Die neue Bundesministerin für Bildung, Karin Prien, macht dort weiter, wo sie in Schleswig-Holstein als Landesministerin für Bildung aufgehört hat: Sie lässt mit provokanten Botschaften aufhorchen. Nach ihrem bereits 2023 geäusserten, kontrovers diskutierten und mittlerweile von Forschungen untermauerten Vorstoß, Smartphones an Schulen zu verbieten, fordert sie jetzt, Eltern beim Thema “Handynutzung” stärker in die Pflicht zu nehmen.
Grundlage für ihre Einschätzung sind alltägliche Beobachtungen, wie abwesend Eltern vor ihren Kindern am Handy wischen, es selbst beim Essen oder am Spielplatz nicht zur Seite legen und beim Kinderwagenschieben immer nur eine Hand am Wagen haben und die andere am Handy. Aber ist all das wirklich so schädlich für die Kinder, dass direkt an die Erziehungspflicht der Eltern appelliert werden muss? Die empirische Bildungsforschung hat zu dieser Frage eine klare Antwort.

Mit der letzten Erweiterung des Datensatzes der Hattie-Studie, die den größten Fundus an erziehungswissenschaftlicher Forschung weltweit umfasst, ist der Faktor “Elterliche Bildschirmzeit” hinzugekommen. Allen voran die Meta-Analyse von Toledo-Vargas und Kollegen liefert Belege, welche Effekte die elterliche Nutzung von Handys in Anwesenheit ihrer Kinder unter fünf Jahren auf deren Bildungsprozesse hat. Dazu haben sie 21 Studien ausgewertet, an denen fast 15’000 Kinder aus zehn Ländern teilgenommen haben.
Die Ergebnisse sind eindeutig: Elterliche Bildschirmzeit hat negative Effekte auf die kognitive Entwicklung, allen voran bei der Sprache, und auf das soziale Verhalten der Kinder und führt zu einer geringeren Bindung zwischen Eltern und Kind sowie zu vermehrten Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern. Der (regelmäßige) elterliche Blick auf das Handy führt die Aufmerksamkeit weg vom Kind, unterbricht, verlangsamt oder verhindert sogar im schlimmsten Fall die Eltern-Kind-Interaktion und hat einen Bindungsverlust zur Folge. Zudem sind die Kinder einer Vorbildwirkung der Eltern ausgesetzt, die das eigene Verhalten negativ prägt. Mentale Stimulation, soziale Resonanz und Selbstwirksamkeit fehlen dann dem Kind und hinterlassen auf Dauer schädliche Spuren in der Persönlichkeitsentfaltung.
Wer lieber wischt, als mit den Kindern spielt, wer abends nicht vorliest, weil er selbst im Netz surft, wer lieber seinen eigenen Körper trainiert als mit den Kindern eine Runde dreht und wer sein Handyverhalten nicht kontrollieren kann, der muss sich am Ende des Tages nicht wundern, wenn die eigenen Kinder all das auch nicht können und im Bildungsprozess zurückfallen.
Mit diesen Ergebnissen wird nicht nur die Erziehungsverantwortung der Eltern deutlich, die auch in Artikel 6 des Grundgesetzes im Wortlaut als Pflicht verankert ist, sondern auch eine Schieflage in der aktuellen Debatte, die vor allem die Kinder selbst an den Pranger stellt: Die Gen Z oder Gen Alpha, wie sie genannt wird, sei abgelenkt, überfordert, gestresst, körperlich in einem miserablen Zustand und nicht in der Lage, sich zu konzentrieren. So richtig all das ist, die Ursache liegt aber nicht nur bei den Kindern. Denn die Kinder sind immer Kinder ihrer Zeit. Sie können vielfach nicht anders, weil sie abhängig vom Erziehungsverständnis ihrer Familien und der Gesellschaft sind.
Verhalten der Eltern schädigt Bildungsprozess der Kinder
Hier ist aktuell zu beobachten, dass es offensichtlich die Eltern immer schlechter hinbekommen, ihre Kinder auf den Bildungsweg zu unterstützen, geschweige denn auf die Herausforderungen der Zeit vorzubereiten. Denn häufig ist es das Verhalten der Eltern selbst, dass Erziehungsprozesse nicht nur verhindert, sondern sogar den Bildungsprozess der eigenen Kinder schädigt.
Wer lieber wischt, als mit den Kindern spielt, wer abends nicht vorliest, weil er selbst im Netz surft, wer lieber seinen eigenen Körper trainiert als mit den Kindern eine Runde dreht und wer sein Handyverhalten nicht kontrollieren kann, der muss sich am Ende des Tages nicht wundern, wenn die eigenen Kinder all das auch nicht können und im Bildungsprozess zurückfallen – empirische Daten untermauern all das leider in einer unbestreitbaren Deutlichkeit.
Und auch in pädagogischen Einrichtungen ist in den letzten Jahren vieles passiert, was dem Bildungsprozess nicht förderlich ist: eine unreflektierte Digitalisierung, die dem naiven Motto “je mehr, desto besser” folgt – mittlerweile sogar in den Kindergarten – und damit unnötig Bildschirmzeit erhöht, die Abwrackung von Kunst, Musik und Sport, die stete Infragestellung des Leistungsprinzips und die Verkopfung von Schule infolge von Pisa & Co. Auch hier ist also eine Umkehr dringender denn je, um die um sich greifende Bildungsmisere in den Griff zu bekommen.
Wesentliche Schritte einer zukunftsweisenden Elternarbeit
Der Vorstoß der neuen Bildungsministerin kommt also zur rechten Zeit und es bleibt zu hoffen, dass er in die Kultusministerien der Länder Wirkung entfaltet. An pädagogischen Einrichtungen, ob Kindergärten oder Schulen, sind etwa Konzepte einer Elternarbeit zu implementieren, die durchaus erzieherischen Charakter haben: Aufklärung der Eltern, Sichtbarmachen ihrer Haltung in Erziehungsfragen und im Umgang mit dem Handy, Weiterentwicklung von Erziehungskompetenzen durch die Konfrontation mit empirischen Daten und schließlich Aufbau einer Erziehungskoalition, die eine gemeinsame Leitidee verfolgt, zeigen sich als wesentliche Schritte einer zukunftsweisenden Elternarbeit.
Dazu gehört auch ein privates Handyverbot an pädagogischen Einrichtungen, nicht zuletzt für Eltern und auch für die Pädagogen vor Ort, die – wo nötig – mit Dienstgeräten zu versorgen sind. Im Idealfall entfaltet der Vorstoß aber eine gesamtgesellschaftliche Reflexion. Denn um ein Kind zu erziehen, braucht es bekanntlich ein ganzes Dorf – und damit sind alle Teile der Gesellschaft gefordert. Bildung ist und bleibt das größte Gut.
15 Jahre zu spät kann man kaum “zur rechten Zeit” nennen.