9. Dezember 2025
Belp probt Schulrevolution

Nur noch sechs Wochen Schulferien im Jahr

Die Gemeinde Belp bei Bern will einen Pilotversuch mit einem neuen Ferienmodell starten: Bildung und Betreuung sollen für Eltern und Schulpersonal besser vereinbar werden. Wir bringen einen Beitrag, der zuerst in “Der Bund” erschienen ist.

Es ist der Albtraum für schulmüde Kinder: Die Zahl der Schulferien wird mehr als halbiert, von dreizehn Wochen auf nur noch sechs pro Jahr. Genau das plant die Gemeinde Belp  – vorerst als Versuch. Ein Albtraum? Oder doch eher eine Revolution?

“Immerhin müsste der Kanton dafür sein Volksschulgesetz ändern”, sagt Gemeindepräsident Stefan Neuenschwander (SP). So weit ist es nicht. Vorerst hat die kantonale Bildungs- und Kulturdirektion einen Pilotversuch für eine “Jahresschule” bewilligt. Im Schulhaus Hohburg soll eine Basisstufe nach dem neuen Modell unterrichtet werden.

“Wir sind überzeugt, dass das ein zukunftsfähiges Modell ist”, sagt Neuenschwander. In dieser Zeit, in der viele Eltern berufstätig seien und das Management der Betreuung eine grosse Herausforderung sei, könne das sehr interessant sein.

Einen Tag pro Woche frei, dafür weniger Schulferien

Die treibende Kraft hinter dem Konzept ist Daniela Schädeli. Seit Sommer 2024 leitet sie die Abteilung Familie und Bildung der Gemeinde.

Johannes Reichen
Ramon Cunz

Die Probleme mit der Betreuung kenne sie aus eigener Erfahrung und aus ihrem Umfeld. Deshalb habe sie sich gefragt, ob man an der Ferienordnung nicht etwas ändern könne. “Die ist ja nicht naturgegeben.” Sondern sie habe sich im Laufe der Zeit stets dem Erwerbssystem angepasst.

Zunächst habe sie Berechnungen angestellt mit dem Ziel, bestehende Ressourcen neu zu verteilen, sagt Schädeli. Sie habe die Tagesschule einbezogen, die heute vor allem dazu da sei, die Kinder zu verpflegen und Löcher im normalen Schulbetrieb zu stopfen. “Dabei ist sie viel mehr.” Schädeli orientierte sich auch an Kitas, wo Kinder ganztags betreut werden.

So kam sie auf die Jahresschule. Das Wichtigste:

  • Die Schule ist an 46 Wochen pro Jahr geöffnet.
  • Die Schülerinnen und Schüler verbringen vier Tage pro Woche in der Schule. Der fünfte Tag ist für sie frei.
  • An je zwei Wochen im Sommer und über den Jahreswechsel sowie je einer Woche im Frühling und im Herbst ist die Schule geschlossen.
  • An Schultagen dauert die Präsenzzeit von 8 bis 16.30 Uhr, inklusive Mittagessen. Darüber hinaus gibt es bei Bedarf Tageschulmodule.
  • Die Zahl der Lektionen bleibt übers Jahr gesehen unverändert.

Jahresschule verzahnt Bedürfnisse besser

“Wir haben immer mehr Kinder, die viel Zeit an der Tagesschule verbringen”, sagt Schädeli. Für sie würden die Wechsel zwischen Schule und Tagesschule wegfallen. Und den Schulen würden sich mehr Möglichkeiten bieten: “Sie können etwa ganze Schultage mit multidisziplinären Themen gestalten.”

Die Eltern wiederum könnten die Betreuung einfacher planen. “Bildung und Betreuung werden ganzheitlich organisiert.”

“Die ersten Reaktionen sind positiv, aber es braucht etwas Mut, das ist mir klar.”

Daniela Schädeli, Bildungsleiterin

 

Die Gemeinde will den Pilotversuch nächsten Sommer starten und nimmt nun Anmeldungen entgegen. Für eine Klasse sind 18 Kinder nötig, bei Bedarf könnte eine zweite eröffnet werden. Auch Lehr- und Betreuungspersonen werden gesucht.

Für Eltern finden in diesen Wochen Informationsveranstaltungen statt. “Die ersten Reaktionen sind positiv”, sagt Schädeli. “Aber es braucht etwas Mut, das ist mir klar.”

Pilotversuch soll bis zu sechs Jahre dauern

Die Idee sei, das Betriebskonzept gemeinsam mit Eltern, Lehr- und Betreuungspersonen zu entwickeln. Und Fragen zu klären wie: Sollen es wirklich 46 Schulwochen sein oder vielleicht 45 oder 47? Ist Mittwoch oder Freitag schulfrei?

Nach anderthalb Jahren soll der Versuch von der Pädagogischen Hochschule Bern evaluiert werden. Ist das Resultat negativ, wird der Pilot nach drei Jahren beendet, ansonsten auf sechs Jahre ausgeweitet. Erst danach würde eine Änderung des Gesetzes in Betracht gezogen.

Ferien und Belp, da war doch was: Flugzeug und Koffer am Flughafen Bern-Belp. (Foto: Adrian Moser)

Auch mit kürzeren Ferien, sagt Daniela Schädeli, würde niemand etwas verlieren, sondern viel mehr “Freiheit gewinnen”. Für die Lehrpersonen würde sich die Arbeitsbelastung besser über das ganze Jahr verteilen. Der freie Tag pro Woche ist aus Sicht der Gemeinde auch für Eltern mit hohem Arbeitspensum “organisierbar”.

Noch gebe es keine Volksschule in der Schweiz mit einem solchen Modell, sagt Schädeli. Sie weiss nur von einer Privatschule in Zürich: Die School of Tomorrow ist je drei Wochen im Sommer und über Weihnachten und Neujahr geschlossen, sonst offen.

Forschung begrüsst den Versuch mit der Jahresschule

Der Kanton begrüsst die Belper Initiative. Schulversuche ermöglichten es, “innovative Unterrichtsformen und Schulstrukturen zu erproben, die Erkenntnisse für die Weiterentwicklung der Volksschule generieren können”, schreibt die Bildungs- und Kulturdirektion.

Positiv beurteilt auch Michelle Jutzi den Versuch. Sie forscht an der Pädagogischen Hochschule zu Innovationen im Schulwesen. “In einem System, das sich nur schwer bewegt, braucht es Mut, neue Modelle auszuprobieren”, sagt sie.

“Wir müssen prüfen, ob unsere alten Schulstrukturen noch zu den Lebensrealitäten passen.”

Michelle Jutzi, Pädagogische Hochschule Bern

 

Der Trend zeige klar, dass der Bedarf an ganztägigen Betreuungsangeboten steige. Doch: “Eltern wollen ihre Kinder nicht etwa möglichst viel abgeben”, betont Jutzi. “Sie wollen die Zeit bewusst und ohne ständigen Organisationsdruck nutzen.” Ein zusätzlicher freier Tag könne Raum für echte Familienzeit schaffen.

Für die Kinder verspreche das Modell mehr Ruhe im Alltag. Statt mehrmals zwischen Unterricht und Tagesschule zu wechseln, verbringen sie den Tag in derselben Umgebung. “Diese Kontinuität tut vielen Kindern gut”, sagt sie.

Auch für das Personal sieht Jutzi Vorteile. Betreuungspersonen arbeiten oft in über den Tag verteilten Einsätzen. In der Jahresschule könnten sie ganztägig eingebunden werden. Das ermögliche stabile Pensen und eine engere Zusammenarbeit im Team. Für die Lehrpersonen verschiebe sich ein Teil der heute in die Ferien ausgelagerten Arbeit auf einen fixen Vorbereitungstag.

Jahresschule birgt auch Risiken

Doch das Modell berge auch Risiken. Die längere gemeinsame Zeit verlange viel Absprache und es brauche genaue Beobachtung, so Jutzi, “bei Mobbingsituationen zum Beispiel”. Entscheidend sei, dass die Mitarbeitenden dafür sensibilisiert seien.

Familienleben und Arbeitswelt hätten sich verändert – die Schule hingegen kaum. “Wir müssen prüfen, ob unsere alten Schulstrukturen noch zu den Lebensrealitäten passen”, sagt die Forscherin.

Belp ist daran – und andere vielleicht auch bald. Bereits würden sich weitere Gemeinden dafür interessieren, sagt Gemeindepräsident Neuenschwander. “Wir fragen uns, warum noch niemand auf diese Idee gekommen ist.”

 

Legende Beitragsbild: Das Schulhaus Hohburg in Belp soll zum Schauplatz eines Versuchs werden: Daniela Schädeli, Bildungsleiterin in Belp, und Gemeindepräsident Stefan Neuenschwander. (Foto: Raphael Moser)

 

Johannes Reichen ist Journalist und arbeitet seit 2011 bei der Regionalredaktion von Berner Zeitung und «Bund». Er schreibt über Menschen, Politik und Gerichtsfälle. Mehr Infos

Ramon Cunz schreibt als freischaffender Journalist für die Berner Zeitung und das Thuner Tagblatt. Er ist im Berner Oberland aufgewachsen, hat Germanistik und Philosophie studiert und war als Lehrer tätig.

image_pdfAls PDF herunterladen

Verwandte Artikel

Neue Rubrik: Die Zahl des Monats!

Die Redaktion des Condorcet-Blogs führt eine neue Rubrik ein. Einmal im Monat beschäftigt sie sich mit einer Zahl, die im aktuellen Bildungsgeschehen Aufmerksamkeit erregt. Den Beginn macht die Zahl 59.5%!

Generative KI und die Schule

Jörn Loviscach ist ein deutscher Mathematiker. Er ist Professor für Ingenieurmathematik und technische Informatik an der Fachhochschule Bielefeld. In diesem Vortrag, den wir Ihnen wärmstens empfehlen, setzt er sich mit den Möglichkeiten der KI und ihre Bedeutung für die Schule auseinander. Wir danken Astrid Baumann für den Tipp!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert