„…wenn das in diesem Stil weitergeht, werde ich bald wieder mein Abo wechseln..“
Der Anlass für diese Drohung: In der „BaZ“ erschienen Kommentare, die sich kritisch mit der epidemischen Parkplatz-Hysterie der bürgerlichen Parteien und der Wirtschaftsverbände auseinandersetzten. Der empörte Online-Leserbriefschreiber H.M. kann diese Meinung offenbar nicht verkraften und sucht nun nach einer Zeitung, die ausschliesslich seine eigenen Positionen vertritt. Oder er führt künftig nur noch Selbstgespräche vor dem Spiegel.
Mit Köppels politischen Ansichten habe ich nichts zu tun
Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Deshalb gleich noch eine Vorbemerkung. Mit Roger Köppels politischen Ansichten habe ich nichts am Hut. Mit der braunlackierten AfD schon gar nicht. Entsprechende Verdächtigungen entbehren also jeder Grundlage.
Den Weltwoche-Schreibern wurde ohne erkennbares Fehlverhalten aufgrund ihrer politischen Gesinnung ein Restaurantverbot erteilt.
Traditionellerweise hält die Weltwoche-Crew ihre wöchentlichen Themensitzungen in der linken Zürcher Buch-Bar Sphères ab. Unmittelbar neben dem Sitz der Redaktion. Nachdem sich mehrere Gäste durch die rechtskonservativen Journalisten gestört fühlten und sich beim Personal beschwert hatten, wurde eine erneute Reservation nicht mehr entgegen genommen. (TA, 25.10.2019)
Als Köppel, immerhin ein demokratisch gewählter Nationalrat, in den heiligen Hallen der Universität Basel auftrat, provozierte dieser Anlass, eigentlich eine Selbstverständlichkeit, sogar eine Interpellation im Parlament. Aus der „linken“ Ecke notabene.
Leider muss man feststellen, dass die Bereitschaft, abweichende politische Meinungen zu ertragen, insbesondere in jenem gesellschaftlichen Spektrum schwindet, das in den Medien fälschlicherweise „links“ genannt wird. Die alarmierenden Beispiele häufen sich.
Schauplatz Universität Hamburg. Dort lehrte früher der AfD-Gründer Bernd Lucke als Wirtschaftsprofessor. Nach seinem Parteiaustritt wirkte er einige Jahre als Europaabgeordneter in Brüssel. Eine Wiederaufnahme seiner Tätigkeit als Professor verhinderten Mitglieder des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der Universität, indem sie zwei Vorlesungen von Lucke stürmten. „Nazischweine raus aus der Uni!“ und „Wir geben ihnen die Möglichkeit, den Saal friedlich zu verlassen“, wurde über ein Megafon verkündet. Beide Vorlesungen mussten abgebrochen werden.
Schauplatz Altes Rathaus Göttingen. Literaturherbst. Der frühere Innenminister Thomas de Maizière will aus seinem Buch „Regieren. Innenansichten der Politik“ lesen. Eine selbsternannte „Basisdemokratische Linke“, teilweise vermummt, unterstützt von der Ortsgruppe Fridays for Future, blockierte das Gebäude und verhinderte den Anlass. Als Begründung wurde angegeben, de Maizière sei mitverantwortlich für das EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei zur Eindämmung der Flüchtlingsströme auf de Balkan-Route.
Schauplatz Bern. Alain Pichard, Lehrer, ehemaliger GLP-Stadtrat und engagierter Kritiker unausgegorener Schulreformen wird als „schmieriger Polizeispitzel“, „Denunziant“, „Ratte“ und „Zwerg“ beschimpft, der „jetzt endlich bei den Rassisten gelandet ist, bei den Fremdenfeindlichen, also genau dort, wo er und seinesgleichen schon immer hingehört haben, beim politischen Abschaum.“
Diese Ausdrücke stammen nicht aus dem „Wörterbuch des Unmenschen“, und wer bei der Bezeichnung „Abschaum“ an ein Donald Trump-Tweet denkt, liegt ebenso falsch.
Autor der widerlichen Beschimpfung ist vielmehr ein leibhaftiger Träger des Berner Literaturpreises. Alex Gfeller. Abgedruckt in seinen Tagebüchern. Band 1. (Books on Demand) Die Worte liegen nur knapp unterhalb der Grenze zur Gewaltaufforderung. Statt eines Proteststurms löste das Buch Begeisterung im Feuilleton aus.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier findet zu dieser Art von „Gesprächskultur“ deutliche Worte: „Was wir nicht brauchen können, sind aggressive Gesprächsverhinderungen, Einschüchterung und Angriffe. (…) Andere zum Schweigen bringen zu wollen, nur weil sie das eigenen Weltbild irritieren, ist nicht akzeptabel.“ Schon gar nicht an Universitäten und in Hörsälen.
Zur DNA der demokratischen Linken gehört seit jeher der Einsatz für das Recht auf freie Meinungsäusserungsfreiheit. Unabhängig von der politischen Herkunft.
Wer sich an solchen Aktionen beteiligt oder sie auch nur stillschweigend billigt, darf sich nicht links nennen. Zur DNA der demokratischen Linken gehört seit jeher der Einsatz für das Recht auf freie Meinungsäusserungsfreiheit. Unabhängig von der politischen Herkunft.
Fast auf den Tag genau vor 50 Jahren hat der Sozialdemokrat Willy Brandt, ein Emigrant und Widerstandskämpfer unter den Nazis, in seiner ersten Regierungserklärung „ausserordentliche Geduld im Zuhören“ und eine „ausserordentliche Anstrengung, sich gegenseitig zu verstehen“ gefordert.
Man kann nicht behaupten, dass wir diesem Ziel in der Zwischenzeit näher gekommen sind.
Dieser Beitrag ist zuerst in der Basler Zeitung erschienen
Roland Stark