23. November 2024

Ein Kommentar aus Deutschland zu den nationalen Vergleichstests

Professor Dr. Volker Landentin, Professor für Historische und Systematische Erziehungswissenschaft an der Universität Bonn reagiert auf unsere nationalen Testergebnisse.

Liebe Schweizer Kolleginnen und Kollegen,

Wenn das Ergebnis, dass Sie beschreiben, für Deutschland zu diagnostizieren wäre, würde ich eine sehr einfache Erklärung bringen wollen. Die Schulpolitik, die Eltern, aber inzwischen auch die Lehrer haben vergessen, wozu Schule überhaupt da ist. Alle möglichen Aufgaben werden der Schule zugeschrieben. Im Augenblick Umweltschutz, Demokratisierung oder der Kampf gegen rechts oder links oder was auch immer. Dass die Schule nichts anderes ist als ein Ort fürs Lernen, das heißt für Unterricht und Erziehung, ist im Bewusstsein der Bildungspolitik nicht mehr vorhanden. Denn diese hat dieses gar nicht mehr als Ziel. Mit der Kompetenzorientierung zeigt sich dies ganz deutlich, denn dort ist das Ziel nicht mehr Lernen, sondern Handlungsfähigkeit. Handeln. Zum Handeln braucht es aber ganz andere Fähigkeiten, als zum Lernen. Handeln setzt das «Gelernthaben» voraus. Diesen Schritt überspringt die Konpetenzorientierung. Die derzeitige kompetenzorientierte Schulpolitik macht den Fehler, dass sie glaubt, man könne Handeln lernen, ohne vorher Inhalte gelernt zu haben. Daher sind die simplen Dinge gar nicht mehr auf der Themenliste der Schule zu finden.

Hinzu kommt in der Mathematik, das beobachte ich allerdings als Nicht- Mathematiker, also wohl nicht sehr kompetent, dass auch die Mathematik nicht mehr angeben kann, was sie ist und wozu sie da ist. Man verweist, wenn ich diese Frage stelle, auf umfangreiche Habilitationsschriften, die den Sinn der Mathematik aufdeckten. Eine solche Beschreibung ist aber für Schule wenig hilfreich. Erlauben Sie mir also diese Bemerkungen aus deutscher Sicht. Ob sie auf die Schweizer Verhältnisse zutreffen, vermögen Sie viel besser zu beurteilen als ich.

Herzlichen Dank für Ihre Darstellung

Ihr deutscher Kollege Volker Ladenthin

image_pdfAls PDF herunterladen

Verwandte Artikel

Digital first, pädagogische Freiheit second

Dem Philologenverband zum Trotz: Die Entscheidung, “ob die Digitalisierung und damit digitale Bildung Einzug in den Unterricht halten”, liegt nicht bei den Lehrern. Alexander Roentgen, Mathematiklehrer an einem Gymnasium, über den “Ja-Aber-Kurs” à la Radio Eriwan des Bildungsministeriums in Nordrheinwestfalen.

“Vorpreschen first, Bedenken second” – Über die unheilvolle Turbodigitalisierung im schulischen Bereich

Spätestens seit der Corona-Krise kennt die Digitalisierung der Schulen kein Halten mehr. Dabei ist es naiv, zu meinen, dass der Einsatz von Elektronik per se zu besserer Lernleistung und zu einem effizienteren Bildungssystem führt. Skeptische Stimmen gilt es ernst zu nehmen, mahnt Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg. Dieser Artikel ist zuerst in der NZZ erschienen.

Ein Kommentar

  1. Das Gutachten aus Luxemburg beurteilt die Ansprüche der Mathematikprüfung als überrissen im internationalen Vergleich. Warum das IBE (Institut für Bildungsevaluation), das auch die PISA-Studie verantwortet, die Grundkompetenzen dennoch so hoch ansetzt, erstaunt. Könnte es sein, dass hier eine Governance-Strategie angewendet wird, nach der ein Klima der Verunsicherung geschaffen werden soll, um die Behörden und Lehrpersonen gefügig zu machen und zu mehr Digitalisierung und Kompetenzeninstruktion zu drängen? Schliesslich bietet das IBE in Zusammenarbeit mit der FHNW geschäftstüchtig das kostenpflichtige Aufgabentool “mindsteps” an, mit dem Lernende ohne das lästige Dazwischentreten von Lehrpersonen am Tablet sture Multiple-Choice-Trainings absolvieren können, um das Gehirn bestmöglich auf künftige Tests hin zu trimmen. Honni soit qui mal y pense!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert