29. März 2024

Die fatalen Folgen der Schulreformen

Sabina Geissbühler-Strupler (SVP) war jahrelang Mitglied des bernischen Grossen Rats und der Bildungskommission. Sie setzte sich in ihrer Zeit als Parlamentarierin gegen das neue Lehrmittel «Passepartout» ein und bekämpfte auch den Lehrplan 21. Heute sieht sie sich in ihrer Kritik bestätigt.

Ehemalige Grossrätin und Bildungskommissionsmitglied, Sabina Geissbühler-Strupler (SVP)

Als Lehrperson, ehemalige Grossrätin und Bildungskommissionsmitglied mit vielen Beziehungen zu Lehrkräften und Bildungspolitiker/-innen auch in anderen Kantonen möchte ich mit Fakten aufzeigen, dass der «Lehrkräftemangel» hausgemacht ist und die verschiedenen Bildungsreformen negative Auswirkungen zeigen.

Obschon Bildungspolitiker/-innen, auch ich, immer wieder auf die Folgen – wie Lehrkräftemangel und Mehrkosten – der ideologischen Reformschritte unter dem Motto «Chancengleichheit für alle» hingewiesen haben, wurden diese im Eiltempo durchgeboxt.  Leider ist der Leitsatz «Gouverner c’est prévoir» bei vielen Entscheidungsträgern – insbesondere in der Bildung – nicht existent. Auch wird die Bevölkerung betreffend Folgen der Schulreformen nicht informiert.

Seit Kindergärtnerinnen die Matura machen müssen, gehen viele sozial kompetente, musisch begabte Lehrkräfte «verloren». Trotzdem wurde ein Kindergartenobligatorium schon für Vierjährige eingeführt, also die obligatorische Schulzeit von 9 auf 11 Jahre ausgedehnt. Dies erforderte im Kanton Bern ungefähr 100 Lehrpersonen mehr. Da die Arbeit der Kindergärtnerinnen mit Klassen mit vielen Vierjährigen sehr anspruchsvoll geworden ist, verlangte der Grosse Rat ein Teamteaching im Zyklus 1, das bedeutet 150 Stellenprozente. Da die Kindergärtnerin sehr gerne zu zweit an einer Klasse unterrichten, hat sich bei den Basisstufenklassen gezeigt, dass solche Stellen problemlos besetzt werden können, und dafür weniger Förderunterricht für einzelne Schulkinder nötig ist.

Vor der Einführung des Frühfranzösischprojekts „Passepartout“ wurde der Regierungsrat in einem Vorstoss aufgefordert, diese einschneidende Reform vorerst nicht flächendeckend, sondern in einigen ausgewählten Schulen als Versuch umzusetzen.

Es war von Anfang an klar, dass die Lehrmittel «Mille Feuilles» und «Clin d‘oeil» für das Sprachenlernen mit 2-3 Lektionen pro Woche nicht taugen würden.

Bei diesem Projekt sollten die Kinder in ein Sprachbad eintauchen. Das Bad ist gross wie ein See, die Kinder sind Nichtschwimmer/-innen. Doch Schwimmhilfen (Rechtschreibung, Grammatik oder Wörtlilernen) sind nicht vorgesehen. Bei dieser Art von Sprachenlernen werden mit Kopfhörern Texte und Geschichten übers Ohr wahrgenommen. Dazu passende Bilder auf dem Computer sollen das Textverständnis erleichtern. Die Kinder arbeiten meist individuell am Computer. Die Methode ist eine Nachahmung des Sprachenlernens in einem fremdsprachigen Gebiet oder in einer fremdsprachigen Familie. Es ist aber erwiesen, dass diese Art von Sprachenlernen nur möglich ist, wenn ein Kind mindestens 40 Prozent seiner Wachzeit mit dieser Fremdsprache konfrontiert ist. Deshalb war von Anfang an klar, dass die Lehrmittel «Mille Feuilles» und «Clin d‘oeil» für das Sprachenlernen mit 2-3 Lektionen pro Woche nicht taugen würden.

Bei diesem Projekt sollten die Kinder in ein Sprachbad eintauchen. Das Bad ist gross wie ein See, die Kinder sind Nichtschwimmer/-innen.

Dass für diese Mehrlektionen für den Frühfranzösischunterricht pro Jahr 4.8 Mio. CHF – ohne Nutzen für die Kinder – eingesetzt werden, ist unverständlich. Auch für die Gemeinden bedeuten diese Lehrmittel eine grosse finanzielle Belastung. Es hat sich gezeigt, dass bei den Klassen mit freiwilliger Lehrmittelwahl, das im Kanton Zürich ab der 5. Klasse eingesetzte «Dis donc» von den Lehrpersonen am liebsten benutzt wird.

In einer weiteren Motion wurde verlangt, dass das Projekt Frühfranzösisch sistiert werden müsse, falls die Kinder, die den kosten- und zeitintensiven Frühfranzösischunterricht besucht haben, bei den Evaluationstests nicht signifikant besser abschneiden würden. Auch hier besteht Handlungsbedarf.

Weiter wurde mit der Einführung des Lehrplanes 21 in jeder Klasse der Stundenplan mit bis zu vier zusätzlichen Lektionen aufgestockt, was wiederum ungefähr 300 Lehrpersonen mehr verlangte.

Mit den Schulreformen gingen viele der wichtigen Beziehungsmomente zwischen der Lehrperson und den Schulkindern verloren.

Durch die Integration von allen Schulkindern in Regelklassen – anstatt sie in Klassen mit 8-12 Kindern und mit Heilpädagogen/ Heilpädagoginnen zu fördern – braucht es nun in den Regelklassen meist nur für einzelne Kinder diese zusätzlichen Fördermassnahmen. Ein Blick in die Stellenbörse des Kantons Bern zeigt denn auch, dass fast alle gesuchten Lehrpersonen die integrative Förderung und Heilpädagogik betreffen. Dass die Besoldung dieser Speziallehrkräfte drei Lohnstufen höher angesetzt ist, hat auch finanzielle Auswirkungen auf den Kanton.

Auch bei Tages- oder in der Stadt Bern Ganztagesschulen engagieren sich (ohne Bildungsauftrag) immer mehr Lehrpersonen.

Insbesondere auf der Unter- und Mittelstufe war der Lehrberuf für mich ein Traumberuf. Ich konnte die Kinder in verschiedenen Situationen kennen und verstehen lernen; sei es beim Vorbereiten von Musicals, in Bewegungswochen, in persönlichen Gesprächen bei Problemen oder der Anteilnahme an ihren Hobbies. Mit den Schulreformen gingen leider viele dieser wichtigen Beziehungsmomente zwischen der Lehrperson und den Schulkindern verloren. Lehrkräfte wurden durch Kunstschaffende, Schulsozialarbeitenden, Heilpädagoginnen und andere Förderlehrpersonen (neuerdings Fachlehrkräfte zum Thema «Glücklichsein» oder «Entfaltungspotential») ersetzt, und damit die Lehrpersonen zu Coaches degradiert.

Durch die vielen Absprachen und administrativen Arbeiten wiederum hat der Lehrer/-innenberuf viel an Attraktivität eingebüsst.

Leider wurden bis anhin alle diese begründeten Forderungen von der Bildungsdirektion abgelehnt!

Es ist zu hoffen, dass diese Fehlentscheidungen offengelegt und durch die Politik korrigiert werden. Denn die Leidtragenden sind einmal mehr die Schüler/-innen.

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Schulische Integration von behinderten Schülern könne so nicht weitergeführt werden. Als Grund werden vor allem die verhaltensauffälligen Kinder und Jugendlichen genannt, die ihre Lehrkräfte an den Rand der Belastbarkeit führen. Condorcet-Autor Riccardo Bonfranchi hält dies für eine fatale Argumentation, weil der «Schwarze Peter» hier einer Gruppe von Kindern zugewiesen wird.

Ein Kommentar

  1. Anscheinend hat man in Bern als jahrelange Grossrätin und Mitglied der Bildungskommission keinen Einfluss, um solch fatale, als wissenschaftlich geltende Falschaussagen wie die vom Sprachbad für eine Zweitsprache ausbremsen zu können.

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