Solch klare, brutale Worte hat man schon lange nicht mehr von einem Bildungsdirektor gehört. Er heisst Res Schmid und kommt aus Nidwalden: “Der Gender-Unfug hat an Schulen nichts zu suchen.” Oder: “Der Trend, jeden Druck zu vermeiden und alle gleichzustellen, ist eine linke ideologische Fehlentwicklung.” Schliesslich: “Das integrative Schulmodell ist in der aktuellen Form gescheitert.”
Balsam auf die Seele eines Vaters von fünf Kindern, alle Absolventen der Volksschule (bis vor kurzem), die jeden Reform-Irrsinn und jede pädagogische Mode erlitten haben, was meine Frau und mich, beide recht ordentlich ausgebildet, oft ans Ende unseres Lateins gebracht hat – eine tote Sprache, die man ja auch nicht mehr lernen soll, wie uns Leute versichern, die kein Latein können.

Als ich Schmid in diesem bemerkenswerten Interview in der NZZ folgte, ging mir ein Zweites durch den Kopf: Warum haben wir uns von angeblichen Fachleuten so lange einreden lassen, dass das, was sich seit etwa 200 Jahren in der Pädagogik bewährt hat, was Generationen von Lehrern und Schülern unternommen haben, um auszubilden und zu lernen, nichts mehr taugt?
Es braucht Noten, um den Fortschritt zu messen
Dazu gehören Lesen, Schreiben und Rechnen als Grundfertigkeiten, die man nicht oft genug anwenden kann. Ebenso braucht es Noten, die den Fortschritt messen. Schliesslich kommt man ums Büffeln nicht herum. Üben. Üben. Üben. Was doch selbstverständlich ist – fragen Sie einen Tennisspieler, erkundigen Sie sich bei einem Pianisten –, hat in den letzten Jahren einen muffigen Ruf erhalten, seit promovierte Spasspädagogen uns darüber aufgeklärt haben, dass Lernen Spass machen müsse, falls man die Kinder erreichen möchte, zumal jede Forderung, jedes böse Wort die Seele eines Heranwachsenden zerstöre und im Analphabetismus ende.

Das immerhin hat man trotzdem erreicht. Gemäss letzter Pisa-Studie sahen sich noch nie so viele junge Schweizer ausserstande, auch nur einen trivialen Text zu verstehen, geschweige denn die schlecht geschriebenen Dissertationen der Spasspädagogen. Warum haben wir uns das bieten lassen? Immerhin geht es um die Zukunft unserer Kinder.
Omertà unter Pädagogen. Lieber sah man zu, wie die Schule zugrunde ging, als den Falschen recht zu geben.
Schmid gibt einen Hinweis: Kaum hatte er als SVP-Politiker sein Amt angetreten, stellte er zwar fest, dass ihm manche Lehrer – und die kennen sich ja aus – hinter vorgehaltener Hand beipflichteten, wenn er etwa die integrative Schule infrage stellte, doch sie gaben ihm zugleich zu verstehen: “Dass ich das falsche Etikett auf der Stirn habe”, sprich der unaussprechbaren, da krypto-faschistischen Partei angehörte. Omertà unter Pädagogen. Lieber sah man zu, wie die Schule zugrunde ging, als den Falschen recht zu geben.
Ein weiterer Grund, warum alle schimpften, aber niemand sich widersetzte, hängt damit zusammen. Die vielen Reformen stammten vorwiegend von Akademikern, deren Bildungsabschlüsse zwar rasselten wie Orden an der Brust eines Generals, die selbst jedoch kaum je vor einer Klasse gestanden hatten.
Wenn sie Reformen vorschlugen, dann überwog die Theorie, sie erlagen ideologischen Moden, es wurden Utopien verwirklicht, die klüger wirkten, als sie waren, und an der Praxis zerschellten. Unsere Generation, Kinder der Bildungsexpansion der 1960er-Jahre, die sich oft viel darauf einbildeten, wenn sie Akademiker geworden waren, nahm – von uns selbst beeindruckt – unkritisch hin, was die gleichen Akademiker an den Schulen anrichteten.
Eine Volksschule, die weder eine Schule ist, noch einem Volk dient
Am Ende wurde unsere Volksschule, eine der Erfolgsgeschichten des schweizerischen Liberalismus seit 1830, Opfer eines antiliberalen Zeitgeistes, indem sich eine Minderheit anmasste, eine “progressive” Reform nach der anderen auszuhecken und durchzuziehen, wobei die meisten davon kaum demokratisch abgestützt waren, und wenn, dann blieb den Bürgern oft verborgen, was sie da akzeptierten, im Glauben, die “Experten” wüssten es schon besser.
Ist das nicht infantil? Nein, es ist gefährlich. Und das Ergebnis, eine Volksschule, die in mancher Hinsicht weder eine Schule ist, noch einem Volk mehr dient, spricht leider für sich selbst.
Das widersprach der DNA der Volksschule, die stets eine demokratische Volksschule gewesen war und deshalb auch bis in die 1980er-Jahre realistisch und leistungsorientiert geblieben war. Common Sense herrschte an dieser Schule, weil die Mehrheit des Volkes im Zweifelsfall immer auf den Common Sense setzt.
Dann übernahmen die “Experten”. Common Sense stand nun a priori unter Verdacht, man entschied sich oft bewusst für das Gegenteil dessen, was 200 Jahre lang gegolten hatte – um des Reformierens willen. Ist das nicht infantil? Nein, es ist gefährlich. Und das Ergebnis, eine Volksschule, die in mancher Hinsicht weder eine Schule ist, noch einem Volk mehr dient, spricht leider für sich selbst.
Ja, das ist so.
Viele haben davor gewarnt, auch öffentlich – inklusive ich.
Der Staat hat fertig – Bildungsgutscheine jetzt!
Und: Offenbar braucht es einen ehemaligen Berufspiloten, gewohnt, der Gefahr und dem Unvorhergesehenen adäquat zu begegnen, der sich getraut, die Luftschlösser zu benennen und Ballone platzen zu lassen. Feigheit ist in der Fliegerei tödlich – anderswo auch.