Governance – ein grosser Schritt in die falsche Richtung

Das Gespenst von Governance geht schon lange um im Kanton Zürich. Das Wenige, was man zwischendurch hat vernehmen können, liess nicht viel Gutes erwarten. Was nun seit einigen Wochen auf dem Tisch liegt (siehe dazu: https://condorcet.ch/2023/07/projekt-governan…er-mittelschulen/), ist dennoch ein Schock. Die Vorlage bietet für unseren Gastautor Peter Küng, Vertreter der Mittelschullehrpersonen im Zürcher Bildungsrat, eine gute Gelegenheit, darüber nachzudenken, was eigentlich die Qualität der Zürcher Gymnasien auf Organisationsebene ausmacht. Seines Erachtens werden nämlich gerade diese Stärken durch die Governance gefährdet. Der Artikel erschien zuerst im QI 2/23, den Quartalsinformationen des Mittelschullehrpersonenverbandes Zürich.

Unsere Gymnasien sind partizipative und demokratisch geprägte Schulen

Es beginnt bei der wichtigen Person der Rektorin. Sie trägt bereits heute die Gesamtverantwortung für die Schule. Dennoch ist sie für die Lehrpersonen eine Kollegin, mit der man auf Augenhöhe diskutieren kann: Sie ist eine Lehrerin, die – wie alle Kolleginnen – an der Schule unterrichtet und deren Berufsalltag kennt und teilt. Sie ist vom Konvent vorgeschlagen und wird vom selben Konvent alle vier Jahre wieder bestätigt.

Peter Küng, Gymnasiallehrer und Bildungsrat im Kanton Zürich: Wer sollte die Qualitäten einer Rektorin besser beurteilen können als das Kollegium vor Ort?

Eine Rektorin, die vom Konvent vorgeschlagen wird, weiss, dass sie vom Kollegium getragen ist. Und wo der Konvent nach vier oder acht Jahren diese Unterstützung verweigert, weiss er, warum er dies tut. Wer sollte die Qualitäten einer Rektorin besser beurteilen können als das Kollegium vor Ort? Diese Regelungen mit ihren positiven Implikationen sind vom Gesetzgeber so gewollt – und werden in der Praxis von den Lehrpersonen enorm geschätzt.

Die Vorlage möchte nun das Mitspracherecht des Konvents beseitigen – mit der Begründung, das im Datenschutz geltende Prinzip des Persönlichkeitsschutzes würde dadurch verletzt. Der Datenschutz verhindert aber den zwingenden Einbezug des Konvents in die Wahl der Mitglieder der Schulleitung keineswegs. Selbst der kantonale Datenschützer, auf den sich die Vorlage beruft, moniert einzig mit einiger Klarheit, dass die Konvente die Bewerbungsunterlagen der Bewerberinnen erhalten. Einer demokratischen Mitsprache der Konvente bei der Anstellung und vor allem der regelmässigen Bestätigung der Schulleitungsmitglieder steht nichts im Wege. Ohne Not sollte diese Errungenschaft keinesfalls geopfert werden.

An unseren Gymnasien sind die Prorektorinnen ein wichtiger Teil der Schulleitung

Und noch etwas anderes hat der Gesetzgeber sich gut überlegt: Dass die Amtszeit eines Mitglieds der Schulleitung beschränkt sein soll. Dies stellt ein zentrales Element der Qualitätssicherung dar. Zwölf Jahre sind eine lange Zeit; Kontinuität kann in diesen drei Amtsperioden ohne Weiteres gewährleistet werden, und eine Rektorin kann in dieser Zeit ihre Schule gestalten und prägen. Das ist gut so.

Dies verstärkt die Hierarchie innerhalb der Schulleitung und führt erneut zu einem Machtzuwachs an der Spitze.

Gut ist sicher auch, dass die Schulen nicht auf Jahrzehnte hinaus von ein und derselben Person geprägt werden. Wir besitzen ja sehr wohl qualifizierte Rektorinnen. Aber wir verfügen auch über ausgezeichnete Prorektorinnen, deren neue Ideen und Ansätze als Chefinnen einer Schule brach liegen, wenn die Vorgängerin nie Platz machen muss. Ein System sollte nicht nur Kontinuität ermöglichen (das tut das bestehende System), sondern ebenfalls Entwicklungsmöglichkeiten bieten und Wandel erlauben.

Nicht genug, dass Prorektorinnen künftig weniger Chancen auf das Amt als Rektorin haben: Sie sollen in Zukunft auch noch aus der Schulleiterkonferenz (SLK) ausgeschlossen werden. In der SLK werden Themen besprochen, die direkt die Geschäftsbereiche der Prorektorinnen betreffen. Diese ohne Not von der Beratung und dem Informationsaustausch auszuschliessen, schwächt das Gremium als Ganzes – und zeigt auf, dass die Prorektorinnen künftig nicht mehr viel zu melden hätten.

Die Rektorin wird es zudem sein, welche die Prorektorinnen (ihre Prorektorinnen, wie man wohl künftig sagen müsste) anstellt und auch beurteilt. Dies verstärkt die Hierarchie innerhalb der Schulleitung und führt erneut zu einem Machtzuwachs an der Spitze. Wo jetzt der Konvent und die Schulkommission dafür schauen können, dass eine Schulleitung divers aufgestellt ist – auch mit Prorektorinnen, die sich die Rektorin nicht aussuchen würde – besteht künftig die Gefahr, dass sich Rektorinnen ihre Echokammern bauen. Dazu braucht es keineswegs bösen Willen – es ist die Tendenz eines Systems mit mangelnder Gewaltenteilung.

 

Das Rektorat steht künftig auf der Linie des Amtes.

Unsere Schulen sind teilautonom

Der vielleicht gefährlichste Passus ist aber ein anderer: Den grössten Machtzuwachs geniesst die Verwaltung. Ich habe nie zu den Verächtern der Verwaltung gehört, habe mich schon als Mitglied der GPK im zürcherischen Gemeinderat grün geärgert, wenn die Verwaltung als ineffizient oder als geschützte Werkstatt bezeichnet wurde: Weil ich tagtäglich erlebte, mit wie guten und engagierten Leuten wir es in der städtischen Verwaltung zu tun hatten. Und genau dasselbe habe ich als Bildungsrat wieder erlebt und schätze uns glücklich, dass wir im MBA – auf jeder Stufe – Leute haben, die mit Herzblut, Kompetenz und grossem Engagement für die Bildung im Kanton Zürich einstehen und arbeiten.

Dies ändert aber nichts daran, dass ich einem Ausbau der Macht der Verwaltung entschieden kritisch gegenüberstehe. Die Vorlage möchte nicht nur, dass die Verwaltung die Findungskommissionen für die Rektorinnen präsidiert; sie möchte, dass die Verwaltung künftig die Rektorinnen führt.

Von der Frage mal abgesehen, wer im Amt die Kompetenz haben soll, unsere Rektorinnen zu führen (nicht nur zu beaufsichtigen, sondern sie zu führen!) und wie stark die Verwaltung dadurch aufgebläht und verteuert würde: Diese Führung durch das Amt wäre ein Paradigmenwechsel, der noch weiter geht als die Abschaffung der demokratischen Mitsprache des Konvents: Die Rektorin stünde künftig in der Linie des Amtes. Es führte eine direkte Linie von der Regierung und der Verwaltung über die Rektorinnen und weiter zu den Lehrpersonen.

Gewaltenteilung schützt nicht nur die Lehrpersonen vor zu grosser Macht der Rektorinnen, sondern auch die Schulen (und nicht zuletzt die Schulleitungen!) vor der Übermacht der Verwaltung. Wieso sollten wir unsere Gymnasien noch teilautonom nennen dürfen, wenn die Verwaltung direkt den Rektorinnen vorgesetzt ist – und umgekehrt auch die Konvente nicht mehr viel zu melden haben?

 

Unsere Schulen leben Subsidiarität

Die Schulkommissionen sind Milizgremien – wie unsere Parlamente und die meisten Gemeindeexekutiven auch. Niemandem käme es in den Sinn, den Kantonsrätinnen und Gemeinderäten kleiner Gemeinden die Kompetenz abzusprechen und ihre Aufgaben der Verwaltung zu übergeben. Die Schulkommissionen sind Vertreterinnen der Zivilgesellschaft an unseren Schulen – sie bringen ihre Erfahrung und ihr Wissen aus verschiedenen Kreisen der Wirtschaft, der Kultur und der Wissenschaften ein. Auch wenn sie das oberste Gremium der Schulen sind, agieren sie auf partizipative Weise: An ihren Sitzungen sind die Schulleitungen und Vertreterinnen der Lehrerschaft anwesend.

Das heutige System erlaubt es, dass die Schulen die Themen, die sie bewegen, selbstständig angehen können. Ohne Umweg über die kantonale Verwaltung.

Wenn es überhaupt zutrifft, dass die Schulkommissionen Mühe haben, ihrer Aufgabe nachzukommen, gilt es doch, sie zu ertüchtigen und nicht zu entmachten. Sie sollen häufiger tagen und sich so in ihre Geschäfte vertiefen können; sie sollen besser entschädigt werden, damit sich ihr Aufwand lohnt (günstiger als die Governance-Lösung wird es noch lange bleiben!), und sie sollen sich weiterhin über die Präsidialkonferenz als Kompetenzzentrum austauschen können.

Es ist nicht so, dass die Vorlage gar keine positiven Aspekte mit sich bringt: Dass Schulleitungsmitglieder Teilzeit arbeiten können sollen, ist zu begrüssen. Dass sie entlastet werden sollen, ist einleuchtend – wenn auch nicht durch eine völlige Streichung der Unterrichtsverpflichtung, sondern durch eine Reduktion derselben; gerade die Adjunktinnen bieten eine wichtige und wertvolle Form der Entlastung. Diese Änderungen kann man begrüssen, ohne bestehende Qualitäten zu gefährden.

 

Schule als Ort der Identifikation

Lehrerinnen und Lehrer identifizieren sich stark mit ihrem Beruf; das ist bekannt, und genauso stark mit ihrer Schule als Institution. Beides reicht nicht aus, um einen guten Job zu machen, aber es sind gewichtige Gelingensbedingungen. Diese Identifikation mit der Schule ist kein Zufall. Sie ist die Folge davon, dass wir Lehrpersonen nicht nur in unserem Unterricht, sondern an unserer Schule mitreden und mitgestalten können. Dass wir aus unseren Reihen die fähigsten Personen in die schwierigsten Ämter entsenden können; dass wir sie, unsere Chefinnen, aber gleichzeitig nicht als Kolleginnen verlieren, sondern dass sie uns auf Augenhöhe erhalten bleiben. Dass wir Prorektorinnen haben, die von den Schulstufen, für die sie verantwortlich sind, sehr viel verstehen – auch weil sie auf diesen Stufen unterrichten. Dass wir Rektorinnen haben, welche die Sorgen und Anliegen der Schülerinnen und Lehrpersonen kennen – weil sie keine Schul-Manager sind, sondern Lehrpersonen in einer Führungsposition.

Es war mutig vom Gesetzgeber vor Jahrzehnten so viel Demokratie an den Zürcher Mittelschulen zuzulassen. Warum sollte heute dieser Mut fehlen?

Zum Autor
Peter Küng unterrichtet seit 2003 Deutsch und Geschichte an der Kantonsschule Wiedikon, an der er auch als Konventspräsident aktiv war. Aktuell ist er der Vertreter der Mittelschullehrpersonen im Bildungsrat. Peter Küng vertritt hier seine persönliche Meinung.

Ersterscheinung: Quartalsinformation des Mittelschullehrpersonenverbands Zürich, Qi 2/23, S. 10-15

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