Hanspeter Amstutz - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Wed, 26 Apr 2023 08:05:57 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Hanspeter Amstutz - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Baselland als Pionierkanton beim Geschichtsunterricht https://condorcet.ch/2023/04/baselland-als-pionierkanton-beim-geschichtsunterricht/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=baselland-als-pionierkanton-beim-geschichtsunterricht https://condorcet.ch/2023/04/baselland-als-pionierkanton-beim-geschichtsunterricht/#respond Wed, 26 Apr 2023 08:05:57 +0000 https://condorcet.ch/?p=13722

Dem Schulfach Geschichte fehlt schweizweit ein überzeugendes Profil. Verpackt im Sammelfach RZG und ohne verbindlichen inhaltlichen Aufbau, gilt Geschichte an vielen Schulen als unattraktiv. Wie der Geschichtsunterricht sein verstaubtes Image abschütteln und das Interesse für politische Fragen wecken kann, steht im Zentrum des nachfolgenden Gastbeitrags von Hanspeter Amstutz.

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Landauf, landab wird gegenwärtig auf das grossartige Schweizer Verfassungswerk von 1848 hingewiesen. Während damals in allen umliegenden Ländern die Versuche scheiterten, mit demokratischen Strukturen ein neues politisches Zeitalter einzuleiten, hat unser kleines Land diese Revolution ohne grosses Blutvergiessen vollzogen. Die neue Verfassung war die solide Basis für weitere bedeutende Schritte zu einem modernen Rechtsstaat, wie wir ihn heute kennen.

Gastautor Hanspeter Amstutz

Dieser Weg war oft steinig und führte auch an Abgründen vorbei. Einige Meilensteine wie der aufwühlende Generalstreik von 1918, die militärische Krise von 1940 oder die überfällige Einführung des Frauenstimmrechts im Jahr 1971 markieren den Werdegang unseres Landes. Eigentlich könnten wir trotz kritischer Einwände durchaus ein wenig stolz sein über diese Entwicklung.

Doch leider ist es bei unseren Volksschulabgängern mit dem Basiswissen über die modernere Schweizer Geschichte nicht weit her. Mit anderthalb Wochenstunden Geschichte, die in Basel-Stadt noch mit Medienkunde und Informatik geteilt werden müssen, lassen sich kaum vertiefte Einblicke in wesentliche Epochen unserer Geschichte vermitteln. Das Fach fristet im Stadtkanton und den meisten andern Deutschschweizer Kantonen nur noch ein Mauerblümchendasein. Die aktuelle Didaktik sucht zwar Auswege aus der Zeitnot, indem über selbständiges Erarbeiten einzelner geschichtlicher Themen der Unterricht organisiert wird.

Das Fach fristet im Stadtkanton und den meisten andern Deutschschweizer Kantonen nur noch ein Mauerblümchendasein.

Doch das Verständnis für das Werden unseres Staates wächst kaum, wenn auf einen geschichtlichen Aufbau verzichtet werden muss. Zudem ist es ein schwieriges Unterfangen, Jugendliche anhand von historischen Dokumenten im Selbststudium zu begeistern. Nur allzu oft hört man von Teenagern die Klage, Geschichte sei ein langweiliges Fach.

Mit mehreren Initiativen das Sammelfach RZG verhindert

Besser machen es da die Baselbieter. Die Starke Schule beider Basel (SSbB) hat sich mit mehreren Volksinitiativen tüchtig ins Zeug gelegt, um für das Fach Geschichte die guten Rahmenbedingungen zu erhalten. Das eigenständige Fach hat mit zwei Wochenstunden einen festen Platz in der Stundentafel und wird auch in der Baselbieter Bildungspolitik als jugendgerechte staatspolitische Grundlage gesehen. Durch ein erfüllbares Bildungsprogramm in Form eines viel beachteten Mini-Lehrplans wurde das Fach Geschichte klar aufgewertet. Die Idee einer verdichteten Gesamtschau der Entstehung der modernen Schweiz im unruhigen europäischen Umfeld gehört in den Baselbieter Sekundarschulen wieder zu den verbindlichen Bildungsinhalten.

Es ist ein schwieriges Unterfangen, Jugendliche anhand von historischen Dokumenten im Selbststudium zu begeistern.

Der jetzige Zustand beim Sammelfach RZG (Räume Zeiten Gesellschaften) in Basel-Stadt und den meisten anderen Kantonen ist völlig unbefriedigend. Der mit Kompetenzzielen völlig überladene Lehrplan ist keine Orientierungshilfe für einen auf grundlegende Bildungsinhalte ausgerichteten Geschichtsunterricht. Die wenigsten Bildungspolitiker sind sich bewusst, dass die Lehrplantheorie und die Schulrealität im Fach Geschichte bedenklich weit auseinanderklaffen. Da man sich bei den Bildungsstäben bisher auch nicht mit einer Evaluation des geschichtlichen Basiswissens befasst hat, sind illusionäre Vorstellungen über den täglichen Geschichtsunterricht die Regel. Die offenkundige Tatsache, dass ein Grossteil unserer Jugend am Ende der Volksschulzeit über die Entwicklung unserer modernen Demokratie nicht im Bild ist, hätte dennoch die Bildungspolitik längst aufschrecken müssen.

Wenn politisch bedeutende Themen ausgewählt werden, lassen sich Kinder und Jugendliche von lebendiger, auf Fakten basierender Erzählkunst begeistern.

Schweizer Geschichte im Umfeld des europäischen Donnerrollens kann unerhört spannend sein. Doch es gilt, das Fach vom verstaubten Image des irrelevanten Rückblicks auf längst vergangene Tage und vom Ausfüllen unzähliger Arbeitsblätter in ereignislosen Unterrichtsstunden zu befreien. Das Fach Geschichte braucht in der Schulrealität vielerorts erst einmal ein neues Profil. Wenn politisch bedeutende Themen ausgewählt werden, lassen sich Kinder und Jugendliche von lebendiger, auf Fakten basierender Erzählkunst begeistern. Sie wollen das geschichtliche Geschehen in geschilderten Bildern und dramatischen Verstrickungen erleben. Dabei geht es um Einblicke in das Schicksal von Völkern wie auch des einzelnen Menschen.

Lebendiger Geschichtsunterricht fördert das Interesse in allen Schulklassen 

So bietet beispielsweise die Zeit kurz vor und während des Zweiten Weltkriegs äusserst attraktiven Stoff, um die Situation eines Kleinstaats im Ring feindlicher Grossmächte schildern zu können. Die nicht immer gelungene Abgrenzung gegenüber dem Nazitum, der Wille unserer Bevölkerung zum Überleben und die gewagte Reduit-Strategie stossen bei Jugendlichen auf grosses Interesse.

Richtig vermittelt, bietet lebendiger Geschichtsunterricht Diskussionsstoff für alle Schulklassen in Hülle und Fülle.

Kritische Fragen zur restriktiven Flüchtlingspolitik oder zu unserer wirtschaftlichen Abhängigkeit von den Achsenmächten sind dabei ebenso anzusprechen wie die täglichen Sonderleistungen der Frauen während der Kriegsjahre. Richtig vermittelt, bietet lebendiger Geschichtsunterricht Diskussionsstoff für alle Schulklassen in Hülle und Fülle.

Zwei politische Vorstösse in Zürich fordern eine Stärkung des Geschichtsunterrichtes 

Baselland hat mit dem Verzicht der Einführung des Sammelfachs RZG, welche den Geschichtsunterricht abgewertet hätte, ein klares Zeichen gesetzt. Man hat die kulturelle Bedeutung des Fachs in Erinnerung gerufen und klar verbesserte Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Geschichtsunterricht festgelegt. In Zürich scheint man unterdessen auf die Baselbieter aufmerksam geworden zu sein, denn gleich zwei politische Vorstösse verlangen eine Besserstellung des Fachs Geschichte im Rahmen des Lehrplans. Vielleicht reagieren die Baselstädter ja noch schneller, indem sie entschlossen die richtigen Lehren aus den gemachten Fehlern ziehen.

Hanspeter Amstutz

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Beim Fach Geschichte muss die Lehrerschaft das Heft selbst in die Hand nehmen https://condorcet.ch/2023/01/beim-fach-geschichte-muss-die-lehrerschaft-das-heft-selbst-in-die-hand-nehmen/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=beim-fach-geschichte-muss-die-lehrerschaft-das-heft-selbst-in-die-hand-nehmen https://condorcet.ch/2023/01/beim-fach-geschichte-muss-die-lehrerschaft-das-heft-selbst-in-die-hand-nehmen/#comments Sun, 15 Jan 2023 09:47:38 +0000 https://condorcet.ch/?p=12860

Nun schaltet sich auch unser Geschichtsdoyen Hanspeter Amstutz in den Diskurs zum Geschichtsunterricht ein. Er kann beiden Stellungnahmen ("Replik auf Geschichtsmosaik im 3D-Format – Sind solche Grossprojekte sinnvoll und ergiebig?" und "Aus der Praxis: Geschichtsmosaik im 3D-Format") etwas abgewinnen.

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Hanspeter Amstutz:
Man verdrängt ohne Wimperzucken die Tatsache, dass ein Grossteil unserer Jugend am Ende der Volksschulzeit über die Entwicklung unserer modernen Demokratie und wesentliche historische Ereignisse nicht im Bild ist.

Über die beiden Beiträge von Felix Schmutz und Alain Pichard zum Themenkreis Geschichte habe ich mich sehr gefreut. In den beiden Texten geht es dabei um zwei erfolgversprechende Zugänge zu der in der Volksschule meist arg vernachlässigten Schweizer Geschichte.

Die engagierte Lehrerschaft im Bieler Oberstufenzentrum (Eine Projektwoche zur Schweizer Geschichte) deckt mit ihrem Projekt auf, dass geschichtliche Themen auf gestalterische Weise attraktiv aufgearbeitet werden können. Es ist ein origineller Versuch, im Verdrängungswettbewerb der vielen Bildungsprogramme historisches Geschehen hervorzuholen und in Szene zu setzen. Die offensichtlich gelungene Umsetzung lässt aufhorchen in einer Zeit, wo das Fach Geschichte an vielen Schulen auf dem Abstellgleis steht. Sicher dürfen von einer breit gefächerten Projektwoche keine Wunder beim Zuwachs historischer Kenntnisse erwartet werden. Aber die Initiative des Bieler Schulteams ist ein wunderbarer Anknüpfungspunkt für einen Aufbruch zu einem besseren Geschichtsunterricht.

Mit der Reduktion auf anderthalb Wochenlektionen Geschichte ist das Fach stark abgewertet worden.

Felix Schmutz stellt in seinem Beitrag zu Recht die Frage nach dem Aufbau des geschichtlichen Basiswissens in der Schweizer Geschichte. Erhalten unsere Schülerinnen und Schüler überhaupt noch Einblicke in wesentliche Epochen unserer Geschichte? Werden durch faktenorientierte Erzählungen emotionale Bilder über historische Ereignisse vermittelt und gelingt es, bei den Jugendlichen geschichtliches Denken anzuregen? Mit der Reduktion auf anderthalb Wochenlektionen Geschichte ist das Fach stark abgewertet worden. Die aktuelle Didaktik sucht Auswege über fächerübergreifendes exemplarisches Lernen. Doch damit wird auf die Idee einer verdichteten Gesamtschau der Entstehung der modernen Schweiz verzichtet. Für den Weg durch den Dschungel des geschichtlichen Geschehens braucht es dringend gut ausgebildete Lehrpersonen, welche mit dem Blick fürs Wesentliche und die interessanten Details den Unterricht gestalten. Wie übereinstimmende Erfahrungen zeigen, lohnt sich das Wagnis eines narrativ geprägten Unterrichts, denn spannend vermittelte Geschichte im Rahmen eines strukturierten Aufbaus spricht die allermeisten Jugendlichen an.

Die Lehrerschaft muss die kulturelle Bedeutung des Fachs in Erinnerung rufen und klar verbesserte Rahmenbedingungen für einen Geschichtsunterricht mit verbindlichen Bildungszielen fordern.

Der jetzige Zustand beim bunten Sammelfach RZG ist völlig unbefriedigend. Der mit Kompetenzzielen völlig überladene Lehrplan ist keine Orientierungshilfe für einen auf Bildungsinhalte ausgerichteten Geschichtsunterricht. Die Lehrplanverantwortlichen scheint das wenig zu kümmern, da im Bereich Geschichte von der Politik her ganz im Gegensatz zu den Fremdsprachen keine grossen Erwartungen mit der Volksschule verknüpft sind. Man verdrängt ohne Wimperzucken die Tatsache, dass ein Grossteil unserer Jugend am Ende der Volksschulzeit über die Entwicklung unserer modernen Demokratie und wesentliche historische Ereignisse nicht im Bild ist.

Will man den Geschichtsunterricht aufwerten, muss die Lehrerschaft das Heft selbst in die Hand nehmen. Sie muss die kulturelle Bedeutung des Fachs in Erinnerung rufen und klar verbesserte Rahmenbedingungen für einen Geschichtsunterricht mit verbindlichen Bildungszielen fordern. Die Schule in Biel hat mit ihrem Projekt einen ersten ermutigenden Schritt dazu getan.

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Ernüchternde Erfolgsbilanz des frühen Fremdsprachenunterrichts https://condorcet.ch/2022/10/ernuechternde-erfolgsbilanz-des-fruehen-fremdsprachenunterrichts/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=ernuechternde-erfolgsbilanz-des-fruehen-fremdsprachenunterrichts https://condorcet.ch/2022/10/ernuechternde-erfolgsbilanz-des-fruehen-fremdsprachenunterrichts/#comments Thu, 20 Oct 2022 11:02:02 +0000 https://condorcet.ch/?p=12033

Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz hat auf den Leserbief von Frau Le Pape Racine in der Zeitschrift Biel-Bienne reagiert. Er sieht eine Frau, die in einer anderen Welt zu leben scheint.

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Hanspeter Amstutz:
Frau Le Pape nimmt die Fakten nicht zur Kenntnis.

Die Replik von Christine Le Pape Racine zu Alain Pichards schonungsloser Bilanz des frühen Französischunterrichts schiesst weit übers Ziel hinaus. Man kann über die plakative Wortwahl des Autors geteilter Meinung sein, doch inhaltlich hat sein Text sehr viel Substanz.

Die Fehler, die in der Zeit der Experimentierphase des Deutschschweizer Mehrsprachenkonzepts gemacht wurden, waren haarsträubend. Bei der Einführung wurde behauptet, mit der neuen Methode des Sprachbades könnten fast alle Schüler am Ende der Primarschulzeit bereits munter Französisch parlieren und mit dem Frühenglisch würde ein grosser Lernvorsprung erzielt.

Die meisten Lehrerinnen und Lehrer hingegen konnten der Vorstellung eines künstlich arrangierten Sprachbads im Französisch und Englisch wenig abgewinnen. Für sie war klar, dass ein Zwei-Lektionen-Unterricht im Klassenzimmer wenig mit natürlichem Sprachenlernen in einer fremdsprachigen Umgebung zu tun hat. Die Spannungen nahmen zu, als vonseiten der Lehrerschaft die entscheidende Frage nach Aufwand und Ertrag beim frühen Sprachenlernen gestellt wurde. Und diese Bilanz fiel schon bald sehr ernüchternd aus. In einer gründlichen Untersuchung der Zentralschweizer EDK zeigte sich, dass die Französischkenntnisse am Ende der Primarschulzeit bedenklich schwach waren. Zwei Drittel der Schüler erreichten die Lernziele im tiefstem Anspruchsniveau A1 nicht und konnten kaum einen kurzen Satz bilden. Vier Jahre Frühfranzösisch hatten offensichtlich wenig Begeisterung für die schöne Sprache ausgelöst.

Die grosse Schwachstelle beim Fremdsprachenunterricht waren die immersiven Lehrmittel mit dem ungenügend strukturierten Sprachaufbau.

Christine Le Pape: Es braucht eine Generation!

Die grosse Schwachstelle beim Fremdsprachenunterricht waren die immersiven Lehrmittel mit dem ungenügend strukturierten Sprachaufbau. Die jüngste Umfrage im Baselbiet bestätigt, dass die meisten Lehrpersonen kein Vertrauen in die Französischlehrmittel und ins überladene Frühsprachenkonzept haben. Wenn durchschnittlich weit mehr als die Hälfte der Primarschüler in mindestens einer der beiden Fremdsprachen völlig überfordert ist, stimmt etwas grundsätzlich nicht. Hauptirrtum ist die Annahme, das parallele Lernen dreier Sprachen schaffe zeitsparende Synergien. Die Verzettelung der Bildungsziele hat vielmehr zu einem chronischen Mangel an Übungszeit bei der Festigung der Grundstrukturen im Deutsch und in den Fremdsprachen geführt. Aufsätze werden nicht mehr korrigiert, Fallformen zu wenig trainiert und die Konjugation der französischen Verben muss im Schnellverfahren erledigt werden.

Eine Schule, welche den Wunschbereich der frühen Fremdsprachenförderung fast ebenso stark gewichtet wie die Kernaufgaben in Deutsch und Mathematik, ist auf dem Holzweg. Die Euphorie beim frühen Sprachenlernen ist unterdessen längst verflogen. Es wäre keine Überraschung, wenn bei einem erneuten Volksentscheid das abenteuerliche Konzept der frühen Dreisprachigkeit beendet würde.

Hanspeter Amstutz

Ehemaliger Bildungsrat und Sekundarlehrer

Fehraltorf ZH

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Die abenteuerliche Geschichte des Dreisprachenkonzepts – ein klassisches Luftschloss https://condorcet.ch/2022/10/die-abenteuerliche-geschichte-des-dreisprachenkonzepts-ein-klassisches-luftschloss/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=die-abenteuerliche-geschichte-des-dreisprachenkonzepts-ein-klassisches-luftschloss https://condorcet.ch/2022/10/die-abenteuerliche-geschichte-des-dreisprachenkonzepts-ein-klassisches-luftschloss/#comments Fri, 07 Oct 2022 21:48:31 +0000 https://condorcet.ch/?p=11831

Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz erinnert uns in seinem Beitrag noch an die Entstehungsgeschichte des Frühfremdsprachendebakels. Erkenntnisreich an seinen Ausführungen: DieRolle der Pädagogischen Hochschulen.

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Hanspeter Amstutz

Die Harmos-Bildungsgeschichte kann noch um einen sehr realitätsnahen Treppenwitz erweitert werden. So wollte um die Jahrtausendwende der Zürcher Bildungsdirektor Ernst Buschor mit seinem Flair für den angloamerikanischen Zeitgeist das Primarschulfranzösisch durch immersiv vermitteltes Frühenglisch ersetzen. Die Proteste aus der Romandie hielten ihn aber nicht davon ab, das wichtige Englischprojekt umzusetzen. Vielmehr sollten im Kanton Zürich nun beide Fremdsprachen bereits in der Primarschule in gestaffelter Reihenfolge eingeführt werden.

Die Begeisterung fürs Englisch und die politische Konzession ans Französisch führten dazu, dass plötzlich die unsinnige Didaktik einer schulischen Dreisprachigkeit in der Mittelstufe salonfähig wurde. Seriöse Sprachwissenschafter warnten zwar vor einem Irrweg, doch die Pädagogischen Hochschulen versprachen mit spielerischen Methoden und sensationellen neuen Lehrmitteln einen garantierten Erfolg. Die Euphorie weckte die hohe Erwartung in der Bevölkerung, dass fast jedes Kind mit Leichtigkeit früh drei Sprachen lernen werde.

Man indoktrinierte unerfahrene Lehrpersonen mit höchst umstrittenen Lehrmethoden und lehnte einen klar strukturierten Sprachenunterricht ab.

Eine von den Zürcher Lehrerverbänden unterstützte Volksinitiative, welche eine einzige Fremdsprache an der Primarschule vorsah, hatte in dieser aufgeheizten Stimmung einen schweren Stand. Als Bundesrat Berset ankündigte, dass im Falle einer Annahme der Initiative das beliebte Englisch gestrichen werden müsste, war die Sache entschieden. Die Abstimmung wurde verloren und zementierte so die Dreisprachigkeit an der Zürcher Primarschule. Nachdem auch in anderen Kantonen ähnliche Volksinitiativen ohne Chancen waren, konnte die EDK ihr fragwürdiges Mehrsprachenkonzept fast widerstandslos durchsetzen.

Die Freude am Sprachenlernen hat bei vielen Kindern abgenommen.

Im Kanton Zürich war der Aufwand zur Entwicklung der Lehrmittel und für die Ausbildung der Primarlehrkräfte im Englisch gewaltig. Die Pädagogische Hochschule Zürich versuchte sich als ein führendes Zentrum für moderne Sprachendidaktik im europäischen Bildungswettbewerb zu positionieren. Man indoktrinierte unerfahrene Lehrpersonen mit höchst umstrittenen Lehrmethoden und lehnte einen klar strukturierten Sprachenunterricht ab. Das Schwergewicht in den Fachdidaktiken der Lehrerbildung verschob sich zum Englisch, welches auf Kosten anderer Bildungsbereiche sehr viel Ausbildungszeit verschlang. Die für die Deutschförderung so wichtigen Realienfächer zählten zu den Verlierern. Für den arg zusammengestrichenen Geschichtsunterricht fehlte ein überzeugendes Konzept und die unterdessen wieder aufgewerteten Naturwissenschaften führten ein Mauerblümchendasein.

Man redete sich heraus und liess die unangenehmen Studien in den tiefsten Schubladen verschwinden.

In der Schulpraxis zeigte das überladene Sprachenkonzept schon bald seine unerfreulichen Auswirkungen. Statt besserer kommunikativer Fähigkeiten machte sich Hektik und Oberflächlichkeit im Unterricht der Mittelstufe breit. Wie mehrere bekannte Studien aufdeckten, waren die Kenntnisse im Französisch bei den meisten Schülern am Ende der Primarschulzeit rudimentär und im Deutsch stellte man erhebliche Mängel bei den Grundlagen fest. Spätestens nach den ernüchternden Resultaten der offiziellen Zentralschweizer Studie zur Bilanz des frühen Französischunterrichts und dem Absturz eines Fünftels unserer Schulabgänger beim nationalen Vergleichstest im Deutsch hätten bei den Bildungsdirektionen die Alarmglocken läuten müssen. Doch die vielgerühmte Bildungssteuerung versagte kläglich. Man redete sich heraus und liess die unangenehmen Studien in den tiefsten Schubladen verschwinden.

Das überladene Sprachenkonzept ist uns in jeder Hinsicht teuer zu stehen gekommen. Der neue Lehrplan platzt aus allen Nähten, die Freude am Sprachenlernen hat bei vielen Kindern abgenommen, die aufsummierten Kosten für den frühen Fremdsprachenunterricht sind enorm und die angestrebte Harmonisierung der Bildung bleibt ein nicht eingelöstes Versprechen. Ein Weiterwursteln mit noch mehr finanziellen Mitteln hilft nicht weiter. Die Bildungspolitik muss jetzt endlich über die Bücher und den Mut aufbringen, das gescheiterte Dreisprachenkonzept der Primarschule zu ändern.

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Lehrermangel als Quittung für übersteigerte gesellschaftliche Erwartungen an die Volksschule https://condorcet.ch/2022/09/lehrermangel-als-quittung-fuer-uebersteigerte-gesellschaftliche-erwartungen-an-die-volksschule/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=lehrermangel-als-quittung-fuer-uebersteigerte-gesellschaftliche-erwartungen-an-die-volksschule https://condorcet.ch/2022/09/lehrermangel-als-quittung-fuer-uebersteigerte-gesellschaftliche-erwartungen-an-die-volksschule/#comments Sun, 18 Sep 2022 18:52:43 +0000 https://condorcet.ch/?p=11631

Auch unser Doyen, Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz, beschäftigt sich mit den tieferen Ursachen des Lehrkräftemangels. Er kommt zum Schluss, dass nicht nur die Demographie eine Rolle spielt, sondern die verfehlte Reformpolitik der vergangenen Jahre.

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Hanspeter Amstutz: In den vergangenen gut zwei Jahrzehnten sind die Erwartungen an die Volksschule stetig hochgeschraubt worden.

Man kann den aktuellen Lehrermangel mit den steigenden Schülerzahlen und der fehlenden Bereitschaft der jüngeren Lehrerschaft zu Vollzeitarbeit begründen. Doch das greift zu kurz. Die im Vordergrund stehenden Gründe verstellen den Blick auf die tieferen Ursachen des Lehrermangels. Dieser ist keine nur temporäre Personalknappheit, sondern Ausdruck einer nicht länger zu beschönigenden Krise der Volksschule.

In den vergangenen gut zwei Jahrzehnten sind die Erwartungen an die Volksschule stetig hochgeschraubt worden. Im Bewusstsein breiter Bevölkerungsschichten hat der Stellenwert guter Bildung enorm an Bedeutung gewonnen. Die gestiegenen Anforderungen in der modernen Wirtschaft führten unweigerlich zur Frage, ob die Volksschule mit ihren bisherigen Lernkonzepten und ihrem traditionellen Bildungskanon den neuen Herausforderungen gewachsen sei.

Bildungsexperten lösten mit grossen Versprechungen eine Reformflut aus

Die Unruhe wuchs, als unserer Volksschule beim internationalen Pisa-Ranking in einigen Bereichen nur durchschnittlich Leistungen bescheinigt wurden. Geradezu panikartig riefen einige Bildungspolitiker nun dazu auf, die Volksschule gründlich umzubauen. Man überbot sich mit Reformideen, die rasche Erfolge versprachen. In den neu gegründeten Forschungsabteilungen der Pädagogischen Hochschulen wurden unzählige Reformprojekte entwickelt, die mit hohen Erwartungen verknüpft waren. Die neuen Ideen wurden von umtriebigen Bildungspolitikern dankbar aufgenommen und ungeprüft als grosser Fortschritt gepriesen. Wer nicht freudig mitmachte oder sich gar kritisch äusserte, wurde als hoffnungslos rückständig eingestuft.

Kaum jemand fragte, wie es um die Praxistauglichkeit der Reformprojekte stand.

Die Versprechungen der Bildungsexperten blieben nicht ohne Auswirkungen auf die Eltern. Die Vorstellung, dass eine modernisierte Schule sehr viel mehr als bisher erreichen könnte, befeuerte die Schuldiskussionen im ganzen Land. Fortschrittliche Gemeinden führten neue Schulmodelle ein und die Zürcher Bildungspolitik mit Ernst Buschor an der Spitze liess keinen Stein mehr auf dem andern. Die Presse berichtete von grossartigen ersten Resultaten beim frühen Fremdsprachenunterricht, auch wenn die Schüler erst zwei Wochen Englischunterricht hatten. Die Dynamik des Fortschrittglaubens hatte die Volksschule erfasst, doch kaum jemand fragte, wie es um die Praxistauglichkeit der Reformprojekte stand. Überprüft wurde wenig, und dort, wo sich negative Befunde zeigten, verschwanden die unerfreulichen Resultate in den tiefen Schubladen der Bildungsbürokratie.

Es ist Zeit, eine unbeschönigte Bilanz zu ziehen

Es dürfte aufschlussreich sein, eine kurze Bilanz der Reformvorhaben im Licht der Gegenwart zu ziehen. Haben die einzelnen Reformen die Erwartungen erfüllt? Und welche bedeutenden Nebenwirkungen auf das gesamte Schulsystem sind feststellbar? Viele der umstrittenen Reformen sind im neuen Lehrplan verankert worden, deshalb kommt diesem sogenannten Jahrhundertwerk eine Ausnahmestellung in der Schulgeschichte zu. Wieweit diese Reformen die aktuelle Schulkrise mitverursacht haben, wird in der nachfolgenden Übersicht erläutert.

Zentralistische Steuerung des Bildungsprogramms erweist sich als ineffizient

Die Schwierigkeit liegt nicht im Erfassen von Daten zu den Schülerleistungen, sondern im Umsetzen von nötigen Konsequenzen.

Kompetenzraster: Mehr Wunschdenken

Die Vorstellung, man könne durch eine regelmässige Überprüfung von festgelegten Bildungsstandards die Qualität unserer Volksschule heben, ist mehr Wunschdenken als Realität. Sicher ist es aufschlussreich, durch wissenschaftliche Erhebungen in ausgewählten Schulen einen Überblick über den Bildungsstand in einzelnen Fächern zu erhalten. Doch wie sich deutlich abzeichnet, ist es einfacher, Schwächen aufzudecken als diese nachher zu beheben. Dass ein Fünftel unserer Schulabgänger kaum einfachste Texte versteht, war das Resultat einer der zentralen Erhebungen. Doch ein Monitoring bleibt ohne grossen Nutzen, wenn eine Studie wie in diesem Fall weitgehend totgeschwiegen wird.

Bildungssteuerung lässt sich nicht durch Knopfdruck von oben bewerkstelligen. Die Schwierigkeit liegt nicht im Erfassen von Daten zu den Schülerleistungen, sondern im Umsetzen von nötigen Konsequenzen. Doch da fehlt den Planungsstäben meist der Mut, die eigenen Fehler einzugestehen und gescheiterte Vorhaben abzubrechen. Lehrpersonen sehen meist sehr deutlich, wo Änderungen nötig sind. Ihr Engagement für praxisnahe Reformen wäre der effizienteste Weg, um Fehler zu korrigieren. Wird diese Initiative aber durch ein unnötiges Gängelband einer obrigkeitlichen Steuerung eingeschränkt, geht viel pädagogische Initiative verloren.

Der Lehrplan als wegweisender Bildungskompass sorgt für Frustration

Rückmeldungen aus den Schulen zeigen, dass das umfangreiche Werk des neuen Lehrplans seine Funktion als Orientierungshilfe bei der Jahresplanung nicht erfüllt. Der Lehrplan mit seiner Fülle an Kompetenzzielen ist überladen und erschwert die Vertiefung wesentlicher Bildungsinhalte. Es ist den Lehrplanverantwortlichen nicht gelungen, sich auf Kernanliegen der Bildung zu einigen und den Lehrpersonen genug Freiheit für ihr Unterrichtsprogramm zu gewähren. Lehrinnen und Lehrer benötigen klare Bildungsziele, eine Unmenge an detaillierten Vorgaben jedoch ist nur hinderlich und sorgt für Frustration.

Hauptvorwurf bleibt, dass beim Lehrplan der Faktor Zeit in der Pädagogik unterschätzt wurde. Mit unzähligen Bildungsversprechungen hat man den Karren überladen und die Illusion genährt, mit einer leicht erhöhter Lektionenzahl bewältige die Schule das Programm schon. Dies hat dazu geführt, dass in manchen Schulzimmern unnötige Hektik Einzug gehalten hat.

Zur Schadensbegrenzung mussten Lehrmittel mit umstrittenen Methoden entsorgt und durch Bücher mit klar strukturierten Lernkonzepten ersetzt werden.

Die abenteuerliche Didaktik der frühen Mehrsprachigkeit ist gescheitert

Manche Schüler haben die Freude am Sprachenlernen verloren, und bei den Grundkenntnissen im Deutsch wachsen die Defizite.

Das frühe Erlernen zweier Fremdsprachen ist zu einer grossen Belastung in der Mittelstufe geworden. Viele Schüler haben in mindestens einer der beiden Fremdsprachen längst abgehängt, wenn sie in die Sekundarschule übertreten. Seriöse Erhebungen deckten auf, dass ein Grossteil der Primarschüler durch die vielgerühmte immersive Didaktik und das sprachliche Nebeneinander im Unterricht stark verunsichert ist. Zur Schadensbegrenzung mussten Lehrmittel mit umstrittenen Methoden entsorgt und durch Bücher mit klar strukturierten Lernkonzepten ersetzt werden.

Der Preis für den Tanz auf drei Hochzeiten beim frühen Sprachenlernen ist hoch. Neben der ernüchternden Leistungsbilanz vor allem im Französisch gibt es erhebliche Nebenwirkungen. Manche Schüler haben die Freude am Sprachenlernen verloren und bei den Grundkenntnissen im Deutsch wachsen die Defizite. Völlig ausgeblendet wurde der grosse zeitliche Aufwand für die Ausbildung der Primarlehrkräfte in den beiden Fremdsprachen. Die Zeche dafür bezahlt die Realiendidaktik, wo kulturbildende Fächer wie Geschichte oder Geografie klar zu kurz kommen.

Das überstrapazierte Integrationsmodell ist der grösste Belastungsfaktor

Wohl die grösste Belastung für Schulklassen und deren Lehrkräfte sind Schüler, welche über jedes erträgliche Mass hinaus den Unterricht stören. Bei der vorschnellen Abschaffung der Kleinklassen haben die Bildungsexperten nicht einkalkuliert, dass der Betreuungsaufwand für verhaltensauffällige Schüler sehr hoch ist. Es genügt bei weitem nicht, einen schwierigen Schüler während drei Stunden pro Woche durch eine Heilpädagogin zu betreuen und die restliche Zeit der Klassenlehrerin zu überlassen.

Die Politik glaubte, aus dem Ruder gelaufene Klassen durch den Einsatz zusätzlicher Fachlehrpersonen stabilisieren zu können.

Die Ankündigung, das neue Integrationsmodell grenze niemanden mehr aus und schaffe mehr Gerechtigkeit, kam anfänglich in der Bevölkerung gut an. Doch schon bald stellte sich heraus, dass einzelne Schüler es schafften, ganze Klassen durcheinanderzubringen. Die Politik glaubte, aus dem Ruder gelaufene Klassen durch den Einsatz zusätzlicher Fachlehrpersonen stabilisieren zu können. Doch Personalmangel, dogmatisches Festhalten am Integrationskonzept und viel bürokratischer Aufwand verhinderten akzeptable Lösungen.

Die Frage der Chancengerechtigkeit ist zweifellos ein zentrales Anliegen der Volksschule. Es führt aber entschieden zu weit, wenn von den Klassenlehrkräften erwartet wird, sie hätten auch schwerste Erziehungsdefizite einzelner Schüler zu korrigieren. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass solche Aufträge die Lehrpersonen überfordern und zu heillos langen Diskussionen mit Eltern führen.

Individualisierungsträume erschweren die Organisierbarkeit des Unterrichts

Massgeschneiderte Lernprogramme weckten die Hoffnung, dass auch Schüler mit mittelmässigen Leistungen ans Gymnasium übertreten könnten.

Das gemeinsame Lernen unter Führung einer empathischen Lehrperson bleibt von zentraler Bedeutung.

Der neue Lehrplan erachtet eine individualisierte Lerngestaltung als zentrales Element einer modernen Schule. Schülerinnen und Schüler sollten möglichst in ihrem eigenen Lerntempo vorankommen und eine breite Grundbildung erhalten. Individualisierung war das Zauberwort, um mehr Chancengerechtigkeit erreichen zu können. Viele waren überzeugt, dass eine Schule mit einem fortschrittlicheren Bildungskonzept mehr aus den Kindern «herausholen» könne. Entsprechend hoch war der Druck auf die Lehrpersonen, den Unterricht grundlegend zu individualisieren. Massgeschneiderte Lernprogramme weckten die Hoffnung, dass auch Schüler mit mittelmässigen Leistungen ans Gymnasium übertreten könnten. Dabei sollte das Spielerische im Unterricht selbstverständlich nicht zu kurz kommen.

Das Vermitteln von Bildungsinhalten in parallellaufenden individuellen Lernprozessen ist organisatorisch aufwändig. Wer glaubt, der Verzicht auf kollektives Lernen mache die Schule erfolgreicher, täuscht sich. Die bekannte Hattie-Studie hat eindrücklich bewiesen, dass direkte Instruktion im gemeinsamen Klassenunterricht gegenüber individualisierten Lernformen effizienter ist. An dieser Feststellung werden auch neue digitale Lernprogramme kaum viel ändern, da das gemeinsame Lernen unter Führung einer empathischen Lehrperson von zentraler Bedeutung bleibt.

Das neue Lehrerbild von der betreuenden Lehrperson hat einen hohen Preis

Heute sehen sich viele Lehrerinnen primär als eine Lernbegleiterin, die sich selbst stark zurücknimmt und so den Kindern mehr Spielraum geben möchte. Diese Haltung steht in diametralem Gegensatz zur Vorstellung, Lehrerinnen würden durch begeisterte Stoffvermittlung und klare Führung den Unterricht in ihrer Klasse prägen. Der in der Lehrerbildung empfohlene Rollenwechsel von der Stoffvermittlerin zur Lernbegleiterin ist in der Praxis äusserst umstritten. Vor allem Männer scheinen sich mit der Vorstellung, ein Lehrer sei in erster Linie ein einfühlsamer Lernbegleiter, schwer zu tun. Die Zahlen bei den männlichen Stellenbewerbern für die Primarschule sprechen da eine deutliche Sprache. Das Wegbrechen fast einer ganzen Generation junger Lehrer trifft die Primarschule in ihrer Gesamtentwicklung empfindlich und verschärft den Lehrermangel in hohem Mass.

Gesellschaftliche Forderungen nach einer Volksschule mit erweiterter Betreuungsfunktion haben nicht nur auf das Lehrerbild Auswirkungen. Lektionenzahlen wurden erhöht, damit die Kinder in garantierten Präsenzzeiten gut betreut werden. Meist werden in den zusätzlichen Randstunden voll ausgebildete Lehrpersonen eingesetzt, was zu einer Verknappung des Lehrpersonals in den Hauptfächern führt. Wenn nun auch noch gefordert wird, es seien mehr Lehrpersonen mit professioneller Ausbildung zur Schülerbetreuung beim Mittagstisch einzusetzen, wird sich die Situation bei der Unterrichtsverpflichtung sicher nicht verbessern.

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In Krisenzeiten schlägt die Stunde der Schulpraktiker https://condorcet.ch/2022/05/in-krisenzeiten-schlaegt-die-stunde-der-schulpraktiker/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=in-krisenzeiten-schlaegt-die-stunde-der-schulpraktiker https://condorcet.ch/2022/05/in-krisenzeiten-schlaegt-die-stunde-der-schulpraktiker/#comments Tue, 03 May 2022 09:58:12 +0000 https://condorcet.ch/?p=10883

Der dramatische Lehrkräftemangel ist ein schweizweites Problem. Nach dem Artikel von Carl Bossard (Innerschweiz) und Alain Pichard (Biel) nimmt sich auch der ehemalige Bildungsrat Hanspeter Amstutz dieses Themas an. Er sieht die Bildungsverwaltung in der Verantwortung.

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Hanspeter Amstutz:
Beispielloses Versagen

Jahrelang versuchte die Zürcher Bildungsdirektion den chronischen Lehrermangel in der Volksschule kleinzureden. Doch letzte Woche erfolgte eine radikale Kehrtwende. Aufgrund der dramatisch verschlechterten Personalsituation erging ein eigentlicher Hilferuf an alle, die sich pädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen vorstellen können. Selbst Unausgebildete sollten sich für den Schuldienst zur Verfügung stellen, sofern sie sich die herausfordernde Aufgabe zutrauten. Dieses Versagen vorausschauender Bildungspolitik ist in neuerer Zeit wohl beispiellos.

 Hausgemachte Gründe für den Lehrermangel sind offensichtlich

Die Reaktionen in der Presse auf das konzeptlose Agieren der Bildungsdirektion und die zunehmenden Burnouts in der Lehrerschaft liessen nicht lange auf sich warten. Scharf formulierte Leserbriefe erschienen im Tages-Anzeiger und in der NZZ. Für die Leserbriefschreiber ist die überproportionale Zunahme der Schülerzahlen in den letzten Jahren kein ausreichender Grund, um den grossen Lehrermangel zu erklären. Alle kritisieren zu Recht, dass sich die dramatische Entwicklung längst abgezeichnet hat und für den Lehrermangel eine Reihe hausgemachter Ursachen vorliegen. Sie erwähnen die gestiegene Grundbelastung in den Regelklassen, weil die Kleinklassen abgeschafft wurden. Sie sehen im überladenen Lehrplan, in der Verzettelung auf zu viele Bildungsziele und in der oft praxisfernen Lehrerbildung die stärksten Belastungsfaktoren.

Jahr für Jahr wird die Lehrerschaft vertröstet, dass man das komplexe Fördersystem verbessern und versuchen werde, mehr Heilpädagoginnen einzusetzen. Doch dass dies in Zeiten des Lehrermangels Luftschlösser sind, ist allen klar.

Inkusion: Pragmatische Lösungen gefragt

Die kantonalen Bildungsdirektionen müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass es den Verantwortlichen an Entschlossenheit mangelt, bei gewissen Schulprojekten endlich zu einem Abschluss zu kommen. Was wurde nicht schon alles geschrieben über die Integration verhaltensauffälliger Schüler in Regelklassen! Jahr für Jahr wird die Lehrerschaft vertröstet, dass man das komplexe Fördersystem verbessern und versuchen werde, mehr Heilpädagoginnen einzusetzen. Doch dass dies in Zeiten des Lehrermangels Luftschlösser sind, ist allen klar. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen mit aller Deutlichkeit, dass bei einer zu grossen Zahl an verhaltensauffälligen Schülern auch bei grösstem Einsatz der Klassenlehrer die Integration zum Scheitern verurteilt ist. Nötig sind pragmatische Lösungen mit Einbezug von gut geführten Kleinklassen, um die blockierenden Dogmen in der Integrationsfrage endlich überwinden zu können.

Erfahrene Kolleginnen unterstützen mit Rat und Tat Studierende, die vorzeitig in Vikariaten eingesetzt werden. Bei den Schulleitungen hat man gemerkt, dass gut qualifiziertes und zupackendes Personal weit wichtiger ist als die Lenkung des Bildungsgeschehens durch ausgeklügelte Lernprogramme und zeitraubende Lehrplan-Weiterbildungen.

Gefragt ist Zupackendes Engagement und Besinnung aufs Wesentliche

Um in diesen aufwühlenden Zeiten die Qualität unserer Volksschule zu erhalten, braucht es ein aussergewöhnliches Engagement der Lehrerinnen und Lehrer. Die meisten arbeiten nicht erst seit Corona weit mehr, als dies der kleinkarierte Berufsauftrag vorschreibt. Würde man die Überstunden am Jahresende kompensieren, könnte einige bereits im November in die Ferien gehen. Der Aufruf zur Unterstützung der Schulen verhallt zum Glück nicht ungehört. Manch pensionierter Lehrer übernimmt in seiner ehemaligen Schule eine verwaiste Klasse. Lehrerinnen erhöhen trotz Familienpflichten ihr Pensum oder springen spontan für eine erkrankte Kollegin ein. Erfahrene Kolleginnen unterstützen mit Rat und Tat Studierende, die vorzeitig in Vikariaten eingesetzt werden. Bei den Schulleitungen hat man gemerkt, dass gut qualifiziertes und zupackendes Personal weit wichtiger ist als die Lenkung des Bildungsgeschehens durch ausgeklügelte Lernprogramme und zeitraubende Lehrplan-Weiterbildungen. In der Praxis muss die Spreu vom Weizen geschieden werden, wenn die Schulen die Krise unbeschadet überleben wollen. Schulpraktiker geniessen wieder sehr viel mehr Kredit, und das ist gut so. Jetzt bietet sich die Chance, die Schulen pädagogisch und inhaltlich wieder aufs Wesentliche auszurichten.

Dringend nötig wäre ein schonungsloses Überprüfen umstrittener Reformen und aufwändiger administrativer Massnahmen der letzten Jahre.

Die Bildungspolitik muss endlich ihre Hausaufgaben lösen

Und was tun lautstarke Bildungspolitiker in dieser wichtigen Phase? Einige schweigen, und das ist nicht einmal das Dümmste. Doch ihre Aufgabe wäre es eigentlich, all die Hemmnisse in den Schulen abzubauen, welche das tägliche Unterrichten erschweren. Dringend nötig wäre ein schonungsloses Überprüfen umstrittener Reformen und aufwändiger administrativer Massnahmen der letzten Jahre. Und nicht zuletzt wäre es auch die Aufgabe einer mutigeren Bildungspolitik, den Ursachen des Lehrermangels auf den Grund zu gehen.

KV-Lehre: schwammige Konzepte

Ein Blick auf das Gesamtsystem unseres Bildungsangebots zeigt, dass auch die KV-Schulen in einer turbulenten Phase stecken. Dieser wichtige Zweig des dualen Berufsbildungssystems ringt je länger je mehr um begabte Schülerinnen und Schüler, die zwischen KV-Lehre und Gymnasium schwanken. Doch die Bildungsverantwortlichen sind drauf und dran, die Weichen mit der neuen KV-Reform falsch zu stellen. Statt in Leistungsfächern die Jugendlichen gründlich auszubilden, werden schwammige Konzepte mit Modulen für situatives Verhalten entwickelt. Erfahrene KV-Lehrpersonen sind entsetzt über die unausgegorene Reform. Sie befürchten wohl zu Recht einen massiven Abbau an Schulqualität. Interessant ist, dass die Banken beim neuen Modell ausscheren und weiterhin an einem fächerorientierten Unterricht festhalten.

Die Stärkung der Berufsbildung bleibt eine Herausforderung

Vielleicht hilft ein Blick über die Grenzen, um fatale Entwicklungen im Bildungsbereich noch zu verhindern. In einigen deutschen Bundesländern hat die Verwässerung der Anforderungen an den Mittelschulen zu einer Zunahme der Abiturientenquote auf über 50 Prozent und zu einer höchst unerfreulichen Abwertung der Berufsbildung geführt. Universitäre Ausbildungen sind das Ziel, handwerklich-technische Berufe gelten als zweite Wahl. Die Schweizer Bildungspolitik müsste durch die hohe Arbeitslosigkeit in Ländern mit einem zu leichten Zugang zu den Gymnasien und einem tiefen Sozialprestige der Berufslehren gewarnt sein. Besser als eine Erhöhung der Maturitätsquote ist eine Aufwertung der Berufslehren vom KV bis zur Schreinerlehre, denn ohne hervorragend ausgebildete Berufsfachleute kann unsere Wirtschaft ihre starke Stellung nicht behaupten.

Hanspeter Amstutz

Ehemaliger Bildungsrat und Sekundarlehrer

Fehraltorf

 

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Stimmrechtsalter 16 setzt besseren Geschichtsunterricht voraus https://condorcet.ch/2022/04/stimmrechtsalter-16-setzt-besseren-geschichtsunterricht-voraus/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=stimmrechtsalter-16-setzt-besseren-geschichtsunterricht-voraus https://condorcet.ch/2022/04/stimmrechtsalter-16-setzt-besseren-geschichtsunterricht-voraus/#comments Tue, 19 Apr 2022 10:01:31 +0000 https://condorcet.ch/?p=10847

Hanspeter Amstutz setzt sich unermüdlich für einen aufbauenden Geschichtsunterricht ein. Die Diskussion um das Stimmrechtsalter 16 rückt seiner Meinung nach den aktuellen Geschichtsunterricht bzw. seine Bedeutung erneut in den Fokus.

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Hanspeter Amstutz:
Man trägt viel eher zu etwas Sorge, das man kennt.

Ein Stimmrechtsalter 16 setzt die optimistische Annahme voraus, dass unsere Volksschüler mit einem Rucksack voll geschichtlich-politischer Grundkenntnisse die Sekundarschule verlassen. Doch ist dies tatsächlich der Fall? Geschichtliche Bildungsinhalte sind eingestreut in das Sammelfach «Räume, Zeiten, Gesellschaft», wo für Geschichte höchstens anderthalb Wochenlektionen zur Verfügung stehen. An den meisten Schulen herrscht Unklarheit über die Verbindlichkeit der Bildungsziele, da der Lehrplan mit seiner Fülle an Möglichkeiten den Blick aufs Wesentliche erschwert.

Wieweit 16-Jährige für verantwortungsvolle Entscheide auf politischer Ebene wirklich reif sind, bleibt umstritten. Sicher ist hingegen, dass sie auf diese Aufgabe besser vorbereitet werden müssten, als dies zurzeit der Fall ist. Ohne Grundkenntnisse über die neuere Geschichte unseres Landes fehlen wesentliche Elemente für das Verstehen politischer Zusammenhänge. Da können auch die attraktiven Lernangebote des Aarauer Zentrums für Demokratie die breite Lücke kaum füllen.

Die Vermittlung geschichtlicher Bildungsinhalte besteht nicht in einem beflissenen Abhaken unzähliger Ereignisse zur Erfüllung eines umfangreichen Stoffprogramms. Nachhaltigkeit wird nur erreicht, wenn man sich an Meilensteinen epochaler Entwicklungen der schweizerischen und europäischen Geschichte zu orientiert. So kann die Industrialisierung im 19. Jahrhundert mit den Pionierleistungen von Schweizer Unternehmern aufzeigen, welche gesellschaftlichen Veränderungen die gesteigerte Wirtschaftskraft mit sich brachte. Mit Einblicken ins Leben von Arbeiterfamilien in den Mietskasernen werden aber auch die Schattenseiten des Maschinenzeitalters den Schülerinnen und Schülern vor Augen geführt. Allein schon aus der inneren Spannung dieser Entwicklung tauchen Fragen zur sozialen Gerechtigkeit und zur Bedeutung des technischen Fortschritts auf.

Inszenierte Massenveranstaltungen, systematische Hetze gegen Andersdenkende, Anzünden des Reichstags und Ausschaltung des demokratischen Rechtsstaats durch das Vollmachtregime Hitlers lassen die Schüler erkennen, dass es in der aktuellen Gegenwart erschreckende Parallelen gibt.

Ist das Vorverschieben von politischer Verantwortung mit der faktischen Abwertung des Geschichtsunterrichts in der Volksschule in Einklang zu bringen?

Zu den geschichtlichen Meilensteinen des 20. Jahrhunderts gehören sicher die Vorgänge rund um die Machtergreifung der Nationalsozialisten in den Dreissigerjahren. Jugendliche sind betroffen, wenn sie sehen, mit welch teuflischen Machenschaften Hitlers Anhänger die politische Opposition ausgeschaltet haben. Inszenierte Massenveranstaltungen, systematische Hetze gegen Andersdenkende, Anzünden des Reichstags und Ausschaltung des demokratischen Rechtsstaats durch das Vollmachtregime Hitlers lassen die Schüler erkennen, dass es in der aktuellen Gegenwart erschreckende Parallelen gibt.

In einem lebendigen Geschichtsunterricht werden Themen aufgegriffen, die sich bezüglich inhaltlicher Attraktivität und politischer Relevanz für offene Diskussionen in der Klasse eignen. Jugendliche erkennen dabei, dass zentrale Werte unseres Staates im Lauf der letzten 200 Jahre hart errungen werden mussten. Die AHV der Grosseltern ist keine Selbstverständlichkeit. Sie ist entstanden aus den Möglichkeiten einer starken Wirtschaft und der Einsicht einer politischen Mehrheit in unserem Land, dass möglichst alle vom steigenden Wohlstand profitieren sollen.

Das erwachte politische Interesse eines Teils unserer der Jugend darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten Volksschulabgänger sich erst durch starke didaktische Impulse für politische Fragen erwärmen können. Faktenorientierter narrativer Geschichtsunterricht, unterstützt durch aussagekräftiges Bildmaterial, hat sich dabei als effizient erwiesen. 14-Jährige gehen voll mit, wenn sie in einer spannenden Erzählung das Schicksalhafte historischer Ereignisse für den einzelnen Menschen oder für ganze Völker erfahren. Wie aus der Entwicklungspsychologie bekannt ist, spielt die Imagination beim Eintauchen ins historische Geschehen eine zentrale Rolle, damit sich Jugendliche der geschichtlichen Realität annähern können. So erzielt ein Brief eines Soldaten aus dem Kessel von Stalingrad als Quellentext eine ganz andere Wirkung, wenn die Dramatik der Lage vorher eindrücklich geschildert wurde.

Man trägt viel eher zu etwas Sorge, das man kennt. Dazu gehört auch unser Staatswesen und dessen politische Einrichtungen. Geschichte befasst sich mit dem Werdegang gesellschaftlicher Werte und dem Ausgleich von Interessen. Deshalb braucht es einen gewissen Aufbau mit geschichtlichen Bildern aus bedeutenden Epochen, um politische Entwicklungslinien zu erkennen. Doch dieser systematische Aufbau ist in den meisten Sekundarklassen kaum noch zu erkennen. Narrative Konzepte geniessen in der aktuellen Didaktik leider wenig Kredit, was den Zeitdruck für die Lehrpersonen verschärft. An vielen Schulen werden Jugendliche angehalten, mit entdeckendem Lernen sich geschichtliches Wissen selbst anzueignen. Das kann zu teils grossartigen Resultaten führen, doch übers Ganze gesehen kommt man so viel weniger weit.

Mit dem Wegfall einer aufbauenden Darstellung unserer neueren Geschichte haben Jugendliche ohne gymnasiale Ausbildung offensichtlich ein Bildungsmanko bei den geschichtlichen Grundkenntnissen. Die Befürworter des Stimmrechtsalters 16 müssen sich die Frage gefallen lassen, ob das Vorverschieben von politischer Verantwortung mit der faktischen Abwertung des Geschichtsunterrichts in der Volksschule in Einklang zu bringen ist.

Hanspeter Amstutz

 

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Sprachenlastige Stoffpläne und Lehrermangel wirken sich spürbar auf Buben aus https://condorcet.ch/2021/11/sprachenlastige-stoffplaene-und-lehrermangel-wirken-sich-spuerbar-auf-buben-aus/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=sprachenlastige-stoffplaene-und-lehrermangel-wirken-sich-spuerbar-auf-buben-aus https://condorcet.ch/2021/11/sprachenlastige-stoffplaene-und-lehrermangel-wirken-sich-spuerbar-auf-buben-aus/#comments Tue, 23 Nov 2021 17:28:34 +0000 https://condorcet.ch/?p=9890

Für die Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm ist der Mangel an männlichen Lehrpersonen nicht ausschlaggebend für die offensichtlichen Probleme, welche die Knaben in unserer Schule haben. Sie sieht den Grund eher in den verfehlten Schulreformen (siehe: https://condorcet.ch/2021/11/knaben-als-bildungsverlierer-ist-die-feminisierung-dran-schuld/). Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz gibt ihr zwar in diesem Punkt recht, hält aber trotzdem daran fest, dass die Feminisierung der Schule auch ihren Anteil an der Misere hat.

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Hanspeter Amstutz:
Gerangel unter Buben sehen sie manchmal gelassener als ihre Kolleginnen.

Es ist bemerkenswert, dass eine anerkannte Erziehungswissenschafterin die Frage stellt, warum Knaben in unserem Schulsystem offensichtlich weniger Erfolg haben als Mädchen. Margrit Stamm hat den Mut, eine häufig verdrängte Frage anzusprechen und Ursachen zu benennen. Durch die Knappheit ihrer anregenden Stellungnahme bleibt die Autorin aber in ihren Aussagen teils auf halbem Weg stehen, indem erhebliche Konsequenzen für die Bildungspolitik unerwähnt bleiben.

Die Autorin setzt ihre Kritik an einem Punkt an, der mit der Feminisierung der Schule wenig zu tun hat. Wie sie schreibt, hängt Bubenförderung nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht davon ab, ob eine Lehrerin oder ein Lehrer eine Klasse unterrichtet. Die Autorin kritisiert jedoch, dass das aktuelle Bildungsprogramm mit seiner Sprachenlastigkeit und den oft weiblich geprägten Sozialisationsvorstellungen manchen Buben wenig entgegenkommt. Mit diesem Ansatz, der bei konsequentem Weiterdenken einigen Zündstoff in sich birgt, bringt Margrit Stamm ganz schön Bewegung in die Bubenpädagogik.

 

Margrit Stamm: Der Ruf nach mehr Männern in der Schule ist wahrscheinlich nicht die richtige Antwort.

Schüler erschliessen heute aus Quellentexten, wie Alfred Eschers Onkel von Sklavenarbeit profitierte, aber sie kennen die grandiose Geschichte des Baus des Gotthardtunnels nicht.

Bei vielen Knaben herrscht das Gefühl vor, die Schule biete kaum etwas, das auch nur annähernd so spannend wie das Geschehen in der Freizeit sei. Das Fussballspiel in der grossen Pause ist für sie oft das Wichtigste an einem Schulmorgen. Offenbar weist in manchen Klassen der tägliche Unterricht zu wenige Höhepunkte auf, um vom Schulstoff her Spannung aufkommen zu lassen. Der Geschichtsunterricht wurde streng nach heutigen moralischen Kriterien gereinigt und alles Heldenhafte stark relativiert. Lehrerinnen und Lehrer der Primarschule wagen es kaum noch die Phase der Sturm- und Drangzeit der Alten Eidgenossenschaft erzählerisch zu gestalten. In der Sekundarschule wiederum wird die neuere Schweizer Geschichte meist nur bruchstückhaft und ohne einen inneren Spannungsaufbau vermittelt. Schüler erschliessen heute aus Quellentexten, wie Alfred Eschers Onkel von Sklavenarbeit profitierte, aber sie kennen die grandiose Geschichte des Baus des Gotthardtunnels nicht.

Buben sind fasziniert, wenn mit einem lebendigen Realienunterricht ein Stück Welt ins Schulzimmer kommt.

Buben sind fasziniert, wenn mit einem lebendigen Realienunterricht ein Stück Welt ins Schulzimmer kommt. Doch genau Fächer wie Geschichte, Geografie und bis vor kurzem auch Natur und Technik sind von ihrer Bedeutung her abgewertet worden. Sie sind in den internationalen Vergleichstests schwer messbar und ihr Nutzen ist nicht unmittelbar zu erkennen. Was hat man beispielsweise mit dem Naturkundeunterricht nicht alles angestellt! Statt spannende Einblicke ins Leben am Weiher zu vermitteln, wurden die verschiedenen Amphibien auf Englisch oder Französisch beschrieben und für Sprachübungen verwendet. Zwar waren das extreme Auswüchse einer Didaktik, welche Vielsprachigkeit über tieferes Verstehen von Mensch und Umwelt setzte, doch durch den forcierten Spracherwerb kamen die spezifischen Interessen der Buben generell zu kurz.

Ähnliches gilt für das Fach Natur und Technik, wo Buben in der Regel ein brennendes Interesse an spannenden Experimenten und technischen Bastelarbeiten haben.

Die Aufwertung der formal stark prägenden Fremdsprachen gegenüber den lebensnahen Realienfächern hat ihren Preis. Ein grosser Teil der Schüler ist in der herrlichen Phase des Entdeckens der Welt wenig daran interessiert, sich gleich in drei Sprachen korrekt ausdrücken zu müssen. Viel lieber beschäftigen sie sich mit der Frage, welcher Saurier denn der gefährlichste war und warum die gewaltigen Tiere ausgestorben sind. Ähnliches gilt für das Fach Natur und Technik, wo Buben in der Regel ein brennendes Interesse an spannenden Experimenten und technischen Bastelarbeiten haben. Sie blühen auf, wenn sie das Rückstossprinzip einer mit Luftdruck angetriebenen Rakete erproben oder einen selber gebauten Wagnerschen Hammer in Betrieb setzen können. Mit solchen Elementen der Spannung kann man Buben abholen und sie auch fürs alltägliche schulische Lernen gewinnen.

Den Technikunterricht ausbauen

Ausgehend vom erkannten Nutzen einer Frühförderung in den Naturwissenschaften wird zurzeit versucht, den Technikunterricht auszubauen. Erfreulicherweise stehen bereits attraktive Lehrmittel zur Verfügung. Doch es ist noch ein weiter Weg, um den gewünschten Paradigmenwechsel herbeizuführen. Will man einen qualitativ hochstehenden Technikunterricht erreichen, braucht es den sorgfältigen Aufbau einer Physiksammlung und gezielte Weiterbildung. Um Erfolg zu haben, sind pädagogische Grundsatzdiskussionen über gemeinsame Bildungsziele und das Engagement eines schulinternen Fachteams notwendig. Dabei ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Grundinteresse für technische Experimente auf Seiten der männlichen Mitglieder eines Schulteams oft höher ist als bei ihren Kolleginnen.

Bereits das Berner Kantonsparlament kritisierte die Sprachlastigkeit bei den Übertrittsprüfungen.

Eine grosse Zahl der Lehrerinnen  investiert sehr viel in die sprachliche Weiterbildung und setzt entsprechend im Sprachenunterricht gewisse Prioritäten. Das ist keinesfalls schlecht, solange in einem Schulteam eine einigermassen vernünftige Durchmischung der Geschlechter besteht. Fehlen jedoch in den Mittelstufenteams die Männer, besteht die Tendenz, dass in der schulinternen Weiterbildung und in fachlichen Teamgesprächen eine Einseitigkeit der Themen vorherrscht.

Was engagierte Lehrer neben ihren anders gelagerten Grundinteressen in ein Schulteam einfliessen lassen können, sind oft andere Arten der Konfliktbewältigung. Gerangel unter Buben sehen sie manchmal gelassener als ihre Kolleginnen. Der alltägliche Wettbewerb unter Buben ist ihnen vertraut und es fällt ihnen vielleicht leichter, im richtigen Moment einzugreifen. In einer Schulkultur des offenen Gedankenaustauschs in den Lehrerzimmern profitieren alle davon, wenn auch die eher männliche Art des Umgangs mit Buben thematisiert wird. Wo dies nicht der Fall ist, haben couragierte Lehrerinnen mit klarer Linie meist einen schwereren Stand.

Offensichtlich ist ein ganzes Segment fähiger Pädagogen weggebrochen, weil ihre Berufsvorstellungen nicht mehr mit dem neuen Lehrerbild übereinstimmen. Sie möchten als Kapitäne mit grosser sozialer Kompetenz eine Klasse führen und beim Bildungsprogramm ein gewichtiges Wort mitreden.

Ausgerechnet im Schulbereich melden sich die Männer ab.

Zweifellos die heikelste Frage ist, wieweit sich das aktuelle Männerbild auf die Bubenpädagogik auswirkt. Da sticht man sofort in ein ideologisches Wespennest, wenn man versucht, das Ganze ein wenig zu typisieren. Margrit Stamm weist nur am Rand  darauf hin, dass die gesellschaftlichen Normen zur Männlichkeit im Wandel sind. Und doch ist die Frage zentral, wieweit die teils neue Rolle des Lehrers als Begleiter überhaupt noch Männer mit pädagogischen Führungsqualitäten anspricht. Die Zahlen in der Primarschule sprechen eigentlich eine deutliche Sprache. Offensichtlich ist ein ganzes Segment fähiger Pädagogen weggebrochen, weil ihre Berufsvorstellungen nicht mehr mit dem neuen Lehrerbild übereinstimmen. Sie möchten als Kapitäne mit grosser sozialer Kompetenz eine Klasse führen und beim Bildungsprogramm ein gewichtiges Wort mitreden. Ihre Stimme fehlt in der Bildungspolitik. Der Wegfall dieser positiven Identifikationsfiguren ist zweifellos auch ein Rückschlag für die Bubenpädagogik.

Das Ziel einer Durchmischung der Schulteams auf der Mittelstufe muss ernst genommen werden. Buben sollen im Schulhaus erleben, wie Männer in gewissen Situationen reagieren. Überall wird heute gefordert, dass sich die Männer mehr in der Erziehung engagieren und sich mit Buben auseinandersetzen. Doch ausgerechnet im Schulbereich melden sich die Männer ab und tragen zu einem gravierenden Lehrermangel bei. Dessen belastende Nebenwirkungen sind bestens bekannt. So können manche Schulen einen Teil der Klassenpensen nur noch mit aufgesplitterten Teilzeitstellen abdecken. Das ist besonders in Klassen mit quirligen Buben eine Überforderung für alle Beteiligten. Margrit Stamm hat den Ball aufgenommen und ihn in die Runde gespielt. Jetzt liegt es an uns weiterzumachen.

Hanspeter Amstutz

 

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Ermutigende Lehrerpersönlichkeiten verbessern die Chancengerechtigkeit mehr als farblose Lerncoachs https://condorcet.ch/2021/11/ermutigende-lehrerpersoenlichkeiten-verbessern-die-chancengerechtigkeit-mehr-als-farblose-lerncoachs/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=ermutigende-lehrerpersoenlichkeiten-verbessern-die-chancengerechtigkeit-mehr-als-farblose-lerncoachs https://condorcet.ch/2021/11/ermutigende-lehrerpersoenlichkeiten-verbessern-die-chancengerechtigkeit-mehr-als-farblose-lerncoachs/#respond Mon, 01 Nov 2021 15:17:45 +0000 https://condorcet.ch/?p=9688

Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz unterstützt Carl Bossard (siehehttps://condorcet.ch/2021/10/wenn-bildungsreformen-die-bildungsschere-weiten/ 27.10.21) in seiner Einschätzung der zentralen Rolle der Lehrerin oder des Lehrers, die sie in Sachen Chancengleichheit spielen.

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Hanspeter Amstutz:
Farblose Coachs sind Gift für eine Pädagogik der Ermutigung.

Carl Bossard ist in seinem hervorragenden Condorcet-Beitrag auf unkonventionelle Weise der Frage nachgegangen, was am meisten zu mehr Chancengerechtigkeit in unserem Bildungssystem beiträgt. Der Autor bringt es auf den Punkt: Nicht ausgeklügelte Bildungsprogramme, sondern Lehrerinnen und Lehrern mit Begeisterung für ihre pädagogische Aufgabe fördern die Entwicklung von Jugendlichen unterschiedlicher sozialer Herkunft am wirkungsvollsten.

In den aktuellen Bildungsdiskussionen dreht sich sehr vieles um digitale Lernprogramme, um eigenverantwortliches Lernen und um neue Lehrerrollen in begleitender Funktion. Digitale Programme sorgen dafür, die Lernmuster von Schülern zu erkennen und Aufgaben im passenden Schwierigkeitsgrad zu stellen. Dank digital bestens ausgestatteter Schulzimmer glaubt man, nicht zuletzt bei schwächeren Schülern den grossen Sprung nach vorn machen zu können. Doch was theoretisch Erfolg verspricht, zeigt in der Praxis nur eine beschränkt positive Wirkung. Schüler ohne bereits vorhandene intrinsische Lernmotivation werden von künstlicher Intelligenz nicht in der Tiefe angesprochen. Sie werden zwar die gestellten Aufgaben lösen, aber die Motivation für eine gründliche Auseinandersetzung mit einem Thema bleibt in der Regel begrenzt.

Um Schülerinnen und Schüler für eine Sache zu begeistern, sind die Schulen auf Lehrerpersönlichkeiten angewiesen, die Bildungsinhalte attraktiv vermitteln und mit didaktischem Geschick vertiefen können.

Lehrerpersönlichkeiten, die Bildungsinhalte attraktiv vermitteln

Um Schülerinnen und Schüler für eine Sache zu begeistern, sind die Schulen auf Lehrerpersönlichkeiten angewiesen, die Bildungsinhalte attraktiv vermitteln und mit didaktischem Geschick vertiefen können. Eine Lehrerin, welche die wechselvolle Geschichte des Frauenstimmrechts packend gestalten kann, Goethes Erlkönig feinsinnig interpretiert und von Zeit zu Zeit grosse Fragen des Lebens in literarischer Form aufgreift, wird auf Resonanz stossen. Jugendliche erkennen die sinnstiftende Grundhaltung eines Gegenübers erstaunlich schnell und öffnen sich in einem oft spannenden Dialog. Die Schülerinnen und Schüler wünschen sich in den Klassenzimmern keine grauen Mäuse, die nur eine beratende Funktion ausüben. Die Vorstellung, gute Lehrer würden nicht vor der Klasse, sondern neben arbeitenden Schülern stehen, ist bei Jugendlichen weit weniger beliebt, als man aufgrund der aktuellen didaktischen Modeströmungen glauben könnte.

Es ist die Authentizität, welche Jugendliche anspricht und das Interesse für Bildung und Kultur weckt.

Kinder und jüngere Teenager suchen sich erwachsene Vorbilder mit Wissens- und Erfahrungsvorsprung, auch wenn sie dies nicht immer gleich offen zugeben. Sie suchen die Begegnung mit einem lebendigen Gegenüber, das ihnen neue Welten eröffnet. In jedem Schulhaus weiss man, wenn eine Lehrerin oder ein Lehrer in einem Wissensgebiet stark ist oder über besondere Fähigkeiten verfügt. Ein Lehrer, dessen Forschungsgebiet die Amphibien sind und seine Schüler an Ufern von Weihern in sein Reich blicken lässt, übt Faszination aus. Eine Lehrerin, welche die Engländer von ihrem langjährigen Aufenthalt in London kennt, kann in ihren Englischlektionen oft mehr über britische Lebensart vermitteln als mancher ausgebildete Geografielehrer. Es ist die Authentizität, welche Jugendliche anspricht und das Interesse für Bildung und Kultur weckt.

Es braucht Freiheit.

Carl Bossard weist noch auf etwas anderes hin, das zentral ist. Lehrerinnen und Lehrer mit pädagogischer Berufung werden ihr Fachgebiet und nicht ihre Person in den Mittelpunkt stellen. Sie machen ihr Wissen transparent und wollen es weitergeben.

Sie freuen sich riesig, wenn der Funke springt und unternehmen alles, um bei ihren Schülerinnen und Schüler gründliche Lernprozesse zu fördern. Lehrerpersönlichkeiten haben den Blick für die vorhandenen Begabungen. Sie ermutigen die Jugendlichen, daraus etwas zu machen und sie fordern sie, indem sie Erwartungen aussprechen. Schülerinnen und Schüler nehmen in der Regel diesen pädagogischen Dialog positiv auf und steigern sich in ihren Leistungen.

Diese für den späteren Lebensweg so wichtigen Motivationsprozesse können sich aber nur entwickeln, wenn den Lehrerinnen und Lehrern eine Rolle als gestaltende pädagogische Kraft ausdrücklich zugebilligt und ausreichend Zeit für den Aufbau von Lernbeziehungen eingeräumt wird. Die aktuelle Hektik in den Schulzimmern durch all die verzettelten Lernziele, die schmalen Unterrichtsblöcke infolge der Pensenaufsplitterungen und nicht zuletzt die unsinnige Degradierung der Lehrpersonen zu farblosen Coachs sind Gift für eine Pädagogik der Ermutigung. Will man die Chancengerechtigkeit entscheidend verbessern, so muss zuerst beim Bildungsprogramm und bei den grundlegenden Vorstellungen zum Lehrerberuf der Hebel angesetzt werden. Da besteht dringender Handlungsbedarf.

Hanspeter Amstutz

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Die Volksschule kann sich die Absenz der Männer nicht länger leisten https://condorcet.ch/2021/08/die-volksschule-kann-sich-die-absenz-der-maenner-nicht-laenger-leisten/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=die-volksschule-kann-sich-die-absenz-der-maenner-nicht-laenger-leisten https://condorcet.ch/2021/08/die-volksschule-kann-sich-die-absenz-der-maenner-nicht-laenger-leisten/#comments Fri, 27 Aug 2021 10:55:39 +0000 https://condorcet.ch/?p=9225

Der Lehrermangel in der Volksschule droht chronisch zu werden, wie ein Blick auf die steigenden Schülerzahlen der nächsten Jahre zeigt. Zwar treten mehr Studierende als je zuvor in eine Pädagogische Hochschule ein, doch die Tendenz zu Teilzeitanstellungen und die zu grosse Zahl vorzeitiger Abgänge aus dem Schuldienst sorgen für eine höchst angespannte Lage auf dem […]

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Hanspeter Amstutz:
Das Abspringen begabter Kollegen aus dem Lehrerberuf geschieht oft sehr früh.

Der Lehrermangel in der Volksschule droht chronisch zu werden, wie ein Blick auf die steigenden Schülerzahlen der nächsten Jahre zeigt. Zwar treten mehr Studierende als je zuvor in eine Pädagogische Hochschule ein, doch die Tendenz zu Teilzeitanstellungen und die zu grosse Zahl vorzeitiger Abgänge aus dem Schuldienst sorgen für eine höchst angespannte Lage auf dem Stellenmarkt. Zeiten des Lehrermangels gab es immer wieder, doch die aktuelle Situation ist in zweierlei Hinsicht anders.

Weniger als 20 Prozent Lehrer in der Primarschule

Zum einen hat der Lehrerberuf bei den Männern offensichtlich viel an Anziehungskraft eingebüsst. An der Primarschule unterrichten heute weniger als zwanzig Prozent Männer. Wie Umfragen zeigen, ist es nicht primär der Lohn, der abschreckend wirkt. Der Einstiegslohn ist in den meisten Kantonen durchaus konkurrenzfähig zu Berufen mit ähnlich langer Ausbildung.

Nur noch 20% Männder an der Primarschule.

Vielmehr scheint das stark veränderte Lehrerbild bei vielen Männern stärker als bei Frauen Zweifel an der pädagogischen Aufgabe ausgelöst zu haben. Die Vorstellung, als geduldiger Begleiter Kinder oder Jugendliche zu betreuen und nicht mehr als unternehmungslustiger Kapitän das Klassenschiff zu führen, schreckt viele ab.

Dieses pädagogische Freiheitsgefühl, verbunden mit starker sozialer Verantwortung, hat lange Zeit den Lehrerberuf geprägt. Lehrersein erlaubte eine gewisse Unabhängigkeit im Denken, eine Offenheit in der Gestaltung des Schullebens und einen kritischen Geist in gesellschaftlichen Fragen. Es ist kein Zufall, dass aus dem Lehrerberuf immer wieder  Persönlichkeiten in die Politik und ins Kulturleben eingestiegen sind um ihre Fähigkeiten in einem erweiterten Kreis einzubringen.

Dieses pädagogische Freiheitsgefühl, verbunden mit starker sozialer Verantwortung, hat lange Zeit den Lehrerberuf geprägt.

Lehrer als innovative Führungskräfte mit sozialen Kompetenzen

Das Abspringen begabter Kollegen aus dem Lehrerberuf geschieht heute jedoch oft sehr früh und ist ein Verlust für jedes Schulteam. Eine lebendige Schule lebt von den pädagogischen Inputs engagierter Frauen und Männer. Doch diese schulinterne Gestaltungsfreiheit ist durch zu viele detaillierte Vorgaben schrittweise abgebaut worden. Lehrpersonen müssen sich an engmaschige Kompetenzanforderungen halten und verzweifeln fast ob der Fülle der Lehrplanziele. Dazu kommen unzählige organisatorische Absprachen und ein gescheiterter bürokratischer Berufsauftrag. Statt mit voller Kraft markante Bildungsziele ansteuern zu können, verlieren sich viele Lehrpersonen in drittrangigen Aufgaben ausserhalb des Unterrichtsbereichs.

Doch diese schulinterne Gestaltungsfreiheit ist durch zu viele detaillierte Vorgaben schrittweise abgebaut worden.

Die Politik muss die Lehrerrolle ernsthaft hinterfragen, wenn sie wieder mehr Männer in den Beruf zurückholen will. Die Vorstellung, Lehrpersonen seien innovative Führungskräfte mit sozialen Kompetenzen, liegt vielen nahe. Deshalb dürfen Methodenfreiheit und ein offener Wettbewerb didaktischer Ideen nicht nur auf dem Papier bestehen. Solange doktrinäre Vorgaben wie die unsinnige Abwertung des geführten Klassenunterrichts oder die Kräfte verschleissende Integration aller verhaltensauffälliger Schüler in Regelklassen die Lehrpersonen aufgebürdet werden, stört dies das Bild eines Berufs mit ausgeprägter Handlungsautonomie erheblich.

Auf all diese genannten Entwicklungen haben Männer als erste reagiert und in manchen Fällen der ganzen Pädagogik den Rücken zugekehrt. Doch auch viele Frauen sind gar nicht zufrieden, dass Nebensächliches und Administratives das Unterrichten in den Hintergrund drängt. Die meisten scheinen sich aber eher besser mit den neuen Gegebenheiten arrangieren zu können und versuchen nach wie vor engagiert, das Beste in ihren Teams zu machen.

Das Problem sind nicht die wenigen Mini-Anstellungen, sondern die Tatsache, dass die anspruchsvollen Klassenlehrerstellen oft nur mühsam mit geeigneten Lehrpersonen besetzt werden können.

Lieber Hilfslehrkraft als Klassenlehrperson.

Aufsplitterung der Pensen schafft erhebliche pädagogische Nachteile

Der zweite belastende Themenkreis betrifft das prozentuale Anstellungsverhältnis der Lehrpersonen und die zu schmalen oder unpassenden Ausbildungsprofile für Klassenlehrpersonen. Nur noch eine Minderheit unterrichtet heute mit einem vollen Pensum. Daneben gibt es eine grosse Zahl von Teilzeitangestellten mit unterschiedlichem Beschäftigungsgrad. Das Problem sind nicht die wenigen Mini-Anstellungen, sondern die Tatsache, dass die anspruchsvollen Klassenlehrerstellen oft nur mühsam mit geeigneten Lehrpersonen besetzt werden können. Muss eine Lehrperson aufgrund eines zu schmalen Ausbildungsprofils an mehreren Klassen unterrichten, wird der Aufbau intensiver Lernbeziehungen schwierig. Es fehlen die grossen Unterrichtsblöcke für eine freiere und effiziente Gestaltung des Unterrichts.

Die Aufteilung des gesamten Unterrichtsprogramms einer Klasse auf mehrere Köpfe galt zur Jahrtausendwende als pädagogischer Fortschritt.

Die Aufteilung des gesamten Unterrichtsprogramms einer Klasse auf mehrere Köpfe galt zur Jahrtausendwende als pädagogischer Fortschritt. Jeder Schüler und jede Schülerin sollte im Leben die Chance erhalten, in einem Team von mehreren Lehrpersonen jemandem mit der passenden Wellenlänge zu begegnen. Zudem ging man davon aus, dass bei einem schmaleren Ausbildungsprofil die Fachkompetenzen deutlich erhöht würden. Und weniger begabte Lehrer sollten so weniger Schaden anrichten können.

Aufwertung der Klassenlehrerfunktion erleichtert eine gute Klassenführung

Aufwertung der Klassenlehrerfunktion erleichtert eine gute Klassenführung.

Gegenüber dem System der breit ausgebildeten Klassenlehrer herrschte damals ein eigenartiges Misstrauen. Lehrerpersönlichkeiten mit einem ausgeprägten pädagogischen Gestaltungswillen waren auf einmal weniger gefragt, denn Kinder und Jugendliche sollten keinesfalls den Ansichten einer einzelnen Lehrperson ausgesetzt werden. Ausgewogenheit war Trumpf, man vertraute auf die Vielfalt der Meinungen und Charaktere in einem mehrköpfigen Lehrerteam. Dabei merkte man viel zu spät, dass weit gewichtigere Nachteile mit dem neuen System in Kauf genommen wurden. Klassen, die beinahe wie in einem Gymnasium von verschiedenen Fachleuten unterrichtet wurden, waren schwer zu führen. Die häufigen Lehrer- und Schulzimmerwechsel waren oft mit Unruhe und organisatorischem Aufwand verbunden. Obwohl die Klassenlehrerfunktion meist einzelnen Lehrpersonen übertragen wurde, ging vom Spirit des bisherigen Modells mit einem breitgefächerten Pensum der Klassenlehrperson viel verloren. Dieser Verlust an pädagogischer Ausstrahlung hat dem Ansehen des gesamten Berufsstands sicher geschadet und scheint erst in neuster Zeit durch differenziertere Ansichten zum Lehrerberuf überwunden zu sein.

Doch Eltern wollen stets wissen, wer denn in einer Klasse für ihr Kind hauptverantwortlich ist.

In einer modernen Schule spielt der Teamgedanke zweifellos eine grosse Rolle.  Grundlegende pädagogische Ideen können hier diskutiert und deren Umsetzung mitverfolgt werden. Heilpädagoginnen und Fachkräfte aus verschiedenen Bereichen sind unverzichtbare Helfer für das Wohl der Kinder. Doch Eltern wollen stets wissen, wer denn in einer Klasse für ihr Kind hauptverantwortlich ist. Je jünger ein Kind ist, desto zentraler ist die Funktion der Klassenlehrperson. Für die Entwicklung einer konstanten Lernbeziehung sind tägliche Begegnungen in mehrstündigen Unterrichtsblöcken mit der Klassenlehrperson von unschätzbarem Vorteil. Dabei kann in gut eingespielten Teams die Klassenlehrerfunktion durchaus auch auf zwei Personen aufgeteilt werden.

Man tut sich äusserst schwer, die Stellung der Klassenlehrpersonen entscheidend zu verbessern. Weder lohnmässig noch bei Entlastungen durch weniger Lektionen für Klassenlehrpersonen geht es richtig vorwärts.

Die tieferen Ursachen des Lehrermangels müssen aufgearbeitet werden

Eigentlich müssten die Bildungsdirektionen längst handeln. Doch man tut sich äusserst schwer, die Stellung der Klassenlehrpersonen entscheidend zu verbessern. Weder lohnmässig noch bei Entlastungen durch weniger Lektionen für Klassenlehrpersonen geht es richtig vorwärts. Gegen die Aufsplitterung der Pensen und dem damit verbundenen organisatorischen Aufwand wird zu wenig unternommen. Dabei ist allen klar, dass die Klassenlehrpersonen das starke Rückgrat unserer Volksschule bilden und einen erfolgreichen Einsatz vieler Fachlehrkräfte überhaupt erst ermöglichen.

Männer und Frauen wollen nicht einfach Ausführende von Bildungsplänen werden.

Der Lehrermangel kann nur behoben werden, wenn es gelingt, wieder mehr Männer für den alles in allem immer noch sehr attraktiven Lehrerberuf zu gewinnen. Das setzt aber ein Lehrerbild voraus, das die Freiheiten im Beruf sowie die Führungsverantwortung für eine Klasse hervorhebt. Männer und Frauen wollen nicht einfach Ausführende von Bildungsplänen sein und dienstbefliessen Bildungswünsche von allen Seiten erfüllen. Wer Lehrerin oder Lehrer ist, möchte mit Blick auf wesentliche Auftragsziele den Unterricht frei gestalten und sich Zeit für die anvertrauten Schülerinnen und Schüler nehmen können. Lehrpersonen sollten sich nicht schämen, ihre herausfordernde Aufgabe auch als Berufung anzunehmen, denn darin liegt viel pädagogische Kraft.

Die Bildungspolitik ist gefordert. Sie kann sich beim Lehrermangel weiterhin mit steigenden Schülerzahlen herausreden statt den tieferen Ursachen auf den Grund zu gehen. Doch das zweite wäre entschieden mutiger und erfolgversprechender.

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