In dem Artikel “Die Grenzen der schulischen Digitalisierung” vom 09.12.2019 auf welt.de ging es unter anderem um eine Forderung des Philologenverbands NRW (PHV NRW):
Ein zentrales Postulat des Lehrerverbands [PHV NRW] ist auch das nach einer Garantie für die „freie Auswahl“ analoger oder digitaler Medien durch die Lehrkraft. Laut PHV soll das Land gewährleisten, dass stets der Lehrer entscheidet, ob er seinen Unterricht mit digitalem Gerät gestaltet oder nicht, weil sich Zwang zu digitalem Lehren verheerend auf den Unterricht auswirken werde.
Diese Forderung hält der PHV bis heute aufrecht (“Acht Forderungen des Philologenverbandes NRW”): “Lehrkräfte entscheiden über den Einsatz digitaler Medien in pädagogischer Freiheit.”
Das NRW-Ministerium für Schule und Bildung kam dieser Forderung anscheinend nach, wie in dem Artikel auf welt.de zu lesen ist:
Immerhin: Dieser Vorstoß führte zu einer für den PHV erwünschten Klärung. Auf Anfrage der WELT erklärte das Ministerium nun erstmals, es teile „ausdrücklich“ die PHV-Auffassung, dass die Lehrkraft auch künftig frei und allein entscheiden soll, ob und wann im Unterricht analog oder digital gearbeitet wird.
Diese Erklärung des Ministeriums aus dem Jahre 2019 ist verwunderlich: 2019 waren bereits die neuen Lehrpläne fürs G9-Gymnasium in Kraft, und die schreiben teilweise äußerst kleinkariert vor, welcher Unterrichtsinhalt mit welchem (analogen oder digitalen) Medium vermittelt werden soll (siehe “Medienkompetenzrahmen NRW: Was für ein kleinkarierter, seelenloser Quatsch!”). Dasselbe gilt für andere Lehrpläne, zum Beispiel Erdkunde für Realschule (die Schüler “setzen digitale und nicht-digitale Medien zur Dokumentation von Lernprozessen und zum Teilen der Arbeitsprodukte ein”; … “präsentieren geographische Sachverhalte mit Hilfe analoger und digitaler Medien”).
Die neuen Lehrpläne stehen offenbar im Widerspruch zu der in der WELT wiedergegebenen Erklärung des Ministeriums gegenüber der PHV-Auffassung, “dass die Lehrkraft auch künftig frei und allein entscheiden soll, ob und wann im Unterricht analog oder digital gearbeitet wird”. Wir haben uns daher vor ein paar Wochen an das Schulministerium gewandt und gefragt:
Wie lautete der genaue Wortlaut der Erklärung des Ministeriums bezüglich der PHV-Auffassung, dass die Lehrkraft auch künftig frei und allein entscheiden soll, ob und wann im Unterricht analog oder digital gearbeitet wird? Gilt diese Erklärung immer noch?
Aus dem Ministerium erhielten wir am 03.05.2023 auf die erste Frage folgende Antwort: „Das Schulministerium teilt diese Auffassung des Philologenverbandes ausdrücklich: In Nordrhein-Westfalen genießen die Lehrerinnen und Lehrer bei der Gestaltung des Unterrichts pädagogische Freiheit. Diese Freiheit ist ein hohes Gut, denn sie erlaubt es den Lehrkräften, ihren Unterricht gezielt und individuell auf die jeweilige Lerngruppe abzustimmen. Mit der Digitalisierung eröffnen sich hier neue Chancen. Es wird in Zukunft darum gehen, angehenden Lehrkräften schon in der Lehrerausbildung Möglichkeiten aufzuzeigen, wie die Digitalisierung gewinnbringend eingesetzt werden kann, um zeitgemäßen Unterricht zu gestalten. Das Schulministerium erarbeitet hierzu gerade einen Orientierungsrahmen für die Lehreraus- und -fortbildung, der auf den Medienkompetenzrahmen NRW abgestimmt ist.“
Auf die Frage, ob diese Erklärung immer noch gelten würde, haben wir keine eindeutige Antwort erhalten. Stattdessen hieß es am 03.05.2023 aus dem Ministerium:
“In einer digitalisierten Welt gehört der souveräne Umgang mit digitalen Medien zu den grundlegenden Kompetenzen, die den Schülerinnen und Schülern an den Schulen in Nordrhein-Westfalen vermittelt werden. Mit dem 16. Schulrechtsänderungsgesetz wurde die Vermittlung dieser Kompetenzen sogar als ausdrückliches Bildungs- und Erziehungsziel in § 2 Abs. 4 des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes verankert. Es stellt sich also nicht die Frage, ob entsprechende Inhalte und Methoden Eingang in den Unterricht finden, sondern wann und wie. […]”
Pädagogische Freiheit ist ein hohes Gut. Aber die Digitalisierung von Schule und Unterricht ist — aus Sicht des Ministeriums für Schule und Bildung — ein höheres Gut.
Auf unsere Bitte um eine eindeutige Antwort erhielten wir am 25.05.2023 folgende Nachricht aus dem Ministerium (unsere Hervorhebung):
Wie bereits in unserer Stellungnahme vom 3. Mai 2023. formuliert, gilt die Stellungnahme des Ministeriums für Schule und Bildung aus 2019 im Hinblick auf die Aussagen zur pädagogischen Freiheit von Lehrkräften weiterhin. […]
Abschließend soll daher darauf hingewiesen werden, dass die pädagogischen Freiheit der Lehrkräfte nicht die Entscheidung, ob die Digitalisierung und damit digitale Bildung Einzug in den Unterricht halten, umfasst. Lediglich in der Gestaltung der Lernprozesse selbst, der Abstimmung auf die unterrichtlichen Bedingungen und die Lerngruppen sind die Lehrkräfte pädagogisch frei.
Schlussfolgerungen:
1.) Die Erklärung des Schulministeriums aus dem Jahr 2019 kann offenbar in der Pfeife geraucht werden. Das Schulministerium kommt der Forderung des PHV NRW, dass stets der Lehrer entscheidet, ob er seinen Unterricht mit digitalem Gerät gestaltet oder nicht, nicht nach.
2.) Pädagogische Freiheit ist ein hohes Gut. Aber die Digitalisierung von Schule und Unterricht ist — aus Sicht des Ministeriums für Schule und Bildung — ein höheres Gut.
Empfehlungen an das Ministerium für Schule und Bildung:
1.) Das Dammer-Gutachten und den einen oder anderen Beitrag von Ralf Lankau (zum Beispiel “Bildung und Digitali-Täter”) lesen.
2.) Die Zwangsdigitalisierung von Schule und Unterricht rückgängig machen und den Lehrern die Freiheit bei der Wahl der Medien gewähren.
Frage:
Wo gibt es für Mathe-Lehrer (mit Diplom in Mathematik) angemessen bezahlte und befriedigende Stellen außerhalb des staatlichen Schuldienstes?