5. Dezember 2025
Meritokratie versus Chancengleichheit

Pädagogik versus frei wuchernder Ideologie

Condorcet-Autorin Christine Staehelin reagiert auf einen Kommentar der Journalistin Maria-Elisa Schrade in der Basellandschaftlichen Zeitung.

Christine Staehelin, Primarlehrerin, Mitglied des Bildungsrates der Stadt Basel: Die Frage der Pädagogik wurde aus dem Diskurs verbannt.

Die Journalistin Maria-Elisa Schrade veröffentlicht in der Basellandschaftlichen Zeitung die gewagte These, dass es bei der Frage um die Selektion um einen Konflikt zwischen Meritokratie und Chancengerechtigkeit gehe ( https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2025/08/bz_Basel_20250808_Seite_18.pdf  ). Sie irrt. Chancengerechtigkeit und Meritokratie sind weder Ideologien noch stehen sie sich gegenüber. Sie stellen die Frage nach der Gerechtigkeit, aber nacheinander: Ist der Zugang – hier zu Bildungsinstitutionen – fair gestaltet? Und werden am Ende die Leistungen gerecht belohnt? Um den Zugang zur Bildung gerecht zu gestalten, hat man sich vor rund 150 Jahren für die Schulpflicht entschieden. Wie die Schülerinnen und Schüler gemeinsam unterrichtet werden, sind Fragen der Pädagogik, der Didaktik und der Methodik. Diesen müssen sich die Lehrerinnen und Lehrer stellen; dafür müssen sie ausgebildet werden. Also: Wie soll gelehrt werden, damit Kinder und Jugendliche in Schulklassen am besten lernen können, auch wenn sie unterschiedlich begabt sind? Wann ist es letztlich gerechter, in Leistungszügen zu unterrichten, weil besser auf die individuellen Lernvoraussetzungen eingegangen werden kann? Hier gehen die Meinungen heute weit auseinander. Und wie werden schliesslich Leistungen gerecht bewertet, ohne dass Herkunft und sonstige leistungsfremde Merkmale eine Rolle spielen? Dass heute so viele Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer Schulzeit nicht richtig lesen, schreiben und rechnen können, ist nicht hinnehmbar. Der Grund dafür liegt meiner Meinung nach darin, dass wir gar nicht mehr wissen, wie wir über Schule und ihre Aufgaben reden sollen, denn die Begriffe und die Theorien der Pädagogik, der Didaktik und der Methodik – und damit Fragen der Lehrkunst – wurden aus dem Diskurs verabschiedet zugunsten frei wuchernder Ideologien, denen unterstellt werden kann, dass sie oft gar nicht mehr wissen, worüber sie eigentlich sprechen.

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3 Kommentare

  1. Die Versuchung zur Ideologie ist immer mit Faulheit, Dummheit und Verantwortungslosigkeit verbunden. Seit jeher in allen Dimensionen.

  2. Bildung gibt es nicht intravenös, sich bilden ist kein passiver Vorgang. Dass da unterschiedliche Fahrspuren und Tempi zugegen sind, ist Fakt und eben nicht einfach nur herkunftsinduziert.
    Unser Schulsystem ist inzwischen derart durchlässig, dass es machbar ist, das Niveau zu wechseln, falls die Voraussetzungen denn stimmen. Und das ist gut so.
    Doch diese Voraussetzungen müssen nebst Mitgegebenem auch ERARBEITET werden. Zu schwafeln, alle könnten alles schaffen, wenn man doch bitteschön nur die Selektion abschaffen würde, ist m. E. linker Schwachsinn. Genau dieser Schwachsinn also, dem wir all die sinnlosen Reformen der letzten dreissig Jahre zu verdanken haben…

  3. Christine Stähelin versteht es einmal mehr, den Kern einer Sache in Erinnerung zu rufen. Die grosse Frage, unter welchen Voraussetzungen das Lernen am besten gelingt, wird nicht durch ein bestimmtes Sekundarschulmodell entschieden. Und zu Recht hält die Autorin wenig von pädagogischen Ideologien. Diese haben in der Schulpraxis bereits genug Schaden angerichtet.

    Die separative Volksschule zu kritisieren ist sehr viel einfacher als eine überzeugende Lösung für eine leistungsfähige Oberstufe ohne Selektion zu installieren. Die Lehrerschaft weiss um die grossen Leistungsunterschiede der Schüler am Ende der Primarschulzeit und ist nicht bereit, ein weiteres Hochrisiko-Projekt, wie dies ein Komitee für eine Schule ohne Selektion fordert, einzuführen.

    Wir haben zu viele Schul-Baustellen, denen die gleichen Reformturbos noch immer ratlos gegenüberstehen. Hört auf, dauernd neue Gräben aufzureissen und nirgends etwas abzuschliessen! Wir brauchen vielmehr ein Ende des gescheiterten Frühsprachenkonzepts, einen Ausweg aus dem kräftezehrenden Integrationsschlamassel und einen übersichtlichen Lehrplan, der als Bildungskompass wirklich etwas taugt.

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