10. Dezember 2024
Denkmoment

Die “letzte Generation” – Anmassung oder Zukunftsaussichten?

Die Bezeichnung “Letzte Generation” impliziert, dass nach dieser – auf die Menschheit bezogen – nichts mehr komme. Die Etikette bedeutet demnach, dass nach dieser Generation alles zu Ende sei. Sich eine solche Endzeit-Bezeichnung anzueignen, grenzt an Unverschämtheit. Zugleich ist sie ein Affront all denen gegenüber, die – wie das frühere Generationen auch getan haben – an die Zukunft glauben und diese mit legalen Mitteln gestalten. Eltern mit Kleinkindern fragen sich, wie sie denn ihre Nachkommen betiteln sollen, wenn die “Letzten” anscheinend schon da sind.

Mit ihrem oft strafrechtlichen Aktionismus verspielen diese Früh- und Spät-Adoleszenten die Gunst der ihnen vorangehenden und nachkommenden Generationen. Das ist bedauerlich, umso mehr es um wichtige Themen wie insbesondere die Klimathematik geht. Dabei wissen wir, dass die Zukunftssteuerung nicht lauthals auf der Strasse, sondern über den politischen Weg erfolgt.

Gastautor Niklaus Gerber

Konfrontationen haben noch nie zu tragfähigen und nachhaltigen Lösungen geführt. Nur wer den Fokus auf die Urne richtet, handelt lösungsorientiert. Doch viele der stimm- und wahlberechtigten Jungen foutieren sich aus oft befremdlichen Gründen dagegen. Statistisch liegt die Beteiligungsquote der Jungen bei praktisch allen Urnengängen 15% bis 20% unter dem schweizerischen Durchschnitt. Mit einer solchen Abstinenz sind keine Veränderungen möglich.

Bemüht man die üblichen Quellen zur Frage, was die Zuschreibung “Letzte Generation” bedeute, dann lehrt uns die Biologie, dass es um die jüngste Generation resp. Nachkommen von Lebewesen in einer Abstammungslinie gehe. Oder – im politischen Fokus – wird mit der Bezeichnung auf den Zusammenschluss von Klimaaktivisten in Deutschland und in Österreich hingewiesen. Die Mittel derselben sind unter anderem ziviler Ungehorsam, Strassenklebeaktionen, Verkehrsblockaden, Gebäude besprühen.

Statistisch liegt die Beteiligungsquote der Jungen bei praktisch allen Urnengängen 15% bis 20% unter dem schweizerischen Durchschnitt. Mit einer solchen Abstinenz sind keine Veränderungen möglich.

In der Öffentlichkeit stossen diese Protestformen weitgehend auf Ablehnung. Sie sind destruktiv und spalten die Gesellschaft bei einem ökologischen Anliegen, welches alle Menschen – auch die nachkommenden Generationen – betrifft. Die Sorge um eine gesunde und lebenswerte Welt ist generationenübergreifend und nicht allein ein Thema der so genannten “Letzten Generation”. Diese Inanspruchnahme ist anmassend.

Es greift allerdings zu kurz, diese ungeduldigen jungen Menschen, die sich oft lauthals und militant auflehnen, lediglich wegen ihrer unrühmlichen Aktionen an den Pranger zu stellen und zu verurteilen. Das Problem ist vielschichtiger: An der Urne erhält die junge Generation praktisch kein Gehör. Praktisch immer werden sie durch das Wahlgewicht der Älteren überstimmt. Der Grund liegt in der Demografie (siehe Grafik).

 

 

Die zunehmende Veränderung der Alterspyramide führt dazu, dass die Zukunft der Jungen nicht mehr in ihren Händen liegt und zu einer gesellschaftlichen Belastung führt. Das heutige Stimm- und Wahlsystem-Konstrukt mit “one man – one vote” läuft immer mehr gegen eine Wand. Kompensieren lässt sich dieses nur durch eine Stimmgewichts-Verschiebung zu Gunsten der Jungen. Zwei Optionen bieten sich an:

  • Gewichtung der Altersklassen[1]

Die Stimm- und Wahlberechtigten im Alter von 18 bis 45 Jahren müssten beispielsweise ein 2-faches Gewicht, solche ab 46 Jahren und bis zur Pensionierung ein 1,5-faches und Pensionierte das bisherige 1-fache Gewicht erhalten. Gedanklich geht es hierbei um eine Umkehrung: Kern der heutigen AHV ist ein Vertrag zwischen den Generationen. Die Jüngeren und Erwerbstätigen finanzieren die Älteren. Dieser Ansatz lässt sich auf faire Weise umkehren. Die Älteren treten in ihrer Mitbestimmung in das zweite Glied und ermöglichen so der ihnen nachfolgenden Generation die Zukunftsgestaltung.

  • Stimmrechtsalter Null

Mit der Geburt erhält jedes Kind das Stimm- und Wahlrecht. Das bedeutet, dass Familien mit ihrem Nachwuchs ein höheres Gewicht erhalten. Natürlich ist die politische Meinungsbildung und in der Folge die Meinungsäusserung an der Urne durch den oder die Elternteile geprägt. Das gleiche erfolgt jedoch am oberen Rand der Altersspanne. Ältere Menschen werden in gleicher Weise durch Jüngere beraten, was sie denn stimmen oder wählen sollen.

Das heutige Stimm- und Wahlsystem-Konstrukt mit “one man – one vote” läuft immer mehr gegen eine Wand.

Es wäre wünschenswert, wenn die Politik hier einen aktiven Schritt täte. Nur so liesse sich erreichen, dass die jüngere Generation mit ihren Anliegen auf demokratische Weise gehört wird und sich unsere Volkswirtschaft mit den Stimmen der jüngeren Generation weiterentwickeln kann. Die Frage ist, wann Regierung und/oder Parteien auf diesen sich anbahnenden Generationenkonflikt reagieren.

 

[1] «Den Jungen die Zukunft – mit einem Generationsvertrag», in Schulführung im Alltag, Gerber, 2023

 

Niklaus Gerber, war bis zu seiner Pensionierung im August 2021 Abteilungsleiter und Mitglied der gibb-Schulleitung in Bern und hat sich mit NORDWÄRTS – Kompass für kompetente Führung – selbständig gemacht.

image_pdfAls PDF herunterladen

Verwandte Artikel

Alles eine Frage der Ressourcen

Die Integrationsdebatte bewegt die Gemüter in der Schweiz. Das Bildungspapier der FDP oder die eingereichten Initiativen in Basel und im Kanton Bern haben die Bildungsbürokratie aufgeschreckt. Es gibt in dieser Diskussion viele differenzierte und kluge Beiträge von beiden Seiten. Die kirchliche Botschaft in der Zeitschrift “reformiert”, das Verbandsblättchen der evangelisch-reformierten Landeskirchen, gehört zu den weniger gescheiten, meint Condorcet-Autor Alain Pichard.

Ein Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert