Die Diskussion um die Integration, die Schulung möglichst aller Kinder und Jugendlichen in der Regelschule, reisst auch nach Jahren ihrer Einführung nicht ab. Kürzlich wurde z.B. in Basel eine Initiative zur Wiedereröffnung von Förderklassen gestartet. Passend hierzu kommt eine Neuerscheinung, die unumwunden die Seite der Kinder und Jugendlichen vertritt:
Bonfranchi; Dünki; Perret. Integration Separation Kooperation. Ein heilpädagogischer Blick auf Bildungschancen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen. Athena-Verlag. 2022.
Das Buch steht ein für eine angemessene Bildung für alle Kinder und Jugendliche, seien es sogenannte Hochbegabte oder seien es junge Menschen mit intellektuellen, Lern- oder Verhaltens-Problemen. Es stimmt nicht in die gängige Forderung nach flächendeckender Integration aller Kinder und Jugendlichen in «eine Schule für alle» ein, sondern fordert eine differenziertere Sichtweise. Denn jedes Kind hat nur eine Bildungslaufbahn, in der es seine spezifischen Möglichkeiten entdecken, aufgreifen und entfalten können muss. Nur so ist später ein möglichst selbstbestimmtes Leben möglich, wofür die UN-Behindertenrechtskonvention BRK eintritt.
Es richtet sich grundsätzlich an alle Interessierten, seien es Eltern, Lehrpersonen von Regel- und Sonderschulen oder Behörden.
Das Autorenteam kann auf langjährige Studien und Praxis im heilpädagogischen Bereich zurückgreifen und Forschungsergebnisse mit der Praxis verbinden. Dabei ist ein flüssig lesbares anschauliches Buch entstanden, das man sich für jede Schulbibliothek wünschen würde. Es richtet sich jedoch grundsätzlich an alle Interessierten, seien es Eltern, Lehrpersonen von Regel- und Sonderschulen oder Behörden und will zu einer sachbezogenen Diskussion beitragen und Türen öffnen.
Nach einem klärenden Rückblick in die Geschichte der Heilpädagogik, deren Wegbereiter gerade Kindern, die bisher für unbeschulbar galten, erstmals das Lernen in einer Schule ermöglichten und ihnen damit zu einer menschenwürdigen Zukunft verhalfen, gibt es einen kurzen Einblick in die Entstehung der Integrationsbewegung und beleuchtet internationale Konventionen und rechtliche Grundlagen der Integration in der Schweiz.
Im ausführlichen Praxisteil wird anhand von Fallbeispielen aus heilpädagogischen Sonderschulen, aber auch einer Sonderschule für Kinder und Jugendliche mit Lernproblemen oder Verhaltensauffälligkeiten, in der Regel mit psychiatrischen Diagnosen, dargestellt, welche Fragen sich in der Praxis stellen, wie und warum die Schule dem einzelnen jungen Menschen auf seinem spezifischen Bildungsweg behilflich sein konnte. Diese Beispiele sind inhaltlich geordnet, z.B. in ein Kapitel «Gleichberechtigte Teilhabe, was heisst das?», ein weiteres über die Bedeutung der Zusammenarbeit mit Eltern oder eines über die Vorbereitung auf ein selbstbestimmtes Leben. Die Beispiele werden analysiert, gewürdigt und die Ergebnisse jeweils in einem Zwischenhalt zusammengefasst.
Berührend sind auch die Beispiele zur Kooperation zwischen Sonderschule und Regelschule, seien es Projekte wie gemeinsame Aufführungen oder gemeinsame Unterrichtsstunden oder das langjährige Grossprojekt einer «Integration light», das – wie in allen Beispielen – ein engagiertes Lehrerteam voraussetzt und auf einer starken, stärkenden Beziehung der Kinder und Jugendlichen zu ihren Lehrpersonen aufbauen kann und muss.
Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung werden am Ende in einem Thesenteil schlüssig zusammengefasst.
Das Buch ist eine engagierte Stellungnahme für das Recht auf Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen, die historische Entwicklungen einbezieht und Theorie und Praxis verbindet.
Der Gewinn beim Lesen dieses Buches ist, greifbare Möglichkeiten – wieder – kennenzulernen und zur Verfügung zu haben, mit denen für jedes einzelne Kind ein auf seine Person zugeschnittenes schulisches Angebot gemacht werden kann. Gleichzeitig gibt das Autorenteam einen Ausblick auf ein pädagogisches Berufsethos, das immer wieder im Gedränge von Reformkaskaden verlorenzugehen scheint. Insgesamt: eine engagierte Stellungnahme für das Recht auf Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen, die historische Entwicklungen einbezieht und Theorie und Praxis verbindet.