19. März 2024

Sind die Grundschullehrkräfte schuld am Leistungsabsturz? Philologen: „Schluss mit unbrauchbaren Methoden“

Die Leistungen von Grundschülern sind in den vergangenen zehn Jahren, das dokumentiert aktuell eine Studie im Auftrag der KMK (Kultusministerkonferenz), drastisch gesunken. Während Lehrpersonenverbände, die die Grundschullehrkräfte vertreten (wie der VBE und die GEW), als Ursachen den insbesondere an Grundschulen grassierenden Lehrkräftemangel bei gleichzeitig steigenden Herausforderungen – wie der Inklusion – sehen, nehmen die Philologen die Grundschulen selbst in die Kritik. Der Philologenverband Rheinland-Pfalz fordert: „Schluss mit erwiesenermaßen unbrauchbaren Methoden!“

Cornelia Schwartz, Landesvorsitzende des Verbandes der Gymnasiallehrkräfte: Entsetzt, aber nicht erstaunt.

Seit Jahren verhallen Mahnungen in Bezug auf die immer gravierenderen Mängel beim Lesen, Schreiben und Rechnen, die Kinder von der Grundschule mit an die weiterführenden Schulen bringen, ungehört – meint der Philologenverband Rheinland-Pfalz. Die Landesvorsitzende des Verbandes der Gymnasiallehrkräfte, Cornelia Schwartz, zeigt sich nach eigenem Bekunden entsetzt, aber nicht erstaunt über die Ergebnisse der aktuellen, von der Kultusministerkonferenz in Auftrag gegebenen Studie des IQB-Bildungstrends 2021.

„Nicht erst seit Corona sind im Hinblick auf das Lesen, Schreiben und Rechnen schwerwiegende Defizite deutlich geworden.“

Dass – wie die Kultusminister in ihren Stellungnahmen glauben machen will – vor allem die Schulschließungen in der Pandemie für den Leistungsschwund verantwortlich sind, diese Begründung weist Schwartz zurück: „Nicht erst seit Corona sind im Hinblick auf das Lesen, Schreiben und Rechnen schwerwiegende Defizite deutlich geworden“, sagt sie.

Und betont stattdessen: „Man kann die derzeit von den Hochschulen propagierte Grundschuldidaktik fast schon als eine Didaktik der Verwahrlosung bezeichnen: Fehler werden nur noch ansatzweise korrigiert und setzen sich daher in den Köpfen der Kinder fest, von der Lehrkraft angeleitete gemeinsame Erarbeitungsphasen geißelt diese Didaktik als lehrerzentriert, und automatisiertes Üben beim Rechnen – davon will man gar nichts mehr wissen. Ein solcher Ansatz führt uns schon seit Jahren an den pädagogischen Abgrund, aber während der Pandemie und der Phasen des Fernunterrichts war dieser Ansatz erst recht zum Scheitern verurteilt.“

Man muss sich nur von den ideologischen Scheuklappen mancher Didaktiker befreien.

Der Philologenverband Rheinland-Pfalz fordert die Bildungspolitiker der Länder auf: „Beenden Sie diesen Wahnsinn! Sorgen Sie dafür, dass eine schädliche Didaktik schnellstmöglich revidiert und Kindern das Leid des endgültigen Scheiterns erspart wird.“ Schwartz betont: „Konsequentes Rechtschreiben und ein Verbessern von Fehlern, das Erlernen einer echten Schreibschrift, mehr Ruhe und Konzentration im Unterricht, Mathematikbücher, die nicht fünf verschiedene Rechenwege aufzeigen, sondern zunächst ein sinnvolles Rechenverfahren üben, und zwar nicht an drei kleinen Mini-Aufgaben, sondern so lange, bis das Verfahren sicher und selbständig ausgeführt werden kann – damit wäre schon viel geholfen, und zwar völlig kostenneutral. Man muss sich nur von den ideologischen Scheuklappen mancher Didaktiker befreien.“

Da nun schon zum Nachteil vieler Kinder beträchtlicher Schaden angerichtet worden sei, fordert der Philologenverband Rheinland-Pfalz übergangsweise für die fünften und sechsten Klassen an den weiterführenden Schulen jeweils zwei Förderstunden pro Woche und Klasse, „so dass hier ohne Stress, ohne Vorwürfe und ohne Zeitdruck geübt und Versäumtes aus der Grundschule zumindest teilweise nachgeholt werden kann“.

Der Deutsche Philologenverband sieht ein Kernproblem in zu niedrigen Ansprüchen an die Grundschulen. Dass sich die Länder zum Beispiel für die neuen Bildungsstandards Deutsch für die Grundschule gerade einmal auf eine „lesbare Handschrift“ und „eine in den Kernbereichen“ korrekte Orthographie hätten einigen können, spiegle nur einen Minimalkonsens wider – setze aber keine ambitionierten Ziele für ein besseres Leistungsniveau der Grundschülerinnen und -schüler in den Kernfächern Deutsch und Mathematik bundesweit. Bundesvorsitzende Prof. Susanne Lin-Klitzing betont: „In der Mathematik halten wir es für unabdingbar, dass neben den schriftlichen Verfahren der Addition, Subtraktion und Multiplikation auch das schriftliche Verfahren der Division eingeführt wird.“

Der Verband appelliert dringend an die Kultusministerkonferenz, die Lern- und Leistungsziele für die Grundschülerinnen und -schüler zu erhöhen und die neuen Bildungsstandards für die Grundschulen für ambitionierte Ziele im Deutsch- und Mathematikunterricht nach oben zu korrigieren.

Wenn man zunehmend von Grundschulen ohne Noten sinniert, sich in pseudopädagogischen Vermittlungsstrukturen und Experimenten ergeht, Förderschulen abschafft, muss einen das Ergebnis nicht verwundern.

Böhm: „Wir brauchen einen Aufbruch in der Vermittlung der Grundkompetenzen in Deutsch und Mathematik.“

Entwicklung der Schweiz beim Lesen: Auch in der Schweiz scheinen die Leistungen zu sinken.

In die gleiche Kerbe schlägt der Realschullehrerverband VDR. Ein wesentlicher Grund für den Absturz sei die mangelnde Leistungsorientierung in den Grundschulen und ein immer weiteres Einebnen der Anforderungen in den Basisfächern. „Wenn man zunehmend von Grundschulen ohne Noten sinniert, sich in pseudopädagogischen Vermittlungsstrukturen und Experimenten ergeht, Förderschulen abschafft, muss einen das Ergebnis nicht verwundern“, so der Bundesvorsitzende Jürgen Böhm. Er erklärt:  „Wir brauchen einen Aufbruch in der Vermittlung der Grundkompetenzen in Deutsch und Mathematik – eine Qualitäts- und Leistungsoffensive und kein ständiges Herunterschrauben von Anforderungen.“

Dass sich an den Grundschulen allerdings auch die Rahmenbedingungen verschlechtert haben („wie Lehrkräftemangel, zunehmende Aufweichungen der Lehrkräfteausbildung mit Verkürzung des Referendariats bis hin zu fehlenden qualitativ ausreichenden Seiteneinsteigerprogramme“), räumt Böhm ein.

Quelle: News4teachers / mit Material der dpa

Hier lässt sich die Studie herunterladen: https://www.iqb.hu-berlin.de/bt/BT2021/

 

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Sabina Geissbühler-Strupler (SVP) war jahrelang Mitglied des bernischen Grossen Rats und der Bildungskommission. Sie setzte sich in ihrer Zeit als Parlamentarierin gegen das neue Lehrmittel «Passepartout» ein und bekämpfte auch den Lehrplan 21. Heute sieht sie sich in ihrer Kritik bestätigt.

4 Kommentare

  1. Ein weiteres Muster für die kontraproduktive Wirkung von ideologisch-moralisch aufgeladenen “Reformen”: Statt Chancengleichheit das Gegenteil. Man untersuche mal die politisch-ideologische Ausrichtung der Leute in den Bildungsbürokratien. Es braucht wenig Phantasie, um das Ergebnis zu erahnen.

  2. Die Grundschul-LEHRPERSONEN sind sicher NICHT schuld. Sie vollziehen lediglich, was ihnen tragischerweise vorgesetzt und abverlangt wird.
    Schuld an der tatsächlich bestehenden Schulmisere sind die Lehrplan- und Lehrmittelentwickelnden, die bildungspolitisch tätigen Elfenbeinturminsassen und die Scheinprofessoren an den pädagogischen Fachhochschulen.

  3. Wäre ich eine Katze, ich würde mich bei der Lektüre dieses Artikels hinlegen und laut schnurren. Der Artikel bringt die Situation sehr genau auf den Punkt. Was man hier noch ergänzen könnte, ist das zu frühe Erlernen von Fremdsprachen hier in der Schweiz. In der Primarschule sollten die Kinder (in der Deutschschweiz) zuerst Deutsch und Mathematik beherrschen.
    Als Mutter von zwei Mädchen, die inzwischen das Oberstufenalter erreicht haben, denke ich mit Entsetzen zurück an das jahrelange Zuschauen, wie die Basiskompetenzen vernachlässigt werden. Immer hiess es, das kommt dann schon noch… Hätten mein Mann und ich nicht ab ca. der vierten Klasse mit den Mädchen gelernt, würde z.B. unsere Jüngere wohl immer noch Sätze klein anfangen, Verben gross schreiben und Namen klein (oder auch ganz anders, je nach Lust und Laune). Und das Einmaleins würde bei beiden Mädchen wohl immer noch nicht sitzen, obwohl die Mathematik darauf aufbaut.
    Es gibt keinen Grund, weshalb die Kinder in der Phase des Erlernens mehr als einen Lösungsweg kennen sollen. Wir sind eine Gesellschaft, die die Kinder zu oft zu früh zu viel wählen lässt. Wir überfordern die Kinder und lassen sie so im Stich.
    Deshalb bin ich Condorcet und allen, die den Mut aufbringen, diesen Irrweg aufzuzeigen, sehr dankbar.

  4. Was hilft es, Irrwege aufzuzeigen, wenn Änderungen ausbleiben. Was führt weiter, wenn eine Aufarbeitung zu deutschsprachigen Erstleselehrwerken ungelesen bleibt? Was nützt es, wenn eine erworbene Legasthenie mit Katzen streicheln behandelt werden soll? (Unlängst von Radio SRF1 gemeldet). Wie ist es einzuschätzen, wenn an PHs Unterrichten verständnislos zuhören, wenn erklärt wird, dass Sehen und Hören unterschiedlich verarbeitet werden? Was läuft schief,wenn bereits über ein Jahrhundert lang regelmässig circa ein Fünftel der Sechstklasskinder im geforderten sprachlichen Bereich versagen?M

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