Es ist inzwischen ein Ritual: Jedes Jahr warnen die Lehrerverbände vor einer Gefährdung der Bildungsqualität. Diese Woche war es der Dachverband der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer. Schuld am Niedergang der Schulen sei der Lehrermangel. Mit anderen Worten: Schuld sind die Laien, die ohne Lehrerdiplom vor den Klassen stehen, um die Lücken zu füllen – denn genug Lehrpersonen mit Diplom gebe es seit längerem nicht mehr. Stimmt das? Die Antworten von Stefan Wolter, Verfasser des Schweizer Bildungsberichts.
Die Bildungsqualität sei gefährdet, weil vor den Klassen Lehrpersonen ohne angemessene Qualifizierung stünden – mit dieser Nachricht suchte der Dachverband der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer diese Woche die Öffentlichkeit. Die Zahlen aus einzelnen Kantonen sind in der Tat eindrücklich: 1000 ‘unqualifizierte’ Lehrerinnen und Lehrer sollen im Kanton Bern derzeit angestellt sein, im Kanton Zürich 500. Dabei müsste man allerdings darauf hinweisen, dass gerade im Kanton Bern sehr viele PH-Studierende darunter sind, die nach einem grösseren Teil ihrer Ausbildung nun parallel zum Rest des Studiums in einer Primarschule unterrichten. Hinzu kommen Quereinsteiger mit einem abgeschlossenen Unistudium, zum Beispiel in Biologie, die dann Naturwissenschaften in einer Sekundarschule unterrichten. Interessant ist hier der Vergleich mit der Berufsbildung, wo Lehrpersonen der Berufskunde immer parallel zur Ausbildung schon unterrichten, ohne dass deswegen die Ausbildungsqualität leidet.
Diese Story, dass die Lehrerinnen und Lehrer davonlaufen, ist statistisch widerlegt
Die Behauptung, die Bildungsqualität der Schulen leide wegen Lehrkräften, die das ordnungsgemässe Lehrerdiplom nicht hätten, stimmt so pauschal sicher nicht. Es wird dann zum Problem, wenn Leute vor eine Schulklasse gestellt werden, die die Schulsprache kaum beherrschen oder im Umgang mit Kindern Mühe haben.
Der Mangel an Personal in den Schulzimmern wird auch immer damit begründet, dass viele ausgebildete Lehrkräfte den Beruf rasch wieder verlassen. Fakt ist, wie die Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen, dass in keinem anderen Beruf eine so hohe Jobtreue besteht wie bei den Lehrerinnen und Lehrern. Diese Story, dass die Lehrerinnen und Lehrer davonlaufen, ist statistisch widerlegt.
“Wir müssen heute zwei Lehrpersonen ausbilden, um ein 100-Prozent-Pensum im Klassenzimmer abzudecken.”
Stefan Wolter
Woran liegt der Lehrermangel dann? Halt doch an der Teilzeit. Man muss heute in der Schweiz zwei Lehrpersonen ausbilden, um ein 100-Prozent-Pensum im Klassenzimmer abzudecken. Im Kanton Neuenburg arbeitet beispielsweise jede fünfte Lehrkraft maximal 20 Prozent. Da fragt sich nicht nur, woher die Lehrpersonen kommen sollen, sondern auch, wie man so noch eine Schule organisieren soll. Die Kantone Zürich und Genf haben gezeigt, dass Mindestpensen ein taugliches Mittel sind. Lehrpersonen sind deswegen nicht abgesprungen.
Verständlicherweise kommt bei Personalmangel die Forderung nach höheren Löhnen. Nur, wie in anderen Berufen mit hohen Durchschnittslöhnen, ist zu befürchten, dass wenn die Saläre raufgehen, noch mehr Lehrpersonen Teilzeit arbeiten werden. Bei diesen Löhnen tauschen viele Lehrerinnen und Lehrer mehr Geld gegen mehr Freizeit ein. Oder anders gesagt: Sie wählen bei einer Lohnerhöhung lieber mehr Freizeit statt mehr Arbeit.»