Der exzessive Umgang unserer Jugend mit Smartphones und anderen digitalen Geräten wirft zurzeit hohe Wellen. Die Zeitungen sind voll mit Interviews von Medienfachleuten, die sich äusserst besorgt über den ausufernden Gebrauch von Smartphones im Alltag unserer Jugend zeigen. Eltern melden sich ziemlich verzweifelt, dass ihr Sohn kaum noch von gewissen elektronischen Ballerspielen loskomme und ihre Tochter bis tief in die Nacht in den sozialen Netzwerken am Chatten sei. Selbst digital affine Journalisten fragen sich, ob die Entwicklung nicht längst aus dem Ruder gelaufen ist.
Die Nachrichtenflut auf den Handys beeinträchtigt das Lernverhalten
Der Tenor in den Interviews und den Berichten ist eindeutig: Der digitale Konsum hat bei einem sehr grossen Teil unserer Jugend ein schädliches Ausmass angenommen. Jedes Beschönigen der Situation sei fehl am Platz. Es fällt nicht schwer, die negativen Auswirkungen des digitalen Überkonsums aufzuzählen. Suchtartiger Umgang mit dem Handy, dauernde Übermüdung, fehlende Konzentrationsfähigkeit, Rückzug aus dem realen Freundeskreis, Traumatisierungen durch übelste Gewaltszenen und depressives Verhalten sind unter Jugendlichen weit verbreitet.
Diese unerfreuliche Entwicklung hat die Volksschule mit voller Wucht getroffen. Manchen Teenagern gelingt es kaum noch, sich längere Zeit intensiv mit einem Thema auseinanderzusetzen. Sie sind sich so sehr an digitales Kurzfutter gewöhnt, dass sie rasch abhängen, wenn keine häufigen Szenenwechsel erfolgen. Wie seriöse Untersuchungen zeigen, wirkt sich eine totale Abhängigkeit von den elektronischen Geräten spürbar negativ auf die Schulleistungen aus. Grundsätzlich ist die Einsicht da, dass es so nicht weitergehen kann, doch viele Schulen zögern, einschneidende Massnahmen zu treffen. Niemand setzt sich gern dem Vorwurf aus, als Bremser des digitalen Fortschritts hingestellt zu werden. Doch jetzt braucht es überzeugende Lösungen für den Umgang mit digitalen Geräten.
Ein halbherziges Handyverbot nützt wenig
Die erste Frage lautet: Sind unsere Schülerinnen und Schüler während eines Schultags wirklich auf ihr Handy angewiesen? Die Antwort ist ein klares Nein. Die Ausrede von der steten Erreichbarkeit durch die Erziehungsberechtigten verflüchtigt sich im Nu, wenn in Notsituationen via Klassenlehrpersonen ein Kontakt hergestellt werden kann.
Die Idee einer handyfreien Schule ist ein pädagogischer Kontrapunkt zugunsten einer Befreiung der Jugendlichen von einer arg belastenden Nachrichtenflut. Deshalb ist es wichtig, dass die Handys auch in den Pausen den Jugendlichen nicht zur Verfügung stehen. Wird dies nicht praktiziert, kann man davon ausgehen, dass die Mitteilungen auf den Bildschirmen weit mehr Aufmerksamkeit finden als die Mitschüler auf dem Pausenplatz. Schulen sind Orte, wo das Gemeinsame, der direkte Kontakt untereinander, eine zentrale Rolle spielt. Sportliche Aktivitäten in den Pausen und freundschaftliche Gespräche sind Teil einer gemeinschaftsbildenden Schulkultur. Dies anerkennen selbst Schüler, die bereits Erfahrungen mit einem umfassenden Handyverbot an ihren Schulen gemacht haben. Sie schätzen es, nicht mehr dauernd auf ihr Smartphone starren zu müssen.
Niemand setzt sich gern dem Vorwurf aus, als Bremser des digitalen Fortschritts hingestellt zu werden. Doch jetzt braucht es überzeugende Lösungen für den Umgang mit digitalen Geräten.
Die bisherigen Stellungnahmen des LCH und einiger kantonaler Lehrerverbände sind in der Frage eines umfassenden Handyverbots ziemlich vage ausgefallen. Mit ihrer zweideutigen Haltung geben sie den Lehrpersonen, welche sich aus pädagogischen Überlegungen für ein Verbot an ihrer Schule entschieden haben, keine ausreichende Rückendeckung. Ausgerechnet in einer Angelegenheit, wo die pädagogische Argumentation von zentraler Bedeutung ist und die Stimme der Lehrerschaft grosses Gewicht hat, drückt man sich vor eindeutigen Aussagen. Dabei verkennt man die Chance, dass die allermeisten Eltern froh wären, wenn die Schule mit einer starken Einschränkung des Handygebrauchs voranginge. Die Schule kann zwar den Freizeitbereich kaum beeinflussen, aber handyfreie Schulen wären zweifellos eine Manifestation des pädagogischen Widerstands gegen einen gedankenlosen Umgang mit digitalen Geräten. Sehr hilfreich wäre es, wenn die Lehrerverbände endlich über ihren Schatten springen und für umfassend handyfreie Schulen eintreten würden.
Forcierte Individualisierung pusht die Digitalisierung
Die zweite Frage lautet: Wie weit ist ein breiter Einsatz digitaler Geräte in der Volksschule tatsächlich ein pädagogischer Fortschritt? Hier gehen die Meinungen weit auseinander. Selbstverständlich gibt es Bereiche, wo digital unterstütztes Lernen einen Mehrwert bringt. Persönliche Laptops an der Sekundarschule gehören heute in den meisten Klassen zur digitalen Grundausrüstung. Höchst umstritten ist jedoch der Einsatz von iPads und Laptops bereits in der Primarschule. In den Berichten aus Skandinavien, wo die Digitalisierung weit fortgeschritten ist, wird eine ernüchternde Bilanz gezogen. Statt der erhofften Leistungssteigerung durch eine verstärkte Digitalisierung zeigten sich erhebliche Defizite der Kinder in den Grundlagenfächern. Die Warnungen aus den Bildungsministerien vor viel zu hohen Erwartungen an einen digitalisierten Unterricht sind nicht zu überhören.
Man kann unseren Lehrerverbänden nicht vorwerfen, dass sie die Kritik an der Digitalisierung nur auf die leichte Schulter nehmen würden. Doch sie verdrängen eine Grundsatzfrage, die eng mit der umfassenden Digitalisierung verknüpft ist. Es geht um die radikale Individualisierung des Unterrichts. Muss jedem Kind individualisiertes Lernen mit unterschiedlichen Bildungszielen ermöglicht werden, kommen die Lehrpersonen mit konventionellen Methoden an den Anschlag. Es ist äusserst schwierig, zwanzig Kinder in einem Klassenzimmer gut zu betreuen, wenn jedes in seinem Lernprozess an einem andern Kompetenzschritt arbeitet.
Die Schüler vermissen das Erlebnis des miteinander Lernens, sie fühlen sich nicht direkt angesprochen und das allgemeine Lernniveau sinkt.
Unter dem Druck populärer Individualisierungsansprüche haben sich Anbieter digitaler Lernprogramme als professionelle Helfer ins Spiel gebracht. Ihr Konzept tönt einleuchtend. Man setzt jedes Kind nach einem kurzen Einführungsgespräch vor einen Bildschirm und lässt es auf einem passenden Level selbständig lernen. Doch was bei einer radikalen Umsetzung dieser Methode dabei herauskommt, ist im Vergleich zu einem guten gemeinsamen Unterricht in der Regel wenig erfreulich. Die Schüler vermissen das Erlebnis des miteinander Lernens, sie fühlen sich nicht direkt angesprochen und das allgemeine Lernniveau sinkt.
Masshalten bei den Bildungswünschen reduziert den Digitalisierungsdruck
Es gehört zu den pädagogischen Grundregeln, dass Lehrkräfte auch im gemeinsamen Unterricht das individuelle Leistungsvermögen der Jugendlichen berücksichtigen. Grundlagen werden so erarbeitet, dass möglichst alle Schüler sie verstehen. Danach können im schriftlichen Bereich über Basis- und Zusatzstoff bis zu einem gewissen Grad individuelle Wege beschritten werden. Doch mit überzogenen Anforderungen an massgeschneidertes Lernen werden die Kräfte der Lehrpersonen strapaziert. Das hat offensichtlich auch der Zürcher Lehrerverband gemerkt, der sich in einer Stellungnahme kritisch zu den Belastungen durch eine übertriebene Individualisierung geäussert hat.
Ein Handyverbot ist das eine, um konzentriertes Lernen in der Volksschule zu fördern. Das andere ist ein Masshalten beim individualisierten und digitalisierten Unterricht. Auch da wäre es hilfreich, wenn die Lehrerverbände auf den engen Zusammenhang der beiden Bereiche hinweisen und ausufernden Bildungswünschen entgegentreten würden.
Liebe Leserinnen und Leser, Sie finden in unserer Ausgabe ein ganzes Bündel an Texten und Kommentaren zum problematischen Einfluss der digitalen Welt auf unsere Jugend. Wir fanden es angebracht, uns auf dieses wichtige Thema zu konzentrieren.