23. Dezember 2025
Weihnachten an den Schulen

Lasst den Kinder die Weihnachten

Condorcet-Autor Alain Pichard ist ein bekennender Atheist. Dennoch hat er überhaupt keine Mühe, Weihnachten zu feiern, biblische Geschichten zu erzählen und mit seinen Schülern in einer Kirche Weihnachtslieder zu singen. Denn: Poetisches Sprechen öffnet den Raum und sieht die Schönheit, und das Gute, und das Warten auf die gute Zukunft.

Letzthin las ich meinen Grosskindern eine Geschichte vor, in der es um eine Frau ging, die immer am gleichen Ort Weihnachtsbäume verkaufte. Ein kleiner Junge gewann ihre Freundschaft und half ihr bei ihrem Geschäft. Jedes Jahr stellten die beiden die Tannen auf, verpackten sie, verkauften sie, putzten anschliessend den Platz und wurden dabei immer älter. Die Geschichte endete damit, dass die alte Frau eines Tages nicht mehr arbeiten konnte und die Tätigkeit ihr Ende fand, die Freundschaft aber weiterging. Unweigerlich kam das Gespräch auf den nahenden Tod der Frau. Mein Grosskind erzählte mir von einem anderen Buch, in der eine Eisbärmutter starb, aber ihr Kind vom Himmel aus beschütze. Die 2.Klässlerin gab dieses Buch leidenschaftlich wieder, erzählte vom lieben Gott und davon, dass der Junge und die alte Frau sich ja sicher auch im Himmel wiederbegegneten. Mein Sohn blickte mich etwas verlegen an und meinte fast entschuldigend, das wäre eben ein religiöses Buch gewesen.

Alain Pichard, Lehrer Sekundarstufe 1, GLP-Grossrat im Kt. Bern und Mitglied der kantonalen Bildungskommission: 

Damit ist viel über unsere Familie gesagt. Ich wuchs selbst in einem uratheistischen Milieu auf. Mein Vater war antiklerikal und verbot uns, in die Kirche zu gehen. Meine Mutter hingegen schickte uns in den Religionsunterricht und wir hingen dort an den Lippen von Frau Schatz, die uns die Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament erzählte.

Professor für Bioökonomie Jan Grossarth: Biblische Geschichten lesen, heisst poetisch lesen.

Der Wissenschaftsjournalist und Professor für Bioökonomie Jan Grossarth schrieb kürzlich in der WELT: « Mit Kindern über Glauben sprechen heißt, poetisch sprechen. Poetisches Sprechen öffnet den Raum und sieht die Schönheit, und das Gute, und das Warten auf die gute Zukunft. Im Advent wartet Maria auf den Sohn, und die Hirten warten auch, und auch die Weisen aus dem Morgenland. Es genügt im Grunde, die Geschichten darüber zu lesen, die Lieder darüber zu singen.»

Warum fällt uns das so schwer? Warum diskutieren wir an Lehrerkonferenzen über die Semantik eines Weihnachtskonzerts, benennen Weihnachtsmärkte in Lichterfeste um oder sorgen uns um die Gefühle unserer muslimischen Mitbürger?

Die Bibel ist kein Regelwerk, sondern ein Kosmos, in dem die Glaubenserfahrungen von Jahrtausenden stecken. Der Journalist Frank A. Meyer nannte es kürzlich das klügste Buch der Welt. Kinder verstehen das. Wer sie zu früh mit dem Holzhammer der Ratio bedrängt, raubt ihnen etwas. Kindern Geschichten zu erzählen, bedeutet, sie zur Fantasie zu erziehen. Und wer – wie ich – letztes Jahr seine 3. Klässler in der Kirche in Pieterlen ein Adventskonzert singen liess, in die leuchtenden Augen sah, spürte, dass hier nicht Kinder zum Glauben erzogen werden, sondern dass von ihnen die Kraft der Fantasie und der Stolz auf uns Erwachsene überging.

Es ist nicht zu übersehen, dass uns das religiöse Bekenntnis heute große Probleme bereitet. Islamismus, christlicher Fundamentalismus und auch die jüdischen Ultraorthodoxien, die sich vom Dialog abwenden, sind Beispiele. Sie geben Anschauung dafür, wie die Religion Menschen trennt.

Damit treibt man Kindern viel zu früh jeden Gedanken an ein Geheimnis aus.

Wir sollten diesen Weg nicht gehen. Lasst uns diesen Advent gemeinsam feiern, die alten Bücher hervornehmen, Mut haben, auch biblische Geschichten zu erzählen, solange Kinder dafür noch offen sind. Es ist keine Indoktrination, muslimische Kinder christliche Lieder singen zu lassen. Wer mit Kindern singt, ihnen biblische Texte vorliest, erzeugt Hoffnung, Vertrauen und Mitgefühl. Mit dem Vorlesen der

Gaby Gagea: Brennt in dir noch ein kleines Licht?

Weihnachtsgeschichte lässt man die Kinder auf den Advent warten. Warten. Das ist in unserer ungeduldigen Zeit und in den durchkommerzialisierten Weihnachtstagen, die immer früher beginnen, ein scheinbar hoffnungsloses Unterfangen. Und es gibt immer mehr Erwachsene, die können auch nicht damit warten, die Kinder mit dem Urknall, mit Darwin und der Sexualkunde zu belehren. Damit treibt man Kindern viel zu früh jeden Gedanken an ein Geheimnis aus. Mit 16 Jahren dürfen Jugendliche über ihre Religionszugehörigkeit entscheiden. Bis dahin soll man sie zu starken und mündigen Wesen erziehen. Biblische Geschichten tragen dazu bei. Der maronitisch-katholische Pfarrer Gaby Geagea meinte verschmitzt: „Vielleicht beginnt Glaube genau dort, wo wir nicht mehr wissen, worauf wir warten sollen. Advent fragt uns nicht: Bist Du bereit? Sondern: Brennt in dir noch ein kleines Licht, das niemand bemerkt außer Gott?“ Genau dieses Feuer strahlte mein Grosskind aus.

 

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Der Autor, Edouard Kaeser, Physiker, Jazzmusiker und Publizist hat auch schon im Condorcet-Blog publiziert. Sein Zitat stammt aus einem längeren Impulsreferat zum Thema “Fake News” und wurde in der NZZ (21.20.20) publiziert.

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