Förderklassen als wichtiger Teil eines flexibleren Schulsystems
Die grösste Baustelle ist zweifellos die integrative Schule. Nachdem nach Jahren des kostspieligen Experimentierens die Unruhe beim Integrieren verhaltensauffälliger Schüler in den Regelklassen nicht kleiner, sondern in unzähligen Klassen deutlich grösser geworden ist, kam es zum politischen Eklat. Alarmrufe des überforderten Lehrpersonals und die zunehmende Sorge um die Schulqualität riefen verantwortungsbewusste Bildungspolitiker auf den Plan. Klassenlehrpersonen forderten eine wirkungsvolle Entlastung, denn der bisherige Stil mit dem Ausweiten der Einzelförderung führte offensichtlich in eine Sackgasse. Die wiederholten Versprechungen von Dozenten der Hochschule für Heilpädagogik, zusätzliches Lehrpersonal zugunsten des Integrationsmodells würde Abhilfe schaffen, hatten sich als unhaltbar erwiesen.

Der Anstoss zum Handeln erfolgte von mehreren Parteien und engagierten Lehrpersonen gemeinsam, da man dem Leerlauf mit der auf die Spitze getriebenen Einzelförderung nicht länger untätig zusehen wollte. Dennoch war es eine ziemliche Überraschung, dass die Volksinitiative zur kantonsweiten Wiedereinführung von Förderklassen im Zürcher Kantonsrat eine deutliche Zustimmung erfuhr. Dieser Durchbruch zeigt, dass die Stimmung in der Integrationsfrage deutlich in Richtung «Separation bei Bedarf» gekippt ist. Weniger erfreulich ist jedoch, dass die Zürcher Bildungsdirektion in der nachfolgenden Vorlage zur Umsetzung der Förderklassen-Initiative nur eine halbherzige Kurskorrektur in der Integrationsfrage erkennen lässt.
Die Zürcher Bildungsdirektion tut sich schwer mit den Förderklassen
Auf den ersten Blick sieht das neue Förderkonzept der Zürcher Bildungsdirektion nach einer breiten Öffnung aus. Förderklassen sollen einen festen Platz im Schulsystem erhalten, aber auch Schulinseln stehen den Schulgemeinden zur Wahl. Irritierend bleibt, dass durch die negativen Äusserungen der Bildungsdirektorin zum separativen Weg die Förderklassen einmal mehr in ein ungünstiges Licht gestellt werden. Das sind schlechte Voraussetzungen, um bei ausgewiesenem Bedarf wirklich Förderklassen einführen zu können. Es wäre nicht zielführend, wenn integrative Schulungsformen unter dem Schutz einer dominanten Ideologie weiterhin überall Vorrang hätten. Deshalb sind die Rahmenbedingungen für die Modellwahl durch die Gemeinden so zu präzisieren, dass eine Umgehung des klaren Auftrags verhindert wird. Zudem ist die Lehrerbildung besser auf die neuen Anforderungen für den Einsatz von Heilpädagogen in Förderklassen auszurichten. Nur durch eine Klärung dieser und weiterer Punkte kann ein vernünftiger Systemwechsel gelingen.
Das Mehrsprachenkonzept der Primarschule steht gewaltig unter Druck
Die zweite grosse Baustelle ist das überladene Mehrsprachenkonzept der Primarschule. Seit der Einführung einer frühen zweiten Fremdsprache ist das Sprachenkonzept ein Dauerthema. Doch erst mit der kürzlichen Bekanntgabe der miserablen Ergebnisse einer umfangreichen Studie zum Frühfranzösisch wurden die Diskussionen richtig heftig. Was die Lehrerschaft längst wusste, ist nun mit exakten Zahlen belegt. Auch da ist Schulpraktikern klar, dass ein Weiterfahren wie bisher keine erfolgversprechende Option ist. Eine Fremdsprache ab der fünften Klasse ist genug, alles andere führt zu einer Verzettelung bei den Lernzielen und zu einem Verdruss vieler Schüler gegenüber unserer Landessprache Französisch.
Die Positionen in der Sprachendiskussion sind klar bezogen. Es ist zu hoffen, dass nicht ein ewiges Flickwerk mit Schaden für die Schüler weitergeführt wird. Vielmehr braucht es jetzt den mutigen Schritt, einen pädagogischen Fehlentscheid durch einen deutlichen Kurswechsel zu korrigieren.
Doch diese Erkenntnis scheint bei namhaften Politikern in Bundesbern nicht vorhanden zu sein. Entgegen jeder pädagogischen Vernunft wird behauptet, das frühe Lernen zweier Fremdsprachen sei sinnvoll und stärke gar den nationalen Zusammenhalt. Bundesrätin Baume-Schneider drohte gar, vom Bund aus einzugreifen, falls sich die Kantone nicht auf eine Verpflichtung zum Frühfranzösisch einigen könnten. Doch für einmal blieben die meisten kantonalen Lehrerverbände standhaft, indem sie mit Nachdruck darauf pochten, dass das Mehrsprachenkonzept der Primarschule beendigt werden müsse. Die Positionen in der Sprachendiskussion sind klar bezogen. Es ist zu hoffen, dass nicht ein ewiges Flickwerk mit Schaden für die Schüler weitergeführt wird. Vielmehr braucht es jetzt den mutigen Schritt, einen pädagogischen Fehlentscheid durch einen deutlichen Kurswechsel zu korrigieren.
Die Evaluation des Lehrplans erweist sich als dringend
Die Bildungspolitik ist im kommenden Jahr noch in anderen wesentlichen Fragen gefordert. Der neue Lehrplan erweist sich nicht als der mit Pauken und Trompeten angekündigte verlässliche Kompass für die Volksschule. Das Jahrhundertwerk ist mit Kompetenzzielen überladen und enthält zu viel inhaltliche Beliebigkeit. Eine baldige Evaluation des Lehrplans wäre sehr zu begrüssen. Leider ist zu befürchten, dass die EDK diese ungeliebte Befragung noch länger hinausschieben wird. Doch dieses Zögern hat seinen Preis. Dazu gehört, dass die kulturbildenden Realienfächer Geschichte und Geografie seit ihrer Reorganisation unter dem Titel «Räume, Zeiten, Gesellschaften» in eine bedenkliche Randstellung gelangt sind. Es fehlt in beiden Fächern ein klarer inhaltlicher Aufbau und in der Lehrerbildung überzeugt die zusammengelegte Ausbildung von Geschichte und Geografie in keiner Weise. Die alltäglichen Erfahrungen mit dem Lehrplan zeigen, dass grosser Handlungsbedarf besteht.

Das Jahr 2026 bietet einer teils neuen Generation von Bildungspolitikern die Chance, offensichtliche Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Dazu braucht es aber den Mut, radikal die Frage nach der Wirksamkeit von Lernkonzepten zu stellen. Gescheiterte Experimente wie die Totalintegration oder das Mehrsprachenkonzept der Primarschule, aber auch die irritierende Überfülle des neuen Lehrplans dürfen nicht länger den Schulalltag negativ beeinflussen. Die aktive Lehrerschaft erwartet zu Recht, dass die Bildungspolitik die aus der Praxis gestellten Hausaufgaben endlich löst.
Mit zwei besinnlichen Texten verabschieden wir uns in die Weihnachtspause
Erwähnenswert in einem Jahresrückblick ist zweifellos auch die Tatsache, dass Handyverbote an vielen Schulen mit grosser Zustimmung der Eltern eingeführt wurden. Offen bleibt, was im kommenden Jahr im Bereich der Sozialen Medien geschieht. Deren Schadenspotenzial für die Jugend ist nicht zu übersehen. Australien hat kürzlich mit dem Verbot der Benützung von Sozialen Medien für unter 16-Jährige eine weltweite Diskussion ausgelöst. Man darf gespannt sein, welche Lösung in der EU und in der Schweiz auf diese neue erzieherische Herausforderung gefunden wird.
Wir möchten das aufwühlende vergangene Jahr nicht einfach mit dem Hinweis auf grosse Baustellen ausklingen lassen. Wir haben für Sie deshalb mit zwei besinnlichen Beiträgen von Carl Bossard einen lesenswerten Schlussakkord gesetzt. Der mitten ins literarische Schaffen eines grossen Autors hineinführende erste Text lässt uns die Hektik unserer Zeit vergessen und passt gut in die Adventszeit. Und mit dem abschliessenden Kommentar zu einer Mundart-Ausgabe des berühmten Kinderbuchs “Le Petit Prince” versetzt uns Carl Bossard vollends in eine nachdenkliche Stimmung.
Wir von der Redaktion, Marianne Wüthrich, Ruedi Richner, Timotheus Bruderer und ich, wünschen Ihnen eine gesegnete Weihnachtszeit und alles Gute fürs neue Jahr. Wir melden uns nach einer Pause mit dem nächsten Newsletter wieder Mitte Januar.

