Es fühlte sich an wie Diktatur (1)
Englische Unterrichtsexperten wehrten sich gegen die Anordnung der Regierung, sie am Reden zu hindern
Spezialisten, welche die offizielle Bildungspolitik kritisieren, behaupten, das Erziehungsministerium führe geheime Akten über sie.
Es geschah an einem Dienstag Abend im März, zwei Tage, bevor Ruth Swailes, eine Expertin in Früherziehung, nach Manchester reisen sollte, um an einer Konferenz zu sprechen. Nichts an der Veranstaltung – die Gründung einer von der Regierung finanzierten Austauschplattform zur Verbesserung der Erziehung von Kindern unter fünf Jahren – war ihr als kontrovers erschienen. Aber an jenem Abend öffnete sie ein Mail ihres Co-Referenten, Dr. Aaron Bradbury, das besagte, dass die Regierung sie beide von der Teilnahme an der Veranstaltung ausschliesse.
Ausserdem erklärte die Stiftung, die von mehreren Akademien unterstützt wird und die Konferenz organisierte, dass das Erziehungsministerium (EM) der ganzen Veranstaltung den Stecker ziehen wolle, da zwei ‘nicht genehme’ (unsuitable) Experten eine Plattform erhalten sollten.
«Es war schockierend», meint Swailes heute. «Ich schickte dem EM sofort eine Mail, aber sie sagten nur, sie würden sich mit mir in Verbindung setzen. Es fühlte sich alles an wie eine hinterhältige Intrige (cloak and dagger).
Die Organisatoren waren entsetzt – und hielten eisern daran fest, dass Swailes und Bradbury, Co-Autoren eines Bestsellers über die frühe Kindheit, die Erlaubnis zu sprechen erhalten sollten.
Nach etlichen Verhandlungen war das EM einverstanden, dass die Veranstaltung durchgeführt werden konnte, aber nur, wenn Swailes und Bradbury virtuell über Zoom erscheinen würden. Swailes vermutet, dies sei verlangt worden, damit die Behörden «uns abschalten könnten, wenn sie nicht mit uns einverstanden wären.»
Die Stiftung lehnte Zoom ab, indem sie geltend machte, dass sie nicht gut den 120 Kinderbetreuer(innen) das Weekend belegen und sie quer durchs Land reisen lassen könnten, um ihnen einfach nur einen Bildschirm vorzusetzen.
Nachdem Swailes und Bradbury das EM darüber informiert hatten, dass die Anwälte, die sie konsultiert hatten, ein düsteres Urteil abgäben über die Versuche, sie zum Schweigen zu bringen, erhielten die beiden Experten die Erlaubnis, persönlich reden zu dürfen. Aber Swailes bemerkt, dass ein höherer Regierungsbeamter aufkreuzte, um sie zu ‘überwachen’.
Bradbury, der damals das EM gerade über die Weiterbildung des Betreuungspersonals beriet, fand den Vorfall ‘traumatisch’. «Gesagt zu bekommen, dass wir diese Debatte nicht führen können, fühlte sich an, wie wenn wir in einer Diktatur und nicht in einer Demokratie leben würden», meint er.
Ich entdeckte, dass sie mich konsequent überwachten.
Auch Swailes war beunruhigt. Sie stellte einen Antrag auf Akteneinsicht, der das EM zwang, alle e-mails oder Dokumente, die ihren Namen enthielten, herauszugeben. Die Antwort war ‘unheimlich’, meinte sie, und öffnete eine ganze Pandorabüchse (can of worms) quer durch ihren Berufssektor, da andere Erziehungsfachleute, die ebenfalls dafür bekannt waren, ihre Meinung frei zu äussern, ihre eigenen Einsichtsanträge stellten.
«Ich entdeckte, dass sie mich konsequent überwachten», sagt Swailes. Die Akte, die sie sich verschafft hatte, hob Tweets hervor, in denen sie sich kritisch über Ofsted, das Schulinspektorat, äusserte. Die Akte vermerkte Fälle, in denen sie Tweets mit einem «like» versah, die Birth to 5 Matters (Die Zeit zwischen Geburt und fünf Jahren zählt), propagierten, einen Ratgeber, der von einem Zusammenschluss von Früherziehungsexperten, nicht aber von der Regierung verfasst worden war. Ein e-mail nennt sie eine langjährige Kritikerin der regierungskonformen Früherziehung – etwas, was sie als unwahr bezeichnet.
Welche Leute auch immer Swailes auf Twitter (heute X) nachspürten – die Namen wurden unkenntlich gemacht, so dass sie keine Ahnung hatte -, diese Leute werden auch Beiträge über den Kampf ihres Mannes Pete mit dem tödlichen Krebs gesehen haben und über die Gruppe von Fremden und Freunden, die Bilder von ihren «schicken Socken» posteten, um ihn aufzuheitern.
«Als wir Regierungsvertreter trafen, um mit ihnen über ihren Versuch, uns am Reden zu hindern, zu sprechen, wies ich darauf hin, dass ich freischaffend und eine kürzlich verwitwete alleinerziehende Mutter sei», erklärt sie. «Ich sagte: «Ich habe zwei Töchter, und mein guter Ruf ist mein Lebensunterhalt, deshalb ist nichts von Ihrem Verhalten OK.»
Neun andere Erziehungsfachleute haben inzwischen ähnliche – oft sehr umfangreiche – Akten des EM aufgedeckt, die ihre Tweets und ihre kritischen Ansichten sammelten. Viele andere warten noch auf Bescheid.
Carmet O’Hagan, eine Beraterin und Expertin in modernen Fremdsprachen, sagt, die Lektüre ihrer 37 Seiten Korrespondenz über sie, welche auch eine Excel-Tabelle enthielt, mit wem sie verkehrte, sei «bedrückend und verletzend».
Grossartig, dass Sie Herr Schmutz das im Condorcet-Blog aufdecken. Eine Ausladung habe auch ich erst kürzlich erhalten, keine 20 Stunden vor Beginn der Veranstaltung.
Ein herzliches Willkommen an alle in der dystophen Welt von “1984”…