26. April 2024

Lehrmittelfreiheit in Basel-Stadt: Die Starke Schule beider Basel lässt nicht locker

Die Starke Schule beider Basel hält an ihrer Initiative für die Lehrmittelfreiheit fest. Und dies, obwohl der Vorsteher des Erziehungsdepartements Cramer gestern eine – allerdings sehr begrenzte – Lehrmittelfreiheit in Aussicht gestellt hat. Ein befürchteter Zankapfel könnten – wieder einmal – die Lehrmittel der Passepartout-Reihe sein. An einer Pressekonferenz orientierten die Initianten über ihre Beweggründe. Der Condorcet-Blog berichtet.

Alina Isler vertrat die Position der Initianten:
Wir haben keine Garantien und auch kein Vertrauen.

Bildungsdirektor Cramer sei zwar bereit, für die Fächer Mathematik, Deutsch und Französisch jeweils ein alternatives Lehrmittel auf die Lehrmittelliste setzen zu lassen. Allerdings bestehe die Befürchtung, dass Cramer an Passepartout und dessen fehlgeschlagenen Mehrsprachendidaktik festhalten wolle. Bis heute habe er dies nie negiert. Sämtliche Äusserungen gingen im Gegenteil in die Richtung, dass es keinen Handlungsbedarf gebe, aus Passepartout auszusteigen, und die Lehrpersonen mit Mille feuilles gut arbeiten könnten. Dies waren die Aussagen von Jürg Wiedemann auf unsere Frage, weshalb man an der angekündigten Volksinitiative festhalten müsse. Und Wiedemann fügt noch hinzu, dass zwar neben Mille feuilles jetzt noch ein zweites Lehrmittel auf die Lehrmittelliste gesetzt werde, wie z.B. “Dis donc”, dieses aber  ebenfalls die Passepartout-Ideologie umsetze. Von Alina Isler erhielten wir untenstehende Medienmitteilung zugeschickt.

Die Starke Schule beider Basel lanciert heute ihre erste Bildungsinitiative im Kanton Basel-Stadt mit dem Titel «Lehrpersonen dürfen diejenigen Lehrmittel einsetzen, mit welchen sie die Schüler/-innen am besten fördern können». Angestrebt wird eine «echte» Lehrmittelfreiheit, welche den Lehrpersonen ermöglicht, die Passepartout-Lehrmittel «Mille feuilles», «Clin d’oeil» und «New World» durch bewährte und klar strukturierte Lehrmittel zu ersetzen.

Die Ergebnisse von rund 4’400 Schüler/-innen im Fach Französisch am Ende der Primarschulzeit, welche vom Institut für Mehrsprachigkeitsdidaktik der Universität Fribourg analysiert wurden, sind für die beiden Basler Halbkantone vernichtend ausgefallen: Kein Kanton ist schlechter als Baselland und Basel-Stadt.

Schlagzeile in der BAZ. Dieses Lehrmittel ist nicht mehr haltbar.

Die beiden Basler Halbkantone handeln unterschiedlich

Baselland reagierte dank dem öffentlichen Druck und zwei kantonalen Volksinitiativen ausgesprochen schnell und hat eine «geleitete» Lehrmittelfreiheit realisiert. Seit dem 1. Januar 2020 ist eine entsprechende Gesetzesänderung in Kraft, und ab dem kommenden Schuljahr können die Lehrpersonen in den Fächern Französisch und Englisch die Passepartout-Lehrmittel durch andere bewährte Lehrmittel ersetzen, die sich nicht an der gescheiterten Passepartout-Ideologie ausrichten. Einzig für die 3./4. Primarklasse bleibt «Mille feuilles» bis Mitte 2021 das einzige Lehrmittel auf der Lehrmittelliste. So erfreulich die Situation in Baselland ist, so wenig tut sich in Basel-Stadt.

Im Stadtkanton ist eine entsprechende Gesetzesänderung nicht in Sicht. Die Starke Schule beider Basel lanciert deshalb heute eine formulierte Initiative, welche auch im Stadtkanton eine «echte» Lehrmittelfreiheit fordert.

Lehrmittelliste nur mit Passepartout-Lehrmitteln ist keine Option

Das Erziehungsdepartement hat gestern in einer Medienmitteilung zwei Kernaussagen gemacht:

  1. Der Erziehungsrat ist bereit, für das Fach Mathematik ab dem kommenden Schuljahr 2020/21 ein alternatives Lehrmittel auf die Lehrmittelliste zu setzen.
  2. In einigen Monaten sollen weitere Entscheide fallen, welche die beiden Fächer Deutsch und Französisch betreffen.

Diese Ankündigungen sind alles andere als eine Garantie, dass die Lehrpersonen künftig in den beiden Fremdsprachen Französisch und Englisch bewährte Lehrmittel einsetzen können, die klar strukturiert sind und Grundwortschatz, Grammatik und Orthographie schrittweise aufbauen.

Regierungsrat betonte, am Fremdsprachenkonzept Passepartout festhalten zu wollen

Bis heute hat das Erziehungsdepartement keine Aussage gemacht, von der Passepartout-Ideologie wegkommen zu wollen. Ganz im Gegenteil: Der Regierungsrat betonte stets, am Fremdsprachenkonzept Passepartout festhalten zu wollen. Ein denkbares Szenario könnte sein, dass die Lehrpersonen in den beiden Fremdsprachen Französisch und Englisch zwischen zwei verschiedenen Lehrmitteln auswählen können, die sich aber beide nach der Passepartout-Ideologie richten und das Erziehungsdepartement dies als «Lehrmittelfreiheit» verkauft. Eine Lehrmittelliste mit einem zweiten Lehrmittel, welches ebenfalls der Passepartout-Ideologie folgt, bezeichnen jedoch nicht als «echte» Lehrmittelfreiheit und ist für uns keine Option. Denn es ist in erster Linie die Passepartout-Ideologie, welche für die katastrophalen Ergebnisse der Schüler/-innen verantwortlich ist.

Im Dezember 2019 haben wir ein Initiativkomitee zusammengestellt und Regierungsrat Cramer, die Mitglieder des Grossrats, rund 1’000 Basler Lehrpersonen sowie die Freiwillige Schulsynode (FSS) informiert. Offensichtlich haben wir damit in ein Wespennest gestochen und sowohl beim Regierungsrat als auch der FSS Reaktionen ausgelöst.

Initiativtext

Die Initiative strebt drei Änderungen im Schulgesetz an:

  • In §68, Abs. 4 wird neu festgehalten, dass die Lehrpläne nicht auf eine bestimmte Methodik oder Didaktik ausgerichtet sind und den Lehrpersonen eine Auswahl an Lehrmitteln zulassen. Die Lehrpersonen können damit frei entscheiden, wie sie ihren Unterricht gestalten (lehrerzentriert, Gruppenarbeit, projektartig usw.). Aufgrund dieses Artikels muss der heute gültige Lehrplan nicht geändert werden.
  • In einem neuen §68c wird festgehalten, dass jede einzelne Lehrperson frei entscheidet, welche Lehrmittel sie in ihren Unterricht einsetzen will. Ebenso werden in diesem Paragraphen die Einschränkungen formuliert (Einhaltung des Lehrmittelkredites, Einhaltung allfälliger Schranken von Harmos, Erreichung der Lernziele des Lehrplans, keine religiösen und sektiererischen sowie politisch einseitigen Lehrmittel). Festgehalten wird in diesem Absatz ebenfalls, dass in den Fremdsprachenlehrmitteln Orthographie, Grammatik und Grundwortschatz schrittweise aufgebaut werden müssen.
  • In §79 wird festgehalten, dass der Erziehungsrat für jede Stufe und jedes Fach eine Lehrmittelliste mit mehreren Lehrmitteln erstellt, welche er den Lehrpersonen vorschlägt. Diese Lehrmittel sind für die Lehrpersonen nicht verpflichtend. Allerdings sind diese Lehrmittel geprüft und es ist sichergestellt, dass diese Lehrmittel alle notwendigen Bedingungen erfüllen. Wird der Erziehungsrat ausgewogene und bewährte Lehrmittel auf die Lehrmittelliste setzen, die in den Fremdsprachen nicht der Passepartout-Ideologie folgen, so werden die allermeisten Lehrpersonen diese Lehrmittel verwenden und höchstens in Ausnahmefällen und punktuell auf ein vom Erziehungsrat nicht geprüftes Lehrmittel zurückgreifen.

Kritik unter dem Mantel des Schweigens halten

Dem Erziehungsdepartement ist es immer wieder gelungen, Kritik der Bildungsexperten und Lehrpersonen an den Bildungsreformen erfolgreich in Schranken zu halten.

Die Starke Schule beider Basel möchte diesem Zustand mit einer offenen und transparenten Bildungspolitik entgegenwirken. Die Lehrpersonen sollen gestärkt werden und mehr Verantwortung und Entscheidungskompetenzen erhalten. Fliesst ihre Expertise und Berufserfahrung direkt in die Bildungspolitik ein, können Fehlentwicklungen gestoppt werden, bevor sie Schaden zulasten der Schüler/-innen anrichten.

Breit abgestütztes Initiativkomitee

Im Komitee: Berfim Pala (SP), Philipp Schopfer (SVP), Aline Isler (Starke Schule), Nadine Gautschi (FDP) und Katja Christ (GLP). Foto: Lucia Hunziker, BAZ

Der Vorstand der Starken Schule beider Basel ist überrascht, auf welches hohe Interesse diese Initiative im Stadtkanton sowohl in der Politik als auch bei der Bevölkerung gestossen ist. Das zeigt sich im Initiativkomitee, welches aus 49 Personen aus nahezu dem gesamten politischen Spektrum besteht. Darunter sind zahlreiche aktuelle und ehemalige Grossräte und Grossrätinnen, Parteipräsidenten, Lehrpersonen und auch Eltern. Beachten Sie die Liste der Mitglieder des Initiativkomitees in ihren Unterlagen. Wir freuen uns, eine solch breit abgestützte Initiative nun an die Öffentlichkeit tragen zu können. Den Unterschriftenbogen finden Sie auf der Webseite der Starken Schule.

Mit der Lancierung dieser Initiative möchten wir auch einen sanften Druck auf das Erziehungsdepartement ausüben. Das Thema Lehrmittelfreiheit kommt nun definitiv auf die politische Bühne. Regierungsrat Cramer stehen ab heute rund 3 – 4 Jahre zur Verfügung, um eine entsprechende breit unterstützte Gesetzesänderung in Kraft zu setzen.  Nimmt er nicht Abstand von der gescheiterten Passepartout-Ideologie, so wird das Volk über die vorliegende Gesetzesänderung abstimmen. Wir sind zuversichtlich, dass die Stimmberechtigten auch in Basel-Stadt «Mille feuilles» ersetzen möchten.

Wir freuen uns auf die anstehende bildungspolitische Arbeit im Kanton Basel-Stadt.

 

Verwandte Artikel

LEHRPERSONENMANGEL: WAS SICH ÄNDERN MUSS

Um dem sich verschärfenden Lehrpersonenmangel wirksam entgegentreten zu können, braucht es Anpassungen hinsichtlich Anstellungsbedingungen, Integration und Ausbildung, einen Abbau der Bürokratie sowie eine Reduktion der Anzahl Ansprüche an Schule und Lehrpersonen auf ein leistbares Mass. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie des Lehrerinnen- und Lehrervereins LVB. Sie basiert auf einer inhaltlich umfassenden, repräsentativen Umfrage unter Baselbieter Lehrkräften aller Stufen. Mit 1072 Teilnehmenden handelt es sich um die schweizweit grösste von einem Berufsverband durchgeführte Befragung zum Lehrpersonenmangel seit dessen Akzentuierung. Der LVB fordert einen Mix aus personal- und bildungspolitischen Massnahmen und ortet den dringlichsten Handlungsbedarf auf der Primarstufe. Die Redaktion des Condorcet-Blogs veröffentlich die Medienmitteilung des lvb.

Glenn Youngkins Angriff auf die “Kritische Rassentheorie» – Was soll Literatur im Unterricht?

Dass in den USA zurzeit ein heftiger Kulturkampf herrscht, dürfte auch in Europa bekannt sein. Er macht auch nicht vor den Schulen halt, wo Eltern immer mehr mitbestimmen wollen, was ihre Kinder im Unterricht lesen dürfen. Der überraschende Sieg des republikanischen Kandidaten Glenn Younking in der Governeurswahl von Virginia beruhte auch auf dessen Unterstützung dieser Elternbewegung. Diane Ravitch beleuchtet diesen Teil des Wahlkampfes und erklärt in ihrem Beitrag, warum Literatur auch erschreckend und verstörend sein soll.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert