7. November 2024

Lehrermangel trotz Top-Gehalt – deshalb ist der Beruf so unattraktiv

In Deutschland wie in der Schweiz herrscht zurzeit ein akuter Lehrkräftemangel. Auch wenn es sich dabei immer wieder um Wellenbewegungen handelt, versucht sich die Bildungspolitik in Ursachenforschung. Immerhin ist die aktuelle Situation in manchen Gegenden ziemlich dramatisch. Weshalb wir zu wenig Lehrkräfte haben, bewegt nicht nur unsere Leserinnen und Leser. Auch Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz machte sich dazu kürzlich Gedanken (https://condorcet.ch/2021/08/die-volksschule-kann-sich-die-absenz-der-maenner-nicht-laenger-leisten/). Er hat in seinem Artikel die mangelnden Gestaltungsmöglichkeiten für Lehrkräfte bemängelt. In ein ähnliches Horn bläst nun auch ein Artikel in der deutschen WELT. Dazu veröffentlicht sie erstaunliche Zahlen.

Inga Michler, Wirtschaftsjournalistin der WELT: Mehr Flexibilität und mehr Chancen.

Danach lag das „tatsächliche Gehalt“ von Lehrkräften in der gymnasialen Oberstufe und an Berufsschulen 2020 in Deutschland im Durchschnitt bei umgerechnet knapp 90.000 Dollar (ca. 76.500 Euro) im Jahr. Das waren knapp 28.000 Dollar oder rund 23.800 Euro mehr als im Durchschnitt der OECD-Länder. Grundlage der Berechnungen sind Vollzeitgehälter von 25- bis 64-Jährigen vor Steuern und Sozialabgaben ohne die jeweiligen Arbeitgeberanteile. Zur besseren Vergleichbarkeit sind sie nach den Kaufkraftparitäten der einzelnen Länder gewichtet.

Auch an den Grundschulen und in der Mittelstufe liegen die deutschen Lehrkräfte mit „tatsächlichen Gehältern“ von knapp 77.000 Dollar (ca. 65.450 Euro) und knapp 85.000 Dollar (ca. 72.250 Euro) weit über dem internationalen Vergleich (rund 46.000 und knapp 48.000 Dollar).

Nur in Luxemburg verdienen Lehrer mehr. Das Land liegt mit kaufkraftbereinigten Einstiegsgehältern von 69.000 und hohen Gehaltssprüngen auf bis zu 122.000 Dollar im Jahr schon im Primarbereich unter den Industrieländern uneinholbar vorn. In der Sekundarstufe sind laut OECD für Lehrer in Luxemburg sogar Maximalgehälter von mehr als 137.000 Dollar im Jahr drin.

Interessant ist, dass die Spreizung zwischen Anfangsgehältern und Höchstgehältern in Deutschland ganz besonders gering ist. Möglichkeiten zum Aufstieg im Job, zum Mehrverdienst aufgrund guter Arbeit, gibt es hierzulande also besonders wenige.

Über alle Bildungsbereiche liegen die Höchstgehälter laut OECD in Deutschland lediglich bis zu 40 Prozent über den Mindestgehältern. Im Durchschnitt der Industrieländer ist dagegen ein Anstieg von über 90 Prozent möglich. In Ländern wie Korea, Belgien oder Luxemburg können Lehrer mit Zusatzqualifikationen und guter Leistung ihre Einkünfte im Laufe des Berufslebens sogar mehr als verdoppeln.

„Deutschen Lehrkräften fehlen die Aufstiegsperspektiven“, urteilt der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, im Gespräch mit WELT. „Das, was man in anderen Berufen ,Karriere’ nennt, ist im deutschen Schulwesen nicht vorgesehen.“ Kein Wunder, dass der Beruf für viele junge Leute von heute nicht mehr attraktiv sei. Sie wünschten sich mehr Flexibilität und mehr Chancen.

Meidinger schlägt vor, den Wechsel zwischen Wirtschaft und Lehramt in beide Richtungen zu erleichtern. „Wir brauchen klare Qualifikationswege und Übergänge, um die Durchlässigkeit zwischen Wirtschaft und Staatsdienst zu verbessern.“ Die Bemühungen dürften sich nicht auf die Schnell-Ausbildung von sogenannten „Quereinsteigern“ in der derzeitigen Notlage beschränken.

Um den Lehrerberuf attraktiv zu machen, ist Geld ganz offensichtlich nicht alles.

Bundesweit wurden 2020 nach Zahlen der Kultusministerkonferenz knapp 35.000 Lehrer an allgemeinbildenden Schulen neu eingestellt. Etwa zehn Prozent davon waren Quereinsteiger ohne abgeschlossenes Lehramtsstudium. Sie sollen helfen, den akuten Lehrermangel an vielen Schulen zu mindern.

Um den Lehrerberuf attraktiv zu machen, ist Geld ganz offensichtlich nicht alles. Ginge es nur danach, müsste die Zahl der Interessenten für den Beruf in Deutschland seit vielen Jahren steigen. Denn hierzulande haben die Lehrerinnen und Lehrer zwischen 2005 und 2020 einen kräftigen Lohnzuwachs erlebt.

Laut OECD-Bericht stiegen die Gehälter von Lehrkräften mit 15 Jahren Berufserfahrung und der häufigsten Qualifikation über alle Schulen in Deutschland real um zwölf bis 23 Prozent. Im Durchschnitt der anderen Industrieländer waren es nach Inflation nur zwei bis drei Prozent Lohnanstieg gewesen.

Eine erstaunliche Statistik der OECD. Kaufkraftbereinigte Lehrerlöhne.
Heinz-Peter Meidinger, Präsident des deutschen Lehrerverbandes: „Gehalt ist eben nicht alles bei der Entscheidung fürs Lehramt.

„Gehalt ist eben nicht alles bei der Entscheidung fürs Lehramt“, sagt Meidinger, der 17 Jahre lang ein Gymnasium in Bayern geführt hat. Auch die Rahmenbedingungen müssten stimmen. Und die seien in den vergangenen Jahren immer schwieriger geworden. Weniger Respekt von vielen Schülern, anstrengende und fordernde Eltern, noch dazu immer mehr Verwaltungsaufgaben und wenig persönliche Flexibilität in der Karriere – das schrecke viele ab.

Gleichzeitig warnt Meidinger aber auch vor einem neuen „Run“ ins Lehramt und davor, sich bei der Berufswahl vorrangig am aktuellen Bedarf zu orientieren. „Seit Jahrzehnten beobachten wir auf dem Lehrermarkt einen Schweine-Zyklus“, sagt Meidinger. Bei Lehrermangel werde die Zahl der Studienplätze ausgebaut. Bis die Interessenten aber mit ihrem Studium fertig seien, gebe es oft wieder ein „Überangebot“ an Lehrern.

Geht es nach den Gewerkschaften, geht der Anstieg der Lehrergehälter jedenfalls erst einmal weiter. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert für 2021 gemeinsam mit den anderen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes fünf Prozent mehr Lohn.

https://www.welt.de/wirtschaft/karriere/plus233827164/Lehrermangel-Topgehalt-aber-trotzdem-unattraktiv-Der-wahre-Grund.html?icid=search.product.onsitesearch$

 

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Ein Artikel aus dem Jahre 2006 machte den Condorcet-Autor Alain Pichard schweizweit bekannt. In der Weltwoche schrieben drei linke Lehrkräfte und er über die realen Probleme, welche die Schule mit der Integration fremdsprachiger Kinder bekundete. Er wurde zeitweise zum Buhmann der Linken. Der in einer Brennpunktschule in Biel tätige Lehrer bezeichnetete sich aber stets als “Anwalt der Migrantenkinder”. Er wolle, dass sie etwas lernen. Und das heisst “Fördern und Fordern”. 14 Jahre später scheint sich seine Überzeugung durchgesetzt zu haben. Zum Vorteil aller!

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