21. November 2024

Baselbieter Lehrkräfte haben genug gefroren

Mit Kappe und Schal im Unterricht, keinen Tee aufgiessen: Kanton und Gemeinden überbieten sich mit Instruktionen, wie einer Strommangellage zu begegnen ist. Dabei haben sie energetische Sanierungen über Jahre vernachlässigt. Wir publizieren einen Artikel des Journalisten Kurt Tschan, der in der BaZ erschienen ist und in welchem auch unser Condorcet-Autor Philipp Loretz zitiert wird.

Kurt Tschan ist bei der Basler Zeitung als Redaktor für den Bereich Wirtschaft tätig.

Läge dem Baselbiet die Gesundheit seiner Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler wirklich am Herzen, dann hätte es die Forderungen des Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) längst beherzigt. Schon vor fünf Jahren forderte der LCH, dass die arbeitsmedizinischen Qualitätsnormen von den Kantonen und Gemeinden zum Wohl aller Kinder, Lehrpersonen und weiteren Mitarbeitenden auch für Schulbauten übernommen, angewandt und eingehalten werden müssen. Zu diesen Qualitätsnormen gehören effiziente Lüftungssysteme (Temperatur, Feuchtigkeit, CO₂-Werte), aber auch Standards zu Licht, Lärm und Raumbelegung.

Zwei Jahre später kam jedoch das Bundesamt für Gesundheit in einer Studie zum Schluss, dass in einem Grossteil der Schweizer Schulen die Qualität der Raumluft nach wie vor ungenügend ist. In mehr als zwei Dritteln der untersuchten Schulzimmer mit manueller Lüftung war diese nicht zufriedenstellend.

Mit Kappe, Handschuhen und Schal

Für Philipp Loretz fällt das Fazit deshalb ernüchternd aus. Gar nichts hätten die Verantwortlichen unternommen, sagt der Präsident des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland. Dann habe die Corona-Pandemie begonnen. «Man lüftete auf Teufel komm raus», die Schülerinnen und Schüler hätten in der vollen Winterausrüstung am Unterricht teilgenommen – mit Kappe, Handschuhen, Schal, Thermowäsche.

«Ein Schüler fragte mich , ob er das Fenster schliessen dürfe, es schneie auf sein Heft», erinnert sich Loretz.

Noch bevor der Krieg in der Ukraine die Energieversorgung bedrohte, forderte die damalige LCH-Zentralsekretärin Franziska Peterhans ein besseres Krisenmanagement. «Nun hätte man meinen können, dass die Verantwortungsträger endlich griffige Massnahmen in Angriff nehmen würden», sagt Loretz. «Doch auch nach zwei Schlotterwintern geschah nichts dergleichen.»

Die Erkenntnis, dass sich die Installation eines effizienten Lüftungssystems zumindest bei Sanierungen und Neubauten im wahrsten Sinne des Wortes auszahlen würde, sei offensichtlich in der Bau- und Umweltschutzdirektion in Liestal nicht angekommen. «Stattdessen: courant normal! Alles gut», sagt Loretz. Bis Dezember 2022. Wegen der drohenden Energiemangellage seien die Schulen von Kanton und Gemeinden angewiesen worden, Energie zu sparen.

An gewissen Schulen wurden die Thermostaten plombiert.

«Gesundheit oder Energiesparen?»

Schon am 27. September hatte Regierungspräsidentin Kathrin Schweizer drastische Energieeinsparungen verfügt. In Verwaltungsgebäuden, Schulen und Sportanlagen darf seither nur noch bis 19 Grad Celsius geheizt werden. In Korridoren und WC-Anlagen bis 15 Grad. Seither dürfen auch keine privaten Kaffeemaschinen, Kühlschränke, elektrischen Heizöfen sowie Ventilatoren aufgestellt werden. Es gibt Lehrkräfte, die selbst ihr Handy zu Hause aufladen, aus Sorge, sie könnten gegen die verfügten Massnahmen zum Energiesparen verstossen, wie diese Zeitung erfahren hat.

Beim Verbot, private Geräte zu benutzen, wird gemäss Isidor Huber, Rektor am Regionalen Gymnasium Laufental-Thierstein, eine Grenze erreicht. «Laptops sind für den Schulunterricht unverzichtbar.» Ein Teil dieser Geräte sei privat, werde aber für schulische Zwecke genutzt. Der Kanton entschädigt die Lehrkräfte dafür mit 200 Franken im Jahr. Zwar gebe es in der Hausordnung des Gymnasiums Laufen ein Handyverbot für die progymnasiale Stufe. «Aber Handys können auch für Lernzwecke eingesetzt werden», sagt Huber.

«Es rächt sich jetzt, dass jahrelang nicht genügend saniert wurde.»

Philipp Loretz, Präsident des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland

Loretz kritisiert, dass mit kleinen weihnachtlichen LED-Ketten in Klassenzimmern, die Weihnachtsbeleuchtung ist auch verboten, marginal Energie gespart werden könne. Problematisch werde es bei der Raumtemperatur in den Klassenzimmern. Entweder werde regelmässig gelüftet, um arbeitsrechtliche Qualitätsnormen bei der Luftqualität wenigstens teilweise einzuhalten, oder es werde Energie gespart und die Fenster blieben zu. «Was hat Vorrang?», fragt Loretz. «Gesundheit oder Energiesparen?»

Er spricht von einem Dilemma und gibt zu, dass ihm persönlich eine gute Raumluftqualität wichtiger sei. Gerade mit effizienten Lüftungssystemen könne man dieses Dilemma auf intelligente Art und Weise lösen.

Bei 16 Grad in den Unterricht

Wenn es aber um die Sanierung von Schulanlagen geht, dann habe der Kanton einen grossen Nachholbedarf, sagt Loretz. «Es rächt sich jetzt, dass jahrelang nicht genügend saniert wurde», ist er überzeugt. Schliesslich hätten gute Isolationen sowohl im Sommer wie im Winter grossen Nutzen.

Das Gymi Laufen ist dafür ein gutes Beispiel. «Auf der Nordseite des Gebäudes wurden bis zum letzten Winter bei geschlossenen Fenstern frühmorgens gerade mal noch 16 Grad gemessen», sagt Huber. Inzwischen sei das Heizsystem ersetzt worden, und die Situation habe sich gebessert. Dies ändere aber nichts daran, dass die gesamte Anlage dringend saniert werden müsse.

Gleichzeitig befürchtet Loretz, dass mit den tieferen Temperaturen neue Restriktionen zu erwarten seien. «Aufgrund der Gemeindeautonomie ist davon auszugehen, dass auf kommunaler Ebene weitere Sparmassnahmen beschlossen werden.» Deren Wirkungsgrad respektive Verhältnismässigkeit dürfte aber im wahrsten Sinne des Wortes «hochgradig divergieren», ist Loretz überzeugt.

image_pdfAls PDF herunterladen

Verwandte Artikel

Master KG meets Louis de Funès oder 2021 kann kommen.

Italienische Marinesoldaten tanzen dazu, Ärzte und Krankenschwestern wiegen sich im Takt, Sportler und selbst Mönche vorm Vatikan schwingen das Tanzbein: Und jetzt hat MasterKG einem französischen Humoristen die Referenz erwiesen. Ein Espritschub für die Condorcet-Leserschaft.

Die NZZ am Sonntag, Richard David Precht und der Diskurs

Das Interview mit dem Fernseh-Philosophen Richard David Precht, welches die NZZ am Sonntag in ihrer vorletzten Ausgabe publizierte, löste in der Condorcet-Gemeinde ein ungläubiges Kopfschütteln aus. Wie kann es sein, dass ein derart unbedachtes, in sich widersprüchliches Gespräch in dieser Zeitung erscheinen konnte? Es waren weniger die Inhalte, die Anstoss erregten sondern vielmehr die von vielen als plump empfundenen Pauschalurteile, die nicht einmal als stammtischwürdig empfunden worden sind.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert