21. November 2024

Gymnasiale Maturität: Anforderungen modernisieren, nicht verwässern

Klare Aussagen des schweizerischen Dachverbandes zur Reform der gymnasialen Maturität. Wir bringen hier eine Zusammenfassung eines längeren Positionspapiers.

Rudolf Minsch, economiesuisse: Die Erhöhung der Maturitätsquote ist keine gute Idee.

Aktuell finden in verschiedenen Kantonen Aufnahmeprüfungen für die Gymnasien statt, und entsprechend werden auch wieder Stimmen laut, die Maturitätsquote sei schweizweit anzuheben, um die Chancengleichheit zu verbessern. Dies und die laufenden Bemühungen zur Reform der gymnasialen Maturität nimmt economiesuisse zum Anlass, zwei Dossierpolitik vorzulegen, die das Thema
umfassend aufgreifen.

Vor über 25 Jahren wurden die national geltenden Rahmenbedingungen für die Gymnasien das letzte Mal umfassend reformiert. Der universitäre Alltag der Erstsemester-Studierenden war damals ein anderer als heute. Sie hatten oftmals noch keinen E-Mail-Account, und die Universität kommunizierte nur in seltenen Fällen über diesen Kanal. Die Vorlesungsunterlagen mussten im Studentenladen in ausgedruckter Form gekauft werden oder in extra eingerichteten Kopierzimmern vervielfältigt werden. Für Seminararbeiten und Ähnliches wurde vor allem vor Ort in verschiedenen Bibliotheken recherchiert. Recherchieren von zu Hause aus im Internet, das heute in den meisten Studiengängen der Normalfall ist, war die Ausnahme.
Nicht nur im Studium, sondern auch im Alltag hat die Digitalisierung in den letzten 25 Jahren zu massiven Veränderungen geführt. Es ist höchste Zeit, dass die Reglemente und Lehrpläne der Gymnasien an die heutigen Lebensrealitäten angepasst werden, damit die beiden Bildungsziele der Gymnasien – die «allgemeine Studierfähigkeit» und die «vertiefte Gesellschaftsreife» – weiterhin erreicht werden können.

Es geht hinauf

Den prüfungsfreien Hochschulzugang sicherstellen

Das geltende Maturitätsanerkennungsreglement (MAR / MAV) und der Rahmenlehrplan werden momentan von der Schweizerischen Konferenz der Erziehungsdirektoren (EDK) und dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) reformiert. economiesuisse begrüsst, dass die Matura an die heutigen Anforderungen angepasst wird. Nur so kann der prüfungsfreie
Zugang aus den Gymnasien zu den Hochschulen erhalten bleiben. Dieser Besonderheit des schweizerischen Bildungssystems muss Sorge getragen werden.

Informatik als Grundlagenfach

Im heute publizierten Dossierpolitik zur Maturitätsreform fordert der Wirtschaftsdachverband unter anderem, dass der Studien- und Berufswahlunterricht in allen Gymnasien verbindlich Einzug halten soll. Zudem soll Informatik ein Grundlagenfach werden. Aber auch auf eine Stärkung der Pflichtfächer legt die Wirtschaft grossen Wert, damit die Basisfähigkeiten gründlich erlernt werden. Demgegenüber sind zum Ende der gymnasialen Ausbildung hin mehr Freiheiten im Unterricht anzustreben, damit auch die Selbst- und Sozialkompetenzen und interdisziplinäres Arbeiten optimal gefördert werden können. economiesuisse fordert ausserdem schweizweit vergleichbare Abschlüsse mit einheitlichen Grundstrukturen und verbindlichen Zielen.

Höhere Maturitätsquote schwächt die duale Berufsbildung

Erhöhung der Maturitätsquote schadet dem dualen System.

Die genannten Reformen sollten nicht zum Ziel haben, die Maturitätsquote zu erhöhen, wie das immer wieder gefordert wird. Denn nicht nur der prüfungsfreie Zugang von den Gymnasien an die Hochschulen ist eine erhaltenswerte Besonderheit des Schweizer Bildungssystems, sondern auch die breite Auswahl an Berufslehren dank der dualen Berufsbildung. Eine Erhöhung der Maturitätsquote wäre keine gute Antwort auf die immer höher werdenden Anforderungen in der Berufswelt. Die exzellente Qualität der Berufsbildung und der weiterführenden Ausbildungen (beispielsweise an Höheren Fachschulen und Fachhochschulen) ist eine zentrale Stütze der Innovationskraft und
Leistungsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft, die die Versorgung mit qualifizierten und arbeitsmarktnah ausgebildeten Fach- und Führungskräften sicherstellt.

Die Eltern müssen unbedingt stärker in den obligatorischen Berufswahlunterricht miteinbezogen werden, sowohl an den Sekundarschulen wie auch an den Langzeitgymnasien.

Diese Stärke muss mittels einer stetigen Weiterentwicklung der Berufslehren und der weiterführenden Aus- und Weiterbildungen beibehalten werden. Dazu soll unter anderem die Durchlässigkeit zwischen den Bildungswegen weiter gefördert werden. Ausserdem müssen die Eltern unbedingt stärker in den
obligatorischen Berufswahlunterricht miteinbezogen werden, sowohl an den Sekundarschulen wie auch an den Langzeitgymnasien. Mit diesen und weiteren im neu veröffentlichten Dossierpolitik «Duale Berufsbildung stärken statt Gymnasium verwässern» vorgestellten Massnahmen kann für die Qualität des Schweizer Bildungssystems mehr getan werden als mit einer Verwässerung der Anforderungen an den Gymnasien, die schliesslich den prüfungsfreien Zugang zu den Universitäten infrage stellen.

image_pdfAls PDF herunterladen

Verwandte Artikel

Das Schulkind als postmoderner Einzeller?

Das Tandem „Lehren und Lernen“ gilt vielen als überholt. Im Zentrum steht für sie das selbstbestimmte Lernen des Kindes. Nun kündet sich aber eine (Wieder-)Entdeckung des Lehrens an. Ein Beitrag des Condorcet-Autors Carl Bossard.

Christine Häsler, Erziehungsdirektorin des Kantons Bern, reagiert!

Die bernische Erziehungsdirektorin Christine Häsler scheint die Tradition ihres Vorgängers Bernhard Pulver fortzusetzen. Anders als in der Stadt Basel, wo verschiedene Lehrkräfte uns mitteilten, dass sie den offenen Brief zum Passepartout-Desaster nicht unterschreiben könnten, aus Angst vor der Reaktion der Behörden, herrscht im Kanton Bern bei aller Divergenz immer noch der Dialog. Die Kritiker werden gehört, ihre Kritik ernst genommen und sie werden sogar in die eilends zusammengestellte Arbeitsgruppe berufen. So auch Condorcet-Autor und Passepartout-Kritiker Res Aebi (Siehe: Ein Passepartout, der Tore schliesst statt öffnet, 8.12.19). Fazit: Kritik ist in Baselland und Bern ein Korrektiv, in der Stadt Basel wird sie unterdrückt. Folge: Die Stadt Basel belegt in allen Erhebungen den letzten Rang trotz Rekordausgaben, in Bern und Baselland sind sie zwar auch nicht berrauschend, aber merklich besser, trotz weniger Geld.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert