Völkerball ist meist fester Bestandteil des Sportunterrichts. Nun hat eine Studie erneut für Aufsehen gesorgt: Sie kritisiert, das Spiel unterstütze Ressentiments gegenüber Schwächeren und fordert, es zu streichen. Doch das sehen nicht alle so.
Zwölf Schüler einer Bergisch-Gladbacher Grundschule machen sich bereit für eines der bekanntesten und beliebtesten Spiele im Sportunterricht: Völkerball. Viele Kinder haben sichtlich Spaß daran. Doch nicht alle können sich mit diesem Spiel anfreunden. „Weil die Jungs immer auf meinen Kopf zielen – und das macht dann keinen Spaß, weil ich immer die Schwächere bin“, sagt beispielsweise ein Mädchen. „Das finde ich einfach doof, das tut dann immer weh.“
Fragt man Erwachsene nach ihren Erfahrungen mit Völkerball, kommen ebenfalls schlechte Erinnerungen hoch, auch bei der Sportlehrerin Ursula Richter: „Völkerball: grässlich, einfach grässlich. Habe mir permanent den Daumen dabei verstaucht, hat den Lehrer nicht interessiert.“
Trainerin Simone Wirtz geht es ähnlich: „Wenn ich nur dran denke: Die bösen Jungs, die einen abwerfen – ich hab’s gehasst. Ich habe gebetet, dass kein Völkerball drankommt.“
Völkerball verfolge einzig das Ziel, andere zu treffen und auch verletzen zu wollen, Schwächere zu stigmatisieren und Menschen anderer Hautfarbe und Aussehens zu diskriminieren, so die Studie.
Studie: Mobbing und Rassismus im Völkerballspiel
Rückendeckung bekommen Kritiker des Völkerballspiels durch eine Studie der britischen Sportpädagogin Joy Butler aus dem Jahr 2019, über die in der Sportpädagogik unlängst wieder diskutiert wurde. Butler hatte das Spiel als legalisiertes Mobbing und organisierten Rassismus bezeichnet und gefordert, das Spiel aus den Lehrplänen zu streichen. Völkerball verfolge einzig das Ziel, andere zu treffen und auch verletzen zu wollen, Schwächere zu stigmatisieren und Menschen anderer Hautfarbe und Aussehens zu diskriminieren, so die Studie.
Der Sport ist genau das Mittel, um dagegen vorzugehen.
Völkerball rufe alleine schon wegen seiner Bezeichnung Bilder eines Kriegsszenarios hervor, sagt auch Nadine Frey, Geschäftsführerin beim Aachener Stadtsportbund. „Wenn man das ursprüngliche Leitmotiv des Spiels Völkerball betrachtet: Das ist die Kriegsschlacht. Wenn ich den Ball als Angriffswaffe sehe, dann ist so eine Kritik natürlich berechtigt.“ Aber für sie liege das Problem ganz woanders, so Frey: „Dieses Spiel macht gesellschaftliche Probleme, gesellschaftliche Wundstellen sichtbar, und das sind Rassismus, Mobbing, Ausgrenzung. Es wäre aber ein Fehler zu sagen, dass das im Sport produziert wird.“ Hier werde es sichtbar. Und: „Der Sport ist genau das Mittel, um dagegen vorzugehen.“
Spiel im Kampf gegen die Besatzung Napoleons
Das Studium sportgeschichtlicher Dokumente zeigt, dass das traditionelle Völkerballspiel tatsächlich Krieg spielerisch nachbilden sollte. Bereits vor 200 Jahren sprach Friedrich Ludwig Jahn, der als Turnvater Jahn in die Geschichte einging, von Völkerball als einem Spiel, das die deutsche Jugend auf den Kampf gegen die Besatzung Napoleons vorbereiten sollte.
Was Jahn gemacht hat, müsse man von zwei Seiten betrachten, sagt Ansgar Molzberger vom Institut für Sportgeschichte an der Deutschen Sporthochschule Köln. „Natürlich spielt der Wehrerziehungsgedanke eine Rolle, weil die Turnbewegung 1811 in Berlin losgeht, unter dem Eindruck der französischen Besatzung.“ Zum einen sollte das eine Auflehnung gegen die Besatzungsmacht sein. „Gleichzeitig hat aber die Turnbewegung auch für die Demokratie geworben. Also gegen die Herrscher, dass die Menschen gleich sein sollten.“
Auch Sabine Reuker, Professorin für Sportpädagogik und Sportdidaktik am Institut für Schulsport der Deutschen Sporthochschule, kann die Kritik am Völkerball zwar aus sporthistorischer Sicht nachvollziehen, hält sie aber in heutiger Zeit nicht mehr für berechtigt. Sie denke, „dass es etwas begrenzt ist, wenn man das Thema Mobbing, das ein wichtiges Thema für Schule und für Gesellschaft ist, auf eine einzige Sportart begrenzt“. Das werde dem Thema nicht gerecht. Es sei wichtiger, sich anzuschauen, wie etwas gestaltet wird.
Auch die Ausgestaltung von Völkerball habe eine wichtige Rolle. „Zum Beispiel kann man ganz wunderbar Völkerball unter Regelveränderungen thematisieren.
„Sündenbockmechanismus“ im Mannschaftssport
Auch der Sportpsychologe Professor Sigurd Baumann erklärt in einer seiner Studien den „Sündenbockmechanismus“ im Mannschaftssport, bei dem Wehrlose, Minderheiten und Schwache ungezügelter Aggressivität ausgesetzt sein können.
Sabine Reuker betont: Nötig sei daher bei solchen Spielen – wie bei allen anderen Sportspielen auch – die fachliche pädagogische Begleitung für gutes „Fair Play“. Einfach die Spielerinnen und Spieler sich selbst zu überlassen, damit sei es sicher nicht getan. Als Pädagogin habe sie einen Bildungs- und Erziehungsauftrag zu erfüllen. „Ich denke und hoffe, dass alle Studierenden, die dann in die Schulen gehen, so ausgebildet werden, dass sie nicht nur den Ball in die Mitte geben und spielen lassen, sondern dass sie eine Zielsetzung verfolgen mit dem Unterricht“, so Reuker. Auch die Ausgestaltung von Völkerball habe eine wichtige Rolle. „Zum Beispiel kann man ganz wunderbar Völkerball unter Regelveränderungen thematisieren.“
Sportlehrer Michael Huhn dagegen hat das Spiel ganz vom Stundenplan gestrichen und durch andere Ballspiele im Unterricht ersetzt. Die dauernden Regelverletzungen einiger Schüler gingen ihm einfach zu weit. „Wir bauen einen Zirkel auf und zwar einen Ballzirkel, wo 80 Prozent der Übungen mit Bällen gemacht werden, weil das sehr motivierend für die ist“, erklärt er. Das Credo: eine möglichst hohe Bewegungszeit. „Das finde ich besser“, sagt eine Schülerin. „Auf jeden Fall: kein Völkerball.“
Dieser Beitrag erschien im Deutschlandfunk 13.2.22:
https://www.deutschlandfunkkultur.de/voelkerball-mobbing-rassismus-100.html?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE
Zur Kritik am Völkerball
Die kritischen Stimmen sind sehr überzeugend. Es ist auch in meiner Erinnerung doch in erster Linie der harte Ball, mit dem man den Gegner abwirft. Je härter, desto besser und umso klarer der Abschuss und näher der Sieg. Wenn dazu die Herkunft und die ursprüngliche, volksertüchtigende Absicht so klar ist, könnte man Völkerball einfach aus dem Spielerepertoire nehmen. Ein Glücksfall wäre es aber, gedacht der Fall, die Sportstunde ließe sich mit der Geschichtsstunde verbinden: Hier könnte man über die an ein Spiel anschließende Befindlichkeitsanalyse der Spieler und Spielerinnen zu den ethischen Fragen kommen – aktuelle wie historische. Eine im Artikel erwähnte Änderung der Spielregeln könnte sogar für die Umkehr des Täter-Opfer-Verhältnisses sorgen und für Täter, also die rücksichtslos hart Werfenden, eine neue und empathisierende Erfahrung bedeuten. Dann wäre Völkerball nutzbar als Streit-Inszenierung. Erkenntnisse ließen sich gewinnen: zur Streitdynamik als Ursache kriegerischer Handlungen, für den empathischen Umgang miteinander und zur Sport- und Völkergeschichte. Im Kunstunterricht könnte man sich mit den Regeln für das pazifistisch-demokratisierte Spiel „Bevölkerungsball“ befassen. Ernsthaft: Der Drang zur politischen Korrektheit räumt mit allerhand auf. Unkorrektes ist aber auch widerständig und immer guter Anlass zur Reflexion. Eine Kulturrevolution, die alles Unkorrekte beseitigt, setzt sich absolut und ist dann doch bloß idiotisch. Ich denke an Maos arme Spatzen, die zum Feind ausgerufen, der Vernichtung preisgegeben wurden. Milliarden harmloser Vögel wurden in einer großen völkischen Anstrengung abgeschossen. Er wusste es halt erst danach besser! Fazit: Reflektiert kann Völkerball Gutes bewirken!
Wenn es euch ein Bedürfnis ist, woke zu sein: bitte. Ich bin dann mal weg.
Leistungsbonus für Lerer*innen
Mit der Überschrift „Charleston, South Carolina: The Collapse of a Federally-Funded Teacher Incentive Plan“ berichtet Condorcet am 28. Januar 2022: „Der jüngste Post von Diane Ravitch behandelt ein Thema, das auch bei uns immer wieder im Gespräch ist. Die Einführung eines Leistungslohnes in den Schulen. Nach Diane Ravitch eine Idee, die immer wieder auftaucht und auch immer wieder scheitert. Immerhin zeigt ihr Bericht auch, dass die US-Behörden auch die Wirkungen ihrer Eingriffe zu untersuchen bereit sind und – wenn deren Effekt nicht gegeben ist – die Projekte einstellen. Eine Haltung, die man sich auch in unserem Land wünschen würde.“ Der wichtigste Gedanke gegen ein Bonussystem im Bildungsbereich scheint mir die Feststellung von Jody Stallings zu sein, der Direktorin der Charleston Teacher Alliance: “Wir werden für unseren Dienst bezahlt, nicht für dessen Ergebnis” und das Gleiche gelte „für Soldaten, Polizisten und Ärzte, und zwar aus gutem Grund. Die Faktoren, die unseren Erfolg ausmachen, hängen von so viel mehr ab als von individuellen Anstrengungen.“ Der Begriff „Schuldienst“ beinhaltet nach meiner Meinung eine ethische Dimension, nämlich die Hingabe an den Menschen. Wer Geld verdienen will, sucht sich daher einen anderen Beruf.
Aber:
Wir müssen! Wir müssen!
Wir müssen inplorieren
Wir müssen komprimieren
Wir müssen resilieren
Wir müssen koordinieren
Wir müssen koevaluieren
Wir müssen interdisziplinieren
Wir müssen delegieren
Wir müssen dekompensieren
Wir müssen parasympathisieren
Wir müssen managieren
Wir müssen quantifizieren
Wir müssen komplementieren
Wir müssen transmotivieren
Wir müssen koabstrahieren
Wir müssen quartilieren
Wir müssen deeskalieren
Wir müssen esokortieren
Wir müssen prokommandieren
Wir müssen moodelieren
Wir müssen korrektilieren
Wir müssen gouvernieren
Wir müssen inkludieren
Wir müssen montifizieren
Wir müssen vereffizieren
Wir müssen deerrorieren
Wir müssen zifferenzieren
Wir müssen defabulieren
Wir müssen entvulnerieren
Und das:
Alles von selbst mit
Wirksamkeit
Bestätigung
Vertrauen
Kontrolle
Ständigkeit
Erkenntnis
Zerstörung
Hilfe
Findung
Befreiung
Losigkeit
Regulierung
Liebe
Bezogenheit
Befriedigung
Bezüglichkeit
Genügsamkeit
Betrug
Verwaltung
Vorsorge
Finanzierung
Norbert R. Vetter