19. März 2024

Bildung ist nicht gleich Ausbildung

André Vanoncini, ehem. Dozent für franz. Literaturwissenschaft an der Universität Basel, übt massive Kritik an der Ausbildung, wie sie zurzeit an den PH’s betrieben wird. Unter anderem wirft er ihnen vor, trotz sehr schlechter Rückmeldungen ein “business as usual” zu betreiben.

André Vanoncini, ehem. Dozent an der Universiät Basel: Es bleibt alles beim Alten.

Der seit 30 Jahren andauernde Prozess der Globalisierung hat sämtliche Lebensbereiche erfasst und in seine Abhängigkeit gebracht. Jeder Mensch droht dabei ein Rädchen in einer weltumspannenden Profitmaschinerie zu werden. Betrieben wird diese Profitmaschinerie durch Spezialisten, beraten von Experten, gesteuert durch Manager und inspiriert von Hightech-Genies. Nun zeigen sich erstmals grössere Risse im Modell. Die Umweltproblematik und die Corona-Krise haben Verwerfungen bewirkt und die Individuen zur fundamentalen Hinterfragung ihrer gesellschaftlichen Aufgabe herausgefordert.

Natürlich sind der Schul- und der Studienbereich von dieser Entwicklung nicht ausgenommen. Bekanntlich wurde in den vergangenen Jahrzehnten der Ausbildung höchste Priorität eingeräumt. Die Auszubildenden sollten durch entsprechend instruierte Ausbilder zu möglichst funktionstauglichen Leistungsträgern herangezogen werden. Die Entwicklung der Persönlichkeit und ihres kulturellen Verständnisses – also die Bildung – rückte dabei in den Hintergrund.

Unterrichtende  sind aus dieser Perspektive Ausführende einer expertenbasierten Lerntechnologie.

PH FHNW: Treiber einer verheerenden Entwicklung

Als mächtige Treiber dieser Veränderung haben sich (in paradoxer Verleugnung ihrer humanistischen Tradition) die Pädagogischen Hochschulen erwiesen. Sie verstehen sich längst nicht mehr als Bildungsinstitutionen für zukünftige Lehrpersonen, sondern als Steuerungsorgan des gesamten Erziehungsbereichs. Sie liefern die Konzepte für Schulaktivitäten auf allen Stufen. Beispiele sind der Lehrplan 21, die Mehrprachigkeitsdidaktik, die geleitete Schule, Unterrichtsvermessung, Lernateliers, Sammelfächer und darauf abgestimmte Studiengänge für zukünftige Lehrpersonen. Unterrichtende sind aus dieser Perspektive Ausführende einer expertenbasierten Lerntechnologie. Erziehungsdirektionen und ihre Verwaltungen sorgen für die Umsetzung der „wissenschaftlichen“ Vorgaben. Es ist diesbezüglich aufschlussreich, die Funktionsbeschreibungen von PH-Dozierenden anzuschauen. Die meisten erscheinen als Vertreter von technischen Spezialitäten oder als Betriebsmanager.

Es ist diesbezüglich aufschlussreich, die Funktionsbeschreibungen von PH-Dozierenden anzuschauen. Die meisten erscheinen als Vertreter von technischen Spezialitäten oder als Betriebsmanager.

Leider hat diese oft in vorauseilendem Gehorsam erfolgte Übernahme der oben erwähnten Globalisierungstendenzen zu keinen nennenswerten Erfolgen im Schulbereich geführt. Im Gegenteil: Passepartout, von Unterrichtstheoretikern entworfen und der Lehrerschaft aufgezwungen, hat sich inzwischen als millionenteurer Fehlschlag erwiesen und wird zurzeit in verschiedenen Kantonen diskret entsorgt. Kompetenzorientierung, selbstgesteuertes Lernen und Volldigitalisierung werden ihre Verheissungen ebenfalls nicht erfüllen können. Die grössten Leidtragenden solcher Exzesse sind leider die SchülerInnen.

Ausnahmslos schlechte Rückmeldungen

Nun kommt es auch vor, dass sich die Expertengemeinschaft dem von ihr entwickelten Instrumentarium selbst unterzieht und eine Selbstdurchleuchtung veranlasst. So hat die pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (PH/FHNW) im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte mehrmals auf verschiedenen Niveaus Zufriedenheitsumfragen bei ihren Studierenden durchgeführt. Die Resultate waren ausnahmslos schlecht. Anstatt Konsequenzen zu ziehen, die der von ihr selbst proklamierten Kundenfreundlichkeit entsprechen würden, begnügte sich die PH mit Optimierungsversprechen und beliess alles beim Alten. Die Gründe dafür sind vielfältig. Es geht einerseits um Betriebsblindheit und politische Zwänge, andererseits um Posten und Prestige.

Die erste Eigenschaft wird am besten durch Fachvertreter der Universität gewährleistet. Die zweite erfährt eine optimale Förderung durch erfahrene Lehrpersonen.

Miserable Feedbacks der Studierenden

Es wurde jedenfalls offensichtlich, dass eine Wende zum Besseren nicht durch innere Reformen der Institution gelingen kann. Sie ist nur über eine der heutigen Krise entspringende Neubewertung zu bewerkstelligen. Grundsätzlich ist dabei die Bildung wieder vor die Ausbildung zu stellen. SchülerInnen dürfen nicht  zum Humankapital für gewinnbringende Investitionen in die Zukunft werden. Erstes Ziel muss es sein, sie zu urteilsfähigen Mitgliedern in einer Solidargemeinschaft heranwachsen zu lassen. Um sie dahin zu bringen, braucht es inhaltlich und unterrichtspraktisch gebildete Lehrpersönlichkeiten. Die erste Eigenschaft wird am besten durch Fachvertreter der Universität gewährleistet. Die zweite erfährt eine optimale Förderung durch erfahrene Lehrpersonen. Den Pädagogischen Hochschulen bleibt die wichtige Aufgabe vorbehalten, pädagogische und didaktische Inhalte zu vermitteln.

In einem solchen Rahmen wird das Zusammenspiel von Bildung und Ausbildung als identitätsstiftende Grundlage für Lehrpersonen und Schülerschaft ermöglicht. Unser Land ist mit Recht stolz darauf, eine bürgernahe Demokratie zu sein. Damit dies so bleiben kann, sind alle dazu aufgerufen, sich  der im Gefolge der Globalisierung erfolgten Entmündigung entgegenzustellen. Die Lehrpersonen haben dabei eine besondere Verantwortung. Mit unser aller Unterstützung können sie diese zurückgewinnen.

 

André Vanoncini, ehem. Dozent für franz. Literaturwissenschaft an der Universität Basel

Verwandte Artikel

Schweizer Maturität – Quo vadis?

Praktisch geräuschlos läuft im Moment eine Vernehmlassung im Rahmen der sogenannten „Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität“ (WEGM). In einem ersten Schritt geht es um die Reform des Maturitätsanerkennung-Reglements resp. der -Verordnung (MAR/MAV, im Grunde deckungsgleich). Ein weiterer Reformschritt wird in einem Jahr folgen, wenn es um einen neuen gesamtschweizerischen Rahmenlehrplan (RLP) gehen wird, wofür lediglich noch eine „Anhörung“ geplant ist. Wieso diese Reformen? Gastautor René Roca analysiert diese neuste Reformbestrebung und stellt sie in einen grösseren Zusammenhang.

Frühfranzösisch – jetzt auch Basel-Stadt

Die Reform der Sprachbildung in Schulen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Frühfranzösisch, wird immer wieder diskutiert. Dies löst auch politische Reaktionen in den Passepartout-Kantonen aus, die insbesondere eine Verbesserung der Fremdsprachenstrategie und ebenso höhere Sprachkompetenzen der Schülerinnen und Schüler in Deutsch zum Ziel haben. Ein Gastbeitrag von Sandra Bothe- Wenk, Grünliberale Kantonsrätin in Basel-Stadt.

2 Kommentare

  1. Zitat 1: “SchülerInnen dürfen nicht zum Humankapital für gewinnbringende Investitionen in die Zukunft werden.”
    Mein Kommentar: Wenn die Schulabgänger am Ende der obligatorischen Schulzeit dank einem erfolgreichen Unterricht stark sind im Lesen, Rechnen und Schreiben, haben sie gewinnbringend in ihre eigene Zukunft investiert. Zudem haben sie beste Voraussetzungen geschaffen, an Bildung weiter zuzlegen.

    Zitat 2: “Erstes Ziel muss es sein, sie zu urteilsfähigen Mitgliedern in einer Solidargemeinschaft heranwachsen zu lassen.”
    Mein Kommentar: Urteilsfähig klingt gut, aber ich glaube, es gibt einige Lehrer und Lehrerinnen, die verwechseln das Ziel Urteilsfähigkeit mit der Vermittlung ihrer persönlichen (Wert-)Urteile. Zudem: Man wüsste gerne genauer, an was für eine “Solidargemeinschaft” der Autor denkt, damit man darüber weiter debattieren könnte. Es gibt sicher eine gewisse Anzahl Menschen, die möchten sich ihre Solidargemeinschaft selber aussuchen, wenn überhaupt.

    1. Hans Rentsch hat André Vanoncini missverstanden oder missverstehen wollen: Es geht gerade darum, dass Lernende Lesen, Schreiben, Rechnen und vieles andere um ihrer selbst willen lernen sollen und die Möglichkeiten, die sie damit erwerben, autonom entdecken und einsetzen sollen. Denn die unverzweckte Förderung und Entfaltung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten ist das in der Verfassung verankerte humanistische Bildungsziel. Die Reformen der letzten Jahre, insbesondere der Lehrplan 21 mit seiner Kompetenzorientierung und Standardisierung binden den Unterricht jedoch an Ziele, die von Anfang an der nützlichen Anwendung verpflichtet sind. Das Bildungsziel wird umgedeutet: In Kinder und Jugendliche wird investiert, damit sie bestimmte Aufgaben lösen können, so wie Maschinen konstruiert werden, damit sie bestimmte Waren herstellen oder Dienstleistungen erbringen können. Insofern werden Lernende nicht mehr als autonome Menschen mit Entwicklungspotenzial gesehen, sondern als Funktionsträger, die auf die Erledigung von Aufgaben getrimmt werden sollen, eine Sichtweise, die Bildung dehumanisiert, eine zweckfreie Entfaltung des Potenzials als Zeitverschwendung ächtet. Damit einher gehen methodisch-didaktische Verfahren, die nicht mehr den kognitiven und praktischen Lernprozess, sondern «outputorientiert» das Messresultat der Aufgabenerfüllung im Fokus haben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert