24. Juni 2025
Generation Z an Unis

“Diese Studenten gehören einfach nicht an die Hochschule”

Professorin Gülbay-Peischard knöpft sich Studenten vor, die keine Leistungsbereitschaft zeigen – und sich dennoch auf Steuerzahler-Kosten zum Abschluss tricksen. Wertschätzung für Bildung gehe so verloren. Schuld an der Entwicklung seien auch Eltern. Dieses Interview ist zuerst in der WELT erschienen.

Zümrüt Gülbay-Peischard, 55, ist Professorin für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Anhalt in Bernburg (Sachsen-Anhalt). Die Tochter türkischer Gastarbeiter, die in Berlin-Wedding aufwuchs, war bei ihrer Berufung mit 28 Jahren die jüngste Juraprofessorin Deutschlands.

WELT: Frau Gülbay-Peischard, Ihr neues Buch trägt einen provozierenden Titel: “Akadämlich – warum die vermeintliche Bildungselite unsere Zukunft verspielt”. Sind Deutschlands Studenten zu dumm oder zu unambitioniert?

Zümrüt Gülbay-Peischard: Ich würde niemandem Dummheit unterstellen. Aber ein großer Teil der Studenten ist tatsächlich unambitioniert. Aus meiner Sicht wird eine Bildungschance vertan, wenn Bildung nicht als Zweck des Studiums begriffen wird, sondern es nur darum geht, so schnell wie möglich durch diesen Parcours durchzukommen. Wenn ich auf Instagram lese, dass Studenten sich gegenseitig KIs empfehlen, mit denen die Hausarbeiten geschrieben werden, dann kann ich nur sagen: Leute, ihr verkennt den Zweck einer Hausarbeit.

Sabine Menkens, politische Redaktorin bei der WELT

Natürlich geht es einerseits darum, einen Schein zu machen. Aber vor allem geht es darum, sich die Skills zu erarbeiten, die mit einer erfolgreichen Hausarbeit einhergehen: Recherchieren eines unbekannten Themas, das Strukturieren eines eigenen Vortrags und Zeitmanagement. All das fällt weg, wenn ich die KI etwas schreiben lasse. Und das fehlt den Absolventen dann im Beruf.

WELT: “Deutschlands Studierende sind faul, lethargisch, handysüchtig, arrogant, überschätzen sich und haben keine Ahnung davon, was der Arbeitsmarkt von ihnen will”, schreiben Sie in Ihrem Eingangskapitel. Ein sehr hartes Urteil. Vielleicht auch ein zu hartes?

Gülbay-Peischard: Ich teile die Studenten in drei Gruppen ein. Die erste ist hervorragend an der Hochschule angekommen und gehört auch dahin. Bei der zweiten gibt es noch eine Chance, dass sie etwas erreichen.

Auf das letzte Drittel treffen die oben zitierten Worte zu. Diese Studenten gehören einfach nicht an die Hochschule. Und das ist keine Frage der Herkunft oder des finanziellen Backgrounds. Es gibt hervorragende Studenten aus dem Arbeitermilieu und genauso hervorragende mit reichen Eltern – und umgekehrt. Ich habe seit Erscheinen meines Buches unendlich viele Zuschriften bekommen von Kollegen aus allen Fakultäten Deutschlands, von Medizin bis Musik, die mir alle schreiben: Danke für Ihre offenen Worte, genau so ist es.

WELT: Woran mangelt es diesen jungen Leuten denn in erster Linie?

Gülbay-Peischard: Tatsächlich an einer gewissen Bereitschaft, sich Stress und Leistung auszusetzen, den inneren Schweinehund zu überwinden. Viele lassen sich viel zu leicht ablenken. Es gibt Sachen, die machen wir nicht gerne. Aber es wird nicht besser, wenn wir sie aufschieben. Dieses Durchhaltevermögen fehlt vielen Studenten. Manche überschätzen sich zudem gnadenlos selbst.

Ich habe seit Erscheinen meines Buches unendlich viele Zuschriften bekommen von Kollegen aus allen Fakultäten Deutschlands, von Medizin bis Musik, die mir alle schreiben: Danke für Ihre offenen Worte, genau so ist es.

 

WELT: Welche Folge hat denn das letztlich für die Hochschullehre? Mehr Nivellierung oder mehr Durchfaller?

Gülbay-Peischard: Das kommt darauf an, zu welcher Art von Dozent Sie gehören. Es gibt natürlich die Kollegen, die beharren auf den Standards und lassen auch mal 70 Prozent durchfallen. Andere schieben einfach die Notenskala nach oben. Wenn man das macht, gibt die Note nicht wirklich die Leistungsfähigkeit des Studenten wieder, sondern einfach nur seine Fähigkeit, sich durch die intelligente Wahl der dünnsten Bretter durch die Hochschullandschaft zu jonglieren.

Zümrüt Gülbay-Peischard, Professorin für Wirtschaftsrecht: “Ein großer Teil der Studenten ist tatsächlich unambitioniert.”

WELT: Ist die Noten-Inflation nicht an der Schule schon ein Problem?

Gülbay-Peischard: Allerdings. Und in der Schule kommt noch dazu, dass Eltern dies geradezu fördern, indem sie jede schlechte Note kritisieren und bekämpfen, statt dem Kind zu sagen: Na ja, wenn du eine Fünf bekommen hast, hast du offensichtlich nicht genug gelernt. Stattdessen werden die Lehrer angegangen und im Zweifel sogar über das Schulamt Druck gemacht. Warum sollten Lehrer sich das antun?

WELT: Sie schreiben von einer Anspruchshaltung an die Uni “wie an einen Reiseveranstalter”. Wie zeigt sich das?

Gülbay-Peischard: Die Uni kann letztendlich nur ein Fundament bieten. Je mehr sich Studenten engagieren, umso besser wird auch die Lehre. Aber wenn Studenten die Uni nur noch als Durchlaufstation empfinden, die den Rest ihres Lebens nicht stören darf, funktioniert es nicht.

Am Ende macht die Studienzeit vielleicht fünf Prozent der Lebenszeit aus. Sie entscheidet darüber, wie zufrieden man später ist.

 

Ich streite mich gerade auf Instagram mit einer jungen Frau, die über ihren Leidensweg zum Ersten Staatsexamen geschrieben hat. Sie sagt, sie habe die ganze Zeit “nicht leben” können. Ich habe ihr entgegnet: “Das Studium ist dein Leben!” Am Ende macht die Studienzeit vielleicht fünf Prozent der Lebenszeit aus. Sie entscheidet darüber, wie zufrieden man später ist. Wenn jemand nicht bereit ist, in diese fünf Prozent zu investieren, sagt das auch was über die Person aus.

WELT: Sie beklagen auch ein fehlendes Bewusstsein für das Privileg der höheren Bildung. Können Sie das näher ausführen?

Gülbay-Peischard: Sehr gerne, denn das liegt mir wirklich am Herzen. In den USA und vielen anderen Ländern ist Bildung ein sehr wertvolles Gut, weil sie viel Geld kostet. Ich erlebe oft, dass ausländische Studenten geradezu lachen, dass sie hierzulande für einen Semesterbeitrag von ein paar Hundert Euro eine hochwertige akademische Ausbildung bekommen. Dieses Privileg leisten wir uns in Deutschland. Und ich finde das auch gut und wichtig. Wir brauchen aber das Bewusstsein dafür, dass die 30’000 Euro, die ein Semester mindestens kostet, vom deutschen Steuerzahler aufgebracht werden. Kostenlose Bildung kann nur funktionieren, wenn man das auch wertzuschätzen weiß.

Wenn jemand wirklich einen akademischen Abschluss möchte, wird er ihn am Ende irgendwo bekommen in Deutschland. Das ist ein großes Problem des Föderalismus.

 

WELT: Es gibt eine Vielzahl von privaten Hochschulen, an denen durchaus relativ hohe Gebühren erhoben werden. 700 Euro pro Monat sind da keine Seltenheit. Führt das zu einer anderen Haltung?

Gülbay-Peischard: Ja. Es führt allerdings auch zu der Haltung, dass die Bildung dort eine bessere wäre als an öffentlichen Universitäten, weil man ja was dafür gezahlt hat. Das ist allerdings oft nicht der Fall. Es gibt Privat-Unis, die in ganz Deutschland zu jeder Zeit einen Einstieg in jeden Studiengang gewähren und wo die Dozenten vorgegebene Manuskripte vorlesen. Das ist für mich keine akademische Lehre mehr.

WELT: Ist diese Vielfalt der Hochschulen ein Problem, weil die Kehrseite der Medaille eine möglicherweise schädliche und nivellierende Konkurrenz um die Studenten ist?

Gülbay-Peischard: Ich formuliere es mal andersherum. Solange nicht alle Hochschulen mit demselben Anspruch an die Studierenden herangehen, wird es eine Nivellierung geben, weil man dann einfach Bildungstourismus betreiben kann. Wenn ich es an einer Hochschule nicht schaffe, gehe ich eben an die nächste. Wenn jemand wirklich einen akademischen Abschluss möchte, wird er ihn am Ende irgendwo bekommen in Deutschland. Das ist ein großes Problem des Föderalismus.

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Ein Kommentar

  1. Naja, wenn an der ETH teilweise Mathe mit multiple choice geprüft wird, darf man sich nicht wundern… Ankreuzkompetenz reicht für die spätere Forschung halt nicht.
    Die Hochschulen sollten nicht nach unten nivellieren.

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