Förderklassen - wozu?

Unverzichtbare Förderklassen ergänzen das integrierte Schulsystem

Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz legt noch einmal unaufgeregt die Gründe für die Einführung von Förderklassen dar. Ein Stimme der Vernunft in einem Meer von ideologischer Behauptungsrhetorik.

Explosionsartige Zunahme von Schülern mit Sonderschulstatus

Die Anzahl der Sonderschüler in der Volksschule hat sich in den letzten zwanzig Jahren verdreifacht, wie kürzlich die NZZ berichtete. Ein Teil dieser 9000 Kinder und Jugendlichen mit Sonderschulstatus wird im Rahmen des aktuellen Integrationsmodells weiterhin in den Regelklassen unterrichtet. Der Status «Sonderschüler» ermöglicht es auf einfachere Weise, Teildispensationen in einzelnen Fächern auszusprechen. Überforderte Schüler können so beispielsweise vom Französisch oder von Diktaten dispensiert werden. Aufhorchen lässt auch der zweite Teil des Berichts, in welchem es um nicht veröffentlichte Einweisungen von Schülern in private Sonderschulen geht. Jahrelang hat die Zürcher Bildungsdirektion unterschlagen, dass die Gesamtzahl der in teuren Sonderschulheimen unterrichteten Schüler um einen Fünftel grösser ist als allgemein bekannt war.

Gastautor Hanspeter Amstutz, Starke Schule Zürich: Kosten schlagen enorm zu Buche.

Die Kosten für die Sonderschulungen laufen aus dem Ruder

Bei den Budgets vieler Gemeinden fällt vermehrt auf, dass die Kosten für die Sonderschulungen enorm zu Buche schlagen. Tatsächlich ist es so, dass eine Heimeinweisung eines Schülers eine Gemeinde mit rund 55 000 Franken (ohne Kantonsbeitrag) pro Jahr belastet. Im Schulbudget sind diese Kosten nicht enthalten, da sie unter den Sozialkosten der Gemeinde verbucht werden. An der grossen kommunalen Gesamtbelastung für die Sonderschulung ändert sich aber nichts. Weil die Sonderschulheime heute chronisch überlastet sind, drängt sich eine Suche nach Alternativlösungen geradezu auf. Einige Gemeinden haben deshalb einen Teil ihrer Sonderschüler in kostengünstigeren privaten Institutionen platziert.

Überzogene Individualisierung und masslose Ansprüche fördern die Krise

Ein bis sechs Schüler pro Klasse würden sich während einer Unterrichtslektion öfters auffällig oder störend verhalten, liess kürzlich die Präsidentin des Zürcher Lehrerverbands in einem Interview verlauten. Die Verhaltensauffälligen müssten eigentlich zeitweise 1:1 betreut werden, damit sie wieder in richtige Bahnen gelenkt werden können. Doch eine Einführung von Förderklassen lehnte die Präsidentin kategorisch ab. Sie bevorzuge ein Modell mit stunden- oder tageweisen Auszeiten auf «Schulinseln».

Lehrpersonen sollen bitte massgeschneiderte Bildungswege für jedes einzelne Kind finden und individuelle Bildungsziele festlegen.

Die grosse Zahl von Schülern mit intensivem Betreuungsaufwand macht stutzig. Was ist nur mit unserer Volksschule los, dass konzentriertes Lernen in manchen Klassen so schwierig geworden ist? Sicher stark ins Gewicht fällt, dass die unrealistischen Erwartungen ans individualisierte Lernen gewaltig gestiegen sind. Lehrpersonen sollen bitte massgeschneiderte Bildungswege für jedes einzelne Kind finden und individuelle Bildungsziele festlegen. Dieses Lernkonzept hört sich zwar vielversprechend an, vermindert aber die Anpassungsleistungen der einzelnen Schüler an stabilisierende gemeinsame Normen im Klassenunterricht. Manche Kinder werden fordernder und ungeduldiger. Nicht geeignet für die Führung quirliger Klassen ist dabei auch ein als fortschrittlich geltendes Rollenbild, das Lehrkräfte als zurückhaltende Lernbegleiter und erst in zweiter Linie als Führungspersonen sieht.

Förderklassen im eigenen Schulhaus reduzieren Sonderschulungen

Die dringend notwendigen Förderklassen sind nicht dazu vorgesehen, den Grossteil der teils hausgemachten Schwierigkeiten unserer Volksschule aufzufangen. Diese sind ohne falsche Rücksichtnahme klar zu benennen und nicht länger zu verdrängen. Der überladene Lehrplan, das belastende Frühsprachenkonzept und ein unsinnig hoher Anspruch auf massgeschneiderte Lernwege erschweren eine Konzentration auf ein übersichtliches Bildungs-Kernprogramm. All das sorgt für viel Hektik und Unruhe in den Klassen. Es gilt deshalb, parallel zur Einrichtung von Förderklassen bei den genannten Baustellen gründlich aufzuräumen.

Die meisten verhaltensauffälligen Schüler benötigen keine separative Förderung. Time-out-Lösungen mit Schulinseln können einiges abdecken. Doch es gibt leider die wirklich happigen Fälle mit einem erheblichen Störpotenzial. Solche Schüler können ganze Klassen durcheinanderbringen. Diese «Systemsprenger» benötigen eine intensive Betreuung in einer Kleinklasse durch eine Lehrperson mit anerkannten heilpädagogischen Fähigkeiten.

Förderklassen im eigenen Schulhaus sind eine nötige Ergänzung in einem integrierenden Schulsystem. Sie verhindern, dass Regelklassen völlig aus dem Ruder laufen und nur noch durch teure externe Sonderschulungen stabilisiert werden können. Mit dem Ja des Kantonsrats zugunsten von Förderklassen sind die Weichen richtig gestellt worden.

 

 

 

 

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