Wie lange mussten wir auf so einen Artikel warten? Zuvor konnte sich die Allianz der Bildungsrevolutionäre (Mercator, Intrinsic, VSLCH u.a.) in diversen Medien ungestört von kritischen Fragen mit ihren Vorschlägen zur Umgestaltung unseres Schulsystems einbringen. Es begann mit dem Elternmagazin «Fritz und Fränzi», das eine Breitseite gegen das gängige Notensystem abfeuerte. Der Sonntagsblick brachte kurz darauf ein Interview mit der LCH-Präsidentin Dagmar Rösler («Noten sind nicht mehr zeitgemäss»). Dann folgte eine Salve von Artikeln, welche unser Schulsystem «als das schlechteste in Europa» (Jörg Berger) bezeichnete, die Selektion in Frage stellte, die Abschaffung der Hausaufgaben und individuelle Lernpfade für die Lernenden forderte.
Den Vogel abgeschossen hat aber die Teamlead-Gesellschaftsjournalistin (was für eine Funktionsbezeichnung!!!) Karen Schärer im Blick. Sie plapperte die Behauptungen der «Bildungsrevolutionäre» in einem Kommentar einfach nach, sprach von einem volkswirtschaftlichen Schaden der Selektion und plädierte im Parallelschritt ebenfalls für den Totalumbau. Verlautbarungsjournalismus nennt man das heute. Dass die «Bildungsrevolutionäre» ihre Behauptung auf die Wyman-Studie abstützten, war ihr vermutlich gar nicht bekannt. Diese Wyman-Studie wird mittlerweile selbst von den Hardcore-Aktivisten des Umbaus als «nicht evident» bezeichnet und wurde von unserem Condorcet-Autor Felix Schmutz aufgrund ihrer komplett fragwürdigen Korrelationen zerzaust.
Völlig unvorbereitet stieg auch die Tagesgespräch-Moderatorin Simone Hulliger in eine Diskussion mit Frau Prof. Katharina Maag Merki, Universität Zürich, ein. Während dieses Interviews wurden wie in den anderen Verlautbarungen im «Neusprechslang» viele Behauptungen, viel Dogmatisches und Strukturgläubiges von Seiten der universitären «Expertin» für Volksschule – von der Abschaffung der Noten über die Aufhebung der (gegliederten) Niveaustufen bis zum Vorzeigemodell einer einzigen Schule, der privaten Mosaikschule, heruntergeplappert ohne je gründlich hinterfragt zu werden. Hofjournalismus nennt man das heute.
Die Schule braucht keine weiteren Grossbaustellen, und ohne Noten oder Selektion wird sie in keiner Weise besser.
In Ihrem Bericht «Bildungsrevolution von oben» (https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2024/04/Bildungsrevolution-von-oben.pdf) beschreitet die Journalistin Katharina Fontana den Weg handwerklich fundierter Berichterstattung. Sie fasst die Forderungen der «Bildungsrevolutionäre» korrekt zusammen, leuchtet das hinter ihr stehende Netzwerk aus und gibt auch der Gegenseite die Möglichkeit, ihre Kritikpunkte darzulegen. Dabei wird auch der Condorcet-Blog zitiert und Philipp Loretz, Sekundarlehrer und Präsident des lvb lässt sich folgendermassen verlauten: «Die Schule braucht keine weiteren Grossbaustellen, und ohne Noten oder Selektion wird sie in keiner Weise besser. Man muss endlich die zentralen Probleme wie das mangelnde Leseverständnis vieler Schulabgänger angehen – stattdessen hat man nach dem «Pisa-Schock» im Jahr 2000 eine zweite Fremdsprache in der Primarschule eingeführt. Den Bildungsforschern, den Erziehungsdepartementen und den Schulleitern wird tendenziell mit Skepsis begegnet. Die Reformkritiker sehen nicht ein, warum sie ausgerechnet den Rezepten jener Personen vertrauen sollen, die für den gegenwärtigen Zustand der Volksschule, den sie jetzt so intensiv beklagen, mitverantwortlich sind.»
Der Artikel ist fair, nimmt keine Stellung und beschreibt die aktuelle Situation treffend. Ob damit das medial unterstützte Showlaufen der Bildungsrevolutionäre beendet ist? Mindestens ist zu hoffen, dass Ihnen mit mehr journalistischer Neugier und kritischem Nachfragen begegnet wird.
Ja, endlich ein Artikel, der Hintergründe aufzeigt. (Fehlt nur noch die Bemerkung, dass sich die Privatschulen wohl jetzt schon die Hände reiben.) Schön auch, dass Condorcets Arbeit Früchte zu tragen beginnt. Ein grosses Kompliment an alle von Condorcet!