13. November 2024
Denkmoment

Selbstorganisiertes Lernen (SOL) – oder: Ein praxisorientierter Ansatz – Teil 1

Bildung im digitalen Zeitalter verändert sich. Das mobile Lernen mit persönlichem Equipment – gekoppelt mit dem eigenen Lernnetzwerk – begünstigt diese Entwicklung. Wirtschaft und Gesellschaft haben neue Erwartungen an die Berufsbildung. Lernende haben neue Bedürfnisse, Lehrpersonen rücken in eine neue Rolle und die Schule muss auf die neuen Rahmenbedingungen reagieren, auch mit stoffinhaltlichen und mit methodisch-didaktischen Anpassungen. Ganz oben auf der Anforderungsskala steht die Selbstbefähigung der angehenden Berufsleute. Condorcet-Autor Niklaus Gerber stellt im ersten Teil seines Beitrages zur Selbstorientierten Lernen (SOL) das Berner SOL-Konzept vor.

Weshalb selbstorganisiertes Lernen?

Condorcet-Autor Niklaus Gerber

Nicht alle Lernenden “ticken” gleich. Wenige Wochen nach Abschluss der 9. Klasse beginnen rund zwei Drittel der Jugendlichen eine Berufslehre. Aus verschiedenen Volksschulen herkommend verfügen sie über differente Lern- und Lösungsstrategien. Die unterschiedlichen Lösungswege zeigen, dass “viele Wege nach Rom führen.” Hauptsache ist die Zielerreichung. Unter dem Aspekt der Individualisierung muss der Lösungsfächer auch an der Berufsfachschule weit offenbleiben und darf nicht abgewürgt werden. Die Handlungskompetenzorientierung ist zur Herausforderung in den beruflichen Ausbildungen geworden. Sie durchdringt die Berufsfachschulen und rückt ins Zentrum. Gründe dafür sind:

gesellschaftlich

  • Die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens – im Besonderen durch die Digitalisierung begründet – soll erkannt werden.

organisatorisch

  • Die mobilen Freiheitsgrade mit den persönlichen Schülergeräten – Stichwort «Bring Your Own Device (BYOD)» – sollen ausgeschöpft werden.

pädagogisch-psychologisch

  • Der steigenden Heterogenität im Klassenzimmer soll begegnet werden.
  • Der Unterricht soll zunehmend in Richtung Lernendenzentrierung verlagert werden.
  • Die kognitiven und motivationalen Auswirkungen auf Lernprozesse sollen beachtet werden.

stofflich-inhaltlich

  • Die ständige Zunahme der überall frei verfügbaren Informationen und des (Fach-)Wissens sollen nutzbar gemacht werden.

methodisch-didaktisch

  • Der Rollenwechsel als Lehrperson in Richtung Lernbegleiter/in soll erkannt und nachvollzogen werden.

Die Rolle der Berufsschullehrperson

Im Kontext des Selbstorganisierten Lernens (SOL) kann das immer noch weit verbreitete Lehr- und Lernverständnis als Fremd-organisiertes Lernen (FOL) bezeichnet werden. Die Lehrperson agiert hier primär als Wissensvermittler/-in. SOL hingegen benötigt defensive Lernbegleitung in Form entsprechender Arrangements und Gestaltung. Die bisher stark aktive Lehrpersonenrolle weicht zugunsten einer hohen Eigenverantwortung der Lernenden partiell in den Hintergrund. Gleichzeitig kann der Tatsache der unterschiedlichen Lernvoraussetzungen begegnet werden: Lernstarke Lernende arbeiten eigenständiger, während lernschwächere intensivere Betreuung und Support erhalten.

Das Potential in der Adoleszenz: SELBER!

Während der Adoleszenzphase prägt eine Eigenschaft das Leben eines jungen Menschen: Dinge aus eigener Kraft tun; eigenständig und im Alleingang; ohne fremde Hilfe und Unterstützung; selbständig und von sich aus; in eigener Regie. – Es begegnen uns hier Begriffe wie Selbstwahrnehmung, Selbstbestimmung, Selbsterprobung, Selbsterziehung, Selbstverantwortung, Selbstwert. In dieser Altersphase – zwischen 16 und 20 – absolviert ein Grossteil der Jugendlichen eine Berufslehre. Nach der obligatorischen Schulzeit führt der zwei-, drei- oder vierjährige Weg zu einem Berufsziel hin, in welchem Selbstorganisation eine zentrale Kompetenz für das weitere (Berufs-)Leben darstellt. Das diesem SELBST innewohnende Potenzial soll deshalb aktiv angegangen werden.

Die SOL-Trias [1]

Auch im Bildungsbereich ist das Thema SOL vielerorts zu einem Reizwort geworden. Die Gründe sind vielfältig. Oft wird von einem falschen Verständnis ausgegangen: “Der Schüler machts, der Lehrer ruht”. Ebenso oft fehlt ein klares Konzept. Und dort, wo sich eine Berufsfachschule an das Thema SOL heranwagt, wird das Rad stets aufs Neue erfunden. Dabei existieren erfolgreiche Modelle und Lösungsansätze.

Vorgestellt wird hier das Berner SOL-Konzept. Der Ansatz – angereichert und weiterentwickelt durch den Autor gemeinsam mit interessierten Lehrpersonen – lässt sich erfolgreich in die Berufsfachschulwelt integrieren.

Im SOL-Kontext sind die Rollen der Lehrperson und der Lernenden genau definiert. Die drei Faktoren heissen:

E: Entscheidungsverantwortung des Lernenden
B: Lernbegleitung durch die Lehrperson
R: Reflexion (Metakognition) durch die Lernenden

Von SOL als “Label” darf dann gesprochen werden, wenn die Qualität der drei Faktoren erfüllt ist. Mit einer Reifegradanalyse lässt sich das nachprüfen.

SOL-Faktor E: Entscheidungsverantwortung

Selbstorganisiertes Lernen gibt den Lernenden eine hohe Entscheidungsverantwortung. Mehrmals im Verlauf einer SOL-Unterrichtseinheit (SOL-UE)[2] treffen sie organisatorische und inhaltliche Entscheidungen, mit denen sie ihr Lernen steuern.

Arbeitstechnische Entscheide Lernort bestimmen, Zeitplanung, geeignete Arbeitsformen und Lernstrategien auswählen, Zwischenziele definieren, Informationsquellen nutzen, soziale Unterstützung beanspruchen etc.
Inhaltliche Entscheidungen

 

Thema eingrenzen; Fragestellung erarbeiten; Gewichtung; Vertiefung etc.
Reifegrad-Bestimmung SOL-Faktor E Entscheidungsverantwortung Lernende/-r

Reifegradbeurteilung Die Leitfrage lautet: In welchem Ausmass übernimmt der/die Lernende Entscheidungsverantwortung (Rahmenbedingungen wie Arbeitszeiten, Aufgabenteilung, Arbeitsort, Zwischenziele, Inanspruchnahme der Lehrperson, Präsentationsart etc.)? – Da eine quantitative Trennschärfe schwer zu definieren ist, kann mit qualitativem Blick gesagt werden, dass beim Reifegrad E3 und E4 das SOL-Label «Entscheidungsverantwortung» erfüllt ist.

SOL-Faktor B: Lernbegleitung

Beim selbstorganisierten Lernen kommt der Lernbegleitung eine wichtige Rolle zu. Die Begleitung sollte auf klaren Vereinbarungen fussen, die zu Beginn der SOL-Unterrichtssequenz festgelegt werden. Sie formalisiert und strukturiert den Lern- und Arbeitsprozess. Die Begleitung wird individuell ausgestaltet. Die Lehrpersonen machen Angebote, die Lernenden sind aufgefordert, diese bedarfsgerecht zu nutzen.

Arten von Besprechungen Besprechungen zwischen Lehrpersonen und Lernenden via Mailverkehr und/oder Austausch auf einer Lehr- und Lernplattform. Beratungen in Bezug auf ein Projektvorhaben anhand eines von den Lernenden verfassten Exposees, Besprechungen über den Arbeitsablauf anhand von Lerntagebüchern [A] oder Protokollen.
Inhalt der Besprechungen Definition der Aufgaben; Vereinbarung der Ziele; Treffpunkte und Termine; Terminieren von Zwischenbesprechungen.
Reifegrad-Bestimmung SOL-Faktor B Lernbegleitung durch die Lehrperson

Reifegradbeurteilung Die Leitfrage lautet: In welchem Ausmass übernimmt die Lehrperson die Lernbegleitung in Form von Inputs, Besprechungen, Kontaktmöglichkeiten etc.? – Auch hier kann mit qualitativem Blick gesagt werden, dass beim Reifegrad B3 und B4 das SOL-Label “Lernbegleitung” erfüllt ist.
[A] An dieser Stelle wird auch von einem sogenannten persönlichen Portfolio des Lernenden gesprochen. Das selbstgesteuerte Lernen soll in einem   solchen Niederschlag finden. Das Portfolio soll den Lernenden/die Lernende über die Berufslehre hinausbegleiten: in das Berufsleben, in die   Weiterbildung, auf den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft.

SOL-Faktor R: Reflexion (Metakognition)

Reflexion bzw. Metakognition ist ein zentrales Element des Selbstorganisierten Lernens. Der Arbeits- und Lernprozess wird durch die Lernenden reflektiert und hinterfragt, dies in allen Phasen der SOL-Unterrichtseinheit und nicht erst in der Rückschau.

Fragestellungen Welches Vorgehen habe ich gewählt und warum? Wie habe ich am besten gelernt? Welche Faktoren waren beim Lernprozess förderlich bzw. hinderlich? Was habe ich noch nicht verstanden? Warum habe ich etwas noch nicht verstanden?
Formen der Reflexion Einnehmen einer Aussenperspektive auf das eigene Lernen: reflexive Momente in allen Phasen der Unterrichtseinheit einsetzen. Kenntnisse gewinnen über eigene Stärken in Bezug auf das eigene Lernen: Diskussionen über Lernbiografie und Lerntypen führen. Auswahl von geeigneten Lernstrategien: Lerntechniken und -strategien im Klassenverband erarbeiten und diskutieren. Einschätzung und Überprüfung des Lernerfolgs: Selbstbeurteilung in Bezug auf das Lernziel.
Reifegrad-Bestimmung SOL-Faktor R: Reflexion durch den Lernenden resp. die Lernende

Reifegrad-Beurteilung Die Leitfrage lautet: In welchem Ausmass übernimmt der/die Lernende die Eigenreflexion (Lernjournal mit genauen Inhalts-vorgaben etc.)? – Mit qualitativem Blick kann gesagt werden, dass beim Reifegrad R3 und R4 das SOL-Label “Reflexion” erfüllt ist.

Folgerungen aus den Reifegrad-Analysen

Lernende, die in eine Berufslehre einsteigen, sind in der Regel (noch) nicht “SOL-reif”. Sie müssen zu den drei massgeblichen Faktoren resp. Dimensionen E, B und R hingeführt werden. Die Entwicklungsarbeit ist durch die Lehrpersonen zu leisten, welche ihrerseits den entsprechenden Rollenwechsel vollziehen müssen.

SOL-entsprechende Lernumgebungen

SOL verlangt auch nach offenen Lernformen und entsprechender Infrastruktur. Das individuelle und mobile Arbeiten kann durch eine lernförderliche Atmosphäre und folgende Parameter ermöglicht werden: Bequeme Sitzgelegenheiten, Ermöglichung von Einzelarbeit sowie Gruppenarbeiten und Plenumsveranstaltungen, höhenverstellbare Tische, beschreibbare Wände, Flipchart, Hängetafeln, Präsentationsmöglichkeiten, Stromversorgung für die persönlichen Lernenden-Devices (Notebooks, Tablets), Pflanzen usw. – Es macht Sinn, die bisher klassischen Schulräume in so genannte “Schulzimmer der Zukunft” umzugestalten.

Beurteilung

SOL-Unterrichtseinheiten müssen – und dies gilt als Qualitätsmerkmal – bewertet werden. Diese setzt sich aus zwei Bereichen zusammen:

Lern- und Leistungsziele

 

Basierend auf den Vorgaben aus Bildungsplan resp. Schullehrplan müssen die Lernziele der SOL-Unterrichtseinheit erfüllt werden.
Überfachliche Ziele Die Ziele im Bereich Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz sind teilweise in den Bildungsplänen verankert oder müssen durch die Lehrperson definiert werden. Für die Zielbeurteilung können die drei Reifegradwertungen aus den SOL-Faktoren E, B und R herangezogen werden.

Fazit

Es wird sie immer geben: Die Schere zwischen leistungsstärkeren und leistungsschwächeren Lernenden. Obwohl sie beispielsweise im gleichen Ausbildungsjahr sind, stehen nicht alle Schülerinnen und Schüler am gleichen Ort. Mit innerer Differenzierung in Form des selbstorganisierten Lernens und dem erläuterten SOL-Modell und -Orientierungssystem kann dem erfolgreich begegnet werden.

 

[1] Gschwend, R., Pädagogische Hochschule Bern. Projekt der Erziehungsdirektion des Kantons Bern 2010-2016 mit den Gymnasien.

[2] Definition: Der zeitliche Umfang einer SOL-UE ist nicht definiert. Sie kann wenige Lektionen bis ein ganzes Semester dauern.

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4 Kommentare

  1. Das ist ja alles gut gemeint. Aber:

    1. Entscheidungsverantwortung der Lernenden? Weiter unten wird auf den Bildungsplan und die berufsspezifischen Anforderungen verwiesen. In Wirklichkeit wird exakt vorgeschrieben, was Lehrlinge wissen und können müssen. Gottseidank! Niemand will den Elektriker, der den Schalter falsch anschliesst, oder die Coiffeuse, die einem das halbe Ohr abschneidet. Diese so genannte Entscheidungsfreiheit ist an einem kleinen Ort und beschränkt sich auf Äusserlichkeiten. Wem tut man einen Gefallen, wenn man das mit schön tönenden Formulierungen aufbauscht?

    2. Diese ganze SOL-Philosophie wirkt wie eine hypertrophe Begriffsakrobatik, die Lernende zu einer Apotheose des Menschseins führen soll. In Wirklichkeit geht es schlicht darum, einen Beruf zu erlernen. Punkt. Wie man das methodisch anpackt, hängt wohl in erster Linie vom Fachgebiet ab. Wie man den Lernstoff am besten vermittelt, ist eine didaktische Frage. Wie viel Lernende sich selbstständig erarbeiten können, hängt davon ab, wie fortgeschritten sie bereits sind. Voilà! Alles Weitere ist pure Geschwätzigkeit.

    3. Bei der Lektüre wird man das Gefühl nicht los, dass das Lernen durch pädagogische Mätzchen und Marotten ungemein verbürokratisiert wird: Portfolio, pietistisch angehauchte Selbstreflexion in jeder Phase. Braucht es das, ändert das irgendetwas an der Berufskompetenz und geht das nicht auf Kosten der Lernzeit? Kann das im Alltag überhaupt so praktiziert werden? Wenn das Brett nicht ins Regal passt, ist die Selbstreflexion klar: «Ich habe falsch gemessen.» Entschuldigung: Solche aufgeblasene Pseudoakademisierung und Psychologisierung des grundsätzlich Banalen wirkt in der Berufsbildung ebenso deplatziert wie in der Volksschule.

    1. Lieber Felix

      Danke für deinen Kommentar, auf den ich gerne reagiere.

      Ich lese aus deinen Zeilen, dass du kein Freund des Selbstorganisierten Lernens (SOL) bist; insbesondere auch nicht für junge Erwachsene in der Altersspanne 16-20 Jahre, die auf der Sekundarstufe 2 eine Berufsausbildung absolvieren. Du sprichst ihnen Entscheidungsverantwortung für das Lernen ab.

      Ich setze mich für eigenverantwortliche Berufsleute ein. Und diese kann – ja muss – an einer Berufsfachschule entwickelt werden. Dies durch eine klare  Begleitung durch die Lehrpersonen, ohne die es nicht geht.  SOL funktioniert an vielen Orten deshalb nicht, weil es organisatorisch, didaktisch und pädagogisch nicht richtig angegangen wird. Wie ich im Artikel erwähnte, entsteht die SOL-Kompetenz nicht im luftleeren Raum. Es braucht erfahrene Fachleute dazu. Das gilt im Übrigen auch für die Ausbildungsbetriebe.       

      Der junge Mensch funktioniert nicht mehr nach der Metapher des “Nürnberger-Trichters”, von dem man glaubte, das Wissen in die Köpfe abfüllen zu können. SOL ist auch keine Philosophie, sondern ein Konzept resp. Orientierungsmodell für das Lernen. Wir – Wirtschaft und Gesellschaft – brauchen heute selbständige und eigenverantwortliche Berufsleute. Und nur die Berufsfachschule zusammen mit den Ausbildungsbetrieben können diese Entwicklungsarbeit leisten.

  2. Lieber Niklaus
    Danke für Deine Replik. In einigen Punkten verstehst Du mich falsch:
    1. Den jungen Erwachsenen zwischen 16 und 22 Jahren spreche ich in keiner Weise Selbstständigkeit ab. Die Hirnforschung zeigt, dass in dieser Altersspanne der präfrontale Kortex, der für Planung und Entscheidung zuständig ist, erst voll heranreift. In dieser Altersstufe ist die Entwicklung zur Eigenverantwortlichkeit biologisch angelegt, da braucht es keine “Nachhilfe” mit SOL oder andern psychoaktiven Eingriffen wie Scientology oder TZI.
    2. Die Schweizer Lehre ist schon lange, bevor der Begriff SOL aufkam, eine grosse Erfolgsgeschichte. Schweizer Lehrlinge und Lehrtöchter holen regelmässig Medaillen bei internationalen Berufswettkämpfen ab. Die Lehre jetzt zu pädagogisieren und zu psychologisieren ist schlicht unnötig, ja sogar schädlich, weil es vom wichtigen fachlichen Wissen und Können ablenkt. Die grundsätzliche Aufteilung in Theorie (Berufsschule) und Praxis (Lehrfirma) funktioniert und ermöglicht Aufstiegschancen sowie eine weiterführende Entwicklung. Eine kürzliche Klassenzusammenkunft mit inzwischen 60-Jährigen Männern und Frauen zeigte mir, dass lebenslanges Lernen auch in jener Generation eine Selbstverständlichkeit war, ganz ohne Trara mit SOL. Dass dies nicht so sei, wie du im letzten Abschnitt andeutest, ist schlicht falsch, denn diese Erwachsenen waren schon damals “selbstständige und eigenverantwortliche Berufsleute”.
    3. Die Wissenschaftler P. de Bruyckere, P.A.Kirschner und C.D.Hulshof entlarven in “Urban Myths about Learning and Education”, 2015, SOL nach mehrjähriger Forschung als pädagogischen Mythos. Sie weisen nach, dass das Konzept wegen der kognitiven Operationen weder bei Volksschülern noch bei Studenten funktionieren kann, abgesehen von wenigen Ausnahmefällen. Wir alle brauchen in unterschiedlichem Masse Anleitung und Vermittlung, wenn wir uns in vertretbarem Zeitrahmen etwas Neues richtig aneignen sollen. Das Autodidaktische funktioniert erst, wenn mehrere Voraussetzungen in Form von Erfahrung erfüllt sind.
    4. Die Idee, dass der Mensch nach dem Nürnberger Trichter funktioniert, ist im Gegensatz zu meiner Vorstellung, heute sehr modern: Es ist die Kompetenzideologie, die meint, Können liesse sich modular aufbauen, Wissen brauche es dazu nicht. Nach meiner Erfahrung wachsen Selbstständigkeit, Eigenverantwortung mit dem Wissen und Können. Selbstständigkeit lernt man nicht durch Selbstständigkeit, sondern durch schrittweise Anleitung und geeignete Aufgabenstellung. Je mehr jemand weiss und kann, desto selbstständiger kann er oder sie arbeiten und Probleme lösen. Das sollte die didaktische Leitlinie sowohl für die Schule als auch für die Lehre sein.

    1. Lieber Felix

      Danke erneut für deine Rückantwort. Bei einigen Aussagen pflichte ich dir bei, bei ebenso einigen liegen wir weit auseinander. Bildung funktioniert heute nicht mehr gleich wie früher. Eines der auffälligsten Merkmale ist beispielsweise die Rolle der Lehrperson. Sie ist nicht mehr der oder die Allwissende und muss mit geeigneten Lernarrangements dafür sorgen, dass alle Lernenden profitieren.   

      Beim SOL geht es um Lernwege, die bei jedem Lernenden individuell sind. Das war früher nicht anders. Auch dannzumal gab es die sehr guten und selbständigen Lernenden, aber auch diejenigen, dies es nicht waren. Sie wurden irgendwie mitgeschleift. Und dass es nach wie vor solides Faktenwissen braucht, um als Berufsmann oder Berufsfrau Erfolg zu haben, ist nicht abzustreiten. Hierzu habe ich im Juni einen Beitrag verfasst, zu finden unter 
      https://condorcet.ch/2024/06/faktenwissen-und-beurteilungskompetenz-oder-wo-liegt-ein-bildungsfokus/  

      Wir haben in der Schweiz ein grossartiges Berufsbildungssystem. Da bin ich deiner Meinung. Auch hierzu verweise ich gerne auf einen Beitrag unter  
      https://condorcet.ch/2024/08/foerderung-der-berufsbildung-in-europa-mit-dem-schweizer-berufsbildungssystem/ 

      Beste Grüsse
      Niklaus Gerber

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