Ich wurde in den frühen 60er-Jahren im St. Johann-Schulhaus in Basel beschult. Am Morgen quollen die Kinder nur so aus den Wohnblocks unseres Quartiers und wir liefen in Paaren oder in ganzen Gruppen in Richtung Schule. Dort wurden wir in Klassen mit über 35 Schülerinnen und Schülern gepfercht und, als das nicht mehr reichte, stellte man Metallcontainer auf den Pausenplatz. In diesen wurden die 4. Klässler unterrichtet. Für uns 1. Klässler waren das die Grossen. Sie waren in den Pausen auch immer die ersten auf dem Pausenplatz und besetzten die besten Spielplätze. Die hässlichen Metallcontainer entwickelten sich bald einmal zu unserem Sehnsuchtsort. Während wir – die Kleinen – am Ende der Pause noch in Reihen anstehen mussten, um dann geschlossen in das ehrwürdige Hauptgebäude einzumarschieren, durften die Grossen einfach in ihren Container reinschlendern. Als wir endlich in die 4. Klasse kamen, durften auch wir in den Schulcontainer zügeln. Wir genossen die Zeit in diesen Metallbehältern, weil sie uns so etwas wie Freiheit und Autonomie in einem ansonsten sehr kontrollierten Schulalltag erlaubten. Und dazu gab es ein begehrtes Ämtchen. Die Erlesenen durften aus dem nahen Brunnen Wasser in einem Eimer holen.

40 Jahre später, ich war inzwischen Lehrer am Oberstufenzentrum Madretsch in Biel, stand ein Erweiterungsbau und eine umfassende Sanierung an. Auch hier stellte man als Zwischenlösung im Pausenhof einen blauen Doppel-Container auf. Dieser war mit den 60er-Metallkästen kaum mehr zu vergleichen. Es gab fliessendes Wasser und sogar eine Toilette. Die Böden waren mit Spannteppichen ausgelegt, die Heizung hervorragend abgestimmt. Das herausragende Merkmal war aber der Platz. Die Zimmer waren im Vergleich zu den eher kleinen Schulräumen im alten Gebäude riesig. Wieder waren es die grossen, die 9. Klässler, welche in diesen Containern beschult wurden. Und sie genossen es. Autonomie, Freiheiten und ein grosser Aussenraum begeisterten die Jugendlichen und auch die Lehrkräfte unterrichteten gerne darin. Als die Sanierung fertig war, gab es sogar Stimmen, welche die Container behalten wollten, sei es als Ersatzschulraum oder als Schülerraum. Doch die Schuldirektion hatte diese Container nur gemietet. Sie wurden anderweitig benötigt.

Derzeit unterrichte ich – bereits pensioniert – in Pieterlen. Erstmals darf ich nun selbst in einem Container unterrichten. Von aussen sehen diese weissen Metallboxen schrecklich aus. Insgesamt sechs Stück sind zu einer dreistöckigen Fassadenwand aufeinandergetürmt, verbunden mit einer Aussentreppe. Wenn man mein Klassenzimmer betritt, landet man hingegen in einem riesigen Wohnzimmer. Die Raumgrösse mit ihren 14,5 mal 10 Metern lässt eine Coupierung des Raumes zu, mit abgetrennten Lernecken und einem Sofa. Eine topmoderne digitale Einrichtung mit Whiteborad und personalisierten Laptops für jeden Schüler erlauben jederzeit einen digitalen Unterricht. Unzählige Einbauschränke und Schubladenstöcke ermöglichen den Raum als Mal- oder Physikzimmer oder Theaterplatz umzubauen. Für eine angenehme Arbeitsatmosphäre sorgt überdies eine Klimaanlage, die man verstellen kann. Keine Frage: Hätte ich die Wahl zwischen diesem anarchischen Schulcontainer oder dem soeben beschlossenen überkandidelten 52 Mio-Luxusprojekt im Bieler Quartier Champagne zu unterrichten, ich hätte ersteres gewählt.

Wenn eine Gemeinde ein neues Schulhaus plant, rechnet man mit 1 Mio. pro Klassenzimmer. In diesem Preis ist alles inbegriffen, Lehrerzimmer, Toiletten, Putzräume, Elektroanlagen, Gruppenräume usw. Bauliche Sonderwünsche für den Spezialunterricht und architektonischer Profilierungswahn katapultieren diese 1-Mio-Grenze derzeit in unsinnigste Dimensionen.
Container sind ab 300’000 Fr. zu haben. Luxuscontainer kann man für 660’000 Fr. einkaufen. Man kann sie auch mieten. Das Wort «Container» hat natürlich einen scheusslichen Beigeschmack. Vielleicht sollte man von flexiblen Modulbauten sprechen, das tönt doch gleich etwas besser. Sie sind schnell aufstellbar, und können auch wieder rasch abgebaut werden. Nächstens steht die Renovation des baufälligen Bieler Schulhauses Platanes an. Und bei vielen Steuerzahlern bilden sich schon die ersten Schweissperlen, wenn sie daran denken, welche Pläne uns der Gemeinderat hier auftischt. Einen Vorteil hat die «Platanes» immerhin: Sie steht nicht unter Denkmalschutz. Bei allem Respekt für den architektonischen und städtebaulichen Profilierungsdrang, wichtig sind immer noch die Investitionen in das, was Schule wirklich ausmacht, nämlich in den Unterricht.

