21. November 2024

Frühfranzösisch: Der Kanton Bern zieht nach – Motion im Grossrat

Condorcet-Autor Alain Pichard, Grossrat und Mitglied der kantonalen Bildungskommission hat zusammen mit dem SVP-Grossrat Samuel Krähenbühl und dem FDP-Grossrat Hans-Peter Kohler eine Motion eingereicht, welche die Bildungsdirektion auffordert, die Bildungsstrategie für die erste andere Landessprache evidenzbasiert zu überprüfen und neu zu formulieren.

Alain Pichard, Lehrer Sekundarstufe 1, GLP-Grossrat im Kt. Bern und Mitglied der kantonalen Bildungskommission: Zieldefinition neu formulieren.

Bildungsstrategie für erste andere Landessprache evidenzbasiert überprüfen und neu formulieren

Der Regierungsrat wird beauftragt, seine Bildungsstrategie bezüglich des gegenseitigen Erlernens der jeweiligen Landessprachen (Französisch und Deutsch) im Sinne einer evidenzbasierten Bildungspolitik zu überprüfen und seine Zieldefinitionen neu zu formulieren.

Namentlich wünschen wir eine Analyse über:

  1. a) die Sinnhaftigkeit des Frühfremdsprachenerwerbs
  2. b) die Förderung der Zweisprachigkeit durch zweisprachige Schulen (auch unter Einbezug der Tatsache, dass die Schülerschaft in vielen Orten aus Lernenden besteht, die zu Hause keine der beiden Landessprachen sprechen.
  3. c) die Möglichkeiten eines Sprachaustauschs

Diese Überprüfung soll auch konkrete Vorschläge beinhalten, die aufzeigen, wie die derzeit unbefriedigenden Leistungen der Lernenden im Fremdsprachenunterricht zu verbessern sind. Ausserdem erwarten wir auch eine Prioritätensetzung der Bildungsziele, besonders was die sinkenden Leistungen beim Leseverständnis- und Schreiben in der jeweiligen Muttersprache (PISA-Studie 2018) betrifft.

Begründung

Bern als zweisprachiger Kanton legt seit jeher Wert auf eine fortschrittliche und zeitgemässe Sprachbildung seiner Jugendlichen. Damit nimmt er auch seine besondere Verantwortung als Brücke zwischen zwei Landesteilen – dem deutsch- und dem französischsprachigen – wahr. Verschiedene Ereignisse und Themen haben in letzter Zeit die Stärken und Schwächen, aber auch Chancen und Risiken unserer Sprachbildung, offengelegt. Der Regierungsrat soll deshalb eine neue Bildungsstrategie für den Fremdsprachenerwerb und die Zweisprachigkeit im Kanton Bern erarbeiten.

Die Leitlinien dieser Strategie sind die folgenden: Schulleistung mit Verbesserungspotenzial: Neuere Erhebungen zeigen auf, dass die jungen Bernerinnen und Berner im Kantonsvergleich bei den Kenntnissen der jeweils anderen ersten Fremdsprache (Französisch oder Deutsch) nicht in den Spitzenrängen abschneiden und viele die Qualitätsziele verpassen (Gemäss der Studie des Instituts für Mehrsprachendidaktik der Uni Fribourg erreichen nur 11% der Schüler und Schülerinnen die Grundkompetenzen.

Eine «evidenzbasierte Bildungspolitik» wie sie uns anlässlich der Einführung des Lehrplans 21 mit seiner Kompetenzorientierung versprochen wurde, müsste hier dringend eine Justierung der Ziele nach sich ziehen.

Frühfranzösisch: Teuer und ineffizient

Frühfranzösisch: Neuere Erhebungen lassen Kritik und berechtigte Zweifel am Frühfranzösisch-Unterricht laut werden. Der Kanton Bern hat alleine bei der Einführung von Frühfranzösisch 40 Millionen Franken investiert. Eine «evidenzbasierte Bildungspolitik» wie sie uns anlässlich der Einführung des Lehrplans 21 mit seiner Kompetenzorientierung versprochen wurde, müsste hier dringend eine Justierung der Ziele nach sich ziehen. Gemäss der Antwort auf die kleine Anfrage des Motionärs in der Novembersession 2022 soll ja neuerdings die Zielsetzung in der Freude am Französisch bestehen. “Im Vordergrund steht die Freude und die Neugier an der fremden Sprache!”, so die lakonische Antwort des Regierungsrats im Wortlaut. Eine solch gigantische Investition müsste nach Ansicht der Motionäre aber dringendst eine Verbesserung der Leistungen erwirken. Eine Verschiebung des Frühfranzösisch in die 5. Klasse könnte erhebliche Mittel freisetzen, die wir für effizientere Bildungsreformen und vor allem für die Bekämpfung des Lehrkräftemangels einsetzen könnten. Ausserdem würden wir damit auch wieder dem ursprünglichen Gedanken der Harmos-Reform, welche eine nationale Harmonisierung der Bildungszieleanstrebte, gerechter. Eine Variante zur Rückkehr zum früheren Modell mit dem Beginn des Fremdsprachenunterrichts ab der 5. Klasse ist im Bericht aufzuzeigen.

Zweisprachige Schulen haben Vor- und Nachteile: Die Nachfrage der Eltern und Schülerschaft nach zweisprachigem Unterricht ist weit grösser als das Angebot. Andererseits kann sie nur für Schülerinnen und Schüler, die in einer der Landessprachen aufgewachsen sind, sinnvoll sein. Die zahlreichen Migrantenkinder sind in zweisprachigen Schulen überfordert. Zweisprachige Schulen würden ein wesentliches Ziel unseres Schulsystems beeinträchtigen: Den sicheren Erwerb einer der beiden Landessprachen. Wie gedenkt die BKD mit diesem Dilemma umzugehen?

Der Schüleraustausch zwischen den Landessprachen stockt: Was sind die Gründe? Und wie könnte man die Situation verbessern? Die Lehrkräfte haben einen entscheidenden Anteil am Gelingen des Fremdsprachenerwerbs. Es mehren sich die Klagen, dass auf vermehrt Lehrpersonen mit ungenügenden Sprachkenntnissen den Fremdsprachenerwerb erteilen. Vor allem aber melden sich im deutschsprachigen Teil des Kantons immer weniger Lehrkräfte für ein Französischstudium an. Im engen Austausch mit ihm sind die Perspektiven zu erfassen. Namentlich ist auch die Qualität des Französisch-, bzw. Deutschunterrichts an der Pädagogischen Hochschule, bzw. der Haute Ecole Pédagogique (HEP) zu hinterfragen und zu verbessern. Grosse Bedenken haben wir auch, dass eine Fokussierung auf Zweisprachigkeit und Fremdsprachenerwerb zu sinkenden Leistungen in der Muttersprache führen (PISA 2018) Lesen und Schreiben ist nicht alles, aber ohne Lesen und Schreiben ist alles nichts.

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Ein Kommentar

  1. Im Kanton Zürich wartet man schon seit mehr als zehn Jahren auf eine evidenzbasierte Überprüfung des Fremdsprachenunterrichts. Die Bildungsdirektion macht einen riesigen Bogen um die Frage, wie sich die Dreisprachigkeit des Primarschulunterrichts auf die Schülerleistungen in den Sprachen auswirkt. Bei der Einführung des Frühenglisch ab der zweiten Klasse (neben dem bereits bestehenden Frühfranzösisch ab der fünften Klasse) wurde darauf hingewiesen, dass man sich mit dem Instrument der wissenschaftlichen Evaluation Klarheit über das sprachliche Können der Schülerinnen und Schüler verschaffen werde. Unterdessen wissen wir aus Studien aus der Zentralschweiz und aus Untersuchungen in der Nordwestschweiz, dass es vor allem beim Französisch an unseren Schulen ziemlich bedenklich aussieht. Auch die ernüchternde Bilanz beim Leseverständnis unserer Schulabgänger im Deutsch kann nicht einfach ausgeblendet werden. Umso dringender ist es, dass die Augen vor dem überladenen Sprachenkonzept des neuen Lehrplans nicht länger verschlossen werden. Die Motion betreffend Überprüfung der Effizienz des Französischunterrichts an den Berner Schulen ist darum ein wegweisender Schritt, sich endlich mit der schulischen Realität auseinanderzusetzen. Einmal mehr könnten die Berner den Zürchern einen Schritt voraus sein.

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