Passepartout: Wie wäre es mit Grösse zeigen?

Nach der vierten miserablen Evaluation der exotischen Mehrsprachigkeitsdidaktik lancieren die Verantwortlichen immer noch Durchhalteparolen. Und sie scheuen sich nicht einmal davor, diese Resultate zu verstecken, anstatt sie offen und ehrlich zu kommunizieren. Dabei gäbe es auch andere Wege, mit Irrtümern umzugehen. Condorcet-Autor Alain Pichard weiss, wo er suchen muss!

Als die grosse Pädagogin Diane Ravitch, mit dem der Condorcet-Blog im engen Austausch steht, vor rund 20 Jahren, das Projekt «No Child left behind» von Georges W.Bush unterstützte, tat sie dies im besten Wissen und Gewissen. Das Programm versprach die gezielte Förderung aller US-amerikanischen Schülerinnen und Schüler durch die Formulierung von Standards, deren Überprüfung durch outputorientierte Tests und durch die

Deborah Meier (rechts im BIld) in «ihrer» Schule Mission Hill in Boston. Sie lieferte sich einen brillanten Diskurs mit Diane Ravitch.

Transparenz der Resultate. Diane Ravitch wurde damals heftig kritisiert, unter anderem von der anderen grossen Dame der US-Pädagogik, Deborah Meyer (Trägerin des Zürcher Bildungspreises 2005). Beide sprachen aber miteinander! Mehr noch, beide schrieben für einen gemeinsamen Blog der «Bridging Differences» heisst und den die Zeitschrift Education Week organisiert. Die beiden lieferten sich einen heftigen, aber brillanten Diskurs, mithin das Beste, was ich jemals in der Bildungspolitik zu lesen bekam.

«Reign of Error» ist eine ausführliche Begründung des mea culpa, das Diane Ravitch 2010 mit ihrem Buch «The Death and Life of the Great American School System» begann.

Vor 10 Jahren bekannte Diane Ravitch: «Ich habe mich geirrt» und schrieb ein Buch über ihre Beweggründe. Natürlich waren die Fehlentwicklungen der US-amerkanischen Bildungspolitik offensichtlich desaströs, weshalb böse Zungen behaupten, Frau Ravitch hatte gar keine andere Wahl.

Trotzdem bewundern wir auch heute noch den Mut dieser Grand Old Lady, ihren Irrtum offen einzugestehen.

Vermutlich ist dies ja auch eine Mentalitätsfrage. Die US-Amerikanerinnen und -Amerikaner haben einen anderen Umgang mit Fehlern. Und man sieht ja auch, dass dieses Eingeständnis Frau Ravitch nicht geschadet hat. Im Gegenteil, sie ist so anerkannt und umworben wie selten zuvor.

Auch die Verlegung des Fremdsprachenunterrichts in die 3. Klasse, gekoppelt mit der Didaktik der Mehrsprachigkeit, inkarniert in den Lehrmitteln der Passepartout-Reihe, sind offensichtlich ein Irrweg, ein überaus teurer übrigens.

Georges Lüdi, 1997/98 leitete er die Expertengruppe der EDK für ein Gesamtsprachenkonzept für die Volksschule in der Schweiz
Bild: Uni Basel

Der erste und bisher einzige, der dies öffentlich zugab, war Georges Lüdi, ehemaliger Leiter der Expertengruppe der EDK, die das Gesamtsprachenkonzept ausarbeitete (1997/98). Er war ein vehementer Befürworter des Frühfranzösisch und bekannte im Fachmagazin Babylonia: «Internationale Studien haben in der Tat nachgewiesen, dass innerhalb des klassischen Fremdsprachenunterrichts ‹Frühstarter› am Schluss der Schulzeit ohne zusätzliche Massnahmen bezüglich ihrer Sprachkompetenzen kaum mehr messbare Vorteile haben.» (10. Oktober 2018).

Trotzdem scheint es in der Politik und den Fachgremien niemanden zu geben, der heute hinsteht und gesteht: «Ich habe mich geirrt!» Zu viel Geld wurde verlocht, zu viel Gesichtsverlust droht. Nachdem man die KritikerInnen jahrelang diffamiert, die kritischen Studien negiert und die Proteste ignoriert hat, versucht man nun zu besänftigen, zu vertrösten, zu relativieren, übt sich in Durchhalteparolen, versteckt unangenehme Studien und sagt weitere Evaluationen, die man versprochen hatte, ab.

Es ist die klassische Concorde-Falle, wie sie uns schon der Pädagogikprofessor Roland Reichenbach beschrieben hat.

 

 

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