24. April 2024

Gendersprache: Hundertprozentig korrekt, gerecht, aber seelenlos öde.

Lenkt das Bemühen um eine gendergerechte Sprache von den wirklichen Problemen ab? Dezidiert dieser Meinung ist unser Condorcet-Autor Felix Schmutz. Sie erreicht nicht nur nicht ihre eigentlichen Ziele, sie ist auch penetrant moralisch, elitär, ausschliessend und führt zu einer Verödung der Sprache.

Felix Schmutz, Baselland: Sprache als Komplizin

Die Gleichstellung der Geschlechter ist zwar in der Verfassung verankert, im beruflichen, politischen und gesellschaftlichen Leben aber noch lange nicht vollständig verwirklicht. Auch sexuell motivierte Gewalt und sexistische Diskriminierung sind nach wie vor präsent und fordern Opfer. Im Rahmen der Bemühungen um den Abbau von Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen steht immer mehr der Sprachgebrauch im Fokus. Die Sprache wird als Komplizin in der Ungleichbehandlung und Unterdrückung ausgemacht, so wie sie auch angeprangert wird, dem Rassismus Vorschub zu leisten. Zur Herstellung der Gerechtigkeit und zur Vermeidung von Diskriminierung wird deshalb verlangt, der Nennung von Personen besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

So empfiehlt der Duden als schriftliche Form: Kolleg(inn)en, Schüler/-innen zur Vermeidung von Doppelnennungen. Hingegen sind Formen wie Sänger*innen (Genderstern), LeserInnen (wortinterne Grossschreibung), Lehrer_innen oder Lehrer:innen (Unterstrich; Doppelpunkt) noch nicht «amtlich abgedeckt», obwohl sie inzwischen extensiv angewendet werden. Ebenso wenig akzeptiert sind die Vereinfachung Ärzt/-innen, Beamt*innen, da hier die maskuline Form falsch wiedergegeben wird, stattdessen müssen Doppelnennungen erfolgen: Ärzte und Ärztinnen, Beamte und Beamtinnen. Dudenkonform sind im Übrigen geschlechtsneutrale Ausdrücke (Lehrperson, Verwaltungsmitglied) oder substantivierte Partizipien und Adjektive (Kranke, Studierende, Verwitwete).1

Statt Fussgängern heisst es die Zufussgehenden, statt Autofahrern die Autofahrenden, statt Verkehrsteilnehmern die Verkehrsteilnehmenden, statt Gästen die Eingeladenen, bzw. die Gasthaus-Besuchenden, statt Migranten Menschen mit Migrationshintergrund, statt Opfer Gewaltbetroffene, statt Schweizern Menschen mit schweizerischer Nationalität, etc.

Statt Fussgängern heisst es die Zufussgehenden.

In der medialen Öffentlichkeit überbieten sich die Leute mit gendergerechten Personennennungen. Im Kulturbereich trifft man auf Tanzschaffende, Kunstschaffende, Liedschaffende, Theaterschaffende, etc. In der Schule unterrichtet das Lehrpersonal Lernende, das Kollegium trifft sich im Lehrkräftezimmer, im Laden bedient das Verkaufspersonal die Kundschaft. Statt Fussgängern heisst es die Zufussgehenden, statt Autofahrern die Autofahrenden, statt Verkehrsteilnehmern die Verkehrsteilnehmenden, statt Gästen die Eingeladenen, bzw. die Gasthaus-Besuchenden, statt Migranten Menschen mit Migrationshintergrund, statt Opfer Gewaltbetroffene, statt Schweizern Menschen mit schweizerischer Nationalität, etc.

Mitgliederinnen?

Mit Verlaub: Das klingt alles entweder hochtrabend oder gesucht und schwerfällig. Hyperkorrektes Gendern zeigt sich, wenn Doppelnennungen wie Mitglieder und *Mitgliederinnen erfunden werden, weil das neutrale Wort wegen der -er-Endung als männlich interpretiert wird, oder wenn Menschen mit *Menschinnen ergänzt wird, obwohl das männliche Genus von Mensch rein grammatikalisch ist und selbstverständlich alle Geschlechter des Homo sapiens umfasst. So wie es weibliche Wörter gibt, die auch das männliche und alle weiteren Geschlechter abdecken, wie z.B. Person. Niemand hat bisher gefordert, die Form *Personer zu bilden, damit das männliche Geschlecht nicht vernachlässigt wird: die Personen und die *Personer.

Anstatt mehr Menschen sprachlich einzuschliessen, wird die Ausdrucksweise entpersönlicht, versachlicht, entmenschlicht.

Gendergerechte Sprache hat die Tendenz, sich zur Manie und zur Pedanterie zu entwickeln. Zur Umgehung des Maskulinum wird mit Sachbezeichnungen, Substantivierungen von Partizipien und Adjektiven und Umschreibungen operiert. Der Effekt ist tatsächlich das Gegenteil des Erwünschten: Anstatt mehr Menschen sprachlich einzuschliessen, wird die Ausdrucksweise entpersönlicht, versachlicht, entmenschlicht. Menschen werden auf eine Abstraktionsstufe gehoben, auf der das eigentlich Personenbezogene verloren geht. Damit verliert die Sprache an Direktheit und Lebendigkeit. Sie bekommt einen Anstrich von dürrem Amts- und Juristendeutsch. Ein Horror für Sprachaffine.

Grundsätzlich stellen sich zwei Fragen:

  1. Trifft es zu, dass generische Formen wie die Bauern, die Kunden, die Leser das weibliche und alle andern Geschlechter durch Nichtnennung ausschliessen, sei es aus purer Gedankenlosigkeit oder zur Zementierung der männlichen Vorherrschaft?
  2. Wird die gendergerechte Sprachregelung das Bewusstsein der Menschen im Hinblick auf mehr Gerechtigkeit verändern und sich auf das gesellschaftliche Postulat der Gleichstellung und Diskriminierungsvermeidung gewinnbringend auswirken?

Whorf postulierte, dass die sprachlichen Begriffe das geistige Erfassen der Welt prägten, aber auch limitierten3.

  1. Die generischen Formen

Die Kritik an Pluralformen wie Gäste, Kunden, Leser, Anwälte, Franzosen, Arbeiter, Wirte fusst auf der jahrhundertealten Diskussion um das Verhältnis von Sprache und Denken. Schon Platon sah das Denken als inneren Monolog2. Whorf postulierte, dass die sprachlichen Begriffe das geistige Erfassen der Welt prägten, aber auch limitierten3.

Daraus folgern Gendereifrige nun, dass Pluralformen, die sprachlich mit der männlichen Endung zusammengefallen sind wie die oben genannten, automatisch ans männliche Geschlecht gebunden seien und damit die andern Geschlechter übergangen würden. Frauen fehlten im Bewusstsein, wenn sie nicht immer explizit genannt würden.

Zum Beweis werden Befragungen angeführt, bei denen Probanden z.B. aufgefordert wurden, Namen von Schauspielern zu nennen, worauf die Testpersonen nur Männer nannten. Allerdings sind diese Befunde fragwürdig, denn die Aufforderung war schon geschlechtsspezifisch suggestiv formuliert, wenn nach Namen von Schauspielern gefragt wurde4.

Beschränkte Auswirkung auf das Bewusstsein.

Tatsächlich neige ich zur Ansicht, dass die Pluralform Kunden, Leser, etc. einen beschränkteren Einfluss auf das Bewusstsein haben, als angenommen wird. Wenn Menschen nicht direkt angesprochen werden (Liebe Leserinnen und Leser), sondern über sie referiert wird, dürften die Leute in erster Linie an die Funktion, die Tätigkeit der Genannten denken und nicht an das Geschlecht: Viele Kunden haben sich beschwert… (Leute, die einkauften), einige Leser haben geantwortet… (Leute, die den Text gelesen haben).

Bei einem Grossverteiler ertönt alle zehn Minuten die Durchsage von der Maskenpflicht: «Einigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie einigen Kunden ist es aus medizinischen Gründen nicht möglich, eine Maske zu tragen…» Obwohl die Durchsage offensichtlich auf Genderachtsamkeit ausgerichtet ist, wird bei Kunden nur das männliche Geschlecht genannt, was jedoch offenbar zu keinen Protesten oder Widerstandsaktionen von Kundinnen geführt hat. Alle scheinen zu begreifen, dass mit Kunden alle Einkaufenden gemeint sind, Frauen, Männer und alle LGBTQ.

Vorstellungen zum Geschlecht dürften viel stärker, unabhängig von der sprachlichen Form, von der gesellschaftlichen Realität geprägt sein.

Weit und breit keine Frau

Vorstellungen zum Geschlecht dürften viel stärker, unabhängig von der sprachlichen Form, von der gesellschaftlichen Realität geprägt sein: Vor meinem Fenster liegt ein riesiger Bauplatz mit etwa 30 oder 40 Beschäftigten: Maurer, Schreiner, Eisenleger, Kranführer, Spengler, Elektriker. Weit und breit ist keine einzige Frau zu sehen. Das Wissen, dass diese Berufe immer noch vorwiegend von Männern ausgeübt werden, prägt unsere Vorstellung stärker als die maskuline Sprachform. Genderkorrektes Formulieren würde verlangen, Maurer*innen, Eisenleger:innen, Kranführer/-innen, Spengler(innen), SchreinerInnen, Elektriker*innen zu schreiben, was angesichts der Realität schon fast zynisch wäre, es sei denn, einige der Fachleute fühlten sich als Trans-/Bi-/Homo-/Pädo-/ oder sonst irgendwie Anderssexuelle und möchten explizit als solche mitbedacht werden.

Sprache als Vehikel

Die Digitalisierung operiert inzwischen mit einem andern Verständnis von Sprache und Denken. Menschen sollen sich das «Computational Thinking» zu eigen machen, das Denkprozesse in logische Fraktale zerlegt, die wiederum in Befehle an Computer und Roboter umgemünzt werden können. So bestimmen nicht mehr die sprachlichen Konnotationen das Denken. Die Logik und die Ideologie der Informatiker-/innen fliessen in die algorithmischen Formeln ein. Die Sprache wird zu deren Vehikel degradiert. Um Diskriminierungen zu vermeiden, würde ein Genderautomatismus dafür sorgen, dass stets alle Geschlechter berücksichtigt würden.

Genau das scheint mit der gendergerechten Sprache Wirklichkeit zu werden. Wir werden getrimmt auf einen Automatismus, die gendergerechten Nennungen konsequent einzuhalten: hundertprozentig korrekt, gerecht, aber seelenlos öde, jedenfalls unpersönlicher als mit den generischen Formen. Das Bewusstsein, das Denken, das Bauchgefühl wird von der Sprache abgespalten. Die Sprache spult ihre Mechanismen ab, während das Denken eigene Wege geht.

Die einfachste und sprachlich eleganteste Lösung wäre wohl, einem Text die Bemerkung voranzuschicken: «Die Pluralformen schliessen im folgenden Text alle Geschlechter, sexuellen Orientierungen, kurz alle Hominidinnen und Hominiden dieser Welt mit ein, wenn nicht ausdrücklich das Geschlecht betont werden soll.»

  1. Die Funktion der gendergerechten Sprache

Die Radikalität, mit der gendergerechte Sprache durchgesetzt werden soll, irritiert. Manche mögen sich fragen, ob sich die Menschen keine dringenderen Probleme in der Gleichstellung vorstellen können als die Einhaltung der Sprachregelungen und ob damit wirklich etwas erreicht werden kann.

Der «Bildersturm» gegen sprachliche Formen ist jedoch seinerseits eine Art der eifernden Ausgrenzung.

2.1 Stigmatisierung

Die sprachliche Genderbewegung umgibt sich mit einem penetrant moralischen Anspruch, die besseren Menschen zu sein. Leute, die keine gegenderten Formen verwenden, werden selbstgerecht als Verfechter männlicher Dominanz, Bewahrer ungerechter Machtverhältnisse und Anhänger diskriminierender Vorurteile gebrandmarkt und ständig besserwisserisch belehrt. Der «Bildersturm» gegen sprachliche Formen ist jedoch seinerseits eine Art der eifernden Ausgrenzung und der Verurteilung, indem sprachliche Formen mit ideologischer Gesinnung gleichgesetzt werden, obwohl die Personennennungen zunächst rein traditioneller Sprachökonomie entsprechen. Die negativen Konnotationen werden in die Sprache hineininterpretiert, das Weltbild an der Sprache festgemacht und von vorneherein unterstellt. Das kann zwar so sein, muss aber nicht.

2.2  Kathartische Funktion.

Gleichzeitig dient die Genderpedanterie dazu, sich selbst vom Verdacht der Geschlechterdiskriminierung reinzuwaschen. Die sprachliche Gendermode ist zunächst rein äusserlich. Sie ist noch kein Beweis dafür, dass Denken und Einstellung tatsächlich genderneutral und frei von Vorurteilen sind. Es ist eine reine Zurschaustellung politischer Korrektheit, um in der Gesellschaft der «Gendergerechten» nicht anzuecken. Mit den Wölfen heulen, heisst die Devise. Erstaunlich, wie viele Leute sich ein schlechtes Gewissen einreden lassen und geflissentlich mit-gendern.

Die Übel verschwinden nicht durch Umgestaltung der Sprache, sondern durch Änderung der Überzeugung.

2.3 Revolution durch Sprache.

Mit sprachlichem Gendern soll das Denken derart revolutioniert werden, dass Gendergerechtigkeit und Verstösse dagegen ständig im Bewusstsein präsent sind, in der Hoffnung, die gesellschaftliche Realität würde nachziehen, alle Übel könnten durch Sprachregelungen aus der Welt geschafft werden.

Leider haben sprachliche Eingriffe und Umbenennungen noch nie das Denken und die Realität verändert. Nach wie vor gibt es Rassisten, Antisemiten, anzügliche Witze über Frauen, Anmache, Diskriminierung von Homosexuellen, etc., obwohl entsprechende Äusserungen schon längst tabuisiert sind. Die Übel verschwinden nicht durch Umgestaltung der Sprache, sondern durch Änderung der Überzeugung. Denken und Handeln werden nicht automatisch durch den Sprachgebrauch in die gewünschte Bahn getriggert.

Reiner Formalismus

2.4 Elitärer Akademismus

Während in der Öffentlichkeit Anstrengungen unternommen werden, Sprache zu vereinfachen, damit auch Nicht-Intellektuelle wichtige Texte verstehen können, postuliert die gendergerechte Sprache langatmige Doppelungen, zungenbrecherische Partizipialformen und hoch abstrakte Kollektivausdrücke. Dadurch erhält sie den Geruch des Elitären, vornehmlich benützt in politischen, amtlichen, studentischen und journalistischen Kreisen. Sprachlich weniger Versierte bleiben auf der Strecke und verlieren sich im Gestrüpp des redundanten Genderblabas.

Es geht im Gleichstellungsdiskurs nicht mehr hauptsächlich um brisante Inhalte, politische Anliegen, ums Aufdecken von Missständen, sondern um die formale Frage der gendergerechten Formulierungen.

2.5 Formalismus, ein Ablenkungsmanöver

Das Auffälligste: Es geht im Gleichstellungsdiskurs nicht mehr hauptsächlich um brisante Inhalte, politische Anliegen, ums Aufdecken von Missständen, sondern um die formale Frage der gendergerechten Formulierungen. Das Ringen um korrekte Personennennungen überdeckt die wirklich wichtigen Fragen. Während bis vor Kurzem Fragen wie Lohngleichheit, Rollenverständnis, Frauenquoten in Gremien die Diskussion dominierten, verlagert sich das Interesse auf die gendergerechte Sprache. Artikel, Radiosendungen, Leitfäden für Journalisten, Linguistikseminare widmen sich dem Thema. Was aber ist der Gewinn für die Gleichstellung? Schon Faust wusste es, wenn er in Marthens Garten sagt: «Der Name ist Schall und Rauch.»

 

1 Duden, Die deutsche Rechtschreibung, 28. Auflage, Berlin 2020, S. 112f.

2 «Also Gedanken und [E] Rede sind dasselbe, nur dass das innere Gespräch der Seele mit sich selbst, was ohne Stimme vor sich geht, von uns ist ‘Gedanke’ genannt worden.»

Platon Sophistes 263E, http://www.opera-platonis.de/Sophistes.pdf

3 Benjamin Lee Whorf Language, Thought, and Reality, second edition MIT Press, 2012

4 «Tests dieser Art sagen nichts aus über eine generell mit dem generischen Maskulinum assoziierte mentale Sexus-Zuweisung», in: Gisela Zifonun: Die demokratische Pflicht und das Sprachsystem: Erneute Diskussion um einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch. In: Sprachreport. Jahrgang 34, Nr. 34, 2018, S. 44–56 (PDF: 1,1 MB, 13 Seiten auf bsz-bw.de).

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