27. September 2024
Elterngespräche 2. Teil

Ein Gespräch ist ein Gespräch

Wie angekündigt beschreibt Condorcet-Autor Alain Pichard, wie er Elterngespräche geführt hat und – trotz seines Pensionsalters – immer noch führen darf.

Natürlich hat sich die Art und Weise, wie ich Elterngespräche zu führen pflegte, in all den Jahren immer wieder geändert. Drei Dinge aber blieben gleich: Ich führte die Gespräche immer im Beisein der Schülerinnen oder Schüler, ich verzichtete auf allzu viele Lehrkräfte, die mit mir am Tisch sassen, und ich führte ganz selten Protokolle, die am Schluss unterschrieben werden mussten.

Alain Pichard, Lehrer Sekundarstufe 1, GLP-Grossrat im Kt. Bern und Mitglied der kantonalen Bildungskommission: Ich interessiere mich für den Schüler.

Ich bin ein Lehrer, der sich für seine Schüler interessiert. Dementsprechend interessiere ich mich auch für ihr Umfeld, sprich für die Familie. Der Informationsaustausch stand deshalb an erster Stelle. Bis zu einem Weiterbildungsmodul vor 15 Jahren waren Elterngespräche bei mir ziemlich konventionell und einfach.

Dann besuchte ich einen Kurs von Erwin Schnyder, Primarlehrer, Heilpädagoge und Dozent am bernischen Weiterbildungsinstitut. Von ihm übernahm ich zwei Inputs

  1. Die Erklärung, um was es geht
  2. Die Aktivierung des Schülers im Beisein seiner Eltern mittels einer Skala.

Natürlich muss ein Elterngespräch gut vorbereitet sein. Die Eltern wollen in der Regel wissen, wo ihr Kind steht, wie es arbeitet und wie es sich benimmt. Die Vorbereitungszeit eines Elterngesprächs dauert in der Regel eine halbe Stunde. Dabei gilt es auch, Informationen von anderen Lehrkräften einzuholen und in die Notizen einzuarbeiten. Ab und zu wird der Wunsch angemeldet, dass neben mir noch eine andere Fachlehrkraft hinzugezogen wird. Diesem Wunsch komme ich zwar nach, aber grundsätzlich halte ich es für besser, als hauptverantwortlicher Klassenlehrer alleine mit den Eltern und ihrem Sprössling zu reden. Ich möchte einerseits meine Kolleginnen und Kollegen nicht unnötig belasten, andererseits ist es mein Ziel, eine vertrauenswürdige und angenehme Umgebung zu schaffen, was mit zu viel anwesenden Personen schnell einmal eingeengt wird. Für das Gespräch selber rechne ich mit einer halben Stunde. Aber ich organisiere den Abend in einem Stundentakt, das heisst, dass die Gespräche bei Bedarf auch etwas länger dauern können. Die freiwerdende Zeit nutze ich für die Vorbereitung der anschliessenden Zusammenkunft.

Ich unterteile den Dialog in vier Teile

  1. Leistungsstand
  2. Arbeitsverhalten
  3. Sozialverhalten
  4. Sonstiges

Hierzu gebe ich den anwesenden Eltern und dem Schüler oder der Schülerin ein Blatt, auf welchem Kriterien aufgezählt sind, die ich kurz erkläre. Bei allen Bereichen nenne ich einige Dinge, die meiner Meinung nach für den Lernerfolg wichtig sind. Dabei vermeide ich den Eindruck, dass all dies nun erreicht werden muss, also dass der Lernende bei mir eine Art «Working Class Heroe» zu sein hat. Nachdem ich den Eltern das erklärt habe, lege ich dem Schüler eine Skala von 1 bis 10 aus und gebe ihm einen Filzstift. Er soll ankreuzen, wo er sich in dem betreffenden Bereich einstuft. 1 gilt für unterirdisch, 10 ist der Nobelpreis. Wenn nun eine Schülerin ihr Kreuz bei der Zahl 6 macht (die meistgewählte Zahl), frage ich sie: «Da machst du ja einiges gut. Sag mir mal, was du gut machst?» Da hapert es bereits des Öfteren. Ich lasse ihr Zeit. Reflektieren und sich selbst einschätzen ist nicht immer leicht. Danach frage ich sie, was es denn noch braucht, damit sie auf eine 7 oder 8 oder noch mehr kommt. So entspinnt sich ein Gespräch, das den Schüler ins Zentrum rückt und ihn auch fordert. Grundsätzlich bin ich natürlich überhaupt kein Freund von Skalen und Kriterientabellen. Das Blatt fliesst denn auch in keine Beurteilung hinein und dient ausschliesslich der Ingangsetzung eines informativen Gesprächs. Natürlich steuere ich zu jedem Bereich meine Beobachtungen und Informationen zum Leistungsstand bei.

Ich wiederhole dies drei Mal in allen Bereichen mit den Farben blau, rot und grün. Die Skala und meine Notizen lege ich in einem Ordner ab (ja, in Papierform!). Unterschrieben wird nichts, aber ab und zu können wir auch über Fussball, oder vergangene Jugendzeiten reden. Vereinbarungen beinhalten höchstens zwei Zielsetzungen, die ich unter das Skalablatt schreibe.

Mit dieser Vorgehensweise lasse ich das Gespräch ein Gespräch sein und verwandle den Anlass nicht in eine Verhandlung oder einen Gerichtstermin. Und überdies sorge ich in meinem Klassenzimmer für einen Bürokratieabbau. Ich hatte das Glück, unter Schulleitungen zu arbeiten, die meine Arbeitsweise akzeptierten und mir die nötigen Freiheiten liessen,

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Ein Kommentar

  1. Lieber Alain

    Auch dieser 2. Teil ist höchst lesenswert und sympathisch. Du setzt u.a. die 10-er Skala ein, die ich oft ebenso verwende, beispielsweise bei Mediationen. Sie bietet stets eine gute Ausgangslage für die daran anschliessenden Gesprächs-Vertiefungen. Und: Deinen Schulleitungen mache ich für die dir zugestandenen Freiheiten ein Kompliment.

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