Mehr Zeit fürs Training mathematischer Grundkompetenzen
Das Ganze ist ein mutiger Ansatz und verdient es, breit diskutiert zu werden. Mathematik und Deutsch wieder ins Zentrum des Bildungsprogramms zu stellen und das ausufernde Wunschprogramm zu reduzieren, ist ein sinnvolles Anliegen. Die gezielte Förderung der mathematischen Kompetenzen ist dabei die überschaubarere Aufgabe, da das Mathematikniveau der Mehrheit unserer Schüler zufriedenstellend ist. Dennoch kann nicht länger einfach hingenommen werden, dass viele Schulabgänger grundlegende Aufgaben wie den gewöhnlichen Dreisatz oder das Prozentrechnen nicht beherrschen. Um dieses belastende Defizit zu korrigieren, braucht es kein aufwändiges neues Konzept, sondern in erster Linie mehr Training in abwechslungsreichen Übungsformen.
Die Deutschkompetenz unserer Schulabgänger zu verbessern, ist hingegen eine komplexe Herausforderung. Es reicht nicht, nur das Frühfranzösisch zu streichen, um mehr Deutschstunden zu erhalten. Nötig ist eine Reform des Sprachenkonzepts mit einem viel stärkeren Einbezug des sprachfördernden Fächerbereichs von Mensch und Umwelt.
Deutschförderung ist eine breitgefächerte Aufgabe
Aufwertung der Realienfächer: Für die Erweiterung des Wortschatzes spielen die Fächer aus dem Bereich Mensch und Umwelt eine zentrale Rolle. Kinder und Jugendliche lernen durch einen anschaulichen Sachunterricht und spannende Geschichten die Welt kennen und verstehen. Gut ausgebildete Lehrpersonen erschliessen mit präziser Sprache einen sachbezogenen Wortschatz und öffnen das Tor zu einem besseren Leseverstehen. Wer mehr weiss und erhellende Einblicke ins Leben erhalten hat, findet den Zugang zum sprachfördernden Lesen viel leichter.
Sprachkompetenz gehört zur Lehrerpersönlichkeit: In der Lehrerbildung muss alles darangesetzt werden, die muttersprachliche Kompetenz der Studierenden zu stärken. Die arg vernachlässigte Erzählkunst ist aufzuwerten und die Sachkompetenz in den Realienfächern so auszubauen, dass junge Lehrerinnen und Lehrer sprachlich aus dem Vollen schöpfen können. Die formale Sprachförderung muss ein Niveau erreichen, das eine gepflegte Sprache auch im schriftlichen Ausdruck ermöglicht.
Pflege der Schriftlichkeit: Kinder sollen von allem Anfang an die korrekte Schreibweise der Wörter und schrittweise an grammatikalischen Strukturen unserer Muttersprache gewöhnt werden. Rechtschreibung und Grammatik sind intensiv zu trainieren und Aufsätze verschiedenster Art sind regelmässig in den Unterricht einzubauen. Diese Kultur einer sorgfältigen Schriftlichkeit verlangt einigen Korrekturaufwand und ist ein wesentlicher Teil einer Schule, die Leistungen im Deutsch erwartet.
Freude am Deutsch wecken: Ziel eines sprachbewussten Unterrichts muss es sein, die sprachliche Gestaltungkraft der Kinder und Jugendlichen umfassend zu fördern. Dazu eignen sich Gedichtstunden, wo lyrische Meisterwerke einen unmittelbaren Zugang zur inneren Kraft der Sprache schaffen. So gehören Goethes Zauberlehrling, Fontanes Ballade Brück am Tay und Brechts sozialkritische Gedichte in die pädagogische Schatztruhe. Freude am sprachlichen Ausdruck können Jugendliche auch finden, wenn sie in eigenen Vorträgen, in Beschreibungen physikalischer Experimente, in Theaterrollen und Klassengesprächen verständliches Deutsch anwenden müssen.
Lehrerbildung stärker auf die Praxis ausrichten
Eine erfolgreiche sprachliche Grundbildung unserer Jugend hängt in hohem Mass von einer guten Lehrerbildung ab. An den Fachhochschulen ist man zwar bemüht, die aufgezählten Kompetenzen in die Ausbildung zu integrieren. Im Schulalltag zeigt sich jedoch, dass in vielen Bereichen offensichtliche Defizite bestehen. Die Erzählkunst ist wenig entwickelt, der schriftliche Ausdruck lässt zu wünschen übrig und das Sachwissen ist bei vielen Studierenden sehr lückenhaft. Mitverantwortlich für diesen Abbau ist zweifellos das von einer starken didaktischen Strömung favorisierte Lehrerbild des unscheinbaren Begleiters. Wenn kein ausgeprägtes Interesse daran besteht, Lehrpersonen als Erzähler, als sachkundige Instruktorinnen für anschauliche Stoffvermittlung oder als motivierende Trainerinnen für formales Üben auszubilden, bleibt die Lehrerrolle blass und verliert an sprachlicher Gestaltungskraft. Die Freude an der Sprache muss vorgelebt werden und wächst nicht, wenn Lehrpersonen lieber Arbeitsblätter verteilen und die Schüler allein arbeiten lassen.
Lieber Orchesterdirigentin als lernbegleitende graue Maus
Eine innere Schulreform dieser Art bedeutet nicht, dass einmal mehr alles auf den Kopf gestellt werden muss. Primär ist der Lehrplan gründlich zu entschlacken, fürs Wesentliche mehr Zeit einzuräumen und das diffuse Lehrerbild des Coachs durch das weit treffendere Rollenbild einer umsichtigen Orchesterdirigentin oder eines Kapitäns zu ersetzen. Was man bei der Einführung des neuen Lehrplans verpasst hat, muss jetzt aufwändig nachgeholt werden. Ebenso besteht grosser Erklärungsbedarf, wo auf dem Weg zu pädagogischen Persönlichkeiten die Studierenden an den Pädagogischen Hochschulen ihre Ausbildungsschwerpunkte setzen sollen.
Die ganzen idealistischen Schul- und Bildungsreformen bewiesen eindrucksvoll die Überlegenheit des “alten Schulsystems”. Mit einer Verlierermentalität kann man eben keinen Blumentopf gewinnen.