22. Dezember 2024

Foirwer retete eine oile aus dem Stal

Condorcet-Autor Roland Stark veröffentlichte den nachfolgenden Artikel bereits vor einem Jahr in der BAZ. Er hatte die Bonner Studie von Frau Prof. Una Röhr-Sendlmeier bereits vor einem Jahr studiert (der Condorcet-Blog veröffentlichte dazu einen Bericht: https://condorcet.ch/2019/07/schreiben-nach-gehoea-kinder-werden-systematisch-in-die-irre-gefuehrt/). Angeregt durch den Beitrag des Kölner Stadtanzeigers schickte er uns seine damalige Kolumne. Bissig und amüsant wie immer….

Der Zwischenfall ist noch in bester Erinnerung: Ich war schon nicht mehr als Heilpädagoge in einer eigenen Klasse beschäftigt, sondern als mobiles Einsatzkommando. Ein Saisonarbeiter auf Abruf. Vor mir ein Stapel Aufsatzhefte zum Korrigieren. Zeitformen, logischer Aufbau, Gliederung mit Einleitung, Hauptteil, Schluss. Spannungsbogen, Fantasie etc. Das Übliche. Als ich dann aber auch noch die Rechtschreibfehler anstrich, kassierte ich einen Zusammenschiss der Deutschlehrerin, die mich unverblümt als pädagogischen Hinterwäldler beschimpfte. Tatort: eine 6. Klasse der Primarschule, damals noch Orientierungsschule genannt.

Bild: api

Offenbar liess sich die Kollegin von der an sich löblichen Grundhaltung leiten, die Lust am kreativen Text, Spass und Freude seien für die Schülerinnen und Schüler wichtiger als Orthografie und Grammatik. Die Methode «Lesen durch Schreiben» stammt ursprünglich vom Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen. Gearbeitet wird mit einer Anlauttabelle. Dabei ist der Anlaut mit einem Bild verbunden: mit B eine Banane, S mit Suppe oder A mit Affe. Die Kinder schreiben nach Gehör, ohne Rücksicht auf die lästige Rechtschreibung.

In einem Aufsatz über seinen Berufswunsch darf das Kind also unbeschwert von Regeln und ohne störendes Meckern von Eltern oder Lehrern schreiben: «Schpäta möchte ich ainmal ain übasätuza für die fereinten nazionen werdn.»

Orthografie ist wie Lesen eine Kernkompetenz und sollte in den ersten Schuljahren geübt werden.

Zwar wird «Schreiben nach Gehör» in den Schweizer Schulen kaum noch in lupenreiner Form angewendet. Die Vernachlässigung eines regelmässigen und systematischen Rechtschreibeunterrichts zieht sich wie ein roter Faden durch den Sprachunterricht. Die Weisheit «Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr» ist in Vergessenheit geraten oder im «Sprachbad» abgesoffen. Orthografie ist wie Lesen eine Kernkompetenz und sollte in den ersten Schuljahren geübt werden. «Ohne Fleiss kein Preis» heisst denn auch eine andere missachtete Weisheit.

Entsprechend häufen sich die Klagen der Anschlussschulen, dass sie die Defizite aus der Grundschule ausbügeln müssten und auch die Universitäten bemerken eine wachsende Rechtschreibeschwäche ihrer Studienanfänger.

Prof. Una Röhr-Sendlemeier, Autorin der Bonner Studie

Munition für die Gegner der «Reichen-Methode» liefert nun eine Studie von Bonner Bildungsforschern. Die Wissenschaftler untersuchten die Rechtschreibeleistungen von mehr als 3000 Grundschülern in Nordrhein-Westfalen. Danach machten jene Schüler, die mit «Lesen durch Schreiben» gelernt hatten, am Ende der vierten Klasse 55 Prozent mehr Fehler als Kinder, denen das Schreiben mit der klassischen Fibel beigebracht wurde. Die Studie ergab auch keine Anhaltspunkte für die gängige Behauptung, der «Laisser-faire-Unterricht» würde die Kinder stärker motivieren. Im Gegenteil: Haben sich die Kinder die falsch geschriebenen Wörter einmal eingeprägt, ist es für viele eine Qual, sich an die korrekte Schreibweise zu gewöhnen.

Die Wissenschaft spielt in der Bildungspolitik kaum eine Rolle.

Unter der Überschrift «Das grosse Desinteresse» schreibt Die Zeit, leicht resigniert, dass der Fall exemplarisch ein Problem verdeutliche, «das viele Forscher beklagen: Die Wissenschaft spielt in der Bildungspolitik kaum eine Rolle. Ihre Erkenntnisse werden selten umgesetzt oder gleich ganz ignoriert.» (27.09.2018). Noch wichtiger als Frühenglisch oder Frühfranzösisch wäre danach wohl Frühdeutsch.

Di hofnung schtirbt zulezt. Auch bei Schuhlrevormen.

 

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Marianne Wüthrich, ehemalige Berufsschullehrerin und Mitglied der Starken Volksschule Zürich und St. Gallen, kann den Aussagen von Professor Tobias Straumann in seinem Beitrag “Den Wert der Bildung nicht überschätzen” nicht vollumfänglich zustimmen.

Ein Kommentar

  1. In der Reformpädagogik kann jeder selbst ernannte Bildungsexperte eine bizarre Lernmethode unter dem Allerwertesten hervorzaubern. Es werden sich stets genügend Bildungspolitiker finden, die sich mit verklärtem Blick darauf stürzen, ohne zu merken, dass es sich dabei um ein faules Ei handelt.

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