Das Brandenburger Bildungsministerium hat einen neuen Bildungsplan für Kitas vorgestellt. Das betrifft mich als Berlinerin nur insofern, als der Radiosender meines Vertrauens, Radio Eins, sowohl Berlin als auch Brandenburg covert und ich somit neulich nicht umhinkam, mich während meiner Autofahrt mit dem Brandenburger Kita-Alltag zu beschäftigen. Ich muss ja gestehen, dass ich so ein bisschen die Fraktion vertrete, dass es völlig egal ist, was Kinder vor Schulbeginn machen. Sie sollen im Dreck und mit Kieselsteinen spielen, sie sollen Käfer beobachten und Klettergerüste erklimmen, der Rest kommt schon irgendwie von selber oder halt gerade dadurch, dass man sie in Ruhe lässt.
Natürlich ist das eine höchst snobistische Perspektive, denn erstens kommt in ganz, ganz vielen Familien gar nichts von selber, und es ist super wichtig, dass zum Beispiel beim Thema “Sprachentwicklung” frühzeitig angesetzt wird. Zweitens bin auch ich keineswegs so entspannt, wie ich gerade behauptet habe und frage mich regelmäßig, ob es bei meinem Dreijährigen für die Schlagzeugerkarriere schon zu spät ist und ob ich ihn nicht wahlweise für einen Mal-, Chinesisch- oder Hiphop-Kurs anmelden sollte. Insofern ließ mich die Radiomeldung natürlich aufhorchen, denn eigentlich interessiert mich das Thema “frühkindliche Bildung” wohl, wenn ich ehrlich bin, zutiefst. Umso eigenartiger fand ich, was ich da hörte: Die “Handreichungen”, die den Brandenburger Erziehern und Erzieherinnen gegeben werden, lesen sich für mich wie eine seltsame Mischung aus Selbstverständlichem, Übervorsichtigem und Alarmierendem.
Selbstverständlich: Kinder dürfen nicht gedrängt werden, etwas zu probieren oder aufzuessen. Selbstverständlich: Man soll sie nicht zwingen (oder sie gar davon abhalten!), auf die Toilette zu gehen oder ein Buch zu lesen. Selbstverständlich auch: “Verzichtet auf ungefragten Körperkontakt”. Anscheinend sind diese Dinge keine Selbstverständlichkeiten, denn ich erinnere mich gut daran, wie die Leiterin unserer bedürfnisorientierten privaten Kita uns im Aufnahmegespräch sagte, bei Ihnen gebe es keine “Probierhappen”, mit denen die Kinder gezwungen würden, Dinge zu kosten, die sie eigentlich erstmal ablehnen, auch finde bei ihnen keine Sauberkeitserziehung statt, die kleinen Toiletten seien nur für diejenigen da, die sie wirklich benutzen wollten. Ich fand das damals irritierend, eben weil ich mir gar nicht vorstellen kann, dass es Erzieher gibt, die Kinder gegen ihren Willen etwas probieren lassen oder an den Eltern vorbei das Töpfchen abgewöhnen. Selbstkorrektur: Gibt es anscheinend. Schlimm genug. Gut, dass es jetzt in einem Bildungsplan steht. Weiter.
Übervorsichtig und überambitioniert
Übervorsichtig: Da steht, man soll Mädchen nicht sagen, dass das Kleid, das sie tragen, schön aussieht, weil das eine “geschlechtsstereotype Etikettierung” sei. Übervorsichtig und formalistisch: der Hinweis, man solle sich freundlich von Eltern und Kind verabschieden und dabei “keinen Augenkontakt erzwingen”. Übervorsichtig und überambitioniert: die völlige Verbannung des Vergleichens; es gilt nämlich auch nicht mehr als zeitgemäß, etwa zu sagen: “Liam und die anderen sind schon fertig, nur du noch nicht.” Finde ich alles richtig und verständlich, frage mich aber, ob es im hektischen Kita-Alltag nicht eher noch zusätzlichen Druck auf die Erzieherinnen und Erzieher ausübt, wenn sie ständig auf solche Grundsätze achten müssen. Ich finde, ein bisschen meckern ist okay, das bereitet die Kinder doch auch aufs Leben vor, wo eben nicht alles immer so rosarot zugeht, wie es sowieso nirgendwo zugeht.
Ich frage mich aber, ob es im hektischen Kita-Alltag nicht eher noch zusätzlichen Druck auf die Erzieherinnen und Erzieher ausübt, wenn sie ständig auf solche Grundsätze achten müssen.
Und zu der Sache mit dem Kleid fällt mir wirklich nichts mehr ein – schon der Gedanke, dass irgendein Erzieher dieses unglaublich niedliche Katzenkleid, das ich meiner zweijährigen Maus heute Morgen angezogen habe, nicht so niedlich findet wie ich, bricht mir das Herz. Bitte sagt es ihr weiterhin! Ich würde mich nur freuen, wenn mein Dreijähriger ähnlich viele Komplimente bekommt, wobei das Jungs-Arsenal für komplimentwürdige Kleidung einfach etwas kleiner als bei Mädchen ist. Note to self und to Kindermode-Industrie. Aber auch alles nicht so wichtig.
Auf dem absoluten Holzweg
Alarmierend: die Vorstellung, Kita-Kinder müssten im Bereich digitaler Medien geschult werden. Da steht wortwörtlich an die Erzieher gerichtet: “Schafft im Alltag regelmäßig Möglichkeiten für die Kinder, mit digitalen Medien umzugehen, und ladet sie ein, das kreative Potenzial solcher Medien kennenzulernen, um sich auszudrücken oder zu gestalten, statt passiv zu konsumieren.” Nein! Sorry, aber ich halte das für einen absoluten Holzweg. Fast bin ich geneigt zu sagen: Es gibt kein kreatives Potenzial digitaler Medien oder anders: Ich glaube selbstverständlich, dass es Kreativität gibt, die sich auch an und in digitalen Medien ausleben und entwickeln kann. Aber die Voraussetzung für die Entwicklung eben dieser Kreativität und ihre mögliche Freisetzung im späteren Jugendalter ist – und mit dieser Meinung bin ich nicht alleine – eine Kindheit, in der die Kinder möglichst wenig in den hirnlähmenden Bann von Smartphones und Tablets geraten.
Wer anderer Meinung ist, sollte zumindest ergänzend einmal das Buch „Generation Angst – Wie wir unsere Kinder an die virtuelle Welt verlieren und ihre psychische Gesundheit aufs Spiel setzen“ lesen. Das Konzept des amerikanischen Sozialpsychologen Jonathan Haidt, der Smartphones als “Erfahrungsblocker” beschreit, sollte einem zu denken geben.
Natürlich löst Medienfeindlichkeit nicht die Probleme, die in der Kita-Handreichung beschrieben werden: Klar ist es wünschenswert, dass Kinder “verantwortungsvoll selbst gewählte Mittel” nutzen können und dass sie “lernen, ihre Daten zu schützen”, aber doch bitte nicht mit drei! Und auch nicht mit vier, fünf, sechs. Der ganze Digitalisierungsquatsch mitsamt seiner das Lernen “gameifizierenden” Vokabel-Apps kommt doch noch früh genug, da muss es doch nicht auch noch in der Kita so sein, dass die Kleinen herbeigewatschelt kommen wie brave Entchen, sobald ein Erzieher sein Smartphone zückt, weil jetzt “Medienzeit” ist. Genauso wäre es aber: Die Erfahrung lehrt leider, dass die verflixten Geräte anziehender sind als das meiste andere.
Der ganze Digitalisierungsquatsch mitsamt seiner das Lernen “gameifizierenden” Vokabel-Apps kommt doch noch früh genug, da muss es doch nicht auch noch in der Kita so sein, dass die Kleinen herbeigewatschelt kommen wie brave Entchen, sobald ein Erzieher sein Smartphone zückt, weil jetzt “Medienzeit” ist.
Das gilt ja leider auch für uns Erwachsene, wie soll das sich entwickelnde Gehirn einer Dreijährigen da widerstehen? Im Bildungsplan steht, das muss man der Vollständigkeit halber sagen, auch “Beachtet dabei, dass digitale Medien nicht verdrängen, was für die Entwicklung von Kindern wesentlich ist: Sie wolle anfassen, was sie erkunden – zum Beispiel Blätter, Wasser, Sand oder Erde –, wollen im Wald Käfer suchen und auf dem Spielplatz miteinander toben.” Das stimmt, aber sie wollen auch “Paw Patrol” gucken, stundenlang durch Familienfotos wischen und sich ein Dinosauriervideo nach dem anderen auf YouTube reinziehen. Lassen wir ihnen doch wenigstens mit der Kita einen Raum, in dem das keine Option ist.