10. Dezember 2025
Kampf ums Kopftuch an Schweizer Schulen

Die nächste grosse Islamdebatte beginnt jetzt

Nach Minaretten und Burkas gerät mit dem Kopftuch das nächste Islamsymbol in den Fokus der Politik. Eine Volksinitiative, die auch auf Kinder zielt, ist in Vorbereitung – was sagen Betroffene dazu? Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) hat herumgefragt.

 

Mit dreizehn Jahren nahm Elif all ihren Mut zusammen. Sie zog ein Kopftuch an, packte ihren Thek und machte sich auf den Weg in ein neues Leben. Es war ihr allererster Tag in der Sekundarschule. Neue Mitschüler, neue Lehrer. “Ich hatte vorher noch nie ein Kopftuch getragen. Es war speziell, man muss sich an den Stoff auf der Haut gewöhnen”, sagt Elif. “Das ‘role model’ war meine Mutter. Ich wollte das Kopftuch, weil sie auch eines hatte.” Das erzählt die heute 17-Jährige während einer kurzen Mittagspause in Zürich, wo sie sich zur Apothekerin ausbilden lässt. Schnell wird klar: Die junge Muslimin, die anonym bleiben will und eigentlich anders heisst, ist es gewohnt, ihre Kopfbedeckung rechtfertigen zu müssen.

“Worin liegt der Unterschied zwischen jemandem, der eine Person zwingt, ein Kopftuch zu tragen, und jemandem, der sie zwingt, es abzulegen?”

 

Warum wollte sie ihre Haare schon in so jungen Jahren verschleiern? “Das Kopftuch verschaffte mir Schutz und gab mir eine ganz eigene Identität. Es zu tragen, war einfach ein schönes Gefühl.” Druck habe sie von ihren Eltern nie gespürt, sagt Elif. “Ich war es, die drängte.” Was, wenn ihr damals der Staat das Tragen des Kopftuchs verboten hätte? Sie antwortet: “Worin liegt der Unterschied zwischen jemandem, der eine Person zwingt, ein Kopftuch zu tragen, und jemandem, der sie zwingt, es abzulegen?”

NZZ-Journalist Mirko Plüss

Was für Elif eine persönliche Entscheidung war, wird nun Teil einer politischen Auseinandersetzung von nationaler Tragweite. Es ist eine neue grosse Islamdebatte, die in der Schweiz gerade massiv Fahrt aufnimmt. 2009 verbot die Schweiz Minarette, 2021 waren die Burkas dran. Und als wäre es eine politische Gesetzmässigkeit, kommt nun das Kopftuch an die Reihe. Genauer: das Kopftuch in der Schule, egal, ob es die Schülerin oder die Lehrerin trägt.

Alte Bekannte, neue Forderungen

Vergangene Woche wurde im Zürcher Kantonsparlament ein Kopftuchverbot an Schulen gefordert, zuvor schon verlangten Aargauer Politiker, dass Schülerinnen unter sechzehn Jahren “keine religiös geprägten Kleidungsstücke” mehr tragen dürften. In mehreren Kantonen hat die SVP ähnliche Vorstösse eingereicht.

Die Dachverbände der Lehrpersonen und der Schulleitungen erarbeiten derzeit neue Positionspapiere zum Thema Kopftuch und Schule. Kommende Woche findet zudem ein Fachaustausch unter Leitung der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren statt. Thema sind “religiöse Symbole in der obligatorischen Schule”.

Parallel dazu machen rechte Kreise auf nationaler Ebene Druck. Am Montag wird das Egerkinger Komitee in Bern eine Petition mit über 12’000 Unterschriften präsentieren, welche die Kantone auffordert, Gesetze für ein Kopftuchverbot auf den Weg zu bringen. Und im Nationalrat reichen Komiteemitglieder gleichzeitig einen neuen Vorstoss ein mit dem Ziel, ein “verfassungskonformes Kopftuchverbot für Lehrerinnen und Schülerinnen” zu erwirken. Kippas und Kreuze dürfen bleiben.

“Bei den Lehrerinnen lehnen wir das Kopftuch aus Gründen der staatlichen Neutralität ab, bei den Mädchen geht es um den Diskriminierungsschutz der Mädchen selber – sie sollen sich in der Schule frei entfalten können, ohne jeglichen Zwang”, sagt der Geschäftsführer Anian Liebrand.

Die Kopftuchdebatte ist hochemotional, unter anderem weil sie nicht den klassischen politischen Gräben folgt.

 

Das Egerkinger Komitee, das sich als Speerspitze im Kampf gegen die “schleichende Islamisierung” der Schweiz begreift, stand auch schon hinter dem Minarett- und dem Burkaverbot. Der neueste Aktivismus der rechten Gruppe wurde durch eine vermeintliche Sommerlochgeschichte ausgelöst. Es ging um Elternproteste gegen eine ein Kopftuch tragende Lehrerin in St. Gallen.

Schon damals zeichnete sich ab: Die Kopftuchdebatte ist hochemotional, unter anderem weil sie nicht den klassischen politischen Gräben folgt. Auch in liberalen und linken Kreisen ist nicht abschliessend geklärt, ob das Kopftuch nun Stoff gewordenes muslimisches Patriarchat ist oder als Ausdruck weiblicher Selbstbestimmung ein Tabu für die Politik sein muss.

Anian Liebrand, Vorstandsmitglied Egerkinger Komitee

Das Egerkinger Komitee will die Debatte weiter antreiben und plant auch, Unterschriften für eine eidgenössische Volksinitiative zu sammeln, wie Anian Liebrand sagt. Als Vorbild nennt er Österreich, wo die Regierung derzeit ein Kopftuchverbot für unter 14-Jährige vorbereitet, um sie vor Diskriminierung und Zwang zu schützen.

Wie tönt all das für Elif? “Komplett weltfremd”, sagt die junge Frau. Sie kenne keine Mädchen, die zum Kopftuchtragen gezwungen würden. Und sie habe in der Schule auch “keinen Diskriminierungsschutz” gebraucht. Wenn, dann eher ausserhalb: “Auf der Strasse haben mich schon mehrfach Männer beschimpft: Ich solle aus der Schweiz verschwinden, dies sei nicht mein Land.”

Der grösste Stolperstein für die Kopftuchgegner ist indes die Rechtslage. Bisher wurde ein generelles Verbot in der Schule als juristisch nicht durchsetzbar betrachtet. Doch laut Lorenz Engi, Lehr- und Forschungsrat am Institut für Religionsrecht der Uni Freiburg, ist ein Verbot unter spezifischen Umständen vorstellbar.

Andere Rechtsgrundlagen bei Schülerinnen

“Die Fälle sind bei Lehrerinnen und Schülerinnen sehr unterschiedlich gelagert”, erklärt Engi. Schon 1997 habe das Bundesgericht ein Kopftuchverbot für eine Genfer Primarlehrerin bestätigt. “Seither gehen auch andere Kantone grundsätzlich davon aus, dass man einer Lehrerin das Kopftuch verbieten kann.” Zentral sei das Neutralitätsgebot, das für die Lehrerinnen als staatliche Angestellte gelte.

Bei Schülerinnen ist die Rechtslage laut Engi grundlegend anders: “Die Schülerin repräsentiert nicht den Staat und ist nicht an das Neutralitätsgebot gebunden.” Das Bundesgericht beurteilte 2015 ein Verbot für Kinder denn auch als unzulässigen Eingriff in die Religionsfreiheit. Tatsächlich wäre es kaum möglich, ein Verbot in einem kantonalen Gesetz festzuschreiben. “Auch die Aussichten bei einer eidgenössischen Volksinitiative wären unsicher, weil die internationalen Menschenrechtsgarantien zu beachten sind.”

Djeneta Ramadani, Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (FIDS) (Bildquelle: FIDS.ch)

Ganz unmöglich wäre es hingegen nicht, ein Kopftuchverbot für Kinder festzuschreiben. Laut Engi wäre es vorstellbar, dieses statt in einem Gesetz in der kantonalen Verfassung zu verankern. Denn diesbezüglich habe die Bundesversammlung, welche die kantonalen Verfassungen überprüfe und mit Bundesrecht abgleiche, in der Vergangenheit eine relativ grosszügige Praxis gezeigt, so Engi. “Sie genehmigte auch schon das Burkaverbot in der damaligen Tessiner Verfassung.”

Auf diesem Weg hätte also auch ein Verbot für Mädchen Erfolgsaussichten. Das macht Djeneta Ramadani Sorgen. Die 29-jährige Marketingfachfrau ist im Vorstand der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (FIDS). Das Kopftuch begann sie mit fünfzehn Jahren in der Kantonsschule zu tragen. “Es ist Teil meiner Identität, ein Verbot wäre für mich als Schülerin ein massiver Einschnitt in mein Leben gewesen.”

Kritik wegen fehlender Zahlen

An der Kopftuchdebatte kritisiert Ramadani das Fehlen von Zahlen. Tatsächlich existieren nicht einmal Schätzungen dazu, wie viele Lehrerinnen und Schülerinnen in der Schweiz ein Kopftuch tragen. “So bleibt auch das immer wieder vorgetragene Argument, viele Mädchen würden zum Tragen des Kopftuchs gezwungen, absolut schwammig”, sagt Ramadani. “Wir können nun nicht zum dritten Mal eine grosse Islamdebatte in der Schweiz führen, bei der weder die Betroffenen befragt werden noch verlässliche Zahlen vorliegen.”

Auch Ramadani ist es gewohnt, sich für ihr Kopftuch zu rechtfertigen. Die Schulordnung an ihrem Gymi verbot eigentlich jegliche Kopfbedeckung. Drei Gespräche mit dem Rektor waren nötig und wie im Fall von Elif “viel Mut”, wie Ramadani sagt. Schliesslich durfte sie das Kopftuch tragen, damals als einziges Mädchen im ganzen Schulhaus.

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