Liebe Mitstreiter
Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat über 20 Jahre nach den großen internationalen Tests, die einen “Schock” auslösten, plötzlich entdeckt, dass es um die mathematischen Kenntnisse von Schülern nicht zum Besten steht. Da muss jetzt ein Zehn-Jahres-Plan “zur Stärkung der mathematischen Bildung” her, um zu retten, was zu retten ist:
Immerhin stehen gewisse Basis-Fähigkeiten noch drin, sogar das kleine 1×1 und die Bruchrechnung mit Dezimalbrüchen und Prozentrechnung. Aber ohne Taschenrechner sind viele Schülerinnen und Schüler dabei schon völlig hilflos.
Genauer wird festgestellt, dass auch weiterhin in den offiziellen Tests immer nur etwa die Hälfte der Schulkinder und Jugendlichen die KMK-Standards für die Grundschule und die Sekundarstufe I erfüllen, die es schon seit 2004 gibt. Besonders elitär formuliert sind diese Standards bekanntlich nicht, sie werden auch heftig kritisiert als ungeeignet, um Bildung zu beschreiben und Bildungsziele festzulegen. Immerhin stehen gewisse Basis-Fähigkeiten noch drin, sogar das kleine 1×1 und die Bruchrechnung mit Dezimalbrüchen und Prozentrechnung. Aber ohne Taschenrechner sind viele Schülerinnen und Schüler dabei schon völlig hilflos.
Als Gegenmaßnahme wird eine gewisse Zahl von Millionen Euro für die Lehrerfortbildung bewilligt, weil man davon ausgeht, dass nicht die Schüler, sondern die Lehrer ursächlich für diese Misere sind. Eigentlich sollte man meinen, die Lehrer können die Bruchrechnung durchaus, sie schaffen es nur nicht, dass diese auch in den Köpfen der Kinder ankommt. Da fragt man sich, worin das Hindernis wohl besteht.
Hier verspricht nun das DZLM mit seinen bekannten Protagonisten und mit einer schon länger bekannten Terminologie Abhilfe. Das regelmäßige Ritual
der Ankündigung eines neuen Programms der KMK erinnert mittlerweile an gewisse Filme, die gern am Silvestertag gezeigt werden (“das ist alle Jahre gutgegangen und wird auch dieses Jahr gutgehen”). Angeblich fehlt es nur an der Qualität des Mathematikunterrichts, die jetzt durch “eine umfassende Unterstützung der Lehrkräfte und kohärente Qualitätsmerkmale für die Entwicklung von Matheunterricht” entscheidend gesteigert werden soll. Der Butler serviert die richtigen Rezepte. Aber wer glaubt daran noch?
Frau Prof. Prediger postuliert das, was schon seit 20 Jahren postuliert wird, nämlich ein “tiefgehendes Denken und Verständnis” und nicht nur dieses “Oberflächenlernen” mit “unverstandenen Rezepten”, das laut PISA für den traditionellen Matheunterricht offenbar typisch war und ist. Die bisherigen Fortbildungsthemen werden hier aufgelistet:
https://dzlm.de/forschung-und-entwicklung/fortbildungsthemen
Aus Sicht eines Mathematikers kommt Mathematik dabei eigentlich nicht explizit vor, es geht mehr um das Eintrainieren der neuen Konzepte “Leitideen” und “Kompetenzen” und natürlich um die Inklusion und die Heterogenität. Ob die “fachfremd Unterrichtenden” im Fach oder in der Kompetenz- und Heterogenitäts-Terminologie (böse Zungen sprechen schon von “Gehirnwäsche”) weitergebildet werden, erschließt sich nicht. Zu befürchten ist das letztere, denn die Formulierung “kompetenter inklusiver Umgang mit Diversität” legt das nahe. Diese sprachliche Entwicklung ist von der UN-Behindertenkonvention abgeleitet: der “inklusive Umgang”. Man kann das Adjektiv “inklusiv” offenbar mit fast jedem Substantiv kombinieren, und das Ergebnis beschreibt fast immer ein neues pädagogisches Konzept, zu dem mit Drittmitteln geforscht werden kann.
Aber was waren die konkreten Effekte auf die Testergebnisse des sog. “Monitorings” durch IGLU, TIMSS, PISA und die IQB-Ländervergleiche sowie auf VerA 3 und VerA 8 ?
Aber gab es nicht schon seit 1998 das großangelegte “SINUS-Programm” zur Verbesserung des Mathematikunterrichts und der Mathematikkenntnisse von Schulkindern, später als “SINUS-Transfer” bezeichnet:
https://de.wikipedia.org/wiki/SINUS_(Bildung)
Gibt es nicht schon seit langen Jahren die Projekte “Mathe sicher können”, “PikAs”, “Mathe inklusiv mit PikAs”, “KIRA” (Kinder rechnen anders), “primakom”, alle zu bewundern auf der Homepage des DZLM ? In Schleswig-Holstein gibt es neben einem Programm “Lesen macht stark” auch “Mathe macht stark”. Zahlreiche andere Programme gibt es auch noch. Aber was waren die konkreten Effekte auf die Testergebnisse des sog. “Monitorings” durch IGLU, TIMSS, PISA und die IQB-Ländervergleiche sowie auf VerA 3 und VerA 8 ?
Und dann sollen wir glauben, dass dieselben Experten beim DZLM, die schon in den vergangenen 10 Jahren diverse Programme entwickelt haben, nun endlich die richtigen, d.h. erfolgreichen, Rezepte finden werden?
Ich lese überall, dass die Ergebnisse bestenfalls stagnieren und in vielen Fällen und Teilbereichen (auch in etlichen Bundesländern) sich nach unten entwickeln. Und dann sollen wir glauben, dass dieselben Experten beim DZLM, die schon in den vergangenen 10 Jahren diverse Programme entwickelt haben, nun endlich die richtigen, d.h. erfolgreichen, Rezepte finden werden?
Sollen wir glauben, dass die Kultusminister in der KMK die schon bisher die Mathematik eher in Sonntagsreden (“Für alle Kultusministerien hat die mathematische Bildung unserer Kinder und Jugendlichen sehr hohe Bedeutung”, so die Präsidentin der KMK) als in der praktischen Schulpolitik hochgehalten haben, nun endlich begriffen haben, was dem Mathematikunterricht fehlt?
Es gibt bereits jetzt 53 “Kompetenzteams” zur Lehrerfortbildung allein in NRW, allerdings nicht nur für Mathematik.
Man darf wohl sehr skeptisch sein. Schließlich wurde in mehreren Bundesländern schon ein eigenes Landesinstitut für Lehrerfortbildung gegründet (so in Bremen, Berlin, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg), aber von der Wirkung hört man nichts. Es gibt bereits jetzt 53 “Kompetenzteams” zur Lehrerfortbildung allein in NRW, allerdings nicht nur für Mathematik:
https://www.lehrerfortbildung.schulministerium.nrw.de/Fortbildung/Kompetenzteams/
Der Grübler und Skeptiker Faust bekannte in dem gleichnamigen Drama von Goethe: “Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.” Auf Götter wird man beim Mathematikunterricht kaum hoffen können, und der Teufel steckt auch bei der Mathematik – wie so oft – im Detail. Wie Mephisto die neuen Aktivitäten der Lehrerfortbildung zur Mathematik kommentiert hätte, werden wir allerdings nie erfahren, zumal Goethe – trotz seiner sonst umfassenden Bildung – kein Freund der Mathematik war. Zum Glück ist trotzdem etwas aus ihm geworden.
Ich bin aber sicher: Mephisto wäre eine passende Formulierung eingefallen, treffender als alles, was ich hier schreiben kann. Überlegen Sie selbst nach ein paar Gläsern eines zur Jahreszeit passenden Getränks.
In diesem Sinne wünscht einen schönen vierten Advent sowie einen coronafreien Übergang ins neue Jahr
Wolfgang Kühnel