23. November 2024

Frontalunterricht – Paradebeispiel eines gezielt abwertenden Begriffs

Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz stört sich nicht zum ersten Mal daran, dass man eine bewährte Unterrichtsmethode begrifflich diffamiert und deswegen die vielen Facetten, die sie bietet, gar nicht wahrnimmt.

Hanspeter Amstutz: Begriff aus dem Militärjargon.
Bild: Fabü

Peter Aebersolds Kommentar zu den begrifflichen Verschleierungskünsten bei den Schulreformen kann ich voll zustimmen. Was wurde mit einigen Fachausdrücken in der Pädagogik nicht alles für Unfug angestellt! Das traurigste Beispiel aus dieser Reihe ist der ziemlich bösartige Begriff „Frontalunterricht“. Prallen in unseren Vorstellungen dabei nicht Gegensätze aufeinander, ähnlich wie schleudernde Autos bei einem frontalen Zusammenstoss? Vielleicht wird ein geschichtlich interessierter Mensch diese Unterrichtsform unbewusst gar mit dem Grabenkrieg in Verbindung bringen. Standen sich einst feindliche Soldaten in Schützengräben gegenüber, so ist es jetzt ein befehlender Lehrer, der Front gegen seine Schüler macht.

 Es steckt mehr drin

Anstatt “Frontalunterricht” eher den Begriff “direkte Instruktion” verwenden.

Nur weil ein Lehrer beim gemeinsamen Klassenunterricht in der Regel vor der Klasse steht, lässt sich daraus kaum viel über die Art des Unterrichts aussagen. Im arg verteufelten Frontalunterricht steckt vielmehr alles drin, was guten Unterricht ausmacht: Lernen durch gut verständliche direkte Instruktion, Gespräche über gemeinsam erworbene spannende Inhalte, Erlebnis des gemeinsamen Übens, Ermutigung durch eine Zuversicht ausstrahlende Lehrperson, abwechslungsreiche und verlässliche Führung durch neue Stoffbereiche, humorvolle und nicht planbare Überraschungsmomente mit positiver Wirkung.

Sehr effizient

Allein die unvollständige Aufzählung der Möglichkeiten des gemeinsamen Klassenunterrichts zeigt, dass diese Unterrichtsform für jede Lehrperson eine eigentliche didaktische Herausforderung ist. Auch ohne Hattie zu zitieren, darf man feststellen, dass diese Art des Unterrichtens zu Recht die Lektionsgestaltung prägt und sehr effizient ist. Und wie wir in der Corona-Krise sehen, vermissen die allermeisten Kinder die Geborgenheit einer gemeinsam lernenden Klassengemeinschaft. Doch was wird aus dieser lebendigen Lerngemeinschaft gemacht?

Auch ohne Hattie zu zitieren, darf man feststellen, dass diese Art des Unterrichtens zu Recht die Lektionsgestaltung prägt und sehr effizient ist.

Politiker, die wenig vom Innenleben der Schule verstehen, greifen die Kritik am Frontalunterricht bei jeder Gelegenheit auf, um als Kenner moderner Didaktik zu gelten. Sie haben es dabei einfach, auf der Seite der vorherrschenden Meinung zu stehen, da individualisierendes und digitales Lernen in der Öffentlichkeit weit mehr Interesse findet als die Kunst des gemeinsamen Unterrichtens. Dazu kommt, dass sich ein Teil der Fachdidaktiker lieber mit neuen didaktischen Experimenten profilieren will als mit den anspruchsvollen Grundlagen des soliden Lernens. So kommt es, dass ein abwertend verwendeter Begriff grossen Beifall findet und erheblichen Schaden anrichtet.

 

Was bleibt zu tun? In erster Linie braucht es Lehrerinnen und Lehrer, welche sich in der Kunst des gemeinsamen Klassenunterrichts zuhause fühlen. Statt verschämt einzugestehen, dass der “Frontalunterricht” in der Volksschule rein zeitmässig den grössten Teil des Unterrichts ausmacht, sollen sie zeigen, was diese Art der Kompetenzvermittlung für grossartige Möglichkeiten bietet. Für Kinder sind lebendige Beziehungen, wie sie auf unkomplizierte Weise am besten ein attraktiver Klassenunterricht bietet, absolut zentral. Es gilt, ein didaktisches Zerrbild als Folge eines verfehlten Begriffs wegzuwischen und durch eine verständliche und mutigere Kommunikation über die gelebte Wirklichkeit an unseren Schulen zu ersetzen.

 

 

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Dieser Beitrag ist zuerst in der NZZ erschienen: https://www.nzz.ch/meinung/lehrer-in-der-schweiz-wie-der-beruf-wieder-attraktiver-wird-ld.1700669

3 Kommentare

  1. Laut Wikipedia stammt der Begriff vom Alt-Nazi und Schulrefomer Peter Petersen. Wiechmann (2000) hat den Ursprung des Worts “Frontalunterricht” auf einen Aufsatztitel von Petersen und Petersen (1954) zurückverfolgen können.

    Seit den 1960ern wurde der Ausdruck wie selbstverständlich benutzt, zumeist in abwertender Absicht, um die zu bevorzugende Gruppenarbeit und andere „offene“ Unterrichtsformen davon abzuheben. Petersen ist inzwischen in Ungnade gefallen. Die nach ihm benannten Schulen, Plätze und Strassen wurden unbenannt.

    Quellen:
    * Jürgen Wiechmann: Frontalunterricht, in: Zwölf Unterrichtsmethoden, Beltz, 2000.
    * Peter Petersen und E. Petersen: Die Analyse des Frontalunterrichts mit Hilfe von erziehungswissenschaftlicher Aufnahme und Tatsachenliste, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena 3, 1954, S. 509–529.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Petersen_(P%C3%A4dagoge)
    https://de.wikipedia.org/wiki/Klassenunterricht

  2. Die Ausführungen von Hanspeter Amstutz sprechen mir aus dem Herzen. Gerne ergänze ich, dass die Kinder im Klassenunterricht voneinander profitieren, etwa, wenn Fragen gestellt werden können. Es gibt immer Kinder, die sind scheu. Wenn andere dann fragen, wird vielleicht eigenes Unverständnis geklärt oder weitere Aspekte erweitern das Wissen und Verstehen. Es kann auch sein, dass Schüler durch andere ermutigt werden, sich selbst zu melden. Das Miteinander kann im Frontalunterricht ebenso wie bei Gruppenarbeiten durch die gemeinsamen Erlebnisse gestärkt und der soziale Umgang gefördert werden. Selbst liebte ich als Schülerin diesen Unterricht ganz im Gegensatz zu Gruppenarbeiten und Selbststudium. Das gab es nämlich auch schon vor über 40 Jahren!

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