20. April 2024

Hauptsache Studium? Diese Ausbildungsberufe bringen deutlich mehr Lebenseinkommen

In Deutschland wollen immer mehr junge Menschen studieren. Sie versprechen sich davon höhere Gehälter in ihrem Arbeitsleben. Doch das ist nicht garantiert. Eine Studie kommt jetzt zu erstaunlichen Ergebnissen, die das Zeug haben, die Berufswünsche einer ganzen Generation zu beeinflussen. Ein Bericht des WELT-Journalisten Daniel Eckert.

Daniel Eckert, Welt-Journalist: Die Mischung machts

In der Bevölkerung ist es vielen schon längst bewusst, jetzt gibt es auch eine wissenschaftliche Bestätigung dafür: Die richtige Berufsausbildung ist finanziell häufig die bessere Entscheidung als das Studium. Wer eine Lehre in einem gefragten Gewerbe macht, hat gute Chancen, im Laufe seines Berufslebens zwei Millionen Euro oder mehr zu verdienen. Damit schneiden Erwerbstätige ohne Hochschulabschluss beim Gehalt teilweise klar besser ab als Studierte.

Die wissenschaftliche Aufbereitung stammt vom IAB, dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg, das zur Bundesagentur für Arbeit gehört. Die Wissenschaftler des Instituts stellen zwar fest, dass sich Menschen mit mindestens vierjährigem Hochschulstudium – im IAB-Sprech „Experten“ – insgesamt ansehnliche Gehälter erhoffen dürfen.

Doch in vielen Berufen stehen ihnen Mitarbeiter mit Berufsausbildung und anschließender Fortbildung – sogenannte „Spezialisten“ – in Deutschland keineswegs nach. Solche berufsspezifischen Fortbildungsabschlüsse sind vor allem der Meister, der Techniker oder der Fachwirt.

Die Forscher identifizieren nicht weniger als 29 Berufsgruppen, in denen kein langes Hochschulstudium nötig ist, um gut zu verdienen.

Besonders deutlich wird das in den MINT-Berufen. Nach IAB-Berechnungen erzielen Spezialisten in naturwissenschaftlich-technischen Jobs über das gesamte Berufsleben hinweg ein Bruttoentgelt von rund 2,7 Millionen Euro. „Sie kommen damit auf ein Lebenseinkommen, das über dem durchschnittlichen Verdienst von Experten liegt“, stellt IAB-Forscher Heiko Stüber fest.

MINT-Berufe setzten Mathematik-, Biologie-, Chemie-, Physik- oder IT-Kenntnisse voraus. Während Spezialisten in MINT-Berufen ein durchschnittliches Brutto-Lebensentgelt von gut 2,7 Millionen Euro erwarten dürfen, liegen viele Hochschulabsolventen darunter.

Wer zum Beispiel mit einem Uni-Abschluss im Tourismus-, Hotel- und Gaststättengewerbe sein Geld verdient, kommt statistisch auf ein Lebensentgelt von 1,6 Millionen Euro. Ähnliches gilt für Akademiker in der Lebensmittelherstellung und -verarbeitung.

Auch in anderen Professionen können Mitarbeiter ohne Uni-Abschluss reüssieren: Die Forscher identifizieren nicht weniger als 29 Berufsgruppen, in denen kein langes Hochschulstudium nötig ist, um gut zu verdienen.

Quelle: Infografik WELT

 

In 13 dieser Berufsgruppen reicht eine abgeschlossene Berufsausbildung, um in einer höheren Gehaltsliga mitzuspielen – hier ist also nicht mal unbedingt ein Meister, Techniker oder Fachwirt nötig.

In vielen europäischen Ländern, ist die Quote von Hochschulabsolventen in den letzten Jahren enorm gestiegen.

„Die Studie sollte an allen deutschen Schulen Pflichtlektüre werden, denn sie bestätigt, was wir aktuell sehen: Nur mit Akademikern werden wir den Fachkräftemangel nicht lösen“, sagt Carsten Brzeski, Chefökonom Deutschland bei der ING. In der Bundesrepublik, aber auch in vielen anderen europäischen Ländern, sei die Quote von Hochschulabsolventen in den letzten Jahren enorm gestiegen.

Dabei gelte jedoch: „Marketing- oder Philosophiestudenten können uns aber nicht die Wärmepumpe einbauen oder die Solarzellen aufs Dach legen.“ Geistes- oder Sozialwissenschaftler würden auch keine neuen Technologien entwickeln, die für die Energiewende und erneuerbare Energien dringend benötigt werden.

Die Wissenschaftler unterscheiden je nach formaler Qualifikation zwischen vier Gruppen: Neben Experten und Spezialisten gibt es noch Fachkräfte und Helfer. Fachkräfte sind Arbeitnehmer, deren Tätigkeit fundierte Fachkenntnisse und Fertigkeiten voraussetzen, die in der Regel eine zwei- bis dreijährige Berufsausbildung voraussetzen.

Wer im Job wenig komplexe, sich wiederholende Tätigkeiten erledigt, für die in der Regel kein formaler beruflicher Bildungsabschluss benötigt wird, ist in der Nomenklatur der Forscher ein Helfer.

Um das Lebenseinkommen zu berechnen, nehmen die Forscher einen typischen Vollzeitbeschäftigten, der vom 18. bis zum 66. Lebensjahr durchgehend berufstätig war. In Lehrberufen beginnt das Erwerbsleben normalerweise früher als in Jobs, die einen akademischen Abschluss voraussetzen. Die jungen Arbeitnehmer mit abgeschlossener Lehre verdienen häufig schon mit 20 ihr erstes Geld. Akademiker haben ihre erste Stelle nicht selten erst mit Mitte 20.

 Ein Studium garantiert nicht per se einen höheren Lohn

Im Großen und Ganzen zahlt sich Bildung finanziell aus. Im Schnitt erbringen Tätigkeiten, die eine Lehre oder Berufsausbildung voraussetzen, ein Lebensentgelt von 1,7 Millionen Euro. Ergänzt um eine Fortbildung steigt der Wert auf rund 2,4 Millionen Euro.

Akademiker mit mindestens vierjährigem Studium schaffen 2,7 Millionen Euro, also rechnerisch eine Million Euro mehr als durchschnittliche Fachkräfte ohne Meister, Techniker oder Fachwirt und ohne Universitätsabschluss. Wer keine Lehre oder Ausbildung gemacht hat, muss sich im Laufe des Lebens mit 1,3 Millionen Euro brutto begnügen, das sind rechnerisch nur rund 27.000 Euro im Jahr.

Meister oder Techniker lohnen sich

Fast noch aussagekräftiger als die Durchschnittswerte sind die Spannen: Je nach Beruf erzielen Fachkräfte ein Lebenseinkommen zwischen 1,1 und 2,5 Millionen Euro. Mit einer Fortbildung wie Meister oder Techniker steigt das durchschnittliche Bruttoentgelt im Laufe des Berufslebens auf 1,4 bis 2,7 Millionen Euro.

Damit spielen sie in einer Liga mit Beschäftigten, die einen Hochschulabschluss haben, zumal es bei den Akademikern riesige Unterschiede gibt. Den IAB-Daten zufolge erzielen Hochschulabsolventen je nach Studium und Profession ein Lebenseinkommen zwischen einer Million und drei Millionen Euro.

Ein Studium garantiert nicht per se ein höheres Lebensentgelt.

Am schlechtesten verdienen Akademiker abgesehen von Tourismus und Lebensmittelherstellung in Papier- und Druckberufen sowie in der technischen Mediengestaltung mit nur zwei Millionen Euro. Bankkaufleute und andere Beschäftigte im Bereich Finanzdienstleistungen, Rechnungswesen und Steuerberatung schneiden da mit rund 2,4 Millionen Euro besser ab.

Fazit: Ein Studium garantiert nicht per se ein höheres Lebensentgelt. „In bestimmten Berufen erzielen Beschäftigte mit einer niedrigeren formalen Qualifikation Lebensentgelte, die vergleichbar sind mit denen von Personen mit Hochschulabschluss in anderen Berufen“, formuliert es Heiko Stüber in der Sprache der Wissenschaftler.

 

Quelle: Infografik WELT

 

Nichtakademiker dürften in den nächsten Jahren und Jahrzehnten bei den Einkommensmöglichkeiten vielfach weiter aufholen. Die IAB-Forscher rechnen damit, dass sich die Löhne und Gehälter in Ausbildungsberufen besser entwickeln als im Schnitt: „Aufgrund der steigenden Fachkräfteengpässe ist — zumindest in bestimmten Berufsgruppen — in den nächsten Jahren ein überproportionaler Anstieg der Entgelte von Fachkräften und Spezialisten im Vergleich zur Steigerung der Löhne insgesamt zu erwarten“, heißt es in der IAB-Kurzstudie „Ein Studium garantiert nicht immer das höchste Lebensentgelt“.

Seit 2012 nahmen die Entgelte für Fachkräfte in der Altenpflege um gut 41 Prozent zu.

In einer separaten Studie haben die Forscher herausgefunden, dass die Entgelte für Fachkräfte in der Altenpflege bereits in den zurückliegenden Jahren überproportional gestiegen sind. Seit 2012 nahmen sie um gut 41 Prozent zu. In der Krankenpflege betrug das Plus etwa 29 Prozent. Insgesamt konnten Fachkräfte in Deutschland ihr Einkommen damit um 23 Prozent erhöhen.

Noch sind die Lebenseinkommen von Fachkräften und Spezialisten in medizinischen Gesundheitsberufen etwas geringer als die der am schlechtesten bezahlten Akademiker, aber das könnte sich in den nächsten Jahren ändern.

Auch ING-Ökonom Carsten Brzeski, der sich intensiv mit den Umbrüchen im Erwerbsleben beschäftigt, sieht für viele Ausbildungsberufe Aufholpotenzial: „Die Arbeitswelt verändert sich dramatisch schnell. In einigen Akademikerjobs gibt es jetzt einen Überfluss an Arbeitskräften und in manchen technischen Berufen herrscht Knappheit.“

KI und Roboter mitdenken

Dabei müssten junge Menschen immer auch im Blick haben, welche Tätigkeiten in Zukunft von Künstlicher Intelligenz und Robotern erledigt werden könnten und welche nicht: „Ist ein wenig so wie an den Aktienmärkten: Die Zeit von pauschalen Empfehlungen ist vorbei. Es gibt Branchen, in denen technische Berufe auch in den kommenden Jahren eine hohe Rendite versprechen und andere Berufe, die durch Automatisierung bedroht werden.“

Fahrzeugführer zum Beispiel könnten auf absehbare Zeit durch autonome Systeme ersetzt werden, aber eben keine Handwerker oder Techniker, die Wärmepumpen einbauen. Volkswirtschaftlich bringe es wenig, wenn Deutschland lauter Taxi fahrende Akademiker hervorbringe, aber keine Dachdecker oder Heizungsinstallateure.

„Die Mischung macht’s. Für die aktuelle Generation von Schülern gilt es darum, wegzukommen von dem Gedanken, dass ein Uni-Studium ein Muss ist.“ Es gebe genügend Alternativen für ein gutes Lebenseinkommen. Schon „Die Ärzte“ hätten in einem ihrer Songs immer gefragt: „Junge, warum hast Du nichts gelernt?“

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