21. November 2024
Starke Volksschule Zürich - Newsletter

Der aktuelle Newsletter – diesmal von unserer Gastautorin Dr. Marianne Wüthrich verfasst – entlässt uns mit vielen Denkaufgaben in die Sommerpause.

Da dies die letzte Newsletter-Ausgabe vor der Sommerpause ist, komme ich von unserem neu gefassten Vorsatz ab, uns im Geleitwort auf ein Thema zu fokussieren und so zeitlich etwas weniger beansprucht zu werden. Die neuesten Medienmeldungen geben jedoch einiges zu überlegen, was nicht unverdaut liegenbleiben soll bis Ende August. Kernpunkte meiner Erörterung sind die Lehrerbildung an den PHs und die geplante Abschaffung der allgemeinbildenden Abschlussprüfung an den Berufsschulen.

Integrierte Schule – Debatte ohne Ende

Dr. Marianne Wüthrich, Autorin des Newsletters: Denn wie sollen junge Leute unterrichten lernen, wenn sie keine fachgemässe Anleitung erhalten?

Die Diskussion um die integrierte Schule bleibt weiterhin an erster Stelle in den Zürcher Medien. Ob mit den unsachlichen Aussagen in Artikeln und Leserbriefen («Separierung», «Aussortieren», «traumatisierende Ausgrenzung») wohl die kantonale Zürcher Förderklasseninitiative gebodigt werden soll? Die Argumente von deren Befürwortern sind jedenfalls überzeugender. So zum Beispiel im Artikel von Felix Schmutz («Keineswegs polemisch»), im Leserbrief von Max Knöpfel («Es braucht Vernunft, keine Studien») oder in der Zurückweisung der angeblich höheren Kosten der Förderklassen durch unseren Redaktionskollegen Hanspeter Amstutz. Erfrischend ist auch der Kommentar von alt Bundesrat Christoph Blocher zum Bildungspapier der FDP: «Spät kommt ihr, doch ihr kommt – es taget vor dem Walde.»

Verschiebung der Fremdsprachen auf die Oberstufe

Was wir und viele andere Zeitgenossen schon seit vielen Jahren monieren, greift nun auch die FDP auf: «Auf Primarschulstufe muss das Erlernen der Erstsprache Priorität haben. Die abnehmenden Sprachkompetenzen in den lokalen Landessprachen sind ein Alarmsignal und sprechen für sich. Zweit- oder Fremdsprachen sollen in den einsprachigen Kantonen erst vermittelt werden, wenn die lokale Erstsprache gefestigt ist. Ein Ausbau der Sprachaufenthalte (Sekundarstufe) ist zu prüfen.» Bisher war das Rauschen im Blätterwald zu diesem Programmpunkt eher verhalten. Man wird sehen, wie tatkräftig die FDP dieses Ziel verfolgt.

Delegiertenversammliung der FDP: Kritik an der Lehrbildung – Zu kopflastig, zu praxisfern.

Eine Lehrerausbildung an der PH, die «das Lehrpersonal auf den Schulalltag vorbereitet»

Auch dies ein Kritikpunkt der FDP. Höchste Zeit wäre es! Die Lehrerbildung, beziehungsweise der Auftrag unserer Pädagogischen Hochschulen, ist eine eigene ausführliche Erörterung wert. In unserer heutigen Sammlung finden Sie zwei Artikel aus dem Beobachter dazu, die bei den Zürcher PH-Absolventen eine grosse Unzufriedenheit mit ihrer Ausbildung (54 Prozent!) feststellen und den Gründen dafür nachgehen. Ihr Urteil lautet: «Zu kopflastig, zu praxisfern». Lesen Sie selbst, was die befragten Studenten und Berufseinsteigerinnen beklagen. Zum Beispiel, dass sie an der PH nur mangelhaft auf den Schulalltag vorbereitet würden, dass zu viel Theorie und zu wenige Praktika auf dem Lehrplan stünden.

Praktische Ausbildung: Zentral ist die Frage, auf welchem pädagogischen Boden und welchem Menschenbild eine sinnvolle lehrreiche Anleitung beruht.

Diese Klagen sind verständlich. Denn wie sollen junge Leute unterrichten lernen, wenn sie keine fachgemässe Anleitung erhalten? Allerdings drängen sich der erfahrenen Pädagogin wichtige Ergänzungen auf.

Praktische Ausbildung: Zentral ist die Frage, auf welchem pädagogischen Boden und welchem Menschenbild eine sinnvolle lehrreiche Anleitung beruht. Die Rechtfertigung der Schulleitung der PH Zürich, der Anteil der berufspraktischen Ausbildung liege bei rund einem Drittel der Ausbildungszeit, ist keine befriedigende Antwort. Wenn die praktischen Lehrübungen dem heutigen falschen Ansatz gemäss nur aufs Coachen, auf die Anfertigung individualistischer Wochenpläne und das Ausfüllen von Beobachtungsrastern ausgerichtet sind, bringen auch viele Praxisstunden wenig. Eine echte Einführung ins Lehren beinhaltet die Anleitung

  • wie man mit seiner Klasse die gemeinsame und strukturierte Erarbeitung eines Lernstoffs mit Sachkenntnis und Freude anpacken kann
  • wie man mit seinen Schülern in eine Lernbeziehung kommt
  • wie man das einzelne Kind besser verstehen lernen kann
  • wie man in einer Schar lebendiger, aber nicht immer leicht anzuleitender Kinder zum «Häuptling» wird und vieles mehr

Dazu braucht es als Allerwichtigstes erfahrene und beziehungsstarke Lehrkräfte mit Menschenkenntnis, ob nun eine oder mehrere Praktikantinnen gleichzeitig bei ihr «in der Lehre» sind, ist weniger von Bedeutung. Denn es geht nicht ums Abschauen und mechanische Nachmachen, sondern ums Hineinwachsen in den schönsten aller Berufe.

Bestmögliche Schullaufbahn für alle Beteiligten: Unbedingt alle in die Regelklasse zwängen? «In meiner Klasse gibt es mindestens drei Leistungsniveaus», so eine PH-Absolventin im Beobachter. Sie wurstle sich durch, bereite für eine Stunde drei verschiedene Unterrichtsmaterialien vor, um möglichst jedes Kind abzuholen. Immer wieder gebe es Gespräche mit besorgten Eltern, die finden, ihr Kind werde zu wenig gefördert oder zu sehr gebremst. Frage der Junglehrerin: «Gern hätte ich gelernt, welche Strategien es dazu gibt.» Aber: Wenn sie in ihrer praktischen Ausbildung nur ein paar «Strategien» zu hören bekommt, wird sie vielleicht nicht auf die Beine kommen und die besorgten Eltern haben weiter Anlass zur Sorge. Hier braucht es eine politische Auseinandersetzung, zum Beispiel mit der Notwendigkeit von Förder- oder Kleinklassen.

Geradezu tragisch ist das Beispiel der Primarlehrerin, die «alle Entwicklungsstadien eines Kindes bis zum Erwachsenenalter» lernen musste und an der Prüfung über das Säuglingsalter befragt wurde.

Vielen fehlte das Rüstzeug, wenn sie zu mir in den Unterricht kamen.

Was heisst hier zu «kopflastig»? Eine Praxislehrerin: «Vielen fehlte das Rüstzeug, wenn sie zu mir in den Unterricht kamen. Banale Sachen wie eine Textbesprechung durchführen konnten sie nicht.». Sie habe sich dann schon gefragt, ob an der PH wirklich das Richtige unterrichtet werde. – Auch hier ist das Problem nicht die Menge, sondern die Qualität des Wissens. Wenn man davon ausgeht, dass die Kinder sich den Lernstoff «eigenaktiv» erarbeiten sollen, braucht der PH-Student selbst keinen allzu grossen Fundus an Wissen und Fähigkeiten. Ein Desaster für unsere Jugend! Wie sind wir selbst doch an den Lippen des Lehrers gehangen, wenn er uns in die Geheimnisse seines Fachgebietes eingeweiht hat. Dazu gehört auch die Faszination der Sprache, zum Beispiel das Entschlüsseln von Inhalt und Sinn eines kompliziert erscheinenden Textes. Wie sollen die Kinder lesen und schreiben lernen, wenn manche PH-Studenten selbst zu wenig Kenntnisse und Freude an der Sprache haben?

Geradezu tragisch ist das Beispiel der Primarlehrerin, die «alle Entwicklungsstadien eines Kindes bis zum Erwachsenenalter» lernen musste und an der Prüfung über das Säuglingsalter befragt wurde: «Ich muss doch in erster Linie wissen, wie die altersgemässe Entwicklung in den Altersstufen meiner künftigen Schülerinnen und Schüler aussieht», sagt sie. Ein nicht entschuldbares Versagen ihres Dozenten, der seinen Studenten offenbar nicht vermitteln konnte, warum sie den Entwicklungsstand des Säuglings kennen müssen, um denjenigen des Primarschülers zu verstehen. Damit rauscht die ganze Entwicklungspsychologie an den jungen Menschen vorüber.

Abschaffung der ABU-Abschlussprüfung: Eine Einordnung

Weil ich mit Leib und Seele Berufsschullehrerin war, mute ich Ihnen noch ein weiteres Thema zu. Leserbriefschreiber Armin Tschenett warnt mit Recht davor, die schriftliche Abschlussprüfung im Allgemeinbildenden Unterricht (ABU) an den Berufsschulen abzuschaffen, wie die Bundesverwaltung es plant («Allgemeinbildung 2030»). Für den Lehrabschluss würden nur noch die Vornoten und die Abschlussarbeit zählen. Dies wäre der Höhepunkt des jahrzehntelangen Herunterwirtschaftens der Allgemeinbildung an unseren Berufsschulen.

Nur noch die Vornoten und die Abschlussarbeit zählen.

Ein kurzer Blick zurück. Bald nachdem ich als ABU-Lehrerin an einer Zürcher Berufsschule begonnen hatte zu unterrichten, wurde der allgemeinbildende Teil der Berufsschul-Ausbildung zu einem Tummelfeld für radikale Schulreformer. Sie spurten das ganze Konstrukt vor, das wir heute in unserer Volksschule haben: untauglicher Lehrplan, Kompetenzorientierung, Sammelfächer, SOL (selbst organisiertes Lernen), Coaching statt Unterricht und vieles mehr. In den berufskundlichen Fächern kamen derartige Experimente nicht in Frage, weil die Lehrbetriebe und die Berufsbranchen aus guten Gründen an einer qualitativ hochwertigen Ausbildung festhielten – zum Wohl der Lehrabsolventen und unseres Wirtschaftsplatzes. Ein guter ABU war und ist leider für etliche Berufsausbildner nicht prioritär.

Zunächst wurden die einzelnen Fächer zu einem Sammelfach gemixt und die Lerninhalte im allgemeinbildenden Lehrplan massiv eingeschränkt. Die zentrale Deutschschweizer Prüfungskommission wurde abgeschafft. Diese hatte bis etwa 1990 eine einheitliche Abschlussprüfung auf der Grundlage eines breitgefächerten Sachwissens erstellt (inklusive der Fähigkeit, einen Bewerbungsbrief und einen Aufsatz zu schreiben!), die Prüfung wurde in allen Deutschschweizer Berufsschulen am selben Tag von den dortigen ABU-Lehrkräften durchgeführt und korrigiert. Schnee von gestern. Längst gilt die Devise: «Wer lehrt, prüft.» Das heisst, die ABU-Teams in den einzelnen Schulen verfassen schulinterne Lehrpläne, welche nur in einen vagen Rahmenlehrplan des Bundes passen, aber keinen anspruchsvollen qualitativen Massstab erfüllen müssen. Damit wurden die Lerninhalte und dementsprechend das Niveau der Abschlussprüfungen massiv heruntergefahren. Diese werden seither durch die Lehrerteams an den einzelnen Schulen erstellt. Aber wenigstens blieb eine Prüfung, die auch für weniger motivierte Schüler ein Ansporn ist, sich bis zum Schluss der Lehre aufs Lernen einzustellen.

Im Gegensatz zu den Zeugnisnoten, die von manchen Lehrkräften jenseits jeder Realität viel zu gut gesetzt werden, entsprechen die Noten für die Abschlussprüfung an den meisten Schulen eher den effektiven Leistungen der Schüler.

Im Gegensatz zu den Zeugnisnoten, die von manchen Lehrkräften jenseits jeder Realität viel zu gut gesetzt werden, entsprechen die Noten für die Abschlussprüfung an den meisten Schulen eher den effektiven Leistungen der Schüler, denn hier korrigiert in der Regel das Team. Was die Abschlussarbeit betrifft: Sie wäre eine eigene Erörterung wert. Jedenfalls regnet es dort vor allem Fünfer und Sechser, obwohl – nicht erst seit KI –zahlreiche Arbeiten nicht oder nur teilweise selbstverfasst sind.

So viel in aller Kürze. Zur Erinnerung: Im Allgemeinbildenden Unterricht erhalten die Jugendlichen die einzigartige Gelegenheit, sich in einer Klassengemeinschaft Bildung in vielen Sachbereichen anzueignen, auch über den aktuellen Lebensbezug hinaus. Das darf auch Freude machen, aber es gibt keinen Grund dafür, auf die Einforderung von Einsatz und Leistung zu verzichten und damit die Achtung vor dem ABU als anspruchsvollem Fach zu sichern.

So, nun haben Sie einiges zum Lesen und Nachdenken in den Sommerferien, und unser Redaktionsteam hat definitiv eine längere Pause verdient. Wir freuen uns, Ihnen am 25. August den nächsten Newsletter zuzusenden und wünschen einen sonnigen und erholsamen Sommer.

Marianne Wüthrich

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