19. März 2024

Gymnasiale Maturität: Anforderungen modernisieren, nicht verwässern

Klare Aussagen des schweizerischen Dachverbandes zur Reform der gymnasialen Maturität. Wir bringen hier eine Zusammenfassung eines längeren Positionspapiers.

Rudolf Minsch, economiesuisse: Die Erhöhung der Maturitätsquote ist keine gute Idee.

Aktuell finden in verschiedenen Kantonen Aufnahmeprüfungen für die Gymnasien statt, und entsprechend werden auch wieder Stimmen laut, die Maturitätsquote sei schweizweit anzuheben, um die Chancengleichheit zu verbessern. Dies und die laufenden Bemühungen zur Reform der gymnasialen Maturität nimmt economiesuisse zum Anlass, zwei Dossierpolitik vorzulegen, die das Thema
umfassend aufgreifen.

Vor über 25 Jahren wurden die national geltenden Rahmenbedingungen für die Gymnasien das letzte Mal umfassend reformiert. Der universitäre Alltag der Erstsemester-Studierenden war damals ein anderer als heute. Sie hatten oftmals noch keinen E-Mail-Account, und die Universität kommunizierte nur in seltenen Fällen über diesen Kanal. Die Vorlesungsunterlagen mussten im Studentenladen in ausgedruckter Form gekauft werden oder in extra eingerichteten Kopierzimmern vervielfältigt werden. Für Seminararbeiten und Ähnliches wurde vor allem vor Ort in verschiedenen Bibliotheken recherchiert. Recherchieren von zu Hause aus im Internet, das heute in den meisten Studiengängen der Normalfall ist, war die Ausnahme.
Nicht nur im Studium, sondern auch im Alltag hat die Digitalisierung in den letzten 25 Jahren zu massiven Veränderungen geführt. Es ist höchste Zeit, dass die Reglemente und Lehrpläne der Gymnasien an die heutigen Lebensrealitäten angepasst werden, damit die beiden Bildungsziele der Gymnasien – die «allgemeine Studierfähigkeit» und die «vertiefte Gesellschaftsreife» – weiterhin erreicht werden können.

Es geht hinauf

Den prüfungsfreien Hochschulzugang sicherstellen

Das geltende Maturitätsanerkennungsreglement (MAR / MAV) und der Rahmenlehrplan werden momentan von der Schweizerischen Konferenz der Erziehungsdirektoren (EDK) und dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) reformiert. economiesuisse begrüsst, dass die Matura an die heutigen Anforderungen angepasst wird. Nur so kann der prüfungsfreie
Zugang aus den Gymnasien zu den Hochschulen erhalten bleiben. Dieser Besonderheit des schweizerischen Bildungssystems muss Sorge getragen werden.

Informatik als Grundlagenfach

Im heute publizierten Dossierpolitik zur Maturitätsreform fordert der Wirtschaftsdachverband unter anderem, dass der Studien- und Berufswahlunterricht in allen Gymnasien verbindlich Einzug halten soll. Zudem soll Informatik ein Grundlagenfach werden. Aber auch auf eine Stärkung der Pflichtfächer legt die Wirtschaft grossen Wert, damit die Basisfähigkeiten gründlich erlernt werden. Demgegenüber sind zum Ende der gymnasialen Ausbildung hin mehr Freiheiten im Unterricht anzustreben, damit auch die Selbst- und Sozialkompetenzen und interdisziplinäres Arbeiten optimal gefördert werden können. economiesuisse fordert ausserdem schweizweit vergleichbare Abschlüsse mit einheitlichen Grundstrukturen und verbindlichen Zielen.

Höhere Maturitätsquote schwächt die duale Berufsbildung

Erhöhung der Maturitätsquote schadet dem dualen System.

Die genannten Reformen sollten nicht zum Ziel haben, die Maturitätsquote zu erhöhen, wie das immer wieder gefordert wird. Denn nicht nur der prüfungsfreie Zugang von den Gymnasien an die Hochschulen ist eine erhaltenswerte Besonderheit des Schweizer Bildungssystems, sondern auch die breite Auswahl an Berufslehren dank der dualen Berufsbildung. Eine Erhöhung der Maturitätsquote wäre keine gute Antwort auf die immer höher werdenden Anforderungen in der Berufswelt. Die exzellente Qualität der Berufsbildung und der weiterführenden Ausbildungen (beispielsweise an Höheren Fachschulen und Fachhochschulen) ist eine zentrale Stütze der Innovationskraft und
Leistungsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft, die die Versorgung mit qualifizierten und arbeitsmarktnah ausgebildeten Fach- und Führungskräften sicherstellt.

Die Eltern müssen unbedingt stärker in den obligatorischen Berufswahlunterricht miteinbezogen werden, sowohl an den Sekundarschulen wie auch an den Langzeitgymnasien.

Diese Stärke muss mittels einer stetigen Weiterentwicklung der Berufslehren und der weiterführenden Aus- und Weiterbildungen beibehalten werden. Dazu soll unter anderem die Durchlässigkeit zwischen den Bildungswegen weiter gefördert werden. Ausserdem müssen die Eltern unbedingt stärker in den
obligatorischen Berufswahlunterricht miteinbezogen werden, sowohl an den Sekundarschulen wie auch an den Langzeitgymnasien. Mit diesen und weiteren im neu veröffentlichten Dossierpolitik «Duale Berufsbildung stärken statt Gymnasium verwässern» vorgestellten Massnahmen kann für die Qualität des Schweizer Bildungssystems mehr getan werden als mit einer Verwässerung der Anforderungen an den Gymnasien, die schliesslich den prüfungsfreien Zugang zu den Universitäten infrage stellen.

Verwandte Artikel

Der Esel und der Kluge – über die (un)heimliche Macht minoritärer Sturheit

In den Debatten um die grassierende Woke-Kultur fällt immer wieder auf, welche grosse Macht kleine Minderheiten auf Mehrheiten auszuüben vermögen. Oft geben die vielen den wenigen um des lieben Friedens willen nach. Wie lange kann das gutgehen? Von Eduard Käser, Autor der reformkritischen Broschüre “Einspruch”, durfte man schon mehrere Gastbeiträge lesen.

Lehrermangel trotz Top-Gehalt – deshalb ist der Beruf so unattraktiv

In Deutschland wie in der Schweiz herrscht zurzeit ein akuter Lehrkräftemangel. Auch wenn es sich dabei immer wieder um Wellenbewegungen handelt, versucht sich die Bildungspolitik in Ursachenforschung. Immerhin ist die aktuelle Situation in manchen Gegenden ziemlich dramatisch. Weshalb wir zu wenig Lehrkräfte haben, bewegt nicht nur unsere Leserinnen und Leser. Auch Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz machte sich dazu kürzlich Gedanken (https://condorcet.ch/2021/08/die-volksschule-kann-sich-die-absenz-der-maenner-nicht-laenger-leisten/). Er hat in seinem Artikel die mangelnden Gestaltungsmöglichkeiten für Lehrkräfte bemängelt. In ein ähnliches Horn bläst nun auch ein Artikel in der deutschen WELT. Dazu veröffentlicht sie erstaunliche Zahlen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert