6. Oktober 2024

Bildungsstiftungen: Ihr Geschäft ist die Digitalisierung

Aus Deutschland wurde uns dieser Artikel zugeschickt, der in der Zeitung “Tagesspiegel” erschienen ist. Die Digitalisierung erweist sich immer mehr als ein Riesengeschaft für viele Akteure. Die Bildungs-Stiftungen planen den „Systemwechsel“. Die Konzerne, die hinter ihnen stehen, leben von Bildungsmedien und Internetanschlüssen. Christian Füller berichtet und wir drucken ihn hier gerne ab.

Konferenzen über digitale Bildung gibt es spätestens mit der Verabschiedung des Digitalpakts Schule zuhauf. Das „Forum Bildung Digitalisierung“ in Berlin hat sich dabei zur Leitkonferenz entwickelt. Die Jahrestreffen des Forums mit seinen 38 Mitgliedsschulen waren bisher Veranstaltungen, bei denen die digitalen Vorreiter unter den deutschen Lehranstalten im Mittelpunkt standen. „Aus der Praxis für die Praxis“, heißt das Leitmotiv des Forums, das von acht Stiftungen finanziert wird.

Die jüngste Zusammenkunft wies nun einen anderen Charakter auf: Die Stiftungen scheinen die Geduld mit den Schulen zu verlieren. „Es reicht nicht, wenn sich einzelne Schulen oder Fächer auf den Weg machen“, sagte der Vorstand des Forums, Nils Weichert. „Wir brauchen systemische Veränderungen.“

Es reicht nicht, wenn sich einzelne Schulen auf den Weg machen, wir brauchen systemische Veränderungen!

Damit war der Ton der Konferenz im Café Moskau Ende vergangener Woche gesetzt, die mit 700 Teilnehmern die bisher größte war. Freilich ragten diesmal nicht so sehr die Leuchtturmschulen und ihre Ideen für die Umsetzung des Digitalpakts heraus, sondern die starken Worte der Stiftungsleute.

Immer wieder: Die Bertelsmann-Stiftung

„Wir sind mit 38 Schulen gestartet“, sagte Jörg Dräger von der Bertelsmann-Stiftung, „aber es gibt 40 000 Schulen in Deutschland. Wir müssen schnell in die Breite kommen!“ Auch sein Kollege Olaf Köster-Ehling von der Montag-Stiftung machte Druck: „Wir brauchen dringend einen Strukturwandel im deutschen Bildungssystem.“ Da der Digitalpakt von Bund und Ländern gerade ins Laufen kommt – im August haben 16 Zwickauer Schulen erstes Bundesgeld bekommen –, wollte ein ARD-Journalist wissen, was das denn bedeute: Strukturwandel?

Wir wissen schon, was wir wollen, aber wir verraten es noch nicht!

Zur allgemeinen Überraschung sagten nun alle versammelten Philanthropen etwas anderes. Der Vorstand des Forums Weichert verstand darunter einen Wandel hin zu „zeitgemäßer Bildung“ – in der Szene ein Codewort für digitale Bildung. Sein Kollege von der Montag-Stiftung wollte mehr Inklusion von Kindern mit und ohne Behinderungen – und eine größere Selbständigkeit der Schulen. Erstaunen rief der Vorstand der Bertelsmann-Stiftung hervor. Jörg Dräger verriet, dass die Stiftungen am Rande der Konferenz einen Konsens über einen grundlegenden Umbau der Schulen erzielt hätten. „Aber den veröffentlichen wir nicht gleich.“ Auf gut Deutsch hieß das: Wir wissen schon, wie wir das Schulsystem verändern wollen – aber wir verraten es noch nicht.

Vodafone als Sponsor

Zum ersten Mal war bei der Konferenz die Vodafone-Stiftung dabei. Die Stiftung des Telekom- Riesen gehört nicht zum Forum, trat aber als Sponsor auf. Die Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Inger Paus, stellte wie berichtet die Ergebnisse einer Studie vor, in der sie weltweit die Meinungen der Bürger zu digitaler Bildung erhoben hat. Deutschland liege weit hinter anderen Staaten, insbesondere China, stellte Paus zerknirscht fest. Das stimmt, wenn man auf die Ergebnisse der Umfrage blickt: 70 Prozent der Deutschen sind dagegen, dass Lernfortschritte von Kindern „digital erfasst und von Algorithmen ausgewertet werden“. Acht von zehn Befragten finden es falsch, „wenn Lehrer durch Roboter unterstützt werden“. Sogar 90 Prozent der Bundesbürger lehnen es ab, dass Schüler weniger in die Schule gehen, „sondern in Fernunterstützung der Lehrer online lernen“. Mehr Ablehnung geht kaum. Zustimmung erntete allein der Frontalunterricht: Die Hälfte der Deutschen ist dafür, dass Lehrer ihre Schüler weiter vom Pult aus unterrichten – analog.

70 Prozent der Deutschen sind dagegen, dass Lernfortschritte von Kindern „digital erfasst und von Algorithmen ausgewertet werden

Aus der beinahe schroffen Ablehnung digitaler Bildung mithilfe von Algorithmen und Robotern zog die Vodafone-Stiftung nun einen rätselhaften Schluss: „Die Datenpunkte machen die Notwendigkeit von systemischen Veränderungen in der Schulpraxis deutlich.“ Stiftungschefin Paus mahnte ein höheres Tempo bei der Digitalisierung der Schulen an. Aber: „Wenn wir schneller skalieren wollen“, komme es oft zu Verzögerungen. Skalieren ist ein ökonomischer Terminus, er bedeutet: einzelne Modellprojekte auf möglichst viele Schulen auszudehnen.

Es geht darum, einen Markt zu entwickeln.

In einer Diskussionsrunde erklärte Paus später genauer, welche Rolle das „wir“ spielt: „Was tun die Stiftungen, die Zivilgesellschaft?“, fragte Paus. „Wir investieren im Prinzip darin, Prototypen, Piloten zu entwickeln, um zu gucken, wie funktioniert es und dadurch auch einen Markt zu entwickeln, um das mal mit der Logik der Telekommunikationsbranche zu erklären.“

Vielleicht versteht man das Gebaren der Stiftungen noch besser, wenn man sich genauer ansieht, wer hinter den Akteuren des jüngsten Treffens des „Forum Bildung Digitalisierung“ steht. Es sind eine Reihe von Stiftungen dabei, die in engem Zusammenhang mit Technologie-Unternehmen stehen. Die Robert Bosch- und die Bertelsmann-Stiftung sind Eigentümer milliardenschwerer Technik- und Medienmarken. Die Robert Bosch GmbH trat als Sponsor einer Programmierplatine auf, die an allen deutschen Grundschulen verteilt werden soll.

Bild: Adobe Stock

Der weltweit agierende Bertelsmann-Konzern hat eine eigene Sparte Bildung (Bertelsmann Education Group) gegründet, die mit der Digitalisierung eine Milliarde Euro Umsatz erzielen soll. Die Konzerne Telekom und Vodafone dürften wohl die direktesten Nutznießer einer Digitalisierung der Schulen sein. Der Großteil der fünf Milliarden Euro, die mit dem Digitalpakt investiert werden, ist dafür vorgesehen, deutsche Schulen ans schnelle Internet anzuschließen – das ist das Geschäftsfeld von Telekom und Vodafone.

Christian Füller im Tagesspiegel, Berlin

image_pdfAls PDF herunterladen

Verwandte Artikel

Es gibt immer noch zu viele Tabus in der Bildungsdebatte

Der Journalist Daniel Wahl hat sich auf Bildungsthemen spezialisiert und hat schon deshalb ein Alleinstellungsmerkmal, weil er die gängigen Bildungsnarrative der Bildungsnomenklatura hartnäckig hinterfragt. Der 54-jährige Vater von vier erwachsenen Kindern lebt im Kanton Baselland und arbeitet beim Nebelspalter. Er war selber einmal Primarlehrer in Seltisberg (BL) und kennt deshalb die Schule als Praktiker, von der Elternseite sowie als politischer Berichterstatter. Seine ersten Schritte in den Journalismus wagte er beim Gratisanzeiger Baselstab. Es folgten die Stationen Telebasel und Baz, bevor er zu seinem aktuellen Tätigkeitsfeld wechselte, dem Nebelspalter. Der Condorcet-Blog veröffentlichte schon viele seiner Berichte. Ein Grund, sich einmal mit diesem Journalisten zu unterhalten. Alain Pichard traf ihn in Basel.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert