen im Volkshaus sogar den WC- Schlüssel weggesperrt. Und als wir endlich einen jüngeren Redner für die 1.-Mai-Kundgebung nominieren durften, Ende der 1960er Jahre, hatte unser Sprecher Willi Gerster nichts Besseres tun, als über sein Steckenpferd, die freie Liebe zu referieren. Damit war dann das Tischtuch endgültig zerschnitten.

Nicht die Intensität der Diskussionen hat zugenommen, sondern die Empfindlichkeit der Akteure.

Heute wird gerne die Mär verbreitet, in der Politik und in den Medien, die politischen Auseinandersetzungen seien, im Gegensatz zu früher, unversöhnlich, konfrontativ, kompromisslos. Wer damals, in diesen guten, alten Zeiten dabei war, kann sich über derart nostalgische Beschreibungen nur wundern. Helmut Hubachers Wahlschlacht 1976, die mit harten Bandagen und persönlichen Angriffen geführten Debatten anfangs der 1980er Jahre, der Streit um die Polizeieinsätze (keine Erfindung von 2023), die Fichenaffäre, die Debatte um die Nordtangente, um die Atomenergie. Die sich häufenden Abwahlen von Regierungsräten: Schmid, Stutz, Gysin, Schaller.

Nicht die Intensität der Diskussionen hat zugenommen, sondern die Empfindlichkeit der Akteure. In den Parteien und auf den Redaktionen. Es gehört unterdessen zum guten Ton, ein Opfer zu sein. Von irgendwas und irgendwem sind sie immer gekränkt. Die Folge: Denkverbote, Maulkörbe. «Ohne Streit», diagnostizierte einst Heiner Geissler, «wird man zuerst uninteressant, dann langweilig, schliesslich einschläfernd und am Schluss ein Fall für das Betäubungsmittelgesetz. Konform, uniform, chloroform.»

Als Politiker im Ruhestand und emiritierter Kolumnist kenne ich beide Seiten der Medaille. Jahrzehntelang, quasi von Amtes wegen, konnte ich mich über Journalistinnen und Journalisten aufregen, die meine Partei und ihre Exponenten ungerecht beurteilt hatten. Eine zweistellige Zahl von Redaktorinnen und Redaktoren in den verschiedenen Lokalressorts kann davon ein Lied singen. Und eine gute Handvoll Chefredakteure dazu.

In den letzten Jahren ist noch die Unsitte aufgekommen, Politikerinnen und Politker zu benoten; nach teilweise fragwürdigen, dubiosen Kriterien. Angelehnt an die Noten, die am Tage nach einem Fussballspiel an die Kicker vergeben werden. Klassisches Beispiel: Der Torhüter war während des gesamten Spiels unbeschäftigt. Note 4.5.

Hier wäre aber Vorsicht geboten, vielleicht sogar Demut. Politikerinnen und Politiker und Journalistinnen und Journalisten liegen beide in den Reputations-Rankings der Berufe regelmässig auf den hintersten Plätzen. Ihr Ansehen übertrifft nur knapp die Werte von Versicherungsvertretern und Mitarbeitern von Call-Centern.

Roland Stark, Kolumnist und Condorcet-Autor sowie ehemaliger Partei- und Fraktionspräsident der SP Basel-Stadt: Ich wundere mich über diese nostalgischen Beschreibungen. (Foto: Frantisek Matous)

Mit der – notwendigen – Pflicht und Fähigkeit der Journalisten, die Volksvertreter kritisch zu begleiten und Missstände gründlich aufzuklären, hat leider ihr Wille zur Selbstkritik nicht Schritt gehalten. Auf der Notenskala: austeilen 6, einstecken 3.

Das ist kein Aufruf zum Bürgerkrieg. Aber geraten wird doch zu etwas mehr Gelassenheit in der vielleicht rauer gewordenen Debattenlandschaft.

«Es gehört zu den Eigentümlichkeiten des Journalismus, dass Selbstkritik nicht seine stärkste Seite ist. Obwohl wir Journalisten gerne alle andern kritisieren», schreibt Markus Wiegand, «bewegt sich die Fähigkeit, den Medienzirkus selbst zu reflektieren, auf dem intellektuellen Niveau eines Faultiers.» (Jornalist:in, 01/2023)

Auf dem übersichtlichen Platz Basel kommt noch die Scheu der Medien hinzu, sich gegenseitig zu kritisieren. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Oder eben: konform, uniform, chloroform. Es wäre aber wichtig, dass Medien auch Medien kritisieren, über ihre Fehler und Versäumnisse berichten. Dieser Grundsatz ist alt. Mitten im 2. Weltkrieg, entnehme ich der Süddeutschen Zeitung (28.4.2023), gaben Time und die Encyclopedia Britannica 200’000 Dollar aus, um den Zustand der Presse zu untersuchen. 1946 hiess es dann im Bericht:

«Wir empfehlen, dass die Angehörigen der Presse, sich in intensiver gegenseitiger Kritik üben. Ein hoher professioneller Standard wird kaum erreicht werden, solange die Fehler und Irrtümer, die Betrügereien und Verbrechen einzelner Pressevertreter von anderen Mitgliedern des Berufsstandes schweigend übergangen werden. Wenn die Presse rechenschaftspflichtig sein soll – und das muss sie sein, wenn sie weiterhin frei bleiben soll – müssen sich ihre Mitglieder gegenseitig mit dem einzigen Mittel disziplinieren, welches ihnen zur Verfügung steht, nämlich der öffentlichen Kritik.»

Es ist offensichtlich. Politiker und Journalisten pflegen dieselbe Lieblingspflanze: die Mimosa pudica, auch Schamhafte Sinnpflanze genannt. Diese reagiert auf mechanische Reize mit dem Einklappen ihrer Blätter. Analog den beleidigten Leberwürsten, die sich in Redaktionsstuben, Parlamenten und Regierungen breit gemacht haben.

Das ist kein Aufruf zum Bürgerkrieg. Aber gelangen wird doch zu etwas mehr Gelassenheit in der vielleicht rauer gewordenen Debattenlandschaft. Auf unbequeme Inhalte, auch wenn sie dem Zeitgeist der eigenen Blase widersprechen – ironisch, polemisch, zugespitzt, pointiert, schwarzhumorig oder provokant geäussert –, nicht immer reflexartig reagieren mit heftigster Empörung, drastischen Diskriminierungsvorwürfen oder pauschalen Anschuldigungen.

Wer aber die Hitze nicht erträgt, muss dann halt die Küche meiden.

Dieser Artikel erschien zuerst im bajour.ch

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Mehr Witz statt WoZ https://condorcet.ch/2022/07/mehr-witz-statt-woz/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=mehr-witz-statt-woz https://condorcet.ch/2022/07/mehr-witz-statt-woz/#comments Wed, 13 Jul 2022 10:07:54 +0000 https://condorcet.ch/?p=11059

Der Condorcet-Blog macht einen Disput zwischen unserem Condorcet-Autor Roland Stark und der Redaktion der WOZ öffentlich. Zu Beginn möchte die Redaktion des Condorcet-Blogs aber erklären, warum es nicht zu einer Aufschaltung des WOZ-Artikels kommen durfte.

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Anmerkung der Redaktion: Den Wert des Dialogs nicht erkannt.

Der Condorcet-Blog ist dem Diskurs verpflichtet. Sein Prinzip: Rede und Gegenrede. Es ist natrülich klar, dass eine Mehrheit unserer Leserinnen und Leser den gegenwärtigen “Umbaubestrebungen” unseres Bildungssystems eher kritisch eingestellt ist. Das zeigt sich auch in der Frage der Inklusion. Mit Beat Kissling, Riccardo Bonfranchi und Roland Stark haben wir drei Kritiker des praktizierten Integrationsartikels in unserer Autorenschaft. Trotzdem wollen wir die Argumente der anderen Seite anhören. Wir sind bestrebt, auch die gegensätzlichen Meinungen auf unserem Blog zu veröffentlichen. Ziel ist nicht, eine ideologisierte Bubble zu unterhalten, sondern den mündigen Leser, die mündige Leserin mit Argumenten zu versorgen. Am 2. Juni veröffentlichte die linke Wochenzeitung WOZ einen Artikel, der die Bestrebungen in Basel, wieder Kleinklassen einzuführen sehr kritisch beurteilte. Daraufhin entstand ein Briefwechsel mit unserem Condorcet-Autor Roland Stark und der Redaktion der WOZ.  Gerne hätten wir den Artikel, auf den sich der Beitrag von Roland Stark bezieht, bei uns aufgeschaltet. Wie üblich fragten wir den Autor (Renato Beck) und die Redaktion der WOZ um eine Abdruckerlaubnis an (mit Verlinkung und Quellenverweis). Sämtliche bisher angefragte Medien (NZZ, BAZ, Tagi, Spiegel, Infosperber, FAZ, Süddeutsche Zeitung usw.) haben uns immer die Erlaubis erteilt, ab und zu gegen ein Entgelt. Die Redaktion der WOZ hat uns trotz zweimaliger höflicher Anfrage, nicht einmal einer Antwort gewürdigt.

Wir bedauern dies und weisen einfach nun per Link auf den Ausgangsartikel hin.

https://www.woz.ch/-c7e2

 

 

Roland Stark, ehem. SP-Parteipräsident der Sektion Basel-Stadt, Heilpädagoge: Schwierig einen anderen Ausdruck zu finden.

In der WoZ vom 2. Juni 2022 ist ein Artikel erschienen, der die Bemühungen, Förderklassen, bzw. Kleinklassen wieder einzuführen, in Grund und Boden verdammt. („Ein System am Anschlag“) Als Kronzeugen werden Dennis Hövel von der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik in Zürich und Pierre Felder, pensionierter Volksschulleiter aus Basel zitiert.

Auf meinen Hinweis, die Kritiker des Integrationsmodells seien nur mit 1-2 Floskeln zu Wort gekommen, antwortete der Autor Renato Beck, im Gegensatz zu den „wissenschaftlichen Erkenntnissen“ von Herr Hövel hätten R. Bonfranchi und ich nur „anekdotische Ausführungen“ geliefert, „in weiten Teilen polemisch argumentiert“ oder „schlicht Behauptungen aufgestellt.“ Angesichts der langen Publikationsliste von Riccardo Bonfranchi, etwa in der Schweizerischen Zeitschrift für Heilpädagogik oder in der Edition Stiftung Schweizer Zentrum für Heil- und Sonderpädagogik oder meiner über vierzig jährigen praktischen Erfahrung als Heilpädagoge eine ziemliche Unverschämtheit.

Besonders ärgerlich sind die Aussagen von Pierre Felder. Er spricht von einer „extremen Stigmatisierung“, die eine Karriere in der Kleinklasse mit sich bringe.“ „Einmal drin, immer drin.“ Eine Integration ins Berufsleben sei danach sehr schwierig. In knappen Worten werden hier Generationen von Schülern, Eltern und Lehrern pauschal beleidigt. Man gewinnt den Eindruck, ich hätte jahrzehntelang nicht als Pädagoge, sondern als Gefängniswärter verbracht.

Kleinklasseninitiative sorgt für Aufregung.

Nach der Lancierung unserer Initiative im Kanton Basel-Stadt haben mir spontan zwei ehemalige Schüler aus meiner Kleinklassen-Tagesschule im Niederholz-Schulhaus geschrieben. Ihre Worte stelle ich (auszugsweise) einfach mal unkommentiert den Aussagen des oben erwähnten Bildungsbürokraten gegenüber.

„Vor x Jahren warst du mein Lehrer im Niederholz-Schulhaus. Unterdessen bin ich bald 50 Jahre alt. Für mich war die Zeit im Niederholz etwas vom besten und gab mir die schulische Grundlage und vor allem das Selbstvertrauen, für das was ich heute mache. Sicher hat auch privat einiges anders mitgewirkt, aber ich sehe es heute bei meinen eigenen Kindern (9 und 11), wo die Probleme im aktuellen System grob liegen. Selber habe ich nicht nur eine 4-jährige Lehrstelle gefunden und absolviert und nach einigen Jahren wagte ich mich an eine Zweitausbildung und bin seit über 20 Jahren erfolgreich selbständig und habe aktuelle 2 Firmen.“ (Pascal)

„Ich habe mich in den vier Jahren KKL nie benachteiligt gefühlt, eher stolz, wenn ich gute Noten geschrieben habe.”

Eine ehemalige Schülerin, die ich ab 1993 in Riehen unterrichtete, berichtet ausführlich von den Schwierigkeiten, die ihre Kinder (9 und 12) in einer Integrationsklasse haben. „Die unfassbar geforderten Lehrer haben kaum Zeit, Schülerinnen wie unsere Kinder zu fördern, so wie es verdient und nötig hätten. Klar haben sie viel Unterstützung an ihrer Seite, aber das grosse Problem, die unfassbare Unruhe, die mehrere Kinder  in die Klassen bringen, sind einfach zu dominant. Fehlt die Sozialpädagogin einen Tag, ist vorprogrammiert, dass die Situation spätestens im unbeliebten Französisch-Unterricht eskaliert, und dies so extrem, dass die Lehrerin den Tränen nahe ist.“

„Ich möchte Ihnen ganz herzlich für ihr Engagement danken, dass sie sich für das Wiederbeleben der Kleinklassen stark machen. So schlecht war sie nicht unsere kleine Klasse. Aus mir und meiner Schwester ist jedenfalls auch etwas geworden 🙂 Wir haben beide erfolgreich die DMS4 abgeschlossen, haben beide eine Berufsausbildung sehr erfolgreich abgeschlossen und sind heute glückliche Mamas mit tollen Mädchen.“ .. „Ich habe mich in den vier Jahren KKL nie benachteiligt gefühlt, eher stolz, wenn ich gute Noten geschrieben habe.“ (Barbara)

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Erziehungsdepartement  reagieren auf die Bezeichnung „Bildungsbürokraten“ immer sehr gereizt. Angesichts des krassen Auseinanderfallens von Theorie und Realität fällt es mir aber schwer, einen anderen passenderen Ausdruck zu finden.

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Ein Gespenst geht um in Europa – der Lehrermangel https://condorcet.ch/2022/06/ein-gespenst-geht-um-in-europa-der-lehrermangel/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=ein-gespenst-geht-um-in-europa-der-lehrermangel https://condorcet.ch/2022/06/ein-gespenst-geht-um-in-europa-der-lehrermangel/#comments Tue, 28 Jun 2022 13:23:57 +0000 https://condorcet.ch/?p=10985

Condorcet-Autor Roland Stark räumt in seinem Artikel mit einigen Mythen zum gegenwärtigen Lehrkräftemangel auf. Dagegen benennt er die seiner Meinung nach entscheidenden Faktoren: die massive Mehrbelastung der Lehrkräfte, welche diese in die Teilzeitarbeit treibt.

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Roland Stark, ehem. SP-Parteipräsident der Sektion Basel-Stadt, Heilpädagoge: Keines dieser Probleme wurde entschärft.

Aus heiterem Himmel prasselten in den letzten Tagen Berichte über einen dramatischen Lehrermangel auf die Öffentlichkeit nieder (siehe auch Nebelspalter). Der Schock ist auch eine Folge davon, dass in den Medien die Bildungspolitik seit vielen Jahren ein Schatt‚endasein fristet und qualitativ sowie quantitativ weit hinter der Tigermücke, dem Benzinpreis, den Affenpocken oder den We‚erkapriolen herhinkt. Schon ein flüchtiger Blick in die Zeitungen belegt, dass der Misere an unseren Schulen bedeutend weniger Aufmerksamkeit zuteil wird, als etwa dem Zustand der Schweizer FussballNationalmannschaft.
Die schrillen Weckrufe haben hektische Aktivitäten ausgelöst. Auf Initiative des Schweizerischen Lehrervereins (LCH) werden in verschiedenen  Kantonen politische Vorstösse für ein Monitoring zur Sicherstellung von ausreichendem und qualifiziertem Lehrpersonal eingereicht. Im Kanton BaselLandschaft denkt eine Arbeitsgruppe der Bildungsdirektion über kurz, mitt‚el und langfristige Massnahmen zur Behebung des Missstandes nach.

Jahrzehntelange Versäumnisse
Ein Blick weit in die Vergangenheit zurück offenbart schwere Versäumnisse der verantwortlichen Bildungsbürokratien. Vor über 20 Jahren, im Jahre 2001, startete das Basler Erziehungsdepartement das Projekt «hot help our teachers», dessen Anliegen es war, an der Verbesserung der Arbeitssituation der Baselstädtischen Lehrkräfte zu arbeiten und diese zu realisieren.
Die Schulen und ihre Lehrkräfte hatt‚en eine Phase permanenter Reformen hinter sich.

 

Die Fragestellung des Zürcher Instituts für Arbeitsforschung und Organisationsberatung lässt sich nach Aussagen der Wissenschaftler auf die gesamte schweizerische Schullandschaft übertragen und gilt unverändert bis zum heutigen Tag: Zu dieser Zeit, so die damalige Ausgangslage, befand sich das Schulsystem zusehends im Spannungsfeld von innerem Druck und äusserer Kritik. Die Schulen und ihre  Lehrkräfte hatt‚en eine Phase permanenter Reformen hinter sich. Die Überlastung der Lehrkräfte war bereits seit längerem ein unüberhörbares Thema. Gleichzeitig erfuhr der Lehrerberuf einen laufenden Imageverlust in der Öffentlichkeit. Die Schule stand zusehends in der öffentlichen Kritik als eine Institution, die ihren Auftrag nicht zufriedenstellend erfüllen kann. 2022 also wie 2001.
Die Ergebnisse der Untersuchung von Arbeitsbedingungen, Belastungen und Ressourcen der Lehrerinnen und Lehrer waren wenig überraschend. Ein paar Gespräche in der Kaffeepause in einem beliebigen Lehrerzimmer hätten die gleichen Erkenntnisse schneller und preisgünstiger zu Tage befördert. Sie sind (leider) unverändert auch nach über zwanzig Jahren aktuell.

Interessanterweise spielte die Forderung nach einer besseren Entlöhnung keine prioritäre Rolle; ein klarer Hinweis darauf, dass die Berichtersta‚ttung der letzten Wochen in den Medien mit dem Schwerpunkt «Lohn» an den tatsächlichen Sorgen der Lehrerschaft vorbeigeführt hat.

Als besonders belastend wurden folgende Punkte festgestellt:

  1. ausgeprägte Merkmale emotionaler Erschöpfung
  2. Verhalten «schwieriger» Schülerinnen und Schüler
  3. Heterogenität der Klasse
  4. Administrative Pflichten
  5. Ausserunterrichtliche Verpflichtungen
  6. Berufliches Image und Prestige
  7. Koordination von beruflichen und ausserberuflichen Verpflichtungen
  8. Zeitdruck bei der Arbeit
  9. Klassengrösse
  10. Neuerungen, Veränderungen im Schulsystem

Interessanterweise spielte die Forderung nach einer besseren Entlöhnung keine prioritäre Rolle; ein klarer Hinweis darauf, dass die Berichtersta‚ttung der letzten Wochen in den Medien mit dem Schwerpunkt «Lohn» an den tatsächlichen Sorgen der Lehrerschaft vorbeigeführt hat.

Aufblähung der Bildungsbürokratien
Kein einziges der in der Untersuchung von 2001 beschriebenen Probleme wurde seither entschärft. Im Gegenteil: Die Aufblähung der Bildungsbürokratien hat den administrativen Aufwand («Papierkrieg») massiv erhöht, die überstürzt durchgezwängte Einführung der integrativen Schule mit der Abschaffung der Kleinklassen hat die Heterogenität in den Klassen noch zusätzlich verstärkt. Das Image und die Autorität der Lehrkräfte haben weiter geli‚tten, die Ansprüche der Gesellschaft steigen stetig an. Das eigentliche Kerngeschäft wird immer weiter in den

Immer wieder genannt: zu viel Bürokratie!

Hintergrund gedrängt. Bereits 1999 hat die Studie von Hermann J. Forneck, dem ehemaligen Direktor der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz, die strukturell bedingten Überzeiten von Lehrpersonen der Volksschule bestätigt: zu wenig Zeit für den Kernauftrag des Unterrichtens, zu viel Aufwand für zusätzliche Aufgaben, oft auch Nebensächliches.
Die fahrlässige Missachtung der Probleme durch die politisch Verantwortlichen über Jahrzehnte hat die Flucht aus dem Schulzimmer gefördert. Denn eigentlich besteht überhaupt kein Lehrermangel. Die Zahl der Studierenden an den Pädagogischen Hochschulen hat sich innert 15 Jahren mehr als verdoppelt. Auch Heilpädagoginnen und Heilpädagogen werden in genügender Zahl ausgebildet. Wir haben also nicht zu wenig Lehrkrätfe, sondern zu viele Lehrer und Lehrerinnen, die zu wenig unterrichten. Von den Zürcher Lehrerinnen und Lehrer unterrichten 80 Prozent in einen Teilzeitpensum. Im Durchschni‚tt beträgt ihr Arbeitspensum 69 Prozent eines regulären Pensums. Heilpädagogen arbeiten häufig nur wenige Stunden. Es gibt Schulleitungen, die können ihre Ressourcen nicht nutzen, weil die passenden Lehrer nicht ausreichend zur Verfügung stehen. Mit mehr Geld ist diesen Schwierigkeiten nicht beizukommen.

Die vielen Teilzeitstellen führen nicht nur zu «Lehrermangel», sondern fördern auch die unselige Entwicklung, dass die Kinder bereits in der Primarschule mit mehr als einem halben Dutzend Lehrkräften konfrontiert sind.

Verzett‚elung, Unruhe, Hektik
Die vielen Teilzeitstellen führen nicht nur zu «Lehrermangel», sondern fördern auch die unselige Entwicklung, dass die Kinder bereits in der Primarschule mit mehr als einem halben Dutzend Lehrkräften konfrontiert sind. Ein sogenannter Klassenlehrer mit den Fächern Turnen
und Französisch ein paar Stunden wöchentlich ist keine Ausnahme mehr. Diese Verzett‚elung führt zusätzlich auch noch zu Stundenplänen, die in ihrer Unübersichtlichkeit an ein Maislabyrinth erinnern. Das produziert Unruhe und Hektik. Eine Lösung wäre, eine minimale Stundenzahl für die Lehrkräfte festzulegen, Kleinstpensen also zu verbieten. Die Forderung ist nicht populär, in linken Kreisen sowieso nicht, kein Weg aber führt daran vorbei. Es ist einfach nicht zu verantworten, dass die Gesellschaft Jahr für Jahr Tausende Lehrkräfte ausbildet und diese dann ihre Fähigkeiten den Schulen nur in homöopathischen Dosen zur Verfügung stellen. Voraussetzung allerdings ist, dass die Rahmenbedingun- gen der Lehrtätigkeit verbessert werden. Auch eine Entschlackung der Bildungsbürokratie (schlanker Staat nennen das die Bürgerlichen in der Theorie) hätt‚e positive Auswirkungen auf den Schulalltag, insbesondere auf den administrativen Aufwand für die Werktätigen an der «Front». Und nicht zuletzt: Die Wiedereinführung der Kleinklassen ist unerlässlich.

Roland Stark, 42 Jahre lang Lehrer in Kleinklassen in Pra‚tteln und Basel, Heilpädagoge

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All-inclusive Klassenlager https://condorcet.ch/2022/05/all-inclusive-klassenlager/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=all-inclusive-klassenlager https://condorcet.ch/2022/05/all-inclusive-klassenlager/#respond Tue, 10 May 2022 14:42:37 +0000 https://condorcet.ch/?p=10931

Die Schweizer Hotellerie befindet sich in einer äusserst schwierigen wirtschaftlichen Situation. Der starke Franken hat ihre Krise zusätzlich verschärft. Nun kommt die Hoffnung auf Rettung aus einer überraschenden Ecke: Offenbar wählen Lehrer für ihre Schullager immer häufiger eine Unterkunft mit Halb- oder sogar Vollpension. «Heute füllen mehr und mehr Klassen die Hotels und sorgen so für eine gute Auslastung in schwierigen Zeiten» (bz, 22.6.15). Die Zeitung stützt sich auf eine Auswertung der Vermittlungsplattform für Gruppenunterkünfte, groups.ch. Condorcet-Autor Roland Stark hat uns einen älteren Artikel aus seiner Schreibwerkstatt zugesandt, dies als Reaktion auf den Beitrag von Alain Pichard "Wer will sich das noch antun".

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Roland Stark, ehem. SP-Parteipräsident der Sektion Basel-Stadt, Heilpädagoge: Komplett falsche Richtung.

Mit der Erfahrung von einigen Dutzend ­Sommer- und Winterlagern auf verschiedenen Schulstufen kann ich sagen: Diese Entwicklung geht in eine total falsche Richtung. Klassenlager «haben einen hohen pädagogischen und sozialen Stellenwert: Sie fördern den Zusammenhalt der Klasse, vertiefen die Beziehung zwischen Kind und Lehrperson und erleichtern die Integration von fremdsprachigen Kindern.» Dieser Charakterisierung auf der Homepage des Basler Erziehungsdepartements ist wenig beizufügen. Von der Absicht, dem Not leidenden Tourismusgewerbe unter die Arme zu greifen, ist dort erfreulicherweise nichts zu lesen. Im Vordergrund steht ­vielmehr die ­Erziehung zur Gemeinschaft, zu Hilfsbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein.

Die Organisation und Durchführung eines Lagers bedeuten eine Riesenbelastung. Der Zeitaufwand ist enorm und der Druck der Verantwortung lastet schwer auf den Schultern der Lehrerschaft. Auch sind der Anteil der Bürokratie und der Sicherheitswahn stetig angewachsen, anderseits ist die Unterstützung, auch die finanzielle, durch die öffentliche Hand spürbar gesunken.

Der Kanton Baselland zum Beispiel hat die Beiträge an Schullager auf der Sekundarstufe von ehemals vier Millionen auf 2,5 Millionen Franken gekürzt. Der Stadtkanton gefährdet mit der Streichung der läppischen 60 000-Franken-Subvention an die Basler Stiftung für Ferienkolonien den ­Weiterbestand des traditionsreichen Lagerhauses in Prêles. Schon zuvor hatte Basel-Stadt ­unverständlicherweise eine Reihe seiner eigenen Lagerhäuser abgestossen. Dazu kommen noch, im Rahmen des Sparpakets, die Kürzung der Beiträge an die Sportlager und die unsinnige Aufhebung des Materialverleihs auf dem Sportamt.

Statt Sozialverhalten wird mit dem angebotenen Service de- luxe Konsumverhalten eingeübt.

Schon vor Jahrzehnten waren in den Klassenlagern Schülerinnen und Schüler anzutreffen (ohne Migrationshintergrund), die noch nie einen Putzlumpen oder einen Kochlöffel in den Händen gehalten hatten. Stand auf dem Menüplan Pizza Prosciutto, steuerte die Einkaufstruppe im Supermarkt entschlossen die Tiefkühltruhe an. An der selbst gemachten Spaghettisauce wurde herum­gemäkelt, weil die Fertigbrühe aus der Büchse bei Mama angeblich besser schmecken würde.

Der Trend zu All-included-Klassenlagern, in denen auf die Mitarbeit der Schüler (treffender wohl Kundschaft genannt) verzichtet wird, zusammen mit der schleichenden Auflösung des praktischen Kochunterrichts an den Volksschulen lässt jedenfalls nichts Gutes ahnen. Statt Sozialverhalten wird mit dem angebotenen Service de- luxe Konsumverhalten eingeübt. Eine ­verhängnisvolle Fehlentwicklung.

Die Schulbehörden können sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Ihre Zuständigkeit erstreckt sich weit über den Physik- oder ­Matheunterricht hinaus. Klassenlager mit VIP-Verwöhnungsangeboten sollten schlicht und einfach nicht bewilligt werden. Für pädagogischen Unfug sind Steuergelder nicht gedacht.

 

 

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Mehr Orbán wagen – Wie das Basler Erziehungsdepartement Kritiker zum Schweigen bringt https://condorcet.ch/2022/03/mehr-orban-wagen-wie-das-basler-erziehungsdepartement-kritiker-zum-schweigen-bringt/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=mehr-orban-wagen-wie-das-basler-erziehungsdepartement-kritiker-zum-schweigen-bringt https://condorcet.ch/2022/03/mehr-orban-wagen-wie-das-basler-erziehungsdepartement-kritiker-zum-schweigen-bringt/#comments Mon, 21 Mar 2022 12:31:46 +0000 https://condorcet.ch/?p=10723

In Basel gehen zurzeit die Wogen hoch. Die Synode Lehrergewerkschaft der Stadt Basel kündigte die Lancierung einer Volksinitiative zur Wiedereinführung der Kleinklassen an. Viele Lehrkräfte sympathisieren mit dem Anliegen. Dass sie sich diesbzüglich nicht äussern können, dafür hat das ED der Stadt schon einmal vorgesorgt. Dem Condorcet-Blog wurde ein Dokument zugespielt, in dem jede politische Aussage über schulrelevante Themen für die Lehrkräfte verboten wird. Zur Erinnerung: Conradin Cramer ist Mitglied der liberal-demokratischen Partei in Basel. Für Condorcet-Autor Roland Stark ein Unding.

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Roland Stark, ehem. SP-Parteipräsident der Sektion Basel-Stadt, Heilpädagoge: Miserable Erfolgsbilanz der Basel-Stadt.

Am 24.9.2015 sendete Radio SRF 1 in ihrer Reihe „Forum“ einen Beitrag über die integrative Schule mit dem Titel „Sollen alle behinderten Kinder in die normale Schule?“  Unter der Leitung von Redaktor Christian von Burg diskutierten Professor Dr. Peter Lienhard von der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik in Zürich, Petra Lüthi, die Mutter eines Kindes mit Trisomie 21 und ich als ehemaliger Kleinklassenlehrer und Heilpädagoge.

Besonders intensiv wurde über die Frage gestritten, warum die Untersuchungen, auch diejenige von Herrn Lienhard, in der Basler Lehrerschaft regelmässig eine überwältigende Zustimmung zur integrativen Schule zu Tage befördern, obgleich in persönlichen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen überwiegen kritische oder gar ablehnende Stimmen zu hören sind. Davon berichtete auch der Moderator aus seinen Recherchen vor der Sendung.

Diese Diskrepanz ist bis heute nicht verschwunden. Das Erziehungsdepartement zeichnet  unverdrossen ein rosa gefärbtes, realitätsfremdes Bild, während die betroffene Lehrerschaft, aber auch viele Eltern, von Schwierigkeiten, Überlastungen und Überforderungen aller Beteiligten berichten. Gemäss einer Studie des Schweizerischen Lehrerverbandes (LCH) sehen 90 % der Lehrerinnen und Lehrer Verhaltensauffälligkeiten von Schülern als ein Hauptproblem ihres Berufsalltags. „Die Wirklichkeit“, könnte man mit Marcel Proust sagen, „dringt nicht in die Welt des Glaubens (an der Leimenstrasse R.S).“

Keine Selbstkritik

Folgerichtig wurde auf die blamablen Ergebnisse der Schweizerischen Untersuchung der Grundkompetenzen (NZZ: „Katastrophales Zeugnis für die Basler Schulen“) nicht mit Selbstkritik und einem Feuerwerk an Verbesserungsvorschlägen geantwortet, sondern zuerst mit dem Versuch, die Veröffentlichung durch die EDK zu verschleppen und anschliessend mit einer Beschönigungs- und Verharmlosungsoffensive.

Die Schulbehörden orientierten sich damals noch an der Praxis vor Ort und bezogen ihre Erfahrungen nicht nur aus Akten und Studien der Fachhochschulen.

Eine wichtige Brücke zwischen der Schule und der Öffentlichkeit wurde schon vor vielen Jahren mit der Auflösung der Laieninspektion abgebrochen. Gerne erinnere ich mich zurück, wie beispielsweise das Kleinklassen-Inspektionsmitglied Jürg Meyer (damals BaZ-Lokalredaktor) zusammen mit Rektor Felix Mattmüller in die Kolonien nach Brugnasco oder Prêles reisten, dort übernachteten, den Alltag beobachteten und mit Schülern und Lehrern das Gespräch suchten.

Die Schulbehörden orientierten sich damals noch an der Praxis vor Ort und bezogen ihre Erfahrungen nicht nur aus Akten und Studien der Fachhochschulen. Der Austausch war für alle Beteiligten wertvoll und verhinderte, dass sich die Schulen – und ihre Mitarbeiter – zu sehr von der Aussenwelt abschotteten. Die Inspektionsmitglieder erfuhren ungefiltert und hautnah, dass der harte Schulalltag mehr ist als Weihnachtssingen und Kinderfasnacht – und auch mehr als das fristgerechte Bewältigen der lästigen Formularflut.

An die Stelle engagierten Interesses für die Sorgen und Nöte von Schülern und Lehrern wuchert in der Bildungsbürokratie Misstrauen und häufig sogar eine engmaschige Kontrollmaschinerie. Die Lehrkräfte werden heute weniger als „Anwälte der Kinder“ behandelt, wie es mein verehrter Heilpädagogik-Dozent Emil E. Kobi anmahnte, sondern als Kopfnicker- Lakaien der Schulbehörden.

Selbstverständlich sind Zeitungen, Radio, Fernsehstationen und vor allem Fotografen herzlich eingeladen, wenn der Erziehungsdirektor einem Kinderchor lauscht, für den täglichen Schulbetrieb gilt diese Willkommenskultur aber nicht.

 

Kritik unerwünscht.

Kritik ist unerwünscht. Wer etwa das Gespräch mit Journalisten sucht, die Medien gar mit dem Schulalltag in unmittelbare Berührung bringen will, ist mit einem bürokratischen Hindernislauf –  Dienstweg genannt – konfrontiert, der meistens vor einem Verbotsschild strandet. Selbstverständlich sind Zeitungen, Radio, Fernsehstationen und vor allem Fotografen herzlich eingeladen, wenn der Erziehungsdirektor einem Kinderchor lauscht, für den täglichen Schulbetrieb gilt diese Willkommenskultur aber nicht.

Kolleginnen und Kollegen, die das rigorose Kontaktverbot missachten und es wagen,  Anfragen der Medien positiv zu beantworten, werden gerüffelt und eingeschüchtert. Aufmüpfige Leserbriefschreiber, die angesichts der bildungspolitischen Segnungen des ED nicht gleich in euphorischen Jubel ausbrechen und das Weihrauchfass schwenken, werden vor die

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Urs Bucher: Leiter Volksschulen Kanton Basel-Stadt: Hartes Durchgreifen bei Kritik.

Schulleitungen zitiert und mit arbeitsrechtlichen Massnahmen bedroht. Mehrere Kolleginnen haben mich gebeten, aus Angst um die Zukunft ihrer beruflichen Existenz auf die Namensnennung und eine detaillierte Schilderung ihres Falles zu verzichten.  So ist es nicht verwunderlich, dass es Lehrkräfte gibt, die es aus Angst vor Repressionen abgelehnt haben, im Initiativkomitee für die Wiedereinführung von Förderklassen mitzuarbeiten. Die liberale Demokratie endet an den Eingangspforten der Schulhäuser.

Nebenbei bemerkt: Als 2005 – unter Conradin Cramers Vorgänger – gleich drei Kleinklassenlehrer (Alois-Karl Hürlimann, Rolf Häring und Roland Stark) an einer Pressekonferenz die geplanten KKL-Reformen scharf kritisierten, wurden die Beteiligten in keiner Art und Weise gemassregelt. Die verhängnisvollen Reformen allerdings konnten dadurch auch nicht verhindert werden.

Besonders wichtig wäre es natürlich, wenn auch Mitglieder des Parlaments, insbesondere die Mitglieder der Bildungs- und Kulturkommission, direkten Einblick in den Schulalltag gewinnen könnten. Der „Praxisschock“ würde vielleicht manchen Unsinn verhindern, den sogenannte „Bildungspolitiker“ gelegentlich von sich geben. Das administrative Bewilligungsprozedere und die Erfolgschancen hierfür sind  aber wohl vergleichbar mit der Vision, in Bayern Windräder aufstellen zu dürfen.

„Jede Person hat das Recht“, steht in Artikel 162 unserer Bundesverfassung, „ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten.“ Von einer Einschränkung für Lehrerinnen und Lehrer vor ihrer Pensionierung ist nirgends die Rede. Auch nicht in der Basler Kantonsverfassung.

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Bildung ist ein Thema für Hinterbänkler. Das ist falsch. https://condorcet.ch/2022/02/bildung-ist-ein-thema-fuer-hinterbaenkler-das-ist-falsch/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=bildung-ist-ein-thema-fuer-hinterbaenkler-das-ist-falsch https://condorcet.ch/2022/02/bildung-ist-ein-thema-fuer-hinterbaenkler-das-ist-falsch/#respond Sun, 20 Feb 2022 11:14:53 +0000 https://condorcet.ch/?p=10587

Condorcet-Autor Roland Stark beschreibt in seinem Artikel, wie die Bildung aus dem Fokus der SP verschwand und plädiert für eine pragmatische Bildungspolitik, namentlich bei der Integration.

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Roland Stark, ehem. SP-Parteipräsident der Sektion Basel-Stadt, Heilpädagoge: Miserable Erfolgsbilanz der Basel-Stadt.

Politikerinnen und Politiker rangieren in der medialen Nahrungskette in der Regel auf den hintersten Plätzen. Nahe bei den Callcentern. Und wer sich dann auch noch mit so unbedeutenden Themen wie Schule und Bildung abgibt, fährt sowieso im Besenwagen.

Als im Mai 2018 das freisinnige «Alphatier» Filippo Leutenegger im Zürcher Stadtrat vom einflussreichen Tiefbau- und Entsorgungsdepartement ins Schul- und Sportdepartement «abgeschoben» (Zitat) wurde, schrieb der «Tages-Anzeiger» von «Demütigung» und «Abstellgleis».

Und als nach den Wahlen im Kanton Basel-Stadt der liberale Regierungsrat Conradin Cramer sein Departement behalten musste (oder wollte), konnte man in der BaZ lesen, er sei «im Erziehungsdepartement sitzen geblieben» und habe «kein wichtiges Departement bekommen».
Kurz und bündig lässt sich zusammenfassen: Einflussreiche Zeitungen in den Metropolen Zürich und Basel halten die Beschäftigung mit Erziehungsfragen, vom Kindergarten bis zur Universität, für nebensächlich und überflüssig.

Lieber Kistenvelos als Bildung

Folgerichtig schaffen es Bildungsthemen nur selten ins Blatt, jedenfalls nicht so häufig, gründlich und umfangreich wie der FCB, Roger Federers Knie, die Fasnacht, Parkplätze oder Kistenvelos.

Kaum ein Begriff trifft den Nerv der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im

Filippo Leutenegger, Stadtrat FDP: Auf’s Abestellgleis Bildung.

Erziehungsdepartement (ED) so schmerzhaft wie das Wort «Bildungsbürokraten». Für den Vorwurf der Praxisferne und des Realitätsverlustes finden sich in den Stellungsnahmen des Erziehungsdepartements zu tagesaktuellen Fragen des Schulbetriebs allerdings regelmässig harte Belege.

Man darf sich schon wundern, wie ein derart wirklichkeitsfremder, schnoddriger und sämtliche unbestreitbaren Probleme ausblendender Text aus der Schreibstube eine Regierungssitzung ohne Faktencheck und Qualitätskontrolle unverändert passieren kann
Ein gutes Beispiel liefert die Antwort des Regierungsrates auf einen Vorstoss des grünen Grossrats Oliver Bolliger, der Massnahmen zur Senkung des Leistungs- und Leidensdrucks bei den Jugendlichen fordert. Offenbar ist die Anzahl der Menschen, die unter schweren Symptomen leiden, gemäss einer Studie der Universität Basel bei Jugendlichen im Alter zwischen 14 bis 24 Jahren stark angestiegen.
Die Schuld für diese Entwicklung sieht das Erziehungsdepartement nicht bei Corona und schon gar nicht bei den Schulen. Verantwortlich seien die Eltern, die ihre Zöglinge zur Wahl von «unrealistischen Bildungszielen» drängten. Anpassungen am Schulsystem seien unnötig, die bestehenden schulischen und ausserschulischen Angebote ausreichend.
Man darf sich schon wundern, wie ein derart wirklichkeitsfremder, schnoddriger und sämtliche unbestreitbaren Probleme ausblendender Text aus der Schreibstube eine Regierungssitzung ohne Faktencheck und Qualitätskontrolle unverändert passieren kann. Immerhin sitzen in der Regierung auch Leute mit eigenen Kindern im schulpflichtigem Alter, die eigentlich eine Ahnung vom Schulalltag haben müssten.

«Katastrophales Zeugnis»

Dabei sind die Kennziffern des Basler Schulsystems alarmierend. Nach der Publikation der ersten schweizerischen Erhebung der Grundkompetenzen in der Grundschule wählte die NZZ für ihren Bericht eine drastische Überschrift: «Katastrophales Zeugnis für die Basler Schulen.»
In Mathematik und in den Sprachen schwenken die Schülerinnen und Schüler beider Basel und aus Solothurn die rote Laterne. Bei den Schülern aus Basel-Stadt leuchtet die Lampe sogar dunkelrot. In Mathematik genügt nicht einmal die Hälfte der Schüler den Anforderungen, aber auch bezüglich der Sprachkompetenzen wird weniger erreicht als in fast allen anderen Kantonen.
85 Prozent aller Baslerinnen und Basler mit 25 Jahren haben einen Lehr- oder Mittelschulabschluss, das ist die tiefste Sek-1-Abschlussquote schweizweit. Schlusslicht ist Basel auch bei den erfolgreich abgeschlossenen Berufsausbildungen (46,5 Prozent). Dafür hat Basel mit 38,5 Prozent die höchste Mittelschulquote in der Deutschschweiz.
Diese miserable Erfolgsbilanz erreicht Basel-Stadt mit dem gesamtschweizerisch höchsten Personalaufwand pro Schüler in der obligatorischen Schule. 2018 betrugen diese Ausgaben in öffentlichen Bildungsinstitutionen knapp 20’000 Franken, doppelt soviel wie die Kantone Wallis und Appenzell-Innerrhoden und etwa 7000 Franken mehr als der schweizerische Durchschnitt.
Angesichts dieser Zahlen mutet die schon fast rituelle Forderung der Lehrerverbände und rot-grüner Parteien nach mehr Investitionen in den Bildungsbereich merkwürdig an.

Dringend nötig: Reformen am System

Angesichts dieser Zahlen mutet die schon fast rituelle Forderung der Lehrerverbände und rot-grüner Parteien nach mehr Investitionen in den Bildungsbereich merkwürdig an. Notwendig sind wohl dringender tiefgreifende Reformen am System.
Prof. Gerhard Steiner, Basel: Organisation in nicht-integrativen Lernumfeld wesentlich schlanker.

Dabei kommt der Wiedereinführung der Kleinklassen und die Abschaffung der fundamentalistischen Basler Version der Integrativen Schule eine zentrale Rolle zu. Es ist offensichtlich, dass dieses Modell an den Realitäten scheitert, weil es die vorhandene und unvermeidliche Heterogenität in den Klassen zusätzlich noch vergrössert, mit entsprechendem Effekt auf die Ausbildungsqualität auf allen Leistungsniveaus.

Professor Dr. Gerhard Steiner, 12 Jahre Lehrer im Isaac-Iselin-Schulhaus und 25 Jahre Ordinarius für Psychologie (Entwicklung und Lernen) an der Universität Basel, erklärt die Vorteile in einem nicht-integrativen Lernumfeld, weil dort die Organisation der Lehr-Lern-Situation wesentlich schlanker ist, was weniger Umtriebe und Ablenkung zur Folge hat und auf Seiten der Lernenden eine höhere Konzentration ermöglicht.

Ideologische Verblendung

Dadurch werde die Nutzung der Lernzeit massiv erhöht, was mehr sichtbaren Lernerfolg generiere. Die Autonomie vieler Lehrerinnen und Lehrer würde wieder hergestellt, ihr Kräfteverschleiss geringer und die Arbeitszufriedenheit grösser. Der ausgewiesene Fachmann mit Erfahrungen in Theorie und Praxis empfiehlt deshalb die Rückkehr zu einem effizienten leistungsniveau-orientierten Unterrichten in Standard- und Kleinklassen.
«Schülerinnen und Schüler sollen gemäss ihren geistigen, körperlichen und sozialen Fähigkeiten und Defiziten geschult werden», schreibt Arnold Fröhlich, zuletzt Dozent an de Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz in Luzern. «In der Integrativen Schule ihren individuellen Bedürfnissen mit noch mehr Lehrpersonal gerecht werden zu wollen, ist illusorisch und ideologisch verblendet. Dieses in der Praxis gescheiterte Modell gehört abgeschafft.»
Die Fülle der Herausforderungen zeigt, dass dem Erziehungsdepartement in Zukunft eine zentrale und noch bedeutendere Rolle zukommt. Gefordert sind im ED auf allen Stufen – bis hinauf zur Spitze – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die kompetent und engagiert arbeiten und dabei den Bezug zur schulischen Wirklichkeit nicht noch mehr aus den Augen verlieren. Hier ist noch viel Luft nach oben.
Roland Stark ist früherer Präsident der SP Basel-Stadt und Alt-Grossrat. Zudem war er 42 Jahre lang Lehrer in Pratteln und Basel. Dieser Artikel ist zuerst im Nebelspalter erschienen: https://www.nebelspalter.ch/bildung-ist-ein-thema-fuer-hinterbaenkler-das-ist-falsch-was-sich-aendern-muss.

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Nur schwache Männer essen Fleisch https://condorcet.ch/2022/02/nur-schwache-maenner-essen-fleisch/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=nur-schwache-maenner-essen-fleisch https://condorcet.ch/2022/02/nur-schwache-maenner-essen-fleisch/#comments Sun, 20 Feb 2022 10:20:00 +0000 https://condorcet.ch/?p=10582

Roland is back. Nach einer längeren Pause meldet sich der Condorcet-Autor und ehemalige SP-Grossratspräsident der Stadt Basel, Roland Stark, mit zwei starken Artikeln zurück. Hier ist seine Antwort auf die Studie von Joy Butler, Pädagogikprofessorin an der University of British Columbia, welche «Dodgeball», die amerikanische Variante unseres Völkerballs, als «legalisiertes Mobbing» und Mittel der «Unterdrückung» bezeichnet.

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Roland Stark, ehem. SP-Parteipräsident der Sektion Basel-Stadt, Heilpädagoge: Habe mehr wegen der Kletterstange gelitten.

Um Klima und Gesellschaft zu retten, müssen Männer vegan leben und Schulen Völkerball verbieten. Letzteres gilt als «legalisiertes Mobbing». Über den grünen Verbotsfuror im Wahlkampfjahr.

Aus den Dunkelkammern der Wissenschaft dringen immer wieder merkwürdige Erkenntnisse ans Tageslicht. Die Forderung einer deutschen Soziologin nach gleichen Kleidern für Mann und Frau («Kartoffelsäcke») wurde schon kommentiert.

Männer wollen beweisen, wie stark sie sind.

Mit ähnlich absurden Beispielen lässt sich locker jedes Spätsommerloch füllen. Michael Rosenberger, ein fränkischer Moraltheologe und Professor an der Katholischen Privat-Universität Linz (A), hat endlich eine Erklärung für die männliche Schwäche für Fleisch gefunden. Ihr Verhaltensmuster stamme aus der Antike. «Sie wollen wie die germanischen Götter beweisen, dass sie stark und mächtig sind, indem sie beim Fleischverzehr ganz vorne dabei sind.» Mit moralischen Appellen sei dieser Un­sitte nicht beizukommen. Stattdessen «müssen wir Rollenbilder hinter­fragen: Kann ein starker, gestandener Mann vegetarisch oder fleischarm leben?»

Völkerball ist ein Mittel der «Unterdrückung»

In der Warteschlange an einem vom grünen Verbotsfuror bedrohten Grillstand habe ich bestimmt genügend Zeit, über diese Grundsatzfrage nachzudenken und mit anderen Männern – und Frauen – Erfahrungen auszutauschen. Immerhin weiss ich jetzt, dass meine Liebe zur senffreien St. Galler Bratwurst nicht auf die Eltern, sondern auf den Göttervater Odin und seine Gemahlin Frigg ­zurückzuführen ist. Nun setzt eine brandaktuelle Untersuchung auch noch meine Verdienste als Turnlehrer (politisch korrekt: Turnkraft/Turn­person) ins Zwielicht. Joy Butler, Pädagogikprofessorin an der University of British Columbia, bezeichnet «Dodgeball», die amerikanische Variante unseres Völkerballs, als «legalisiertes Mobbing» und Mittel der «Unterdrückung».

Selbstverständlich gibt es in den USA bereits Schulen, die das Spiel, im Gegensatz zu Schusswaffen, aus dem Unterricht verbannt haben.

Statt als «Lehrperson» den Kindern und Jugendlichen beizubringen, Aggressionen zu kontrollieren, habe ich mit Völkerball ihre Gewaltbereitschaft gefördert. Die Schwachen und Langsamen sind in diesem brutalen Spiel den Starken und Flinken ­hoffnungslos unterlegen. Völkerball vermittle die Botschaft, lerne ich beschämt bei der klugen Feministin, «dass es okay ist, den anderen zu verletzen und zu entmenschlichen». Selbstverständlich gibt es in den USA bereits Schulen, die das Spiel, im Gegensatz zu Schusswaffen, aus dem Unterricht verbannt haben.

Für die Forschung und die Basler Politik gibt es noch viel zu tun. Heraus­gefordert sind die Pädagogische Hochschule, das Sportamt, das ­Gleichstellungsbüro und vor allem sendungsbewusste Grossrätinnen im Wahlkampfmodus.

Bei mir sind die psychischen Verletzungen, die ich bei Völkerball oder auch Brennball erleiden musste, recht gut verheilt. Gequält wurde ich ­ohnehin eher beim Stangenklettern, bei Liegestütz oder beim Sprung vom 10-Meter-Brett in den Bodensee. Für die Forschung und die Basler Politik gibt es noch viel zu tun. Heraus­gefordert sind die Pädagogische Hochschule, das Sportamt, das ­Gleichstellungsbüro und vor allem sendungsbewusste Grossrätinnen im Wahlkampfmodus.

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Ein Appenzeller Verlag im Dienste der Geschichtsfälschung: Endlich mal wieder ein guter Nazi https://condorcet.ch/2021/12/ein-appenzeller-verlag-im-dienste-der-geschichtsfaelschung-endlich-mal-wieder-ein-guter-nazi/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=ein-appenzeller-verlag-im-dienste-der-geschichtsfaelschung-endlich-mal-wieder-ein-guter-nazi https://condorcet.ch/2021/12/ein-appenzeller-verlag-im-dienste-der-geschichtsfaelschung-endlich-mal-wieder-ein-guter-nazi/#respond Thu, 02 Dec 2021 14:50:28 +0000 https://condorcet.ch/?p=10013

Condorcet-Autor Roland Stark berichtet über eine unglaubliche Buchveröffentlichung in seinem Heimatkanton Appenzell. Er fragt sich, wie es mit dem Geschichtsbewusstsein der Verleger aussieht.

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Roland Stark, ehem. SP-Parteipräsident der Sektion Basel-Stadt, Heilpädagoge:  Meine Vorfahren werden sich auf dem Friedhof in ihren Gräbern umdrehen.

Im April 1933  wurden meine Onkel Franz und Hans Stark wegen einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit einem SA-Mann zu je sechs Wochen Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Der Anwalt des Klägers war der Bruder des späteren Präsidenten des Reichs-Sondergerichts Roland Freisler.

Im „Innerrhoder Geschichtsfreund“, 32. Heft 1989 (herausgegeben vom Historischen Verein Verein Appenzell und gedruckt in der Druckerei Appenzeller Volksfreund) schildert Franz seine vierteljährliche Zeit in der Gefangenschaft der Nazis und die  Rückkehr in die Schweiz  im Juni 1933.

“Während des Aufenthaltes im Polizeigefängnis hatte ich bei meinen Wärtern schon allerhand gesehen und gehört. Die meisten Häftlinge waren bei der Festnahme grün und blau geschlagen worden, verschiedene zu halben Krüppeln, die dann fast ohne ärztliche Hilfe in den Zellen lagen…. Ich kann mich noch gut an den Kaufhausbesitzer Hetlage erinnern, der auch hier war. Die Nazis hatten dessen Bruder und nahe Verwandte auf dem grossen Königsplatz in Kassel zu Tode geprügelt und ihn – der Bevölkerung zur Judenabschreckung – auf dem Platz ausgestellt.“

 

Mein Onkel Josef, aktiv im kommunistischen Widerstand, stand noch Jahre später auf der Fahndungsliste der Gestapo.

Erwin Rommel dankt denn auch in einem Schreiben vom 12. Dezember 1938 an den Präsidenten der SOG für die „wunderschöne goldene Uhr“, die ihm eine „ganz ausserordentliche Freude“ bereitet habe.

Mein Onkel Josef, aktiv im kommunistischen Widerstand, stand noch Jahre später auf der Fahndungsliste der Gestapo. Im gleichen Appenzeller Verlag erscheint in diesen Tagen ein Buch über die Vortragstätigkeit des Wehrmacht-Obersten Erwin Rommel vor der Schweizerischen Offiziersgesellschaft im Jahre 1938. Fünf Jahre nach Hitlers Machtergreifung und ungeachtet der bereits seit 1934 bestehenden Konzentrationslager. Erwin Rommel dankt denn auch in einem Schreiben vom 12. Dezember 1938 an den Präsidenten der SOG für die „wunderschöne goldene Uhr“, die ihm eine „ganz ausserordentliche Freude“ bereitet habe.

Einen Monat früher, am 9. November 1938, intensivierten die Nazis in Deutschland und Österreich in der sogenannten Reichskristallnacht ihren Vernichtungskrieg gegen die Juden. Organisierte Schlägertrupps setzten jüdische Geschäfte, Synagogen und andere Einrichtungen in Brand. Es ist der Tag, an dem Tausende Jüdinnen und Juden misshandelt, verhaftet oder getötet wurden. Erwin Rommel, damals Kommandeur der Kriegsschule in der Wiener Neustadt, konnten diese Gräuel nicht verborgen bleiben. Offenbar aber Referenz genug, um Vorträge im Roten Basel, in  Zürich, Schaffhausen und Olten halten zu dürfen. Ein geplanter Auftritt vor der Offiziersgesellschaft Herisau musste wegen „dienstlicher Inanspruchnahme“ leider abgesagt werden. Der Nazi-Offizier Rommel war im Winter 1938 wohl zu sehr mit Vorbereitungen auf den 2. Weltkrieg beschäftigt.

Im Verlag Appenzeller Volksfreund ist bereits früher ein Buch des gleichen Autors erschienen. „Ein Appenzeller in der Waffen-SS“. Darin rühmt der Verfasser Vincenz Oertle unter anderem auch den Kavalleriemajor und SS-Standartenführer Heinrich Hersche, der in Appenzell-Innerrhoden aufgewachsen war und 1935 im Kanton Bern auf der Liste der nazifreundlichen Nationalen Front für den Nationalrat kandidierte.

Ein notorischer Verharmloser von Faschismus und Nationalsozialismus.

Am „Militärhistoriker“ Oertle, und leider auch am Appenzeller Verlag und dessen Verleger, sind Jahrzehnte historischer Forschung offensichtlich spurlos vorbei gegangen. Das Tausendjährige Reich, 12 Jahre „Fliegenschiss“  in einer insgesamt ruhmreichen deutschen Geschichte, wie der AfD-Führer Alexander Gauland schwafelt, wird auch von Vincenz Oertle beschönigt und verharmlost. Kaum jemals in der Geschichte sei „über einem Besiegten ein derartiges Gewitter an zu Dogmen erhobener Geschichtsfälschungen, Lügen und Verleumdungen niedergegangen wie über Deutschland, den Deutschen, dem deutschen Soldaten und damit auch über den ausländischen Freiwilligen.“ Gemeint sind hier wohl die Schweizer Söldner im Dienste der Waffen-SS. Oertle ist nicht ein versierter Kenner der Militärgeschichte, wie der Verleger lobt, sondern ein notorischer Verharmloser von Faschismus und Nationalsozialismus.

Einst musste sogar der Bundesrat den Oberauditor der Schweizer Armee, Jürg van Wijnkoop zurückpfeifen, weil er das Vorwort zu einem Buch Oertles verfasst hatte.

 

Erwin Rommel, der im Appenzeller Verlag so wohlwollend beschrieben wird, war ein ehrgeiziger Wehrmachtsgeneral und ein willfähriges Werkzeug in einem lange geplanten Vernichtungsfeldzug der Nationalsozialisten.

„Er (Rommel) ist weltanschaulich gefestigt, steht uns Nationalsozialisten nicht nahe, sondern ist ein Nationalsozialist.“

Feldmarschall Erwin Rommel: Hitlers Lieblingsgeneral.

Joseph Goebbels inszenierte die Erfolge des „Wüstenfuchses“ Rommel in Nordafrika als grossangelegte Werbekampagne. „Kaum ein General sei so von der Wichtigkeit des Propagandaeinsatzes durchdrungen wie Rommel. Eben daran zeige sich, welch ein „moderner General“ er doch sei“, lobte ihn Goebbels an einem Abendessen mit Adolf Hitler. „Er (Rommel) ist weltanschaulich gefestigt, steht uns Nationalsozialisten nicht nahe, sondern ist ein Nationalsozialist.“

Ein in anderer Nazi hat es bekanntlich ebenfalls geschafft,  sich nach dem Krieg von einem Verbrecher aus dem innersten Zirkel Adolf Hitlers (mit SS-Führer Himmler und Propagandaminister Goebbels) zu einem erfolgreichen Buchautor und angesehenen Gast in den deutschen Fernsehstudios zu verwandeln. Albert Speer, Hitlers Bau- und Rüstungsminister. Mitverantwortlich für Enteignung, Verfolgung und Vernichtung der Juden und für die Totalisierung des Krieges bis zum schrecklichen Ende. Millionen Tote gehen auf sein Konto.

Auch diese Reinwaschung geschah mit Hiife zweier Verleger: dem Geschäftsführer der Ullstein-Verlagsgruppe, Wolf Jobst Siedler und des Mitherausgebers der F.A.Z. Joachim Fest.

Es bleibt noch zu erklären, warum 76 Jahre nach Kriegsende in einem Appenzeller Verlag der Name von Hitlers Lieblingsgeneral weissgewaschen werden muss. Meine Vorfahren jedenfalls werden sich auf dem Appenzeller Friedhof in ihren Gräbern umdrehen.

Roland Stark, Bürger von Appenzell-Innerrhoden und ehemaliger Präsident des Grossen Rates Basel-Stadt.

Eine verkürzte Version dieses Textes erschien im Appenzeller Volksfreund.

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Ohne Klicks bist Du nix https://condorcet.ch/2021/04/ohne-klicks-bist-du-nix/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=ohne-klicks-bist-du-nix https://condorcet.ch/2021/04/ohne-klicks-bist-du-nix/#respond Sat, 10 Apr 2021 17:07:05 +0000 https://condorcet.ch/?p=8275

Condorcet-Autor Roland Stark, ehemaliger Partei- und Grossratspräsident der SP-Basel, war lange Jahre Kolumnenschreiber in der BAZ. Der Condorcet-Blog konnte davon profitieren, wenn der ehemalige Heilpädagoge Roland Stark hin und wieder über Bildung schrieb. Nun wurde er - mangels Klicks - aussortiert. Wir veröffentlichen hier seine letzte Kolumne in der BAZ, natürlich in der Hoffnung, dass er nun vermehrt für unseren Blog schreiben wird. Sein Beitrag hat zwar mehr mit dem heutigen Journalismus und den Medien als mit der Bildung zu tun. Die Redaktion hat sich dazu entschlossen, diesen Text dennoch zu veröffentlichen. Ein Grund ist natürlich, dass auch wir vom Condorcet-Blog uns diesem Druck von Klicks nicht ganz verschliessen können.

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Ob Waschmittel, Würste, Schüler oder Journalisten. Alle werden getestet und benotet.

Roland Stark, ehem. SP-Parteipräsident der Sektion Basel-Stadt, Heilpädagoge

Unabhängige, qualitativ hochwertige Zeitungen, vorzugsweise auf Papier, sind ein Grundnahrungsmittel der Demokratie. So unverzichtbar wie Kaffee, Brot, Butter, Ei, Honig und Konfitüre zum Frühstück.

Meine Jugend in St. Gallen bereicherten nicht nur politische Gespräche am Familientisch, sondern auch eine breite Auswahl an Zeitungen: Die stockkonservative „Ostschweiz“, der katholische „Appenzeller Volksfreund“, Hoforgan von „Landesgottheit“ Raymond Broger, die sozialdemokratische „AZ“, die „Frankfurter Rundschau“ des NS- Widerstandskämpfers Karl Gerold. Dazu Radio Beromünster. Unvergessen: Gody Baumberger. Später TV (s/w): „Einer wird gewinnen*, die Münchner Lach- und Schiessgesellschaft, der „Internationale Frühschoppen“, Sportschau, Bonanza und Lassie.

Zweimal jährlich besuchte uns ein Vertreter der Büchergilde Gutenberg. Sein Angebot, sehnsüchtig erwartet: Ein Koffer voller Neuerscheinungen, aus dem ich jeweils ein paar Bücher aussuchen durfte. Kaum eines davon dürfte heutzutage die unerbittliche Zensur des Political-Correctness-Wächterrats überstehen.

Per Fax gelangte der Text auf die Post in Les Breuleux, wo ich ihn abholen und anschliessend redigieren konnte. Dann auf dem gleichen Weg zurück ins Gewerkschaftshaus.

Einer meiner ersten Zeitungsbeiträge druckte in den 1960er-Jahren die „Ostschweizer AZ“. Getippt auf einer mechanischen Schreibmaschine. Der spannende Bericht rapportierte die Werbeoffensive für einen neuen Braun-Rasierer im Hotel Hecht. An ein Honorar mag ich mich nicht erinnern, hingegen an das generöse Präsent: ein nigelnagelneues Exemplar des angepriesenen Trockenrasierers.

35 Jahre später präsentierte sich meine Ausrüstung nur unwesentlich moderner. Mitten in der Auseinandersetzung um die Privatisierung der Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) weilte ich in meiner Datscha in den jurassischen Freibergen. In der BaZ hatte sich der grüne Grossrat Guy Morin vehement für die Vorlage von Baudirektor Christoph Stutz ausgesprochen, nun sollte dringend eine Entgegnung des SP-Fraktionspräsidenten her. In Basel setzte sich VPOD-Vizepräsident Willi Gerster an die Schreibmaschine und verfasste eine gepfefferte Antwort. Per Fax gelangte der Text auf die Post in Les Breuleux, wo ich ihn abholen und anschliessend redigieren konnte. Dann auf dem gleichen Weg zurück ins Gewerkschaftshaus. In der BaZ erschien die Replik unter meinem Namen am 15.7.1995.

Regionaljournal via Internet

 

Blogger Manfred Messmer: Noch nie etwas von Internet gehört?

Ein knappes Vierteljahrhundert danach klebte mir der Blogger Manfred Messmer die Etikette „Generation SRF“ an, weil ich mir die Print-Ausgabe der BaZ per Post in mein Feriendomizil im Schwarzwald nachschicken liess und die nervig umständliche Lieferung in einer Kolumne glossiert hatte. Offenbar hätte ich noch nie etwas von E-paper gehört. Immerhin traute er mir den Besitz eines Radioapparats zu, verbunden mit dem Hinweis, auch das Regionaljournal könnte man aber unterdessen via Internet hören. (arlesheimreloaded, 11.1.2018))

Inzwischen ist auch bei mir der Fortschritt eingekehrt. Die „Dernière“ (Kolumne Nr. 408) schreibe ich am Computer, der Text geht per Mail an den Aeschenplatz. Bewertet wird der Artikel allerdings nicht mehr von den Lesern der gedruckten Ausgabe. Im Zeitalter von „online first“ wird die profitorientierte Relevanz daran gemessen, wie viele Leser das Produkt wie lange auf dem Bildschirm angeklickt haben. Wer zu wenig Klicks einheimst, fällt beim TX Group-Rentabilitätscontrolling in die Grube.

Richtmass bleiben allzu oft die elektronischen Impulse

„Quantität first“ heisst die Devise. „Richtmass bleiben allzu oft die elektronischen Impulse“ moniert Rainer Stadler in der NZZ, „welche die Fernbedienungen und Computermäuse ins Mediensystem jagen.“ In der Blase der digitalen Stammtische versprechen populistische Rundumschläge gegen politische Dilettanten oder gegen Parkplatzvernichter offensichtlich bessere Quoten als Berichte über im Mittelmeer ertrunkene Flüchtlinge oder mafiöse Strukturen und zwielichtige Walliser Figuren im Weltfussballverband Fifa.

Auf meine Artikel habe ich jeweils zahlreiche Reaktionen erhalten. Schriftlich und mündlich. Kritische, lobende, anregende und bösartige. Als BaZ- Kolumnist werde ich nun stillgelegt. Im „Verein für eine deutliche Aussprache“ bleibe ich aktives Mitglied.

 

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Sind Giesskannen wichtiger als Bücher? https://condorcet.ch/2021/01/sind-giesskannen-wichtiger-als-buecher/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=sind-giesskannen-wichtiger-als-buecher https://condorcet.ch/2021/01/sind-giesskannen-wichtiger-als-buecher/#respond Sat, 30 Jan 2021 17:04:10 +0000 https://condorcet.ch/?p=7585

Condorcet-Autor Roland Stark nimmt einen Sparbeschluss von SRF zum Anlass, grundsätzlich über die Bedeutung des Buches in Corona-Zeiten nachzudenken und wundert sich über rhetorische Auswüchse auf beiden Seiten.

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Roland Stark, ehem. SP-Parteipräsident der Sektion Basel-Stadt, Heilpädagoge

Über 8000 Personen haben die Petition unterschrieben, in der gegen die Abschaffung der Sendung «52 beste Bücher» auf SRF2, ein als «Reform» kostümiertes Sparprogramm, protestiert wird. Darunter finden sich zahlreiche namhafte Autorinnen und Autoren: Herta Müller, Emil Steinberger, Peter von Matt, AlainClaude Sulzer, Peter Stamm, Ruth Schweikert, Sibylle Berg,Thomas Hürlimann, Adolf Muschg, Eva Menasse oder MartinSuter. Die taz kommentierte zutreffend, dass «die Planer und Exekutoren der qualitativen Verflachung in der kulturellen Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Medien (…) nicht bei der privaten Konkurrenz, sondern in den Chefetagen der eigenen Institution» sitzen. Unter diesen

Verflachung der kulturellen Grundversorgung

Umständen überrascht es nicht wirklich, dass Buchläden nach Ansicht des Bundesrats nicht zu denjenigen Geschäften gehören, die Güter «des kurzfristigen und täglichen Bedarfs» verkaufen dürfen. Offensichtlich sind Bratpfannen, Holzhämmer und Strumpfhosen für das Wohlergehen der Schweizer von grösserer Bedeutung als Bücher. Und ebenso deutlich ist in den letzten Wochen geworden, dass die Lobbyisten der Tourismushochburgen und der Skilift- und Seilbahnbetreiber wesentlich erfolgreicher operiert haben als der Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband (SBVV). Selbst die Bilder von dicht gedrängten Massen in Flims/ Laax, in den Flumserbergen oder in Davos mit der krassen Missachtung der Schutzkonzepte (Abstand, Masken) haben den Bundesrat und die Kantone nicht zur Besinnung gebracht.

Mit dem Buch bauen wir Hürden ab, es ermöglicht uns, unsere Perspektive zu wechseln und uns auf Gemeinsamkeiten zu besinnen.

 

Das Buch nährt

Der SBVV findet zu diesen Widersprüchen in einer Medienmitteilung die richtigen Worte: «Der Bundesrat bittet seit Monaten in jeder Pressekonferenz um Zusammenhalt im Land. Vierhundert Buchhandlungen im Tessin, in der Romandie und in der Deutschschweiz stehen im Dienst dieses Zusammenhalts. Weil sie Bücher anbieten – ein Gut des täglichen Bedarfs, das gerade jetzt ganz besonders benötigt wird. (…) Das Buch nährt und hält, es bildet und tröstet – es tut all das, was andere Güter des täglichen Bedarfs ebenso tun, von den Nahrungsmitteln bis zur Schnittblume. Mit dem Buch bauen wir Hürden ab, es ermöglicht uns, unsere Perspektive zu wechseln und uns auf Gemeinsamkeiten zu besinnen.» Von den Medien, Ausnahmen bestätigen die Regel, ist keine Unterstützung zu erwarten. Statt differenzierter Kritik an einzelnen Vorschriften werden pauschal Attacken mit der Schrotflinte abgefeuert. Markus Somm äussert den Verdacht, dem Bundesrat sei die eigene Reputation wichtiger als die Rettung von Menschenleben. Und sein Nachfolger am Aeschenplatz, Marcel Rohr, zu Beginn der Corona-Krise noch eine verlässliche Stimme der Besonnenheit, beschwört unterdessen ein Totalversagen: «Sämtliche Mediziner, Wissenschaftler, Virologen, Epidemiologen und Politiker wissen nicht, wie man die Seuche am  effizientesten bekämpft. Aber die meisten tun so, als wüssten sie es, weil man Unwissen nicht verkaufen kann.»

Marcel Rohr, Chefredaktor der BAZ: Totalversagen der Behörden?

Einige dieser «Versager» wirken (ehrenamtlich) in und für Basel. Ich weiss, dass ihnen der Rundumschlag die Laune gründlich verdorben hat: Manuel Battegay etwa, Chefarzt der Infektiologie& Spitalhygiene am Universitätsspital Basel, oder Prof. Marcel Tanner, Epidemiologe, Präsident der Akademien der Wissenschaften und ehemaliger Direktor des Tropeninstituts. Auch Anne Lévy, die Direktorin des Bundesamts für Gesundheitswesen (BAG), hat ihre Wurzeln in Basel. Wissenschaft und Politik tragen eine schwere Verantwortung. Ihr Tun oder Lassen entscheidet über Leben und Tod, auch über die Existenz Tausender Betriebe und Einzelschicksale. Viele Bestimmungen scheinen willkürlich, kaum einleuchtend. Wie Schnittblumen statt Bücher, Skizirkus statt Oma und Opa-Besuche. Für Alarmismus und Untergangsstimmung besteht trotz der gewaltigen Herausforderung kein Anlass. Gelassenheit ist gefragt. Und Geduld. Meine Empfehlung: ein guter Wein und ein spannendes Buch. Hilft immer.

Roland Stark, ehemaliger Partei- und Fraktionschef der SP Basel-Stadt

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