Die hochgelobten direktdemokratischen Prozesse zeigen bei Abstimmungen immer wieder ein groteskes Bild. Mit übertriebenem Triumpf loben die Sieger an der Urne jeweils unsere willensstarke Bevölkerung, welche einer Vorlage zugestimmt oder abgelehnt hätten.
Betrachtet man die Ergebnisse genauer, dann ergeben sich zunehmend knappe Resultate. Beispielsweise sind 51 Prozent dafür und 49 Prozent dagegen, oder umgekehrt. Wird die schweizweit durchschnittliche Stimmbeteiligungsquote von 45 bis 50 Prozent eingerechnet, dann erheben rund 25 Prozent – oder ein Viertel – ihre Stimme und machen sich an der Urne bemerkbar.
Bei der jungen Generation – in der Altersspanne 18- bis 24-jährig – liegt die Beteiligungsquote langjährig rund 15 bis 20 Prozentpunkte unter dem erwähnten Durchschnitt resp. bei lediglich 30 bis 35 Prozent. Gleichzeitig bezeichnen sie sich selbst als letzte Generation [1]. Mit dem Älterwerden dieser nachfolgenden Generationen wird sich die schweizweite Stimmbeteiligungsquote weiter absenken. In absoluten Zahlen bedeutet das, dass künftig nur noch rund 20 von 100 Stimmberechtigen an die Urne gehen und über weitreichende Gesetze abstimmen werden.
Minderheit bestimmt über Mehrheit
Die hierzu rhetorische Frage lautet, ob man sich dessen bewusst ist und diese Tatsache einfach hinnehmen muss. Ich meine nein. Der wachsende Absentismus bei Stimm- und Wahlgeschäften ist unverständlich und gleichzeitig gefährlich, weil die Anfälligkeit für politische Beeinflussungen mit abnehmender Stimmbeteiligung zunimmt. Eine Minderheit bestimmt über die Mehrheit.
Insbesondere die Bildung muss alles daransetzen, diese Abwärtsbewegung bei der Stimmbeteiligung zu bremsen.
Das hohe Gut der aktiven Mitbestimmung in unserem Land wird von einem Grossteil der Stimmberechtigten nicht geschätzt. Gleichzeitig wird das erwähnte Risiko nicht erkannt. Die Gründe dafür sind Gleichgültigkeit, Wohlstand und Verwöhnung. Es geht uns scheinbar noch zu gut. Der Druck, die eigene Komfortzone zu verlassen und mit Interesse an der Weiterentwicklung unserer Demokratie mitzuwirken, ist zu gering.
Fazit
Wir müssten zum einen aufhören, die Ergebnisse an der Urne kommunikativ stets zu überinterpretieren. Nicht die gesamte Schweizerbevölkerung hat jeweils abgestimmt, sondern nur ein kleiner Teil davon.
Zum andern müssten Politik, Gesellschaft und insbesondere die Bildung alles daransetzen, diese Abwärtsbewegung bei der Stimmbeteiligung zu bremsen. Mit mehr politischer Bildung bei den Jungen [2] in unserem Land kann das gelingen. Schliesslich geht es um ihre Zukunft.
[1] “Die letzte Generation – Anmassung oder Zukunftsaussichten?”, in https://condorcet.ch/2024/06/die-letzte-generation-anmassung-oder-zukunftsaussichten/, 27.6.2024 (Abruf 9.12.24)
[2] “Politische Bildung an Berufsfachschulen”, in “Schulführung im Alltag”, Gerber, N., 2023