21. November 2024

Die Demokraten am Scheideweg!

Seit langem bringt der Condorcet-Blog wieder einmal einen Artikel des mit uns verbundenen Diane Ravitch-Blogs. Peter Greene, der auch schon für uns geschrieben hat, sieht die Demokratische Partei am Scheideweg. «No Child Left Behind» ist gescheitert; «Race to the Top» war ein Fehlschlag; «Common Core» ein Desaster, «Every Student Succeeds» ebenfalls ein Flop. Peter Greene erinnert daran, dass auch die Demokraten einen grossen Anteil an dieser Entwicklung haben, und warnt davor, alles auf Trump zu schieben. Er verlangt von den Demokraten einen radikalen Neuanfang.

Peter Greene, Lehrer, Autor des Diane Ravitch-Blog: Die Demokraten stimmten immer zu.

Die letzten vier Jahre haben sich die Demokraten eine ziemlich einfache Theorie zurechtgelegt, wenn es um die Bildung geht. Etwas in der Art von «Guter Gott, eine verrückte Dame (Betsy De Vos, Anm. der Redaktion) ist gerade in unseren Porzellanladen gekommen, reitet auf einem Bullen, fuchtelt mit einem

Betsy de Vos, Republikanerin, Bildungsministerin unter Trump: Ein Stier im Porzelanladen.

Flammenwerfer herum und schleppt einen Hai mit einem auf dem Kopf montierten Laserstrahl mit sich herum; wir müssen sie davon abhalten, den Laden zu zerstören.»

Dieses Szenario scheint uns jetzt, Gott sei Dank, nicht mehr zu drohen. Aber ist es mit der Abwahl dieser unseligen Bildungsministerin getan?

Auch Clinton und Obama

Das Problem ist, dass die Umgestaltung des Bildungswesens mit all seinen unsinnigen Reformen seit Jahrzehnten im Gange ist und von allen unterstützt wurde, also auch von Clinton und Obama. Die Grundidee dabei war folgende:

Der Weg, Armut, Rassismus, Ungerechtigkeit, Ungleichheit und wirtschaftliche Not zu beheben, bestehe darin, einen Haufen Kinder dazu zu bringen, in einem einzigen, eng gefassten standardisierten Test bessere Ergebnisse zu erzielen; die beste Chance, dies zu erreichen, habe man, wenn man praxisfernen Bildungsökonomen die Gelegenheit gebe, damit viel Geld zu verdienen.

Das war natürlich niemals ein guter Plan. Niemals.

Bildung kann soziale Ungleichheit nicht beheben

Zum einen ist die Fähigkeit der Bildung, soziale Ungerechtigkeit zu beheben, begrenzt. Eine bessere Bildung wird den Mindestlohn nicht erhöhen. Sie wird Armut nicht ausrotten. Und wie uns gerade über all die Jahre lang bewusst geworden ist, wird sie die Menschen nicht einmal mit Sicherheit zu besseren Denkern machen oder sie von Rassismus befreien. Bildung wird einigen Menschen helfen, der Teergrube zu entkommen, aber sie wird die Grube selbst nicht reinigen.

Ein solcher Punktezuwachs war immer das Ergebnis der Testvorbereitung und des Trainings der Testteilnehmer, und diese Art der Vorbereitung ging immer auf Kosten der echten Bildung.

Testzentrierte Bildung verbessert gar nichts.

Aber genau genommen ging es ja nie um Bildung. Es ging um einen mittelmäßigen, computergesteuerten Test, der einmal im Jahr Mathe und Lesen abfragt. Und das ist uns allen bewusst: Niemand wird einen besseren Job bekommen, weil er eine hohe Punktzahl im PARCC-Test erreicht hat. Niemand wird jemals ein glücklicheres, gesünderes Leben führen, nur weil er seine Punktzahl im Großen Standardisierten Test um fünfzig Punkte erhöht hat. Ein solcher Punktezuwachs war immer das Ergebnis der Testvorbereitung und des Trainings der Testteilnehmer, und diese Art der Vorbereitung ging immer auf Kosten der echten Bildung. Jetzt, ein paar Jahrzehnte später, ist belegt, dass testzentrierte Bildung weder die Gesellschaft noch die Schulen noch das Leben der jungen Menschen, die das System durchlaufen haben, verbessert hat.

Verhängnisvolle Allianz

Die Demokraten müssen auch um die Tatsache ringen, dass viele der fehlgeleiteten Ideen, die mit dieser Handlungstheorie verbunden sind, auf ökonomistischen Theorien beruhen, was überhaupt nicht zum traditionellen Inhalt der Demokratischen Partei passt.

Bei der Unterzeichnung von “No Child Left Behind-Akte” standen die Demokraten und Republikaner harmonisch beieinander.

Viel zu lange hielt diese verhängnisvolle Allianz mit den radikalen Marktreformern, glaubte man, dass Wahlfreiheit eine Frage der sozialen Gerechtigkeit sei. Gewiss, als Donald Trump gewählt wurde, begannen sich die Demokraten von den Republikanern hinsichtlich ihrer Bildungspolitik abzuwenden. Aber davor hatten sie der Lehrerschaft ihre Unterstützung versagt, sich von den Gewerkschaften abgewandt und sich in der Vordenkerrolle von Gruppen wie «Democrats for Education Reform» (Demokraten für die Bildungsreform) gefallen, einer Gruppe, die von Hedge-Fonds-Typen gegründet wurde, die den Namen “Demokraten” annahmen, weil ihnen dieser gut klingende Name eine Menge Reputation einbrachte. Das war für den gewaltigen Paradigmenwechsel des US-amerikanischen Bildungssystem verantwortlich.

Diese Allianz bildete die perfekte Suppe für die Fütterung eines marktradikalen Gedankenguts. Und sie bewirkte, dass alles, wofür die Demokraten in der öffentlichen Bildung je gestanden hatten, den Bach runterging.

Die Rückkehr zu den Werten dieser Partei wird somit zwei Hindernisse überwinden müssen. Einerseits braucht es Mut zum Eingeständnis, dass das, wofür man in Kumpanei mit den Reformern eingestanden ist, kolossal gescheitert ist. Und das andere ist, nicht der naheliegenden Verlockung zu verfallen, nun alles auf die Ära Trump/De Vos zurückzuführen. Das wäre mehr als fatal.

Eli Broad, Demokrat und Milliardär: Schulprobleme sind Managementprobleme.

Ich habe in den vergangenen Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass das Grundproblem dieser katastrophalen Entwicklung darin bestanden hat, die Bildung in die Hände ahnungsloser und praxisferner Technokraten gegeben zu haben. Und diese Ermächtigung ging durchaus von beiden Parteien aus.

War es nicht der Milliardär und Demokrat Eli Broad, der immer wieder betonte, dass das Bildungswesen keine Bildungs-, sondern betriebswirtschaftliche Probleme habe und diese am besten von Management-Profis gelöst werden sollten?

In einigen Regionen wurde Bildung von Republikanern und Demokraten zu einem Immobilienproblem umgedeutet, das am besten von Immobilienprofis gelöst werde. Das ökonomistische Modell forderte, dass die Schulen nicht von einem demokratisch bestimmten Laiengremium in der Aufsichtsbehörde oder von einem Haufen Lehrer geführt werden solle, sondern von visionären CEOs, die die Macht erhalten, einzustellen und zu feuern und die Regeln festzulegen, ohne von Vorschriften oder gar den Gewerkschaften gestört zu werden.

Die Demokraten gingen sogar einen Schritt weiter, indem sie die Vorstellung übernahmen, dass alles, was man brauche, um eine Schule zu leiten, eine betriebswirtschaftliche Vision sei ohne irgendeine Art von Fachwissen.

Demokraten mit neoliberaler Überzeugung stimmen dem immer zu. Und sie gingen sogar einen Schritt weiter, indem sie die Vorstellung übernahmen, dass alles, was man brauche, um eine Schule zu leiten, eine betriebswirtschaftliche Vision sei ohne irgendeine Art von Fachwissen. Die Demokraten unter Obama waren dafür verantwortlich, dass unausgebildete “Best and Brightest Ivy Leaguers” in Klassenzimmer geschickt wurden, die dann als Experten Unterricht und Lehrkräfte beurteilten und dazu auch noch gross abkassierten.

Ich wäre viel begeisterter von Biden gewesen, wenn er zu irgendeinem Zeitpunkt im Wahlkampf etwas gesagt hätte wie: “Jungs, wir haben die Bildungspolitik vermasselt.”

Vereinfache ich zu sehr? Mag sein. Aber Sie verstehen meine Skepsis. Die Demokraten kehrten der öffentlichen Bildung und dem Lehrerberuf den Rücken zu. Ein solcher Punktezuwachs war immer das Ergebnis der Testvorbereitung und des Trainings der Testteilnehmer, und diese Art der Vorbereitung ging immer auf Kosten der echten Bildung.Haufen Daten erzeugt, die für alle möglichen Zwecke verwendet werden können (vergessen Sie nie – «No Child Left Behind» wurde als große parteiübergreifende Errungenschaft gefeiert).

Ich wäre viel begeisterter von Biden gewesen, wenn er zu irgendeinem Zeitpunkt im Wahlkampf etwas gesagt hätte wie: “Jungs, wir haben die Bildungspolitik vermasselt.” Ich nehme an, das ist wohl zu viel verlangt. Aber wenn die Demokraten einen Neubeginn in der Bildungspolitik wagen wollen, müssen sie sich von vielem verabschieden, was sie in den letzten Jahrzehnten mitgetragen haben.

Eine Umkehr setzt das Eingeständnis des Scheiterns voraus.

Sie müssen sich von ihrem grossen Irrtum verabschieden, der auf dem fehlerhaften Fundament der standardisierten Tests aufbaut.

Sie müssen zur Erkenntnis gelangen, dass es doch die Lehrkräfte sind, die die wahren Experten auf dem Gebiet der Bildung sind.

Sie müssen akzeptieren, dass Bildung zwar ein mächtiger Motor sein kann, um gegen die Kräfte der Ungleichheit und Ungerechtigkeit anzugehen, dass aber diese Kräfte auch immer das Umfeld prägen, in dem Schulen arbeiten müssen.

Sie müssen aufhören, auf praxisferne Bildungsbürokraten und deren Adlaten aus dem Finanzsektor und der Wirtschaft zu hören. Erfolg in anderen Bereichen qualifiziert jemanden nicht dazu, Bildungspolitik zu machen. Zwei Jahre lang durch ein Klassenzimmer zu kreuzen macht niemanden zum Bildungsexperten. Jeder, der jemals zum Arzt gegangen ist, ist kein medizinischer Experte, jeder, der jemals an seinem Auto gearbeitet hat, ist kein Mechaniker, und jeder, der jemals zur Schule gegangen ist, ist kein Bildungsexperte. Das heißt nicht, dass all diese Menschen nicht etwas zur Bildungsdiskussion beitragen sollten, im Gegenteil. Aber ihnen eine derartige Machtfülle zu verleihen, war ein fataler Fehler – das gilt auch für all die Konzerne des Silicon Valley, die zurzeit mit Macht in die Schulen drängen und den Unterricht auf Algorithmen umstellen wollen.

Sie müssen begreifen, dass Schulen keine Unternehmen sind.

Sie müssen begreifen, dass Schulen keine Unternehmen sind. Ihre primäre Funktion besteht auch nicht darin, Unternehmen mit nützlichen Arbeitsbienen zu versorgen. Bildung muss die Menschen befähigen, mündig zu werden.

Wenn sie mehrere parallele Bildungssysteme mit Charter-Schulen und Gutscheinen und all den Rest weiterbetreiben wollen, müssen sie endlich für Kostentransparenz sorgen und aufhören, Schulen ungleich zu finanzieren.

Sie müssen akzeptieren, dass privatisierte Schulsysteme nicht viel Neues, Revolutionäres oder bisher Unentdecktes in Sachen Bildung hervorgebracht haben. Aber viele von ihnen haben sich einige clevere neue Wege ausgedacht, um Steuergelder zu verschwenden und sich dann davonzumachen.

Das ist meine Botschaft an die Demokraten: Hören Sie auf die Lehrer. Hören Sie auf die Eltern in der Gemeinde, welche die Schule kennen und auf sie angewiesen ist. Werden Sie wieder eine Kraft für die öffentliche Bildung, und lamentieren Sie nicht zu lange über eine verrückte Frau mit einem Flammenwerfer.

Peter Greene

Übersetzung Alain Pichard

 

 

 

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