23. November 2024
Zu Basels gescheiteter Schulpolitik - eine Ergänzung zu Christine Staehelins Artikel

Der Erfahrungsschatz der Praxis wird negiert

Der Kommentar des BAZ-Chefredakteurs Marcel Rohr stiess in unserer Leserschaft auf grosses Interesse. Auch die Condorcet-Autorin Christine Staehelin reagierte auf die scharfe Analyse, empfand sie allerdings als zu oberflächlich. Für Condorcet-Autor Felix Hoffmann ist das Versagen des Basler Schulsystems allerdings ein Absturz mit Ansage.: Zu viel Ideologie, zu wenig Sachverstand und das Beiseiteschieben der Lehrkräfteexpertise.

Die gemiedene Expertise der Profis

Dass die Lehrkräfte mittlerweile verstummt sind, ist absolut richtig, es geht allerdings darüber hinaus. Lehrpersonen wurden eben auch aktiv mundtot gemacht. Insbesondere im linken Basel wurde ihnen unter dem ehemaligen Leiter für Volksschulen, Dieter Baur, untersagt, sich öffentlich reformkritisch verlautbaren zu lassen. Erboste man sich als Lehrkraft dennoch, die eigene Meinung zu publizieren, wurde man zitiert und abgemahnt. – Der Kommunismus mit seiner autoritären Gleichschaltung lässt grüssen. Wer aber soll denn besser geeignet sein, den Schulbetrieb zu beurteilen, als erfahrene und bewährte Lehrkräfte, die täglich ihre Arbeit darin verrichten und die negativen Auswirkungen von Reformen unmittelbar erleben? Doch ausgerechnet die Expertise solcher Lehrpersonen scheut die Bildungspolitik wie der Teufel das Weihwasser. Sie will den Lead, die Deutungshoheit. In der Bildungspolitik agiert oft nicht, wer dafür qualifiziert ist, sondern wer bestimmen will.

So stützte man sich bei Passepartout nicht auf die für alle Lernenden, ob gross oder klein, wichtigen Prinzipien beim Fremdsprachenerwerb[2], sondern auf eine Ideologie.

Felix Hoffmann, BL, Sekundarlehrer, Condorcet-Autor: Keine Expertise der Lehrpersonen erwünscht.

Die Entmenschlichung des Schulbetriebs

Wie Stähelin sehr richtig bemerkt, ist «das pädagogische Tun in seinem Kern eine personale Angelegenheit…» Dies zeigt sich auch im sogenannten pädagogischen Dreieck zwischen  Thema, Lehrenden und Lernenden. Mit andern Worten steht neben der Wissens- und Kompetenzvermittlung letztlich der Mensch im Mittelpunkt des Schulbetriebs. Dieser geriet allerdings vor rund dreissig Jahren[1] aus dem Fokus der Bildungspolitik, und zwar nicht nur die Lehrenden, sondern auch die Lernenden.

So stützte man sich bei Passepartout nicht auf die für alle Lernenden, ob gross oder klein, wichtigen Prinzipien beim Fremdsprachenerwerb[2], sondern auf eine Ideologie, die letzten Endes auf einem unsäglich dümmlichen Irrtum beruhte.[3] Bei der Kompetenzorientierung orientierte man sich an den Bedürfnissen der Wirtschaft. Bei der Digitalisierung liegt die Rentabilität von Firmen wie Apple, Microsoft und Google im Vordergrund. Und beim Frühfranzösisch berief man sich u.a. auf behauptete Erkenntnisse aus der Gehirnforschung, statt sich an der die Lernenden umgebenden Realität zu orientieren: Zu viele fremdländische SchülerInnen sind mit drei Fremdsprachen heillos überfordert. Zu viele Lehrkräfte auf der Primarstufe sind nicht ausreichend für den Französischunterricht qualifiziert, zumal sie ferner auch noch mit den schlechten Passepartout-Lehrmitteln unterrichten. Die Klassen sind wegen der Integration bzw. Inklusion über die Massen heterogen, sodass stets mehr SchülerInnen immer weniger lernen.

Also auch bei dieser Reform standen die Belange der Lernenden nicht im Zentrum.

Selbst bei der so menschlich anmutenden Integration/Inklusion geht es nur vordergründig um das Wohl der Kinder und Jugendlichen. In Tat und Wahrheit dreht es sich auch hier um eine Ideologie, sprich der weltfremden ideologisch behaupteten Gleichheit der Menschen, was nichts anderes bedeutet als Gleichmacherei. Diese ist getarnt durch euphemistische Begrifflichkeiten wie Chancengleichheit, die sich klangheimlich zur nicht minder realitätsfernen Chancengerechtigkeit wandelte. Wie bei Passepartout liegt auch hier letzten Endes ein Irrtum zugrunde: Wenn man die Lernenden nur alle in den gleichen Topf wirft, haben sie alle die gleichen Chancen. Dies unter völliger Ausblendung der real existierenden Individualität der SchülerInnen.

Man darf gespannt sein, ob der neue Basler Erziehungsdirektor in spe, der Linke Mustafa Atici, bereit sein wird, über seinen ideologischen Schatten zu springen, um Förderklassen einzuführen. Dies wäre ausnahmsweise keine Reform, sondern eine längst fällige Korrektur.

Die durch die Ideologie der Integration/Inklusion verursachten Probleme treten insbesondere in Basel überdeutlich zutage, ein gewichtiger Grund für den Lehrkräftemangel und den dortigen schulischen Leistungsabfall. Man darf gespannt sein, ob der neue Basler Erziehungsdirektor in spe, der Linke Mustafa Atici, bereit sein wird, über seinen ideologischen Schatten zu springen, um Förderklassen einzuführen. Dies wäre ausnahmsweise keine Reform, sondern eine längst fällige Korrektur.

Das unsägliche Reformprojekt des  VSLCH

Christine Staehelin bringt es äusserst treffend auf den Punkt: «Es braucht nun keine weiteren Reformen und Massnahmen, um die Schule zu verbessern, sondern die Abkehr von der Idee, dass diese etwas dazu beitragen könnten.» Die vom Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz, (VSLCH) propagierte Abschaffung der Noten und der Selektion – einer weiteren Reform also, die alles auf den Kopf stellen will – könnte in der Folge zu keinem dümmeren Moment kommen. Abgesehen davon, würden die Interessen der Lernenden auch hier einmal mehr unberücksichtigt bleiben. Denn diese wollen Noten, da sie ihnen eine unkomplizierte, leicht verständliche und verlässliche Orientierung zum eigenen Leistungsstand  bieten. Und was die Abschaffung der Selektion betrifft, wurde uns anhand der selektionsbefreiten Basler Orientierungsschule (OS) ein Lehrstück geboten: Schon kurz nach deren Gründung wurde die Selektion durchs Hintertürchen wieder eingeführt über die sogenannten Emos-Klassen[4]. Dies, da die extreme Heterogenität der Regelklassen seitens der Lehrerschaft nicht mehr zu händeln war. Jener Schritt stellte sich jedoch als unzureichende Kosmetik heraus. Denn die OS war grundsätzlich ein integratives Fehlkonstrukt, insbesondere wegen der fehlenden Selektion und der fehlenden Noten. Abgesehen von deren PromotorInnen wollte sie niemand in Basel, weder die Schüler-, Eltern- und Lehrerschaft- noch die Wirtschaft. Nach einer Gesichtswahrungsfrist von etwa 12 Jahren, war sie folglich Geschichte.

Es stellt sich die Frage, in wessen Namen der VSLCH hier eigentlich agiert, im Namen des gesamten Verbands? Oder ist es vielleicht ein eigenmächtiges Projekt der Verbandsspitze um das der Mercator Stiftung nahestehende Geschäftsleitungsmitglied, Jörg Berger? «Das Wort “Mercator” stammt aus dem Lateinischen und bedeutet “Kaufmann” oder “Händler”…Insgesamt bezeichnet “Mercator” also eine Person, die sich mit Handel und Kommerz beschäftigt.»[5] Nomen est Omen! Der Schulbetrieb als Handelsplatz neoliberaler Geschäftsmodelle getarnt im Tarnkappenbegriff der «Reform».

Anstelle von weiteren unsäglichen Reformen brauchen wir einerseits eine Rechenschaftsplicht für ReformerInnen und andererseits die Abschaffung der Gesichtswahrungsfrist. Wären diese beiden Forderungen bereits erfüllt, gäbe es heute u.a. keine Kompetenzorientierung, kein Frühfranzösisch, keine gesundheitsschädigende schulische Digitalisierung in der heutigen Form und keine aus dem Ruder gelaufene Integration/Inklusion.

“Selbst das Wort Schule, das von griechisch scholé (Rast, Ruhe, Muße) herkommt, kann als Widerspruch angesehen werden.” Unbekannt[6]

[1] Als der damalige Zürcher Bildungsdirektor, Ernst Buschor, anfing, die Volksschule nach marktwirtschaftlichen Prinzipien umzugestalten.

[2] Vom Einfachen zum Schwierigen, klar strukturierter Aufbau, systematisches Üben und Repetieren, Lernziele auf Grundlage klar definierter Stoffinhalte, altersgerechte/r Wortschatz bzw. Themen und Texte usw.

[3] Das von den Passepartout-PromotorInnen proklamierte Sprachbad als Grundlage ihrer Ideologie gibt es nicht mit drei Fremdsprachenlektionen pro Woche. Folglich stürzte die ganze Reform wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

[4] Diese waren nichts anderes als “progymnasiale Klassen” für leistungsstarke deutschsprachige SchülerInnen.

[5] https://www.perplexity.ai/search/Was-bedeutet-das-0_qyP6XqSFi7FdzIaAuCiQ

[6] https://www.gutzitiert.de/zitate_sprueche-schule.html

image_pdfAls PDF herunterladen

Verwandte Artikel

Grundsätzliche Kritik am Lehrplan ist unerwünscht

Das Amt für Volksschulen (AVS) lässt mit der Durchführung von Ratingkonferenzen glauben, die Sekundarlehrpersonen könnten am Lehrplan Volksschule Baselland strukturelle Änderungen vornehmen. Die für die Überarbeitung der Lehrpläne verantwortliche AVS-Mitarbeiterin lässt jedoch keine grundsätzliche Kritik zu. Die rund 3’500 Kompetenzbeschreibungen in den beiden Lehrplanteilen A und B sollen erhalten bleiben. Alina Isler berichtet.

Sehnsucht nach der ganz normalen Schule

Die Schule ist zu einer Therapieanstalt verkommen. Das verdirbt den Kindern nicht nur den Spass, es versperrt auch den Blick auf das, was Schule sein sollte: Ein Ort des Lernens, Wetteiferns, des Umfallens, des Wiederaufstehens, der Sozialisierung und nicht zuletzt der Emanzipation. Erinnerungen der Condorcet-Autorin Claudia Wirz, einer ehedem ganz normalen Schülerin, die froh ist, dass sie nicht heute zur Schule gehen muss.

Ein Kommentar

  1. Wie bin ich froh, dass ich den staatlichen Schulbetrieb anfangs 2022 verlassen konnte. Diese Ideologie-Getriebenheit wird in allen Bereichen ins Desaster führen. Deutschland macht es vor. Dort wird nun bereits die Verlautbarung von Fakten als mögliche Desinformation gewertet…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert