20. April 2024

Das Nachtprojekt – ein Highlight in der Berufswahlvorbereitung

Fabian Bütikofer und Christoph Schneeberger stellen der Condorcet-LeserInnenschaft ein packendes Projekt vor, das sie als festen Bestandteil der Berufswahlvorbereitung in die Planung aufgenommen haben. Das Nachtprojekt erfreut sich bei den Schülerinnen und Schülern grosser Beliebtheit und bietet gute Lerneffekte.

Christoph Schneeberger, Lehrer Sekundarstufe 1: Umfangreiche Vorarbeiten.
Fabian Bütikofer, Lehrer Sekunarstufe 1: So viele Nachtberufe.

Den Tag zur Nacht machen. Viele Schulen kennen das bereits. Sie organisieren Filmnächte, Schüler beschliessen, in der Schule zu schlafen, Lehrkräfte veranstalten eine Lesenacht, die Jugendarbeiter bieten sogenannte Nachtevents wie Basketballnights im Sportbereich an.

Im Rahmen der Berufswahlvorbereitung haben wir uns dazu entschlossen, drei Nächte lang den Unterricht in die Nacht zu verlegen.

Die Idee dabei war, dass die Schülerinnen und Schüler mit Nachtarbeit in Berührung kommen, also ganz konkret Nachtberufe kennenlernen, andererseits aber auch selber die Wirkung nächtlicher Arbeit am eigenen Leibe erfahren.

Das Nachtprojekt haben wir an unserer Schule bereits dreimal durchgeführt und es erfreut sich grosser Beliebtheit. Wir schätzen vor allem auch den Lerneffekt und das Gemeinschaftserlebnis als sehr hoch ein, weshalb wir der Leserschaft des Condorcet-Blogs dieses Konzept kurz erklären wollen. Ebenfalls bieten wir Ihnen einige hilfreiche Dokumente zur Vorbereitung eines solchen Vorhabens an.

  1. Bedingungen

Das Projekt ist aufwändig, keine Frage. Es muss gut vorbereitet sein. Unabdingbar ist, dass die Schulleitung, das Kollegium und der Hausdienst es unterstützen. Neben den Klassenlehrkräften benötigen wir auch Speziallehrkräfte, die bereit sind, während der Nacht in die Schule zu kommen, und sei es nur für einen Teileinsatz. Die unmittelbare Nachbarschaft der Schule muss ebenfalls informiert werden. Das erspart unnötige Polizeikontrollen. Auch sind wir nicht nur auf das Einverständnis der Eltern angewiesen, sondern auch auf ihre aktive Mithilfe. Wir benötigen sie für Taxidienste und auch für die Vermittlung von Nachtberufen, die wir begleiten können. Einen Vorschlag für den Elternbrief finden Sie hier: Elternbrief Nachtprojekt März 20-1

  1. Vorbereitung

Das Nachtprojekt sollte in die Jahresplanung einbezogen werden. Ideale Zeitpunkte sind der November oder der März. Einen Monat vor Beginn des Unterfangens werden die Eltern in einem Schreiben informiert (nachdem sie bereits an einer Elternversammlung darauf hingewiesen wurden). Die Teilnahme ist freiwillig, Schüler, die nicht an dem Projekt mitmachen wollen oder es nicht dürfen, besuchen den Normalunterricht in einer anderen Klasse. Es hat sich allerdings bis jetzt nie eine Schülerin oder ein Schüler abgemeldet.

  1. Der Auftrag – die Nachtreportage

Je nach Anzahl der Nachtberufe, die wir im Vorfeld organisieren konnten, bilden wir 2er oder 3er-Gruppen. Diese begleiten dann eine Person während mindestens zweieinhalb Stunden, beobachten, stellen Fragen und machen ein Interview. Daraus entsteht eine Reportage mit dem Titel: Eine Nacht im Leben der Buschauffeuse Jeanette Schilling (Beispiel)

Die Schüler und Schülerinnen werden zuvor während des Deutschunterrichts mit dem Wesen und den Regeln der Reportage vertraut gemacht. Es gibt für die Abgabe einheitliche Kriterien bezüglich Layout, Bildmaterial und Aufbau.

Es ist nicht nur für die Schüler, sondern auch für uns Lehrkräfte immer wieder erstaunlich zu sehen, wie viele berufliche Tätigkeiten in der Nacht durchgeführt werden.

  1. Was sind Nachtberufe?
Auf der Nachtredaktion des Bieler Tagblatts. Hier konnten die Schüler eine Reportage über ihr Nachtprojekt erstellen und es am morgen früh im Lokalradio präsentieren.

Im Gesetz ist die Nachtarbeit zwischen 23.00 – 6.00 Uhr definiert und grundsätzlich verboten. Für berufliche Tätigkeiten in diesem Zeitraum müssen Bewilligungen eingeholt werden. Für dieses Projekt legen wir die Nachtarbeit von 20.00 – 4.00 Uhr fest, also angepasst an die Zeit, in der die Schüler und Schülerinnen offiziell bei uns in der Schule oder eben auf Nachtreportage sind.

Es ist nicht nur für die Schüler, sondern auch für uns Lehrkräfte immer wieder erstaunlich zu sehen, wie viele berufliche Tätigkeiten in der Nacht durchgeführt werden. Hier eine kleine Auswahl der Berufe, die unsere Schüler besucht haben:

Polizei, Tankstellenverkäuferin, Bäcker, Krankenschwester, Schauspieler, Pizzakurier, Buschauffeur, Taxifahrer, Notfalldienste, Feuerwehr, Servicefachangestellte, Sozialarbeiter im Sleep-In, Tunnelarbeiter, SBB-Gleisreparateure, Arbeiter in der Zuckerfabrik, Stellwerkkontrolleure bei der SBB, Lokomotivführer, Fluglotsen, Securitas, Toilettenreiniger, Koch, Arbeiter im Strassenbau, Stahlwerkarbeiter, Radiojournalist …

  1. Wie müssen die Berufe ausgesucht werden?
Nicht alle Polizisten sind begeistert von der Idee, Schülerinnen auf der Patrouille mitzunehmen.

Die Vermittlung der Nachtberufe erfordert viel Zeit und geht nicht ohne persönliche Kontakte. Gerade bei Berufen wie Securitas oder in sozialen Institutionen sind Begleitungen nicht ohne Weiteres möglich. Eine starke Ressource bilden die Eltern. In der Regel organisieren sie einen Viertel der Einsätze. Bei Besuchen in Spitälern oder Altersheimen muss beachtet werden, dass ein Mitgehen zu den Patienten nicht möglich ist.

  1. Taxidienst

Bis 23.00 Uhr können die Schülerinnen und Schüler selbständig zu den ihnen zugeteilten Nachtberuf oder wieder in die Schule zurückkehren. Danach müssen wir einen Taxidienst organisieren. Der wird von uns Lehrkräften aber auch von Eltern garantiert, die diesem Projekt ohnehin sehr positiv gegenüberstehen.

  1. Was läuft sonst noch in der Nacht?
Schüler beim Bau eines Skischlittens: Kreativaufträge sind gefragt.

Es ist ausgesprochen wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler eine Struktur haben. Im Zentrum steht natürlich die Fertigstellung der Reportage. Daneben haben sie aber auch andere Aufträge, an denen sie arbeiten. Schliesslich haben wir einen Wahlpflichtbereich angeboten. Da die Schule leer ist und somit alle Spezialräume frei zur Verfügung stehen, sollte man dies nutzen. So gibt es eine Kochgruppe, die das Essen um Mitternacht vorbereitet, eine Sportgruppe, die ein Spielturnier organisiert, einen Werkauftrag oder ein Gestaltungs- oder Musikprojekt. Manchmal bieten auch Eltern etwas an, wie zum Beispiel der Vater, der mit einer Gruppe Mehl hergestellt und Brot gebacken hat. Das Nachtprojekt eignet sich auch sehr für Einheiten im selbstorganisierten Lernen. Die Schülerinnen und Schüler müssen ein Arbeitsjournal führen.

 

  1. Wie sieht die Organisation aus?

Es ist ratsam, so ein Nachtprojekt innerhalb eines Jahrgangs zu organisieren. Allerdings sind 60 Schülerinnen und Schüler eine maximale Grenze. In der Schule selber herrscht jeweils ein Kommen und Gehen. Daher ist auch das Arbeitsjournal sehr wichtig. Die Schüler kommen um 20.00 Uhr in die Schule und verlassen diese um 5.00 Uhr morgens Um Mitternacht haben sie eine Stunde lang Pause. Auch 4.00 Uhr wäre möglich. Je nach Ort muss die Heimkehr am frühen Morgen begleitet werden.

Die gesammelten Nachtreportagen können auszugsweise bei uns geordert werden unter info@condorcet.ch.
  1. Wie viele Nächte sollte das Projekt dauern?

Ideal sind drei Nächte nacheinander: Dienstag-, Mittwoch-, Donnerstagnacht. Auf keinen Fall sollte man mehr als drei Nächte vorsehen. Das schaffen weder die Schülerinnen und Schüler noch die Lehrpersonen. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass es auch mit zwei Nächten geht.

Die gesammelten Nachtreportagen können in einem Magazin präsentiert oder auf der Homepage der Schule aufgeschaltet werden.

In den folgenden Beiträgen stellen wir Ihnen einige Reportagen vor. Ausserdem finden Sie hilfreiche Links zu unserem Projekt, das wir wärmstens zur Nachahmung empfehlen.

Links: Arbeitsgesetz

 

 

 

 

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